GEW schreibt offenen Brief an Söder: Wo bleibt Corona-Schutz für Kitas?

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MÜNCHEN. Angesichts steigender Infektionszahlen fordert die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Bayern ein Gesetz zur Anschaffung von Luftfiltern. Nur so könne man einen sicheren Betrieb in Kindertageseinrichtungen aufrechterhalten, hieß es in einem offenen Brief an Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und Familienministerin Carolina Trautner (CSU) am Dienstag in München.

„Gesten beeindrucken das Virus leider nicht“: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) steht in der Kritik. Foto: Shutterstock / photocosmos1

Kommunen seien mit der Förderrichtlinie für die Anschaffung von Luftfiltern oft überfordert gewesen, kritisierte die Bildungsgewerkschaft. Eine Festinstallation sei nicht gefördert worden. Die GEW fordert außerdem verpflichtende PCR-Pool-Tests für alle Kinder und Beschäftigten in den Kitas. Bisher habe die Politik zu sehr auf Freiwilligkeit gesetzt. Bei den PCR-Pool-Tests werden die Proben einer Klasse gemeinsam im Labor auf Erbmaterial des Virus untersucht. Wenn der sogenannte Pool positiv ist, wird individuell nachgetestet.

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Söder hatte im Juli angekündigt, alle Schulen und Kitas im Freistaat mit mobilen Luftfiltern ausstatten zu wollen. Zum Schuljahresstart musste der Ministerpräsident einräumen, dass das Förderprogramm kaum genutzt werde. Von den zur Verfügung gestellten Mitteln des Freistaats für die Anschaffung seien an den Schulen bisher 18 Prozent abgerufen worden an den Kitas seien es nur 1,6 Prozent. Die Kommunen müssen einen Eigenanteil von 50 Prozent der Anschaffungskosten übernehmen. News4teachers / mit Material der dpa

Im Wortlaut

Wir dokumentieren den offenen Brief der GEW:

Sehr geehrter Ministerpräsident Söder, sehr geehrte Ministerin Trautner, sehr geehrte Damen und Herren,

die GEW Bayern vertritt viele Beschäftigte in Tageseinrichtungen für Kinder. Unsere Kolleg*innen leisten seit Monaten eine hervorragende Arbeit, um einen sicheren Betrieb der Einrichtungen aufrechtzuerhalten. Damit dies auch über den Herbst und Winter 2021/22 gelingen kann, forderten wir in den letzten Monaten wiederholt sowohl die Anschaffung von Luftfiltern als auch die Einführung von PCR-Pool-Tests für Beschäftigte und Kinder in den Einrichtungen. Beidem sind Sie zwar nachgekommen, aber nicht in ausreichendem Maße.

Erkennbar verfolgen Sie mit ihrem Vorgehen eine Politik des geringsten Widerstandes und geizen auch nicht mit Gesten in die richtige Richtung, aber Gesten beeindrucken das Virus leider nicht. Dass die Kommunen Luftfilter anschaffen können, wenn sie es wollen, und das Land nach einer komplexen Förderrichtlinie einen Kostenanteil übernimmt, ist so eine Geste. Sie gehen damit nicht voran und übernehmen die Verantwortung. Vielmehr überlassen Sie die entscheidenden Details den Verantwortlichen in den Kommunen. Diese müssen sich mit Gerätetypen, Haftungsfragen und Vergabeverfahren herumärgern. Wartungs- und Betriebskosten sind nur unzureichend geregelt. Es fehlt an allen Ecken und Enden Rechtssicherheit und den Kommunen fehlt auch die Expertise für einige Fragestellungen.

Anstatt einer Förderrichtlinie wäre ein Gesetz besser gewesen. So kam es, wie es kommen musste: Viel zu wenige Kommunen entschieden sich für die Anschaffung von Luftfiltern in Kitas. Uns wurde berichtet, dass im Rahmen von politischen Debatten auf kommunaler Ebene sehr häufig die angeblich zu hohe Lautstärke und der angeblich unzureichend nachgewiesene Nutzen von einzelnen Akteur*innen angeführt wurden. Auch das hätte sich erübrigt, wäre ein Gesetz von Ihnen angestoßen worden. Dann hätten diese Debatten im Landtag geführt und dort abschließend geklärt werden können.

Es kam, was kommen musste: Inzwischen steigen die Inzidenzen bei Kindern extrem an

Es kann doch nicht so schwer sein, eine Liste mit Geräten zu erstellen, die bestimmte Erwartungen an ihre Funktion erfüllen. Warum müssen die Kommune selbst recherchieren? Kritisiert wurde unserer Kenntnis nach auch der wenig nachhaltige Effekt von mobilen Geräten. Sinnvoll wäre es daher gewesen, auch fest installierte Geräte zu finanzieren. So aber gerieten Kommunen in die missliche Lage, dass nachhaltige Luftreinigungsanlagen bei den Zuschüssen der Staatsregierung überhaupt nicht berücksichtigt wurden.

Es kam, was kommen musste: Inzwischen steigen die Inzidenzen bei Kindern extrem an. Deshalb fordern wir Sie mit diesem offenen Brief dazu auf, die Verantwortung zu übernehmen und Entscheidungen zu treffen, damit die Beschäftigten, Kinder und Eltern in den nächsten Wochen und Monaten geschützt sind. Long-Covid bei Kindern ist ein relevantes Thema und die Forschungslage zur Dimension dieser neuen Erkrankung noch zu dünn für Gewissheiten.

Die Hoffnung, dass Kinder schon gut durchkommen werden, ist kein Zeichen für wohlüberlegtes politisches Handeln

Sie haben angesichts dieser Tatsachen zu wenig Vorsicht an den Tag gelegt und sich unseres Erachtens auf Hoffnungen verlassen. Die Hoffnung, dass Kinder schon gut durch die nächsten Monate kommen werden, ist kein Zeichen für ein wohlüberlegtes politisches Handeln, bei dem jedes Kind zählt. Sie haben auch nicht ausreichend an die Angehörigen gedacht, an die das Virus im Rahmen von Infektionsketten geraten kann. Auch unter den Beschäftigten sind Kolleg*innen, die trotz Impfungen Risiken für ernstere Verläufe haben.

Auch bei den PCR-Pool-Tests verließen Sie sich auf eine Politik der Gesten. Auch diese Maßnahme hätte die derzeitigen Steigerungen der Inzidenzen bremsen können. Auch hier verließen Sie sich darauf, dass sie ihren guten Willen jederzeit durch Verweise auf Fördermittel belegen können und die Verantwortung ansonsten bei anderen liegt. In diesem Falle bei den Eltern. Die freiwilligen Antigentests für Eltern, die diese umständlich aus Apotheken holen konnten, statt beim Discounter um die Ecke für derzeit 1,30 EUR, wurden nie gut genug nachgefragt, die Akzeptanz war nie ausreichend.

Kein Wunder, Eltern sind vielfältigen Zwängen ausgesetzt. Aus ihrem Blickwinkel geht es um eine Risikoabwägung für ihre Kinder und ihre Kontaktpersonen bzw. Angehörigen und belastende Isolations- und Quarantänemaßnahmen, wenn Kinder positiv getestet werden. Angesichts der Tatsache, dass Verdienstausfälle viel zu wenig bzw. gar nicht aufgefangen werden, ist doch klar, dass die Akzeptanzfreiwilliger Tests gering ist. Zu einer sinnvollen Teststrategie gehört auch, dass bei positiven Tests Eltern ihre Kinder unbesorgt zu Hause versorgen können und die Arbeitgeber*innen hier großzügig freistellen müssen. Letzteres wäre in der bundespolitischen Verantwortung gewesen, das ist klar, aber gerade Sie, Herr Söder, beweisen ja immer wieder aufs Neue, dass sie auch auf diesem Parkett nicht einflusslos sind. Wir bitten Sie, angesichts des zweiten Corona-Winters ihren Einfluss geltend zu machen.

Gerade Sie betonen ja immer wieder, dass neben der „Wirtschaft“ die Kinder auf derselben Prioritätsstufe stehen würden. Bei Ersterem haben wir keinen Zweifel, Letzteres müssen Sie endlich beweisen. Dass im Winter Kinder öfters verschnupft sind, entnehmen wir dem Oktober-Newsletter des Familienministeriums. Frau Trautner, Sie stellen die Regelung, dass Eltern ihre Kinder nun zu Hause selbst testen können, statt zu einem zertifizierten Testanbieter oder einem Arzt gehen zu müssen, als „Entlastung“ dar. Ist eine verniedlichend „Schnupfnase“ genannte Erkrankung von Kindern damit sicher gegen eine SARS-CoV-2-Infektion abgegrenzt? Sie kennen die Antwort, doch das empört uns besonders. Aus gewerkschaftlicher Sicht ist das ein Schlag ins Gesicht der Erzieher*innen und Kinderpfleger*innen. Sie wissen selbst, dass diese Tests nicht gut genug sind. Seit Wochen häufen sich bei uns die Anfragen besorgter Kolleg*innen, die zwar geimpft sind, aber nun Angst vor den vermehrten Impfdurchbrüchen haben.

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Monika, BY
2 Jahre zuvor

„Die Hoffnung, dass Kinder schon gut durchkommen werden, ist kein Zeichen für wohlüberlegtes politisches Handeln“

Ja. Ich kann einfach nicht mehr klar kommen, damit was den Kindern von ganzen Gesellschaft (Eltern einschließlich) angetan wird.

Monika, BY
2 Jahre zuvor

Außerdem nicht vergessen. Die Politik macht genau das, was Mehrheit will.
Also, die Eltern sind Schlüsselteil in dem ganzen Spiel, was den Kinder angeht. Aber sie lassen es einfach passieren.

Rosa
2 Jahre zuvor
mm
2 Jahre zuvor
Antwortet  Rosa

Bayern hat die Maskenpflicht ja auch schon vor Baden Würtemberg aufgehoben. Die Entwicklung wird auch BW treffen. Eben nur um zwei „Maskenwochen“ versetzt. Und trotzdem sieht keiner den Zusammenhang zwischen den allgemeinen Infektionen und den Lockerungen an Schulen.

Grottenolm
2 Jahre zuvor

Nein die Politik hört auf das, was die rufen, die am lautesten schreien. Wenn man als normaler vernünftigt denkender Bürger mit Argumenten oder Petitionen kommt, hat man keine Chance. Das wird ignoriert. Die meisten Eltern haben Angst um ihre Kinder, wissen aber nicht mehr was sie auf dem normalen rechtlichen Weg noch machen soll. Gegen 2-3 Coronaleugner in der Kindergartegruppe oder der Klasse kommt man gar nicht mehr an. Da wird gepöbelt, diffamiert und sogar den Kindern gedroht. Wie weit soll man denn Ihrer Meinung nach gehen?