Gebauer bremst Online-Schule für kranke Kinder aus, Verwaltungsgericht gibt ihr recht

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BOCHUM. Eine Online-Schule, die sich um kranke Kinder kümmert, hat vor Gericht einen herben Rückschlag erlitten. Laut einem nun veröffentlichten Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Münster dürfen Schüler der Bochumer Web-Indivualschule nicht an einem einzigen Prüfungsort an der Abschlussprüfung teilnehmen, die durch externe Lehrkräfte durchgeführt wird. So hatte es die Bochumer Schule, die nur eine Fernschule und keine staatlich anerkannte Regelschule ist, seit Langem gehandhabt. Allerdings stieg die Zahl der Prüflinge und der Aufwand wurde größer. Ein Vergleichsangebot lehnte das Schulministerium NRW ab.

Bleibt hart: NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP). Foto: Schulministerium NRW / Thomas Banneyer

Die nordrhein-westfälische Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) hatte in dem Streit moniert, dass die Bezirksregierung Arnsberg „nicht dauerhaft Abschlussprüfungen für das gesamte Bundesgebiet organisieren“ könne – und angekündigt: Man wolle „im staatlichen Bildungssystem“ künftig ein digitales Alternativangebot zum regulären Schulbesuch schaffen – für jene, denen etwa wegen schwerwiegender gesundheitlicher Gründe kein Schulbesuch möglich sei, hatte die Ministerin erläutert. Ziel sei, Schülern „frei von kommerziellen Interessen perspektivisch eine Rückkehr in den Präsenzunterricht zu ermöglichen oder sie, wo dies nicht möglich ist, erfolgreich zu Abschlüssen zu führen.“

Warum es in Nordrhein-Westfalen ein solches staatliches Angebot mehr als zwei Jahre nach Beginn der Corona-Pandemie noch nicht gibt, dazu sagte sie allerdings nichts. Auch erklärte sie nicht, warum sie der Schule schlicht das bisherige Verfahren kündigt, statt mit den Kultusministerien anderer Bundesländer einen Ausgleich zu suchen.

„Das ist für uns ein trauriges Urteil und eine sehr schlechte Nachricht für die Familien und Schüler“

Der Bedarf ist unbestritten: In der Webschule werden Kinder und Jugendliche einzeln online unterrichtet, denen wegen psychischer oder körperlicher Erkrankung kein regulärer Schulbesuch möglich ist. Zuletzt waren jedes Jahr bis zu 120 Schüler zum Haupt- oder Realschulabschluss geführt worden, in die nun beginnende Prüfungsphase sollten 70 Jugendliche gehen.

Sie müssen laut Schulleitung auch bei den Prüfungen eng betreut werden und brauchen teilweise ganz besondere Bedingungen am Prüfungsort – die Lehrer der Web-Individualschule, die die Prüflinge aus dem Online-Unterricht gut kennen, sollten bei den Tests weiterhin dabei sein, forderte die Fernschule und verwies auf ein Versprechen gegenüber Schülern und Eltern. Dieses Versprechen könne man aber nur angemessen erfüllen, wenn die Prüfungen aller betreuten Schüler am selben Prüfungsstandort stattfänden.

Dieses Vorhaben scheiterte nun aber vor Gericht. Die Verordnung über die „Externenprüfung“ sehe nicht vor, auch Jugendlichen aus anderen Bundesländern den Zugang zu der Externenprüfung in NRW zu ermöglichen, hieß es in dem Beschluss des OVG. Zudem wurde betont, dass das Vorgehen der Bezirksregierung Arnsberg „fehlerfrei“ sei.

Die Schulleiterin Sarah Lichtenberger zeigte sich schockiert. „Das ist für uns ein trauriges Urteil und eine sehr schlechte Nachricht für die Familien und Schüler.“ Bei den Prüfungen sei eine Begleitung durch den gewohnten Lehrer therapeutisch notwendig, dies könne nun aber nicht mehr gewährleisten werden. Die am Mittwoch startenden Prüfungen müssten an mehr als etwa 15 Schulen in ganz NRW stattfinden. Die etwa 30 Lehrkräfte der Web-Individualschule würden mit Mietwagen querbeet durch das Bundesland geschickt, um vor Ort zu versuchen, den psychisch oder körperlich kranken Kindern Rückhalt zu geben und „beruhigend auf die Kinder einzuwirken, die völlig führungslos sind“.

„Woher wissen Sie das? Sie haben mit niemandem von uns gesprochen, niemanden gefragt“

Zuvor hatte das Schulministerium ein Vergleichsangebot des Gerichts abgelehnt. Der Vergleich sah vor, dass die Arnsberger Bezirksregierung bei der Planung den Hut aufbehalte und fünf Prüfungsorte benenne. Die Web-Individualschule hätte entsprechend fünf Gruppen bilden müssen. Das wäre zwar ein großer Aufwand, aber alle Schüler könnten damit vor Ort begleitet und betreut werden, erläuterte die Leiterin seinerzeit.

Das Schulministerium begründete seine Ablehnung damit, dass „eine Umverteilung […] anhand des Vergleichsvorschlags […] wenige Wochen vor Prüfungsbeginn am 11. Mai […] nicht im Sinne der bereits stark belasteten Prüflinge“ wäre. Die Eltern der betroffenen Schülerinnen und Schüler wehrten sich allerdings in einem Brief: „Woher wissen Sie das? Sie haben mit niemandem von uns gesprochen, niemanden gefragt. Das ist auch logisch, denn wir alle, alle Eltern, Kinder, Lehrkräfte sehen das anders. Wir wollen das unsere Kinder ihre Lehrkräfte in der Nähe wissen. Wir möchten Ihnen diese Sicherheit geben.“

Das ist jetzt vom Tisch. News4teachers / mit Material der dpa

Gastbeitrag: Warum Distanzunterricht als Möglichkeit in die Schulgesetze gehört

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A.H.
1 Jahr zuvor

Das Wort „künftig“ sagt schon alles.

dickebank
1 Jahr zuvor

Wer föderale Strukturen will, muss Verständnis für die Vorgehensweise der Bez.-Reg. Arnsberg als Mittelbehörde des Landes sowie das Urteil des OVG Münster haben. Die Vorinstanz in Gelsenkirchen hatte ja ebenfalls so entschieden.

Für die Abnahme der Abschlussprüfungen ist ja nicht die (private) Ergänzungsschule in Bochum zuständig. Die Prüfer müssen von Prüfungskommissionen geprüft werden, die aus dem Zuständigkeitsbereich der Schulaufsichtsbehörde im Regierungsbezirk Arnsberg (Südwestfalen) kommen. Deshalb der Kompromissvorschlag mit den fünf Prüfungsorten.

Das Problem bei der Abnahme der Prüfungen ist aber, dass die Zuständigkeit der Schulaufsichtsbehörde lediglich gegeben ist, wenn die Prüflinge in NRW beheimatet sind. Für alle anderen Prüflinge mit erstem Wohnsitz außerhalb NRW besteht keine (räumliche) Zuständigkeit.

Natürlich könnte im Rahmen einer Good-will-Aktion die Prüfungsabnahme für die Auswärtigen durch Prüfungskommissionen im Aufsichtsbereich der Bez.-Reg. Arnsberg durchgeführt werden, nur würde das zu einer erheblichen Belastung bei der Unterrichtsversorgung im eigenen Zuständigkeitsbereich führen. Die Prüfungskommissionen werden ja aus Lehrkräften zusammengestellt, die der Dienststelle in Arnsberg unterstehen. Dafür müssen diese von ihren Schulen, denen sie regulär (dauerhaft) zugewiesen sind, abgeordnet werden. Und das für mehrere Tage, an denen sie an ihren eigenen Schulen vertreten werden müssten.

Ausnahmsweise bin ich sogar einmal mit einer Entscheidung aus der Völklinger Straße ausdrücklich einverstanden. Warum bitte sollten die südwestfälischen SuS während des eigenen Prüfungszeitraumes auf ihre Lehrkräfte verzichten müssen, nur weil die SuS aus anderen Bundesländern prüfen sollen, deren eigene Landesregierungen keine eigenen Ergänzungsschulen wie die Bochumer Internetschule vorhalten

Georg
1 Jahr zuvor
Antwortet  dickebank

Damit dürfte sich das Geschäftsmodell der Internetschule erledigt haben.

Gitta Meichsner
1 Jahr zuvor
Antwortet  dickebank

Das, was Sie zu bedenken geben, ist sicher richtig. Aber so kurz vor den eigentlichen Prüfungen finde ich es keine Lösung im Sinne der Kinder, das jetzt zu kippen, ohne dass eine annehmbare Alternative vorhanden ist. Ich verstehe unter Verantwortung für die Betroffenen etwas anderes. Das Ganze anders zu organisieren, wäre für das neue Schuljahr als Forderung in Ordnung, denn alles braucht auch etwas Zeit. Vielleicht sollten die Kumis mal gemeinsam eine Lösung finden? Es betrifft ja schließlich Kinder aus allen BL. Da die Regelung bisher funktionierte, ist es für mich nicht verständlich, dass man sie ausgerechnet vor den Prüfungen ändert.

dickebank
1 Jahr zuvor
Antwortet  Gitta Meichsner

Nein, die Entscheidung aus D’dorf gibt es schon länger. Aber anstatt nach einem tragfähigen Kompromiss zu suchen, hat man nachdem der Widerspruch in Arnsberg niedergeschlagen worden ist, den Instanzenweg der Verwaltungsgerichtsbarkeit bestritten. Es ist versäumt worden, die Zuständigkeit für die „Externen“ zu regeln. Und daran sind ja die Heimatbundesländer der auswärtigen SuS der Internetschule nicht ganz unschuldig. Die haben es nämlich zu einem NRW-Problem deklariert und ansonsten ihre Hände in Unschuld gewaschen. Für ihre Landeskinder eingesetzt haben sie sich jedenfalls nicht sonderlich.

Rabe aus NRW
1 Jahr zuvor

Ich prüfe selbst im Rahmen des Externenabiturs in NRW und kann die Entscheidung verstehen. Die Prüfungsarbeit, Korrekturen und mündlichen Prüfungen sowie die Beratung der Teilnehmenden entspricht der des eigenen Abiturs an der Schule, basierend auf allen Regelungen des Zentralabiturs, die auch für unsere Schüler gelten. Diese Arbeit läuft parallel zu unseren eigenen Abiturprüfungen, durch LuL im Schuldienst, keine zusätzlichen Kräfte. Ich frage mich, warum die anderen Bundesländer ihre Prüflinge nicht selbst prüfen können/wollen bzw. die Möglichkeit für Kranke bereitstellen, die Prüfungen in ihrem eigenen Bundesland abzulegen. Von der Bezirksregierung Arnsberg und den Kollegen aus NRW wurde erwartet, dass sie parallel zu ihren eigenen Aufgaben nach den Regeln und Vorgaben anderer Bundesländer prüfen, das ist in diesem Umfang nicht zu leisten.

dickebank
1 Jahr zuvor
Antwortet  Rabe aus NRW

Geht aber nicht nur ums Abi. Auch am Ende der SekI gibt es zentrale Prüfungen.
Zum Prüfungsprozedere gehören ja nicht nur die Hauptklausurtermine sondern auch die Nachschreibtermine und die mündlichen Nachprüfungen/Abweichungsprüfungen. Der Zeweitraum umfasst so 4 bis 6 Wochen.

Birkenstock
1 Jahr zuvor

Die gute Frau Hin und Her wieder mal im Einsatz die Bildung in NRW zu retten?
Oder doch mehr die Abwehrhaltung zur Inklusion aus den Altlasten der Grünen mt Vorgängerin Löhrmann.
Zumindest sind „Vorerkrankte“ od. „Vulnerable“ im Schuljahr 2021/2022 bei allen Entscheidungen nicht mehr genannt.

„Die Web-Individualschule in Bochum mit Schülern bundesweit darf ab 2021 auch Abschlussprüfungen zentral im eigenen Haus durchführen. Ein neuer Erlass macht’s möglich.“
https://www.welt.de/regionales/nrw/article212243971/In-Internetschule-in-Bochum-bald-auch-Abschlusspruefungen.html
Leider ist zu einem Erlass aus 2020 nichts Greifbares zu finden.

Xyz
1 Jahr zuvor

Eigentlich sind alle staatliche Behörden verpflichtet, Behinderte nicht zu benachteiligen.
Was hier mit der Webschule Bochum läuft, ist Diskriminierung in Reinform. Aber aktiv sind viele verschiedene Akteure mit jeweils geringer Teilschuld und dahinter steht kolossales Organisationsverschulden letztlich der KMK.
Die Webschule Bochum ist oft der letzte Strohhalm für autistische Jugendliche, die in der gewöhnlichen Präsenzbeschulung prinzipiell reizüberlastet sind. Sie gelten als seelisch behindert. Alternativen für Schulabschlüsse existieren bislang keine.

Georg
1 Jahr zuvor
Antwortet  Xyz

formal juristisch wurde niemand benachteiligt oder diskriminiert. Die anderen Bundesländer haben sich aber für diese sehr speziellen Schülerinnen und Schüler einen sehr schlanken Fuß gemacht.

Fairer gefunden hätte ich ein letztes Mal in NRW für alle, danach aber über die Bundesländer verteilt, auch wenn das das Ende der Internetschule bedeutet. Sie kann sich natürlich in eine Ersatzschule umwandeln, vorausgesetzt sie erfüllt die Bedingungen dafür.

COGITO ERGIO SUM
1 Jahr zuvor

Als der UN-Sonderberichterstatter für das Menschenrecht auf Bildung am 21. März 2007 in Genf seinen Deutschlandbericht vorstellte, gab er der pisageschockten Dichter-und-Denker-Nation einige Hausaufgaben mit auf den Weg. Er bemängelte etwa die fehlende Chancengleichheit des deutschen Bildungssystems, die dazu führe, dass Bildung in kaum einem anderen westlichen Land derart von der elterlichen Situierung abhänge wie in der Bundesrepublik. Außerdem kritisierte er die übermäßige Selektion sowie die mangelnde Inklusion – alles Themen, die einen auch 15 Jahre später in aktuellen bildungspolitischen Debatten täglich wie das Murmeltier grüßen.

Jedoch mahnte der Vertreter der Vereinten Nationen auch etwas an, das von deutscher Seite sofort schroff zurückgewiesen wurde – und bis heute nicht der Rede wert scheint: nämlich die Abschaffung der Schulpflicht, wie sie in Deutschland als De-facto-Schulzwang existiert. Dieser Schulzwang sei mit internationalen Abkommen, etwa mit Artikel 13 des UN-Sozialpakts oder Artikel 26 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, nicht vereinbar, da diese Abkommen Haus- oder Fernunterricht ebenfalls zuließen und nicht dem Staat, sondern den Eltern ein vorrangiges Recht einräumten, über Bildungsbelange ihrer Kinder zu entscheiden.

Es wird noch besser, lesen Sie selbst:

Quelle: SWR3

Schafft die Schulpflicht ab! | Warum der Zwang zum Schulbesuch unwürdig ist | Jetzt mit Ton! (Fehler behoben)

https://www.swr.de/swr2/wissen/schafft-die-schulpflicht-ab-warum-der-zwang-zum-schulbesuch-unwuerdig-ist-104.html?fbclid=IwAR0poL9x0BeQxKTHWyhtyi9AnoxyWu2ZcnzsrrDcu418tQMe_IjWoDoJhT4

Georg
1 Jahr zuvor
Antwortet  COGITO ERGIO SUM

Sie kennen offensichtlich nicht den Unterschied zwischen Chancengleichheit und Ergebnisgleichheit. Erstere hat wegen der Schulpflicht jedes Kind, letztere kann es schon wegen der Unterschiedlichkeit jedes Kindes nur in sozialistischen Gesellschaften geben.

Angenommen, die Schulpflicht würde durch eine Bildungspflicht wegen mir mit zentralen Prüfungen mit 14-16 (MSA) und ggf. 17-20 (Abitur) ersetzt werden. Dann befürchte ich eine noch weitere Streuung der Bildung nach dem Geldbeutel der Eltern, weil sich die dann alle privaten Institute ihre Qualität fürstlich bezahlen lassen können.