Von blinden Menschen lernen: Wie Zoom, Teams & Co externe Expert*innen in die Schule holen

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KÖLN. Kann sich ein blinder Mensch Farben vorstellen? Wie klappt das mit dem Kochen, wenn man nichts sieht? Kann man einfach in den Urlaub fahren und wie orientiert man sich unter lauter Sehenden in der Berufsausbildung oder im Studium? Die Journalistin Nina Odenius ist von Geburt an blind und engagiert sich in der Aufklärungsarbeit der Christoffel-Blindenmission. Als Referentin geht sie neuerdings nicht nur persönlich in die Schulen, sondern führt auch Online-Workshops durch, um Kinder, Jugendliche und Pädagog*innen noch besser zu erreichen. In ihrem Bericht zeigt sie, wie einfach es sein kann, den Unterricht mit Hilfe virtueller Besuche zu bereichern und – in ihrem Fall – für das Thema Inklusion zu öffnen.

Junge Frau mit Kopfhörern blickt lächelnd und winkend in Kamera
Per Videokonferenz lassen sich unabhängig von räumlicher Distanz oder Hygieneregeln ganz leicht Expert*innen ins Klassenzimmer holen. Foto: Shutterstock

Eine virtuelle Schulaktionswoche. Wie mag das denn gehen, habe ich anfangs gedacht, als man mich fragte, ob ich als Referentin dort teilnehmen möchte. Erreicht man die Schüler:innen auch online? Ja, das funktioniert sehr gut. Die Christoffel-Blindenmission (CBM) aus dem hessischen Bensheim ist damit sehr erfolgreich. Schon seit Jahren führt sie regelmäßig Schulaktionswochen in Präsenz durch, um Schüler:innen von der Grundschule bis zur Berufsschule für das Thema Blindheit und Sehbehinderung zu sensibilisieren. Vor der Corona-Pandemie fanden die Workshops an den Schulen vor Ort statt. Seit etwa einem Jahr gibt es auch virtuelle Schulaktionswochen. Diese sind sehr beliebt und werden von vielen Schulen gebucht. Das Virtuelle hat nicht nur Nachteile, wie man vielleicht annehmen könnte, sondern viele Vorteile. „Natürlich gehen wir gerne in die Schulen vor Ort“, erklärt Anne Schrader vom Team Bildung der CBM. „Aber wenn wir die Schulaktionen online durchführen, können wir mehrere Schulen an einem Tag in verschiedenen Regionen Deutschlands erreichen. Das könnten wir in Präsenz nicht schaffen.“

Anfang November war es wieder so weit. Sieben Schulen aus ganz Deutschland hatten sich für die Aktionswoche angemeldet. Es waren ganz unterschiedliche Schulen dabei, so zum Beispiel Grundschulklassen der Jahrgangsstufe 3 und 4, die 8. Klasse einer Realschule und auch drei Berufsschulen mit Ausbildungsgängen zur Pflegeassistenz oder zu Erzieher:innen.

Sowohl Kinder als auch Erwachsene assoziieren mit Blindheit in aller Regel eher negative Dinge wie Hilflosigkeit, Unsicherheit oder nur schwarz sehen können.

Ein Workshop dauert entweder 45 oder 90 Minuten. Die Zeitdauer kann von den Schulen selbst gewählt werden. Der Aufbau ist in beiden Fällen ähnlich. Zuerst sehen die Schüler:innen einen Filmausschnitt. Das Besondere daran: Der Bildschirm ist schwarz. Man hört eine Stimme, die detailliert die Filmszene beschreibt. So können die Schüler:innen eine kleine Vorstellung davon bekommen, wie man als blinder Mensch einen Film im Fernsehen oder im Kino anschauen kann, nämlich mit einer Audiodeskription, die das Bild beschreibt. Im nächsten Schritt gibt es ein Brainstorming: Was assoziiert ihr mit dem Thema Blindheit? Diese Begriffe werden über ein Onlinetool verschriftlicht, damit alle Teilnehmenden die Ergebnisse sehen können. Sowohl Kinder als auch Erwachsene assoziieren mit Blindheit in aller Regel eher negative Dinge wie Hilflosigkeit, Unsicherheit oder nur schwarz sehen können.

Erfahrungsübungen per Online-Anleitung

Im dritten Schritt machen die Schüler:innen eine Erfahrungsübung mit Simulationsbrillen, die die Augenkrankheit Grauer Star simulieren. Außerdem bekommen sie Blindenschriftalphabete ausgeteilt. Diese waren zuvor zusammen mit den Simulationsbrillen per Post an die Schulen geschickt worden. Nun gibt es drei Aufgaben zu bewältigen: Einmal um den eigenen Stuhl herum laufen, den eigenen Namen auf ein Blatt Papier schreiben oder einen Baum malen und die Brailleschrift entdecken und einzelne Buchstaben erraten. Diese fünfminütige Übung ist für alle Schüler:innen jeden Alters sehr spannend.

Fragt man die Schüler:innen im Nachhinein, was sie am meisten beeindruckt hat, kommen viele Antworten dabei heraus. Die Einen finden es schwer um den eigenen Stuhl herum zu laufen, da sie ihre Umgebung nicht mehr richtig sehen können, die Orientierung schwer fällt und man sich schneller als sonst am Tisch oder Stuhl stößt. Die anderen finden es schwierig den eigenen Namen zu schreiben, da man die Linien auf dem Blatt nicht sehen kann. Auch das Zeichnen des Baums ist nicht ganz so einfach wie sonst. Die Blindenschrift, nach ihrem Erfinder Louis Braille benannt, hat die Schüler:innen besonders interessiert. Es ist zwar schwierig die einzelnen Punkte zu erfühlen, aber dennoch haben einige Schüler:innen das Grundprinzip erkannt. „Die Schrift ist ja aufgebaut wie die Zahl sechs auf einem Würfel“, bemerkt die Grundschülerin Johanna begeistert.

Fragerunde und Perspektivwechsel

Nun geht es zum wichtigsten Teil des Workshops. Die Schülerinnen und Schüler können einer blinden Person alle Fragen stellen, die ihnen zu diesem Thema einfallen. In dieser Schulaktionswoche bin ich die Referentin und werde mit Fragen gelöchert. Die Fragen decken alle Lebensbereiche ab: Kannst Du Dir Farben vorstellen? Wie träumst Du? Kannst Du kochen? Hast Du Kinder? Wie macht man als blinder Mensch Urlaub? Gehst Du gerne ins Fußballstadion oder auf Konzerte? Ist das Leben als blinder Mensch anstrengend? Natürlich hängen die Fragen auch vom Alter der Schüler:innen ab. Die Grundschüler:innen sind eher am Alltagsleben interessiert und möchten wissen, wie ich mich in fremder oder vertrauter Umgebung orientiere, wie ich den richtigen Pullover im Schrank finde und wie ich beim Kochen Gewürze voneinander unterscheiden kann. Die älteren Schüler:innen an der weiterführenden Schule oder Berufsschule fragen eher danach, wie sich das Leben an der Uni oder im Beruf gestaltet, ob ich schon einmal Ausgrenzung aufgrund meiner Behinderung erfahren habe, welche Dinge ich als blinde Person als schön empfinde oder wie Dating funktioniert.

Screenshot der Teams-Videokonferenz mit Nina Odenius und Schulkindern, Workshop Christoffel-Blindenmission
Viele Fragen und teils überraschende Antworten: Journalistin Nina Odenius (u.r.) und Anne Schrader vom CBM-Team Bildung (o.r.) im Video-Gespräch mit Grundschulkindern. Foto: CBM.

Ich beantworte all diese Fragen gern und erzähle offen aus meinem Leben als blinde Frau und Journalistin. Mir ist Aufklärung sehr wichtig, denn nur so können wir alle zur inklusiven Gesellschaft beitragen. Bei den Workshops mit Berufsschulen gehe ich auch gern auf die jeweiligen Ausbildungen ein, falls die Fragen von den jungen Erwachsenen nicht selbst kommen. So ist es zum Beispiel wichtig, dass man als Krankenpfleger:in den blinden Patienten begrüßt und sich vorstellt, wenn man den Raum betritt oder dem blinden Patienten bzw. der Patientin erklärt, wo der Teller und das Besteck sich auf dem Tablett befinden. Bei Erzieher:innen betone ich, dass es wichtig ist, ein blindes Kind im Kindergarten nicht anders zu behandeln als andere Kinder und zu versuchen, es an allen Aktivitäten teilhaben zu lassen.

Wo am Anfang noch Unsicherheit und Hilflosigkeit auftauchten, kommen nun Begriffe wie Mut, Stärke, Selbstbewusstsein und Selbstsicherheit zum Tragen.

Am meisten sind die Teilnehmenden der Workshops überrascht darüber, dass blind sein nicht bedeutet, dass man gar keinen Seheindruck mehr hat. In Deutschland gilt man ab einer Sehkraft von 2 % offiziell als blind. Meine Sehkraft liegt zwar weit unter diesen 2 %, dennoch kann ich wahrnehmen, ob es Tag oder Nacht ist oder grobe Umrisse erkennen.

Quiz und Erkenntnis zum Abschluss

Im Anschluss gibt es noch ein Quiz mit allgemeinen Fragen zu Blindheit und Sehbehinderung. In diesem Quiz können die Schüler:innen ihr erworbenes Wissen wiederholen und neue Dinge lernen, die in der Fragerunde nicht angesprochen wurden. Nach dem Quiz und der Fragerunde wird auf das Brainstorming vom Anfang zurückgegriffen: Was assoziiert Ihr nun mit dem Thema Blindheit? Wo am Anfang noch Unsicherheit und Hilflosigkeit auftauchten, kommen nun Begriffe wie Mut, Stärke, Selbstbewusstsein und Selbstsicherheit zum Tragen.

Am Ende eines jeden Workshops sind sowohl Schüler:innen als auch Lehrer:innen begeistert. Der Erfahrungsaustausch mit einer blinden Person und der Perspektivwechsel sind enorm wichtig für alle Beteiligten. Auch ich als Referentin freue mich über diese positive Resonanz. Für kommendes Jahr sind weitere Schulaktionen geplant. Nina Odenius, Agentur für Bildungsjournalismus

Die Schulaktionen der Christoffel-Blindenmission

Wenn auch Sie Interesse an einem virtuellen Schulworkshop mit der CBM haben, dann schreiben Sie einfach eine E-Mail an bildung@cbm.de. Das CBM-Bildungsteam wird sich dann mit Ihnen in Verbindung setzen.

Die Christoffel-Blindenmission engagiert sich seit über 100 Jahren in verschiedenen Projekten weltweit für die Belange von Menschen mit Behinderung. Unter anderem führt sie Graue-Star-Operationen durch, da diese Augenerkrankung als häufigste Ursache für Erblindung weltweit gilt.

In Deutschland ist die Christoffel-Blindenmission auf zahlreichen Messen und Veranstaltungen vertreten, um über ihre Arbeit weltweit und die Belange von Menschen mit Behinderung aufzuklären.

Weitere Infos: www.cbm.de

Unterrichtsmaterial zum kostenlosen Download gibt es beispielsweise auf den Seiten der Aktion „Woche des Sehen“, an der sich auch die CBM beteiligt: www.woche-des-sehens.de/schulmaterial/digital

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