Wie ukrainische Kinder an einer Schule mit vielen Russlanddeutschen aufgenommen werden

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LORUP. Für alle Beteiligten ist schulische Eingliederung der vielen ukrainischen Flüchtlinge eine Herausforderung. Eine Schule mit hohem Anteil an russlanddeutschen Familien meistert sie.

Viele Frauen und Kinder, hier an der rumänisch-ukrainischen Grenze, flüchten in den Westen. Foto: Shutterstock / Pazargic Liviu

Religionslehrerin Kathrin Gerdes ruft mit lauter Stimmer die Kinder auf dem Pausenhof zusammen: «Kommt alle her!» Die Grundschulklassen der Gund- und Oberschule im emsländischen Lorup gruppieren sich in einem großen Kreis vor dem Eingang. Die Kinder lachen und tuscheln, manche albern herum. Aber dann werden alle still und hören zu, denn Gerdes ruft zum Friedensgebet auf. «Zum 8. Mal versammeln wir uns zum Friedensgebet hier – der Krieg in der Ukraine dauert nun schon seit 10 Wochen an», ruft Gerdes mit lauter Stimme. Die Kinder kennen den Krieg nicht nur aus dem Fernsehen und dem Internet – 24 Kinder und Jugendliche an der Schule kommen aus der Ukraine und sind vor dem Krieg geflohen. In Niedersachsen insgesamt sind derzeit rund 9.300 Kinder und Jugendliche aus dem osteuropäischen Land an den Schulen gemeldet.

Die Aufnahme der Kinder sei eine große Herausforderung, sagt Schulleiterin Astrid Düthmann. Aber die Schule sei gut aufgestellt: Zwei Sozialpädagoginnen sprechen russisch, eine aus der Ukraine geflohene Frau unterstütze das Kollegium als Lehrkraft. Vor allem aber gebe es in jeder Klasse Kinder, die von Haus aus Russisch sprechen. «Hier leben viele Russlanddeutsche.» Zusammen mit einer Übersetzungs-App auf den Schultablets ruckele sich der Unterricht zusammen.

An den Fenstern der Schulklassen sind ukrainische Flaggen geklebt. Im Oberschulbereich der Schule wurden Willkommensklassen gebildet. Die Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine lernen dort Deutsch, haben aber auch die Möglichkeit, mit den Tablets dem Online-Unterricht ukrainischer Schulen zu folgen. «Ein Schüler in der zehnten Klasse will gerade mit dem Online-Unterricht seinen Abschluss machen», sagt Düthmann.

Im Hauswirtschaftsraum hat Lehrerin Barbara Thieden mit Schülerinnen und Schülern ukrainisches Essen gekocht. Es gibt Pampuschki, ein Knoblauchbrot, und Akroschka, eine kalte Suppe. Auch die Kinder mit russischem Familienhintergrund würden dieses Gericht kennen, erzählt Thieden. In der zweiten großen Pause sollen das Brot und die Suppe im Schulcafé an die Mitschülerinnen und Mitschüler ausgegeben werden.

Auch Iliana und Daria – Dascha genannt – haben mitgekocht. Die beiden 13 Jahre alten Mädchen wirken munter und fröhlich. Sie habe gesehen, wie ein Flugzeug abgeschossen wurde, erzählt Iliana auf Ukrainisch. Als Übersetzer ist der elfjährige Danny tätig. Ohne ihn wären seine Lehrer aufgeschmissen.

Danny übersetzt weiter. Wie fühlen sich die beiden Mädchen hier? Sie antworten. Danny muss überlegen, wie er es am besten auf Deutsch sagt: «Sie sind traurig – nein, es tut ihnen leid, was in der Ukraine passiert.»

Auch der 15-Jährige Anton hat beim Kochen mitgeholfen. Er sagt nicht viel. Er komme aus einem kleinen Dorf in der Ukraine. Seine Geschichte erzählt Konrektor Michael Menke: Antons Eltern sind in der Ukraine geblieben, der Junge kam mit seiner Großmutter ins Emsland zu hier wohnenden Freunden seiner Eltern. Mit dem Bus ging es zuerst zur slowenischen Grenze, von dort seien sie von den Freunden abgeholt worden. Er telefoniere jeden Tag mit seinen Eltern, sagt Anton.

In manchen Spätaussiedlerfamilien werde natürlich nur russisches Fernsehen geschaut, weiß Schulleiterin Düthmann. «Aber ich kann nicht sagen, dass das bisher zu einem Problem geworden ist.» Vereinzelte blöde Sprüche seien immer sehr schnell geklärt. Der Krieg sei in allen Klassen thematisiert worden, auch, dass es ein Angriffskrieg sei. Aber ansonsten solle der Krieg aus der Schule herausgehalten werden. «Wir haben uns auf die Fahne geschrieben, dass wir für den Frieden stehen.» Viele Spätaussiedler gehörten freikirchlichen Gemeinden an – von ihnen hätten viele Flüchtlinge aufgenommen. (Elmar Stephan, dpa)

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fabianBLN
1 Jahr zuvor

Das dürfte im Regelfall kein Problem sein. Die russlanddeutschen Kinder fühlen sich den Gleich- oder Ähnlichsprachigen verbunden, aber da sie sich doch eher als Deutsche fühlen (wollen), gibt es kein Problem mit der russischen Herkunft, wenn sie nicht auch eine ukrainische ist. (Es gab auch Russlanddeutsche in der Ukraine, die ja früher zu Russland bzw. zur Sowjetunion gehörte.)