Hochschulen rechnen mit Corona-Lücken bei Studienanfängern – vor allem in Mathematik

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DÜSSELDORF. Endlich wieder in die Uni: Nach drei Pandemie-Semestern startet das Wintersemester in Präsenz. Die Hochschulen freuen sich, aber sie erwarten auch Probleme – vor allem für Erstsemester.

Der Präsenzbetrieb fährt in den Hochschulen wieder hoch. Foto: Shutterstock

Die Hochschulen und Universitäten rechnen infolge der Schulschließungen in der Corona-Zeit über Jahre mit Problemen von Schülerinnen und Schülern beim Wechsel ins Studium. Systematisch könne ein solcher «Corona-Effekt» noch nicht bestätigt werden, «aber von der Plausibilität her erwarten wir das nicht nur im nächsten oder übernächsten Jahr, sondern in den nächsten Jahren», sagte der Vorsitzende der Landesrektorenkonferenz der Hochschulen für Angewandte Wissenschaften in Nordrhein-Westfalen, Bernd Kriegesmann, am Montag in Düsseldorf. Die Versäumnisse aus der Pandemie-Zeit fingen bereits in der Grundschule an und zögen sich «durch alle Schulklassen».

Nach drei Semestern mit überwiegend digitalen Veranstaltungen starten die Hochschulen in das neue Wintersemester 2021/22 wieder mit Präsenzlehre. Bis zu zwei Drittel der Lehrveranstaltungen sollen in Präsenz ablaufen. Nur ganz große Vorlesungen sollen online angeboten werden.

«Wir müssen die jungen Menschen da abholen, wo sie jetzt sind»

Die Hochschulen müssten sich künftig in der Studieneingangsphase neu aufstellen, sagte Kriegesmann. «Der Thermodynamik ist es relativ wurscht», ob es eine Pandemie gegeben habe oder nicht. «Ein Energieerhaltungssatz ist ein Energieerhaltungssatz», sagte er. «Wir müssen die jungen Menschen da abholen, wo sie jetzt sind.» Studenten und Studentinnen im ersten Semester könnten nun endlich auch wieder Lerngruppen bilden, sagte Kriegesmann. Auch das beeinflusse den Studienerfolg maßgeblich.

Lambert T. Koch, Vorsitzender der Landesrektorenkonferenz der Universitäten in NRW, erwartet Probleme der künftigen Studenten vor allem mit Blick auf Mathematik. Denn da gehe es um das sukzessive Üben.

Stichproben hätten allerdings gezeigt, dass die Durchfallquoten an den Unis sich in den Pandemie-Semestern «nicht maßgeblich erhöht hätten». Dazu beigetragen hätten zusätzliche Freiversuchsregelungen. Teilweise wollten die Studentinnen und Studenten die Prüfungen in diesem oder nächsten Semester nachholen, so dass sie dann ein oder zwei Semester länger studieren, sagte Koch.

«Das Studium ist eine besondere Lebensphase, für die das Miteinander auf dem Campus unverzichtbar ist»

Die Hochschulen hätten durch die Pandemie «kein Semester verloren», sondern sich sehr schnell auf die neue Situation eingestellt und «ordentlich ausbilden können», sagte Wissenschaftsministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen (parteilos). Aber auch das kommende Wintersemester werde sicher noch kein normales so wie vor der Pandemie. Präsenz werde aber wieder der «Regelfall» sein. «Das Studium ist eine besondere Lebensphase, für die die persönlichen Kontakte und das Miteinander auf dem Campus unverzichtbar sind.»

Studierende müssen nachweisen, dass sie geimpft, genesen oder getestet sind (3G), wenn sie an Uni-Veranstaltungen teilnehmen wollen. Die Hochschulen mussten Zugangskonzepte erstellen. Einige setzen auf Bändchen, andere auf Apps oder auf fälschungssichere Vignetten auf dem Uni-Ausweis.

Durch Stichprobenkontrollen werde eine praktikable Lösung geschaffen, so dass sich keine langen Schlangen vor Hörsälen und Laboren bildeten, sagte Pfeiffer-Poensgen. Wer sich ungeimpft oder ungetestet in die Uni schleicht, muss mit Konsequenzen rechnen, die vom Rauswurf aus der Veranstaltung bis zu einer Strafe infolge einer Ordnungswidrigkeit reichen können. Mehr als 80 Prozent der Studierenden und Beschäftigten an den Unis sind nach Schätzungen geimpft.

Nach ersten Schätzungen der Hochschulen sind im Wintersemester 2021/2022 rund 765.000 Studierende in NRW eingeschrieben. Das entspricht etwa dem Niveau des Vorjahres. Die Zahl der Erstsemester liegt mit rund 93.000 Personen leicht unter dem Niveau des vergangenen Wintersemesters (minus 5,1 Prozent/98 000). Bei Studenten aus dem Ausland ist ein leichter Anstieg um zwei Prozent auf rund 75.000 zu erkennen. Vor allem die Kunst- und Musikhochschulen haben in der Regel einen hohen Anteil an Studenten, die nicht aus der EU kommen. Für diese sei es in der Pandemie «extrem schwierig» gewesen, ihren Studienplatz anzutreten, sagte der Vorsitzende der zuständigen Landesrektorenkonferenz, Thomas Grosse. News4teachers / mit Material der dpa

Bildungsforscher: Jeder dritte Schüler mit Lernlücken durch die Pandemie

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Carsten60
2 Jahre zuvor

Typisch: „Corona hat zu Problemen bei der Mathematik geführt.“ Das ist nicht falsch, aber ebenso gilt: Schon vor Corona hat es Probleme bei der Mathematik gegeben. Ursächlich sind möglicherweise die Schulreformen speziell beim Fach Mathematik sowie die reduzierten Stundentafeln, speziell beim Fach Mathematik. Alle wissen es und wollen es doch nicht zugeben: es gibt eine wachsende Abkoppelung der Schulmathematik von der Hochschulmathematik, aber das ging nicht von den Unis oder Fachhochschulen aus. Die haben nichts „verschärft“, etwa um Studenten „rauszuprüfen“. Niemand hat ein Interesse daran, schon weil sowas nur zu Schelte „von oben“ führt. Die Ansprüche sind gleich geblieben oder sogar leicht gesunken.

Georg
2 Jahre zuvor
Antwortet  Carsten60

… In Der Schule sind sie aber vergleichsweise viel stärker gesunken. Geschuldet ist das -(in NRW) der zunehmenden Gymnasialquote, der Schulzeitverkürzung (die Rückkehr zu g9 macht die Kürzungen nicht rückgängig), der Kompetenzorientierung und dem Zentralabitur. Sogar die Leistungskurse bilden, wenn man sich auf den Lehrplan beschränkt, kaum ab, was an der Hochschule unter Mathematik verstanden wird. Das gilt schon für Mathematik für Primarstufe und für Nebenfächler wie BWL oder Biologie, für die Physiker, Ingenieure und reinen Mathematiker sowieso.

Horst Meyer
2 Jahre zuvor

Studienanfänger haben Lücken im Fach Mathematik? Das ist ja etwas völlig Neues.

Scherz beiseite – die mathematischen Fähigkeiten der deutschen Schülerinnen und Schüler sind schon sehr lange im Sinkflug. Corona hat vermutlich für einem weiteren Rückgang gesorgt, aber der übergeordnete Trend besteht seit mindestens 30 Jahren.

Die Hauptursachen sind allerdings anderswo verortet: Die Stundentafeln in den Kernfächern Deutsch, Mathe, Englisch wurde reduziert. Der Naturwissenschaftsunterricht, der den Matheunterricht deutlich unterstützt, wurde extrem stark beschnitten und steht gefühlt kurz vor der Abschaffung. Die Lehrpläne wurden handlungsorientiert gestaltet, so dass man nun riesige Lernsituationen bearbeitet. Im Gegenzug wissen selbst Mathe-LK Teilnehmer nicht mehr was ein Summenzeichen, die Regel von de L`Hospital oder die partielle Integration ist. Die Abkehr von der Fachsystematik führt zu einer absolut chaotischen Arbeitsweise an den Schulen. Selbst Schülerinnen und Schüler, die am Ende sehr gute Leistungen bescheinigt bekommen, sind für die harten MINT Fächer oftmals ungeeignet, weil ihnen das Vorwissen aus der Sek II fehlt. Als letzten Punkt möchte ich die extreme Zunahme der Abiturientenquote nennen. Alleine hierdurch sinkt das Niveau an den Schulen massiv. Ich habe gerade eine Mathe-LK Klausur des 13. Jahrgangs auf meinen Schreibtisch liegen. Es gibt nicht wenige Schüler für die 200+3*3=609 ergibt. Das ist kein peinlicher Rechenfehler sondern zeugt von riesigen Lücken des Sek I Stoffs. Schüler berichten mir regelmäßig von Unterrichtsausfällen und fachfremden Personal.

Carsten60
2 Jahre zuvor

An Fachhochschulen wurde schon länger festgestellt, dass die Kenntnis von „Punkt-vor-Strich-Rechnung“ bei den lieben Studierenden (selbst an einer Technischen Fachhochschule) nicht mehr selbstverständlich ist. Das steht hier in dem vierten Artikel von Angela Schwenk-Schellschmidt:
https://www.hlb.de/uploads/tx_news/DNH_2013-1.pdf

Rosa
2 Jahre zuvor

Es sind angehäufte Rückstände für Studierende und Schüler in dieser langen ausgebremsten Zeit nicht ausgeblieben. Die Schüler bzw. Abschlussjahrgänge sind in BW nach einem G7 Schuljahr an die Uni entlassen worden. Der rote Faden macht sich jetzt auch an den Unis bemerkbar. Die Rückstände haben keine faire Aufarbeitung im neuem Schuljahr oder Uni Besuch erhalten! Die Rückstände hat alle sozialen Schichten getroffen und egal welcher Herkunft. Der Schrei nach G9 Umstellung ist groß, damit die Bildunglücken nicht sich noch mehr an den Unis oder Hochschulen zeigen.https://www.phv-bw.de/zumeldung-des-phv-bw-zur-pressemitteilung-der-initiative-buendnis-g9-jetzt-fuer-ein-corona-aufholjahr-durch-g9-an-den-gymnasien/

Georg
2 Jahre zuvor
Antwortet  Rosa

Sie wissen, dass Ihre Forderungen nach G9 die fachlichen Lücken nicht werden schließen können, weil der Lehrplan das nicht mehr hergibt? Bei einem angemessenen Lehrplan würde die Klientel, für die Sie schreiben, das Abitur kognitiv nicht schaffen.