Inklusive Bildung: Fast alle Bundesländer setzen UN-Konvention nur unzureichend um

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BERLIN. Das Recht auf gemeinsames Lernen von Kindern mit und ohne Behinderungen wird in Deutschland unzureichend umgesetzt, beklagen Wissenschaftler des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB). Die meisten Bundesländer wälzten die Verantwortung auf die Eltern ab.

Sebastian Steinmetz, Michael Wrase, Marcel Helbig und Ina Döttinger zeichnen ein dunkles Bild: Eine Reihe von Bundesländern verletzt systematisch die Anforderungen der UN-Behindertenrechtskonvention zur Schaffung eines inklusiven Bildungssystems, so die Wissenschaftler des Wissenschaftszentrums Berlins für Sozialforschung (WZB) in einer aktuellen Studie. Während Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein bei der Umsetzung der Inklusion in den Schulen deutlich vorangekommen seien, fände diese in den meisten anderen Bundesländern nur unzureichend statt. Baden-Württemberg, Bayern und Rheinland-Pfalz seien weitgehend untätig geblieben oder verzeichnen seit Geltung der UN-Konvention 2009 sogar Rückschritte.

Der politische Wille zur Inklusion scheint wenig ausgeprägt. Foto: Shutterstock

Für die Studie wertete das Forschungsteam relevante Vorschriften und Umsetzungsmaßnahmen sowie verfügbare Daten über den gemeinsamen Unterricht in den Bundesländern aus. Aus Artikel 24 der UN-Behindertenrechtskonvention leiteten die Wissenschaftler vier zentrale Anforderungen ab, die für die Erfüllung des Rechts auf inklusive Bildung gegeben sein müssten und untersuchten deren Umsetzung in den 16 Bundesländern.

Verfügbarkeit inklusiver Bildung
Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen haben Anspruch, in einer nahe gelegenen Schule gemeinsam mit Schülern ohne Behinderung unterrichtet zu werden. In der Mehrheit der Bundesländer unterrichteten zwar bereits die überwiegende Zahl aller Schulen Kinder mit Förderbedarf. Weit unterdurchschnittliche Quoten von inklusiv arbeitenden Schulen finden sich aber in Baden-Württemberg, Bayern und Rheinland-Pfalz. Inklusive Bildung ist laut der Studie in diesen Bundesländern nicht flächendeckend verfügbar.

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Diskriminierungsfreier Zugang zu inklusiven Schulen
Zentral fordert die UN-Konvention einen gleichberechtigten und diskriminierungsfreien Zugang zum allgemeinen Bildungssystem. Ein vorbehaltloser Zugang zu inklusiver Bildung für Kinder mit Förderbedarf wird gegenwärtig jedoch nur in Bremen und Hamburg gewährleistet, konstatieren die Forscher. Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Sachsen-Anhalt erfüllten diesen Anspruch nicht. In diesen Ländern gebe es auch mehr als zehn Jahre nach Ratifizierung der UN-Konvention keinen klaren Vorrang der gemeinsamen Beschulung. Die Mehrheit der Bundesländer schreibe zwar einen Vorrang des gemeinsamen Unterrichts im Schulgesetz fest, schränke diesen aber durch einen Ressourcenvorbehalt oder sonstige Vorbehalte ein.

Angemessenheit des Schulangebots
Die Ressourcenausstattung für den gemeinsamen Unterricht zeigte sich in vielen Bundesländern mangelhaft. In einer Reihe von Ländern (Baden-Württemberg, Bayern, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und Saarland) ist die Finanzierung inklusiver Beschulung der Untersuchung zufolge nicht ausreichend im Schulrecht konkretisiert. Für die einzelnen Förderschwerpunkte fehlten konkrete Richtwerte, an denen sich die Zuweisung sonderpädagogischer Förderung zu orientieren hat. Aus diesem Grund könne nur schwer bewertet werden, ob in der Praxis ausreichende pädagogische Unterstützung im inklusiven Lernumfeld vorhanden ist. Allerdings wiesen Daten aus mehreren Bundesländern auf eine systematische Unterausstattung der allgemeinen Schulen gegenüber Förderschulen hin.

Anpassungsfähigkeit des Schulsystems
Eine tatsächliche Transformation bestehender Förderschulsysteme in inklusive Regelschulangebote beobachtete das Forschungsteam bislang nur in Bremen, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein. Die anderen elf Länder stellen das im internationalen Vergleich weit ausgebaute Förderschulsystem (bisher) nicht zur Disposition. Gerechtfertigt wird dieses Vorgehen durch einen Verweis auf das „Elternwahlrecht“: Solange Erziehungsberechtigte die Förderschule für ihr Kind wählen, sollen Sonderstrukturen weiterexistieren. Damit wird eine zentrale Steuerungsleistung für das Gelingen der schulischen Inklusion formal auf die Erziehungsberechtigten abgewälzt. Diese „passive Steuerung“ ist aber mit der schrittweisen Implementierung der UN-Konvention unvereinbar, stellt Michael Wrase fest. Außerdem gebe es bei der Ausübung des Elternwahlrechts wahrscheinlich eine starke soziale Schieflage, vermutet der WZB-Jurist. Kinder aus sozial benachteiligten oder migrantischen Elternhäusern sind an Förderschulen weit überproportional vertreten.

Solange die Politik nicht die notwendigen Voraussetzungen an den Schulen schafft, kann Inklusion nicht gelingen“, resümiert Studienautor Sebastian Steinmetz. „Das Versäumnis liegt bei der Politik und kann nicht am gemeinsamen Unterricht festgemacht werden, der in vielen anderen Staaten ja schon heute die Regel ist.“

Inklusion: Rückschritte durch Corona – auch bei der Akzeptanz der Lehrer

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lehrer002
2 Jahre zuvor

Theorie ist das eine, Praxis das andere. Nicht jedes Kind ist ohne erheblichen Mehraufwand in die Regelschulklassen inkludierbar. Daher ist es gut, einen Kurs zu fahren wie NRW und Förderschul- und Regelschulmöglichkeiten gleichermaßen zu schaffen, sodass die für das jeweilige Kind besser passende Möglichkeit der Förderung genutzt werden kann. Inklusion darauf zu beschränken, jedes Kind auf Biegen und Brechen in eine Regelschulklasse zu stecken, auch wenn es vielleicht an einer spezifischen Förderschule glücklicher wäre, ist eine absolute Fehlinterpretation. Vielmehr bieten sich Verknüpfungspunkte auch außerhalb der Schulen. Sportvereine und Musikgruppen etc. können beeinträchtigte Kinder ebenso aufnehmen wie die nicht-beeinträchtigten. Im Schulkontext, in dem es primär um das Erlernen theoretischer Dinge geht, sollten beide Optionen für Lehrer und Schüler offenstehen.

Defence
2 Jahre zuvor

Unzureichend ist gut.
Hier, mit Inklusionsklasse. 9 von 11 mit Fördermaßnahmen und ohne Förderschullehrerin.
Das nenne ich mal geschickt eingefädelt. So kann man Förderschulen abbauen und die Arbeit einfach umverteilen. Ist ja nicht so schlimm, wenn die anderen Lehrerinnen und Lehrer dann Mehrarbeit leisten müssen.

Max Kleine
2 Jahre zuvor

„Eine tatsächliche Transformation bestehender Förderschulsysteme in inklusive Regelschulangebote beobachtete das Forschungsteam bislang nur in Bremen, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein.“

Hier hätte man etwas genauer recherchieren sollen, denn unter diesen vier genannten Bundesländern befinden sich Bundesländer mit „bestehendem Förderschulsystem“ und dass sich unter dieser Aufzählung dann auch Bundesländer befinden, die regelmäßig bei Bildungsvergleichen die aller letzten Plätze belegen ist bestimmt nicht gerade eine Werbung für die Abschaffung des „Förderschulsystems“.

Meine persönliche Meinung, aufgrund der Erfahrungen mit der geforderten (und umgesetzten Form der) Inklusion ist niederschmetternd.
Man nimmt jedem Kind (und ich behaupte auch der Gesellschaft allgemein) die Chancen:
– Kinder mit Förderbedarf bekommen keine Förderung
– Kinder ohne Förderbedarf bekommen nicht die bestmögliche Bildung, weil ein angemessener Unterricht nicht mehr möglich ist
– Wer kann, der rettet sich (als Realschüler) irgendwie aufs Gymnasium, wo sich dort wiederum das Niveau nach unten anpasst
– Mittlerweile entspricht das Niveau des Unterrichts an meiner Schule nicht dem eigentlichen Niveau der Schulform, aber es wäre ansonsten nicht mehr möglich genügend Schüler zum Abschluss zu führen und dann gibt es wieder Druck von „oben“
– Ohnehin hat der Druck von oben dafür gesorgt, dass, spätestens seit den Coronaregeln, wirklich jedem ein Abschluss (und damit meine ich nicht den der Berufsreife, denn den bekommt man in meinem BL ohnehin nach Bewältigung einer bestimmten Klassenstufe automatisch) hinterher geworfen bekommt

Wir sehen bereits jetzt die Auswirkungen in Form von Noteninflation und immer mehr Schülern, die unbedingt aufs Gymnasium gehen müssen (, denn es gibt nur noch Förderschule (egal, wie der neue Name lautet) und Regelschule, die Gymnasium genannt wird).

Als Land und Gesellschaft bekommen wir so junge Menschen, die weder ausbildungs- noch studierfähig sind (und es wird von Jahrgang zu Jahrgang ja nicht besser). Es soll sich jeder selbst seine Gedanken machen, wie sich so eine Wirtschaftsnation zukünftig entwickeln wird.

Vielleicht bin ich ja auch nur zu pessimistisch oder sehe das zu schwarz – das könnt ihr ja zurückmelden.

ysnp
2 Jahre zuvor

Für eine inklusiv arbeitende Schule braucht man nicht unbedingt ein Label. Ich nehme an, dass für Bayern nur die Schulen aufgelistet wurden, die das Label „inklusive Schule“ haben. Das Label ist nämlich Augenwischerei und die versprochenen Zusatzstunden (so weit ich mich erinnere, 20 an der Anzahl in der Woche, davon ein paar vom MSD für die ganze Schule unabhängig von der Größe) sind nur sinnvoll für kleine Schulen. Für die Schulen mit dem inklusiven Label bedeutet das in Bayern auch einige unsinnige Zusatzstunden mit verpflichtenden Besprechungen, die über die Grenze der Belastungsfähigkeit gehen. Bei den MSD- Leuten (Sonderpädagogen) wird diese Besprechungssunde im Deputat mit angerechnet, die Grund- und Mittelschulleute machen das für lau. D.h. bei uns wird nichts angerechnet! Bei uns zählt nur die reine Unterrichtsverplichtung. Die Klassen sind nicht kleiner. Die Erwartungen der Eltern ist hoch – leider können die Schulen den Erwartungen nicht gerecht werden. Wie man sieht, wird alles wieder auf dem Rücken der grundständigen Lehrer ausgetragen – man macht das alles zusätzlich ohne Anrechnung.
Wir haben das Label nicht beantragt und arbeiten dennoch inklusiv – oft mehr schlecht als recht, da unsere Klassen extrem groß und an der Obergrenze sind. Eine Schülerzahl von 28 ist kein Sonderfall mehr. In den ganz normalen Grundschulen werden nämlich ebenso inklusiv zu beschulende Schüler aufgenommen. Wir haben Schüler, die sonst auf Schulen für geistige Entwicklung oder für Lernentwicklung wären. Wir haben einige Schüler mit Schulbegleitung, auch welche mit körperlichen Beeinträchtigungen oder auch Autisten. Nicht zu vergessen die Flüchtlingskinder, die eine besondere Förderung benötigen. Dennoch taucht meine Schule – denke ich – in keiner Statistik bezüglich der Inklusion auf.

Palim
2 Jahre zuvor

Theorie und Praxis – die Kluft sehe ich auch.

Gefordert wird, dass es Richtwerte gibt:
„Die Ressourcenausstattung für den gemeinsamen Unterricht zeigte sich in vielen Bundesländern mangelhaft. (…) Für die einzelnen Förderschwerpunkte fehlten konkrete Richtwerte, an denen sich die Zuweisung sonderpädagogischer Förderung zu orientieren hat. Aus diesem Grund könne nur schwer bewertet werden, ob in der Praxis ausreichende pädagogische Unterstützung im inklusiven Lernumfeld vorhanden ist.“

Da können Lehrkräfte aus der Praxis gerne berichten:
In NDS sind die FöS Lernen im Grundschulbereich aufgehoben, ESE in der Regel Privatschulen, für FöS Sprache gibt es zum Teil Klassen, aber auch inklusive Beschulung.
Für diese Unterstützungsbedarfe gibt es keine zusätzlichen Stunden, sondern laut Erlass eine Grundversorgung von 2 Std. pro Woche pro Klasse (nicht pro Kopf!), WENN die zuständige Förderschule/ der Standort des Förderzentrums diese Stunden zur Verfügung hat. Diese Stunden teilen sich dann alle Lehrkräfte mit allen SchülerInnen mit Lernschwierigkeiten, Auffälligkeiten und bereits festgestellten oder noch zu diagnostizierenden Unterstützungsbedarfen.
Da aber Lehrkräftemangel herrscht, gibt es die Stunden nicht entsprechend der Erlasslage, also wird nicht einmal dieses unzureichende Minimum realisiert und auch durch nichts und niemanden aufgefangen.
Wenn die Gelder der nicht besetzten Stellen zur Verfügung stehen, warum erhalten die Grundschulen auf dieser Grundlage nicht wenigstens Erzieherinnen oder Heilerziehungspflegerinnen oder Therapeutinnen zur Unterstützung?
Das ist genausowenig vorgesehen wie ein Einsatz von pädagogischen MitarbeiterInnen, die es an Förderschulen gibt, nicht aber an den inklusiv arbeitenden Regelschulen für die gleichen Aufgaben.

Bei anderen Unterstützungsbedarfen braucht es natürlich zunächst die Begutachtung, der von vorn herein schon vor der Einschulung ein Riegel vorgeschoben wird („in der Regel entbehrlich“). Ohne Status, gibt es also keinerlei zusätzliche Stunden, der Unterstützungsbedarf wird dann erst nach 1-2 Jahren festgestellt, die Schule muss zuvor in einem umfangreichen Gutachten darlegen, dass sie alle Fördermöglichkeiten (ohne Ressourcen) ausgeschöfpt hat. Erst danach können Förderstunden festgesetzt werden.
Gibt es dann endlich eine Bewilligung, kommen in den Schulen dennoch keine Stunden an, weil keine da sind oder weil der nächste Schulstandort zu weit entfernt ist. Förderschullehrkräfte im Mobilen Dienst gibt es zwar, sie sind aber auch an ihren Stammschulen eingesetzt und die Fahrzeit frisst die Unterrichtszeit auf. Konnte ja in einem Flächenland keiner ahnen, dass es dann auch in der Fläche SchülerInnen gibt, die Unterstützung benötigen und entsprechende Lehrkräfte in jeder (noch so entlegenen) Region, weil sie durch die Beschulung in der Regelschule den Besuch des Internats oder eine täglich 2-3-stündige Fahrzeit umgehen möchten. Eine jährliche Beratung von 1 Stunde ersetzt keine Förderung im Unterricht.

Die Beschulung der Unterstützungsbedarfe Hören, Sehen, Körperlich-Motorische Entwicklung erfolgt dann zumeist ohne weitere Stunden, bei dem Unterstützungsbedarf Geistige Entwicklung kommt es eher zu Abordnungen, weil die Schulen in der Fläche weiter verbreitet sind. Aber auch hier werden die Richtwerte nicht erreicht.

Letztlich unterrichtet man dann an den Schulen inklusiv ohne weiteres Personal oder mit sehr wenigen zusätzlichen Stunden, mit Glück in der Grundversorgung eine von zwei möglichen Stunden in der Woche – einschließlich aller Testungen, Begutachtungen, Beratungen … für Förderung am Kind bleibt wenig Zeit.
Und erkrankte Förderschullehrkräfte werden nicht durch Vertretungen ersetzt.

Ähnlich ist es mit Zusatzbedarfen, Stunden, die die Schulen zusätzlich erhalten können – auch das ist Inklusion!
Da gibt es im Erlass die Nennung von Förderkursen für Kinder mit Schwierigkeiten im Lesen, Schreiben oder Rechnen. Die Schule hat aber gar keine Stunden, die sie dafür einsetzen könnte. Also kann es keinerlei solcher Kurse geben.
Es werden Stunden für DaZ und Schulen im Brennpunkt jährlich mühsam beantragt, mit genauer Angabe von Gruppenzusammensetzungen (für DaZ), um Kindern mit Migrationshintergrund in 1-5 Stunden in der Woche Deutsch beizubringen und sie zu alphabetisieren, den Rest der Zeit weden sie in den normalen Klassen beschult.

Die Dezernenten können auch nur verteilen, was sie an Lehrkräftestunden zur Verfügung haben, die Schule erhält also eine Zuweisung für ein paar der beantragten Stunden.
Aber im allgemeinen Lehrkräftemangel und in der Vertretungssituation verdampfen die zusätzlichen Stunden. Eine Vertretungsregelung, die den Unterricht abdecken würde, gibt es nicht und auch hier wird weiter zusammengestrichen und gespart. Es gibt Stunden für Vertretungskräfte (keine Lehrkräfte), die aber knapp ausreichen, um eine erkrankte Lehrkraft für 2 Tage in der Woche zu ersetzen. Sobald eine Lehrkraft länger ausfällt, muss sich die Schule also über die Stunden der Zusatzbedarfe retten, um in allen Klassen verlässlich 5 Zeitstunden Betreuung gewähren zu können.
Wird bei Langzeiterkrankung eine Vertretungskraft beantragt, werden die Stunden der genehmigten Zusatzbedarfe von offizieller Seite aus gestrichen und nicht ersetzt. Jedes Mal fallen also alle zusätzlichen Stunden weg und nur der Unterricht der Pflichtstundentafel wird über eine Vertretung gesichert. Jedes Mal übernehmen also die Regelschullehrkräfte sämtliche Aufgaben der Förderung selbst innerhalb der Klasse und die Aufgaben der Beratung gleich mit. Dabei werden die Stunden der Förderschullehrkräfte nur in absoluten Ausnahmefällen für die Vertretung eingesetzt, manchmal ist es aber nicht anders möglich.

Die Sprachförderung vor der Einschulung wurde in Niedersachsen ganz aus dem schulischen Aufgabenbereich gestrichen und findet nun seit Jahren nicht mehr statt, zunächst mussten neue Strukturen auf der Ebene der Landkreise geschaffen werden, dann Personal gesucht werden, dann kam Corona (3-4 Jahre keine Sprachförderung vor der Einschulung).

„Allerdings wiesen Daten aus mehreren Bundesländern auf eine systematische Unterausstattung der allgemeinen Schulen gegenüber Förderschulen hin.“
Das bezieht sich auf die Prüfung von Richtlinien, Erlassen oder Vorgaben, die Realität sieht noch ganz anders aus.
Da dürfte gerne mal eine Erhebung erfolgen, wie viele Stunden der Sprachförderung (DaZ), der Hilfe für den Brennpunkt und für die Inklusion tatsächlich für diese Aufgaben bereitgestellt werden müssten (nach Datenlage), wie viele bereitgestellt werden (nach Zahlen der Landesschulbehörde) und wie viele davon tatsächlich erteilt werden können (Erfassung an den Schulen).
Vielleicht sollten Behindertenverbände Eltern dazu aufrufen, ihnen die Verhältnisse an den Schulen darzulegen, um einen Überblick über die Realität zu erhalten?

Inklusion als Sparkonzept, die Aufgaben wurden den Grundschullehrkräften zusätzlich aufgetragen, die weiterhin mit A12 entlohnt werden, sich dafür aber auf sämtliche Lernschwierigkeiten, chronische Krankheiten und Unterstützungsbedarfe einstellen dürfen.
Auch in NDS erhalten sie dafür keinerlei Anrechnung oder Entlastung – im Gegensatz zu den FöS-Lehrkräften (A 13, geringeres Deputat), die 1-2 Unterstützungsbedarfe als Schwerpunkt haben und sich klar abgrenzen können.

Ich weiß, dass das vorherige Förderschulsystem auch große Mängel hatte und unterversorgt war. Dass Förderschullehrkräfte fehlen, fällt nun weit weniger auf, wenn sie nicht eigenständig vor Klassen stehen, sondern von Schule zu Schule fahren um hier und dort je ein paar Stunden zur Verfügung zu stehen. Wäre die Grundversorgung nicht so minimalistisch, hätte man an jeder kleinen Grundschule jetzt eine Vollzeitstelle für eine Sonderpädagogin und sie würde mit ins Team dieser Schule gehören.

Für Grundschulen gab es auch vor Integration/Inklusion eine Grundversorgung (2-3 Std. pro Schule), im Prinzip sind die Bedingungen an den Regelschulen wie vor der Umsetzung der Inklusion, allerdings gibt es das parallele System der FöS nicht mehr.

Ich möchte nach über 10 Jahren Mangel EIN MAL wenigstens EIN SCHULJAHR erleben, in dem die Zusatzbedarfe ALLE erlasskonform zugewiesen werden und JEDE Stunde gewährt und vertreten wird.

Ich möchte EIN SCHULJAHR erleben, in dem eine Förderschullehrkraft erlasskonform ALLE Stunden an unserer Schule in der Grundversorgung erteilt und NICHT EINE dieser Minimalversorgung für Begutachtung von SchülerInnen oder anderes ausfällt. Natürlich wäre es zudem sinnvoll, die Richtlinien anzupassen und Schulen insgesamt besser auszustatten.

Und ich wünsche mir, dass sich ALLE um ein Gelingen von Inklusion bemühen und nicht allein auf Zahlen und Finanzen achten, sondern Hilfe zeitnah in den Schulen zur Verfügung gestellt wird. Stattdessen muss man sich als Eltern und als Lehrkraft für jeden Antrag und jede Forderung rechtfertigen und sich vielfach hinhalten lassen oder bei den Zuständigen der Landesschulbehörde auf Erlasse und Richtlinien verweisen.

Ständig habe ich den Eindruck, dass sich Menschen, die zuständig sind, nicht zeitnah um eine Förderung bemühen. Es kann und darf nicht sein, dass die Diagnostik bei Kindern mit Auffälligkeiten unterschiedlichster Art 1-2 Jahre in Anspruch nimmt – das sind 2 Schuljahre, in denen diese Kinder ohne zusätzliche Hilfe, Therapie oder Unterstützung auskommen sollen, 2 verlorene Jahre!

Wenn wir als Lehrkraft jedes Mal unsere Aufgaben verweigern und die betreffenden SchülerInnen in den Flur oder vor die Schule setzen würden, weil Lehrkäfte fehlen, weil wir den Schwerpunkt des Unterstützungsbedarfes nicht studiert haben, weil ein Kind zwischen zwei Unterstützungsbedarfen steht und man eine Förderung dann ablehnen kann, weil Unterlagen fehlen, weil die Erlasse nicht eindeutig sind, weil Beauftragungen nicht klar geregelt sind, weil die per Erlass geregelten Zuweisungen nicht in den Schulen ankommen, weil es keine Vertretungsregelungen gibt, weil keine professionelle Beratung zur Verfügung steht oder umständlich beantragt werden soll, könnten wir im Flur/ vor der Tür eine Auffangstation einrichten, denn dann stünden dort jeden Tag Kinder.

Das würden wir nie machen, weil wir nicht Zahlen, sondern Kinder sehen, aber es würde vielleicht mehr Mitmenschen die schlechte Ausstattung der Schulen verdeutlichen, während Lehrkräfte sich bei nächster Gelegenheit wieder anhören müssen, was „die Schule“ alles leisten soll und wie wichtig doch die Aufgabe inklusiver Beschulung sei.
Es ist beschämend, den Eltern immer wieder erläutern zu müssen, dass die Schule zwar inklusiv arbeiten möchte (und soll), hierzu aber so gut wie keine Ressourcen erhält.

Die Inklusion hätte gleich zu Beginn eine umfassende Ausstattung benötigt, um eine neue Ausrichtung des Unterrichts schaffen zu können und genügend Zeit und Kraft für die Einarbeitung und auch für Begutachtung, Beratung und Förderung zu haben.

Georg
2 Jahre zuvor
Antwortet  Palim

Ich bin da voll bei Ihnen. Nur wäre eine vernünftig umgesetzte Inklusion noch viel teurer als die Erhaltung der Förderschulen, weil es für die unterschiedlichen Typen unterschiedliche hoch spezialisierte Lehr- und Betreuungskräfte benötigt werden. Eine Förderschullehrkraft „Sehen“ kann sich nicht optimal um Schüler mit dem Schwerpunkt „Geistige Entwicklung“ kümmern. Umgekehrt natürlich auch.

Ich persönlich bin aber noch viel radikaler beim Thema Inklusion, indem ich bei jedem Schüler individuell das prognostizierte Abschlussziel in den Vordergrund rücke und die geeignete Schulform daran auswähle. Ja, mir ist bewusst, dass dadurch nur die wirklich nicht außendifferenzierenden Grundschulen kaum entlastet werden, und die Gymnasien überwiegend die in Hochglanzprospekten zur Inklusion überproportional häufig gezeigten Rollstuhlfahrer oder andere rein körperlich, nicht jedoch kognitiv oder sozial beeinträchtigten Inklusionsfälle „bekommen“, also die Schüler, die dem Regelunterricht ohnehin folgen können.

Palim
2 Jahre zuvor
Antwortet  Georg

Ob das eine oder andere System besser ist, darüber lässt sich trefflich streiten oder Kompromisse finden. Auch wird man dabei verschiedene Aspekte finden, wobei es um Finanzierung, Pädagogik, Grad der Differenzierung oder der Umsetzung der Inklusion gehen kann. Sicherlich gehört dazu auch, ob es Feststellungsverfahren braucht, wie sie ausgestaltet werden und durch wen sie zu welchem Zeitpunkt durchgeführt werden.

Ein schlecht ausgestattetes System mit externen Förderschulen ist schlecht,
ein nicht unterstütztes inklusives System aber ebenso.
Man bräuchte so oder so Standards, statt Inklusion als günstigen Bereich der Einsparungen anzusehen.

Chris
2 Jahre zuvor

Warum werden Artikel zur Inklusion immer mit Bildern von Körperbehinderten Schülerinnen im Rollstuhl versehen? Diese körperlich behinderten Schüler und Schülerinnen sind an der Schule nicht das Problem. Die inkludieren wir seit Jahrzehnten. Mit solchen Bildern in allen Berichten wird in der Öffentlichkeit das total falsche Bild vermittelt.

Das Problem sind Schüler mit dem Gutachten über „sozialen und emotionalen Förderbedarf“. Wie soll man die in die normalen Klassen inkludieren, wenn man die übrigen Schüler eher vor ihnen schützen muß? Und ja, ich selber habe es auch schon abgelehnt solche Schüler im Regelbetrieb an der Berufsschule zu unterrichten, weil sie sich oder die Mitschüler in der Lehrwerkstatt einfach massiv gefährden. Drehmaschinen etc. sind keine Spielzeuge. Wenn man da aus Trotz die Maschine absichtlich falsch bedient, kann einem so eine Maschine mit Leichtigkeit eine Hand abreißen oder skalpieren, wenn die Haare in die Maschine kommen.

So, wie die Inklusion in der Praxis läuft, sehe ich mich eher genötigt die „normalen“ Schüler vor den Inklusions-Kandidaten zu schützen denn die Inklusion zu fördern.