Studie: Unsicherheit und Informationsmangel halten viele Nicht-Akademikerkinder vom Studium ab

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HANNOVER. Trotz großer Bemühungen, das Gefälle zu verringern, studieren Kinder aus Nichtakademikerfamilien noch immer deutlich seltener als Kinder aus Akademikerfamilien. Nach den ganz konkreten Gründen gefragt, herrscht unter den Akteuren noch immer erstaunliche Unklarheit. Ein Überblick von Forschern aus Hannover zeigt: Am Geld allein liegt es nicht.

Ein Forschungsüberblick von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) zum BAföG macht deutlich, dass es nicht nur finanzielle Aspekte sind, die bewirken, dass junge Erwachsene aus sozial schwächeren Elternhäusern seltener studieren. Auch fehlende Informationen zum Studium und die Komplexität des Beantragungsverfahrens stellen Herausforderungen dar.

Fehlende Informationen und Unsicherheit halten offenbar viele befähigte junge Menschen davon ab, ein Studium aufzunehmen. Foto: Josefa nDiaz / Unsplash.com (U. L.)

Die soziale Ungleichheit am Übergang ins Studium scheint zählebig: Studienberechtigte aus Nichtakademikerfamilien studieren nach wie vor deutlich seltener als Studienberechtigte Kinder von Akademikern. Doch nur 15 Prozent der herkunftsspezifischen Ungleichheiten in der Studierneigung von Studienberechtigten lassen sich auf die antizipierten Kosten eines Studiums zurückführen. Fehlende Informationen über Nutzen und Kosten eines Studiums, komplexe Antragsformulare, die Unsicherheit über den Zeitpunkt einer möglichen BAföG-Bewilligung und eine größere Sorge, Schulden anzuhäufen, seien zentrale Ursachen dafür, dass Studieninteressierte aus sozial schwächeren Elternhäusern seltener studieren. Das ist das Kernergebnis der Auswertung eines Forschungsteams um Sandra Buchholz vom DZHW.Diese Aspekte sollten im Rahmen der von der Bundesregierung geplanten Reform des BAföG berücksichtigt werden, schlussfolgern sie. Am Geld allein liege es nicht.

Insbesondere scheinen Studienberechtigte aus sozial schwächeren Familien mehr und gezielter aufbereitete Informationen zum Studium zu brauchen, so Sandra Buchholz. Eine Informationsintervention unter Berliner Studienberechtigten habe gezeigt, dass schon die Durchführung eines knapp 20-minütigen Informationsworkshops die Studienaufnahme von studieninteressierten Schülerinnen und Schülern aus Nichtakademikerfamilien nachhaltig erhöhen konnte. Von ihnen nahmen 77 Prozent ein Studium auf. Informationen zu den Kosten, Finanzierungsmöglichkeiten und Erträgen eines Studiums könnten demnach dazu beitragen, dass sich Studieninteressierte, insbesondere aus sozial schwächeren Familien, an einer Hochschule einschreiben.

Weitere Forschungsergebnisse zeigten, dass gerade diese Studienberechtigten das Risiko überschätzten, durch die BAföG-Finanzierung in eine „Schuldenfalle“ zu geraten. Insbesondere bei risikoscheuen Studierenden aus einkommensschwächeren Familien sei die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie keinen Antrag auf BAföG-Förderung stellten. Wichtig wäre zudem eine Vereinfachung des Antragsverfahrens, damit weniger Studierende vor dem Aufwand der Antragstellung zurückschrecken. Eine Interventionsstudie aus Amerika habe zeigen können, dass sich durch Unterstützung bei der Antragstellung die Immatrikulationsrate insbesondere von Studieninteressierten aus einkommensschwächeren Familien erhöhte.

Ein weiteres von den Forschern ausgemachtes Problem bestehe darin, dass Studierende oft erst nach Beginn des Studiums erfahren, ob und in welcher Höhe ihnen BAföG zusteht. Dies führe bei Studienberechtigten aus nicht-akademischen Familien zu Unsicherheit und letztlich dazu, dass sie sich eher gegen ein Studium entscheiden. Daher könne eine Zusage schon vor Studieneintritt zu einer Erhöhung der Einschreiberate führen, wie weitere amerikanische Studien ergeben hätten. Auch dies könne ein wesentlicher Baustein in der anstehenden BAföG-Reform sein.

„Die durch ein Studium entstehenden Kosten sind unbestritten ein wichtiger Grund dafür, dass Kinder aus sozial schwächeren Familien seltener studieren.“, fasst Sandra Buchholz zusammen. „Das Bild ist aber weit komplexer – wissenschaftliche Studien zeigen, dass die wahrgenommenen Kosten eines Studiums nur einen eher kleinen Teil der nach wie vor bestehenden Herkunftsdisparitäten beim Übergang von Studienberechtigten ins Studium erklären können.“ Co-Autorin Frauke Peter ergänzt: „Vielmehr sind es oft fehlende Informationen zum Studium und dessen Finanzierungsmöglichkeiten oder deren Beantragung, die dazu führen, dass sich weniger Studieninteressierte aus sozial schwächeren Familien für ein Studium einschreiben.“

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9 Kommentare
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Lera
1 Jahr zuvor

Wow.

Georg
1 Jahr zuvor
Antwortet  Lera

Sie haben die Studie auf den Punkt zusammengefasst und das sogar ausführlicher als die Damen aus dem Artikel.

Last edited 1 Jahr zuvor by Georg
Tina plus 2
1 Jahr zuvor

Dann gibt es wenigstens noch einige nichtstudierte aber kluge Köpfe, die im Handwerk und Technikerberufen dringend gebraucht werden.

Teacher Andi
1 Jahr zuvor

Es gibt eindeutig zu viele Experten und Wissenschaftler. Diese Studie ist völlig unnötig und wird hoffentlich nciht aus unseren Steuergeldern bezahlt. Unglaublich.

AndiBandi
1 Jahr zuvor

also diese BAFÖG Anträge sind schon kompliziert! Gibt aber an jeder Uni und Hochschule Personal welches beim Ausfüllen der Anträge hilft! Jede Uni und Hochschule hat ne Webseite auf der alle Studiengänge mit Zugangsvoraussetzungen und Modulhandbücher zu finden sind. Informationen zu erhalten ist also kein Problem!
Viele haben aber keine Lust sich die trockene Theorie an der Uni zu geben und einige Professoren dort sind was Lebensfremdheit und Arroganz angeht, auf nem ganz anderen Level als der normale Berufsschullehrer! Das kann schon von einem Studium abhalten!
Zumal es in diesem Land über 18.000 Studiengänge gibt, was für ein Unsinn und Wahnsinn!

Carsten60
1 Jahr zuvor
Antwortet  AndiBandi

„.. einige sind … auf nem ganz anderen Level als der normale Berufsschullehrer.“
Ich denke, „einige“ sind immer anders als der „Normalfall“, „einige“ Ausreißer gibt’s in allen Sparten, vermutlich auch bei den Berufssschullehrern. Was soll das nun besagen?
Die vielen Studiengänge resultieren wohl auch daher, dass es finanzielle Prämien von Landesregierungen gab, wenn mal wieder besonders innovative und interdiszplinäre neue Studiengänge eingerichtet wurden, die aktuelle Schlagworte berücksichtigten. Das haben sich einige zunutze gemacht.
Beispiel: Studiengänge Gender Studies, Schulmanagement, Evaluation, Golfmanagement, Sportmanagement, Bildungsmanagement usw.

Carsten60
1 Jahr zuvor

„Komplexe Antragsformulare“
Ja, besonders die rein digitalen, die sind die schlimmsten. Und die schrecken wirklich ab. „Digitalisierung“ bedeutet ja auch, dass das einfache Volk jetzt das nebenbei erarbeiten muss, was früher die Bürokraten der Ämter erledigten.
Klar ist auch, dass Bachelor/Master das Studium verlängern, denn es sind zwei Examina abzulegen und zweimal muss man sich um einen Studienplatz bewerben mit evtl. Wartezeit. Zusätzlich sind dann noch Praktika vorgeschrieben oder einfach üblich, die nicht in die Semesterferien passen (schon weil die Semesterferien mit Prüfungsterminen vollgepflastert sind), und schon verliert man ein weiteres Jahr. Auslandsaufenthalte dito. Die Zeit bis zum Studienabschluss und entsprechendem Job kann bis zum 30. Lebensjahr dauern, und das können sich ärmere Familien einfach nicht leisten.
Ein Hoch auf unsere naiven Parteipolitiker, die uns Bachelor/Master als eine studienzeitverkürzende Maßnahme wärmstens empfohlen hatten, aber nicht so richtig durchblickten, was sie da taten. Wie so oft ist das Gegenteil eingetreten. Das gilt auch für Auslandsaufenthalte: Früher konnten die Prüfungsausschüsse unbürokratisch Studienleistungen aus dem Ausland anerkennen, heute geht das nur, wenn die Titel, Inhalte und ECTS-Punkte der Veranstaltungen haarklein übereinstimmen.

Rabe aus NRW
1 Jahr zuvor

An unserer Schule haben wir regelmäßig Beratung durch

https://www.arbeiterkind.de/

Sehr zu empfehlen! Bieten vielfältige Information, Unterstützung und auch Stipendien, tolle Sache!

Carsten60
1 Jahr zuvor

Solche Studie sind vollkommen wertlos ohne einen Vergleich mit anderen Ländern, zumindest europäischen Nachbarländern. Meist wird in Studien etwas angeprangert, das es weltweit gibt und das nicht typisch für deutsche Verhältnisse ist.
Es gibt Länder mit einer abenteuerlich hohen Studierquote. aber die sind dann auch führend bei der Arbeitslosigkeit von jungen Leuten bzw. bei den Schwierigkeiten, einen zum Studium passenden Job zu bekommen.
Und weil jetzt überall Lehrer gesucht werden (das müsste sich in allen sozialen Schichten herumgesprochen haben), ist eigentlich nicht einzusehen, warum die potentiellen Kandidaten fürs Lehramtsstudium so zögerlich sind. Nach der Verbeamtung sollte es leicht fallen, etwaige Schulden zurückzuzahlen. Kredite für die Anschaffung von Autos sind ja auch sehr beliebt.