Kein Handy, dafür Unkraut jäten hinterm Ochsen: Schüler erleben das Mittelalter

11

LORSCH. Freiwillig raus aus der Moderne und von der Schulbank auf den Acker: Schüler erleben im Weltkulturerbe Kloster Lorsch Lebensalltag wie zur Zeit Karls des Großen. Auf alle Annehmlichkeiten müssen sie aber nicht verzichten.

MIttelalter zum Anfassen: Basilikafragment im Kloster Lorsch aus dem 12. Jahrhundert. Foto: Shutterstock

Ochse David zieht eine Holzegge über den Acker. Laura und Marie laufen hinter dem kräftigen Tier hinterher und sammeln Unkraut. Derweil dreschen Leart, Erdem und Jonas Getreide wie in früheren Zeiten. Schweißtreibende Arbeit statt Schulbank – zum Start in das neue Schuljahr heißt es für die Schüler aus der Integrierten Gesamtschule Edigheim in Ludwigshafen anpacken statt pauken. Acht Mädchen und vier Jungen im Alter von 13 und 14 Jahren lassen für einige Tage in dem zum Unesco-Welterbe Kloster Lorsch gehörenden Freilichtlabor Lauresham in Südhessen gewohnten Komfort zurück, um Einblicke in die Lebensumstände zur Zeit der Karolinger vor 1200 Jahren zu bekommen.

«Es zeigt das Leben, wie anstrengend es ist und wie man gearbeitet hat»

Die Kinder aus verschiedenen achten Klassen haben sich ihr Los ausgesucht und waren stark in die Vorbereitung der Projektwoche eingebunden. Weitestgehender Verzicht auf das Handy, Schlafen in Gemeinschaftsunterkünften auf Fellen und hartem Untergrund, kein Strom und damit auch kein Licht, den Achtklässlern sind zwar Strapazen der harten Arbeit anzumerken, das Reinschnuppern ins Mittelalter kommt dennoch gut an. «Es zeigt das Leben, wie anstrengend es ist und wie man gearbeitet hat», sagt der 14-jährige Leart. Große Herausforderungen seien das Dreschen gewesen und anfangs auch das Schlafen. «Ohne Handy, das macht mir nichts aus», sagt der Schüler. Den Eltern könne man hin und wieder schreiben.

«Ich habe mich für das Mittelalter schon immer interessiert», sagt die 13-jährige Laura. «Die größte Herausforderung ist das Schlafen.» Und nicht weil die Betten so hart sind, sondern weil alle acht Mädchen in einem Raum übernachten und wenn die quatschen, kann man nicht schlafen, so die 13-Jährige. Das Handy ist auch für sie kein Problem. «Ich bin sowieso nicht so handyfixiert. Außerdem müssen wir arbeiten.» Für den Leiter von Lauresham, Claus Kropp, sind die Probleme mit dem Schlafen aber auch noch anderer Natur. Die Geräuschkulisse ist eine andere, wenn der Marder über den Giebel huscht. «Da war in der ersten Nacht Nervosität.»

Das Kloster Lorsch aus der Vogelperspektive. Etwas abseits (und deshalb nicht im Bild): der Lernort Lauresham. Foto: Shutterstock

Der Anstoß für die Projektwoche kam von dem Deutsch- und Geschichtslehrer Felix Lipfert. «Ich war hier mal auf Exkursion im Geschichtsstudium», sagt der 29-Jährige. Er übernahm im vergangenen Jahr eine siebte Klasse, musste sich im zweiten Halbjahr ein Projekt ausdenken und wandte sich an Kropp. Die Integrierte Gesamtschule bietet seinen Angaben zufolge seit 2014 solche Projekte an. In diesem Jahr konnten die Schüler zwischen zehn bis zwölf solcher Herausforderung wählen und sich für die Projekte wie Arbeiten im Altenheim, eine Woche Jakobsweg oder Aufenthalte in Behindertenwerkstätten bewerben.

Anzeige

Auf dem gut vier Hektar großen Freilichtlabor gibt es Geschichte zum Anfassen. Hier wird experimentiert, wie das Leben und der Alltag auf einem zum Kloster gehörenden Zentralhof ausgesehen haben könnte.

Die zwölf Schüler in Lauresham trifft das Mittelalter aber nicht mit voller Wucht. «Ganz realistisch haben wir es nicht gemacht», sagt Lipfert. So dürften die Schüler die Besuchertoiletten in dem Freilichtlabor benutzen und gekocht werde in der Küche und nicht über offenem Feuer. Das Handy komme dann schon mal nachts als Taschenlampe für den Gang auf die Toilette zum Einsatz. Manche seien so clever gewesen und hätten eine Powerbank mitgenommen. «Wenn es leer ist, ist es leer.»

«Es ist interessant, wie die Schüler in ihre Rollen reinfinden»

Unter Anleitung von Kropp müssen die Kinder auf dem Feld arbeiten, Gemüse ernten oder Tiere versorgen. «Wir können nur machen, was unsere Tiere leisten können und unsere Hände», sagt er. «Es ist interessant, wie die Schüler in ihre Rollen reinfinden.» Er sieht ähnliche Projekte auch für die Zukunft. «Das hilft auch uns und zeigt tatsächlich wie vor 1200 Jahren gearbeitet wurde.» Neben der Arbeit gibt es auch Workshops zum Zinngießen, wie im Mittelalter gespielt und auch gekocht wurde und Knochenschnitzereien.

Das Erlebte soll eine ganze Woche in der Schule aufgearbeitet werden. Es gehe ja auch um die Frage, war es eine Herausforderung oder eine entspannte Klassenfahrt, sagt Lipfert. «Ich hoffe, dass sich das eine oder andere festigt», sagt der 29-Jährige, der wegen eines undichten Daches beim Schlafen wegen eines Regengusses auch schon mal nass geworden ist. Von Oliver Pietschmann, dpa

Lernen im Freilichtlabor

Das Freilichtlabor Lauresham liegt im Herzen des 2014 neugestalteten und stark erweiterten Unesco-Welterbe Kloster Lorsch. Als begehbares 1:1-Modell auf einer Fläche von 4,1 Hektar wird das komplexe, aber für das Verständnis der frühmittelalterlichen Gesellschaftsstruktur so wichtige Thema Grundherrschaft erklärt. Dies erfolgt am Beispiel eines idealtypischen Zentralhofes des 8./9. Jahrhunderts. Zudem wurde mit Lauresham ein Forum für die experimentalarchäologische Forschung geschaffen, um verschiedene handwerkliche und landwirtschaftliche Arbeitstechniken zu erproben.

Auf Grundlage aktueller Forschungserkenntnisse der  Siedlungsarchäologie errichtete ein Team von erfahrenen Handwerkern unter wissenschaftlicher Begleitung, darunter das Archäologische Institut der Universität Hamburg, ein Gebäudeensemble. Dieses umfasst Wohn-, Wirtschafts-, Stall- und Speicherbauten, sowie eine Kapelle. Hinzu kommen verschiedene landwirtschaftliche Nutzflächen – Wiesen, Äcker und Gärten – und die Haltung von Nutztieren, deren Erscheinungsbild eine Annäherung an das der mittelalterlichen Artgenossen ermöglichen soll.

Hier gibt es weitere Informationen. 

Bis Oktober: Themenwochen „Außerschulische Lernorte und Klassenfahrten“ auf News4teachers

Anzeige


Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

11 Kommentare
Älteste
Neuste Oft bewertet
Inline Feedbacks
View all comments
Ron
1 Jahr zuvor

Cooles Projekt, das nicht nur einen Einblick in historische Zeiten gibt, sondern zugleich Jugendliche im unmittelbaren Erfahren und Erproben von Dingen herausfordert.

potschemutschka
1 Jahr zuvor

Ich finde die Geschlechterverteilung interessant: 8 Mädchen, 4 Jungen, die sich freiwillig gemeldet haben. Was sagt uns das? Ist das bäuerliche Leben eher etwas für Frauen? Ich weiß es nicht. Aber vielleicht ist es auch nur Zufall.

Schattenläufer
1 Jahr zuvor
Antwortet  potschemutschka

Vielleicht sollte man auch nicht alles unter den Aspekt Geschlechter und Gleichberechtigung sehen und versuchen Zusammenhange ab zu leiten wo keine sind.

potschemutschka
1 Jahr zuvor
Antwortet  Schattenläufer

Genau das meinte ich.

Fakten sind Hate
1 Jahr zuvor
Antwortet  potschemutschka

Soweit ich den Artikel verstanden habe, mussten sich die Kinder bewerben. Wir sehen daher nur die Auswahl.

Ansonsten hängen die Bewerberzahlen auch von der direkten Konkurrenz ab, dh. wie interessant diese sich präsentiert und welche Angebot überhaupt formuliert wird.

Im Artikel wurde das Freilichtmuseum mit den Experimentiermöglichkeiten erwähnt. Ich hätte als Schüler eher das gewählt.

Schattenläufer
1 Jahr zuvor

Wer das Mittelalter erleben will, der kann das auf unserer Schultoilette einfacher haben.

klm
1 Jahr zuvor
Antwortet  Schattenläufer

Orientiert an energiesparender Klimafreundlichkeit, ist das CO2-arme Jäten bestimmt besser als glühende Handys.
Wie die Journalistin Ulrike Hermann glaube ich ohnehin, dass unsere Lebensweise zur Rettung des Klimas zwar nicht zurück muss ins Mittelalter, aber mindestens ein halbes Jahrhundert zurück.

447
1 Jahr zuvor

Klingt grandios, vor allem auch weil notwendig viel draussen passiert.

Andre Hog
1 Jahr zuvor

Tolles Projekt….mich als Historiker begeistert sowas…v.a., wenn wirklich „echte Arbeit und Anforderungen“ lauern…da sind die kleinen zivilisatorischen Zugeständnisse absolut in Ordnung.

Indra Rupp
1 Jahr zuvor

Och, wir haben das Zuhause! Ein Monat jetzt ohne Strom und ich lade gerade mein Handy im Bahnhof auf, wegen Schule, Beruf und Nachrichten lesen. Das Solarteil will irgendwie nicht so bei diesem Wetter. Das mit dem Kochen hätte ich aber gerade mit dazu genommen! Ist nämlich garnicht so einfach, wenn man nicht konstant die gleiche Temperatur hat. Weiter steigende Inflation und wir können das alle schon mal für Zuhause üben.

Indra Rupp
1 Jahr zuvor

Ich hatte in früheren Zeiten auch schon Zeitweise aus ideologischen Gründen so gelebt. Auch Jahre am Stück, teilweise mit Bauwagen, einmal mit einem selber ausgebauten Heuwagen . Ohne Strom, Warmwasser, Heizung. Mit Milchziegen , Hühnern und Holzofen. Man gewöhnt sich da schnell dran, auch daran, dass man nicht laufend vollgedudelt wird. Komischerweise entwöhnt man sich aber auch genauso schnell wieder. Ein paar Tage wieder der alltägliche Luxus und es ist, als wäre es nie anders gewesen und man weiß es dann auch garnicht sonderlich zu schätzen, halt einfach selbstverständlich.
Damals gab’s jedes Mal ne Hexenjagd durch die Landbevölkerung mit Benachrichtigung an Ordnungs – und Bauamt „Sie DÜRFEN so nicht leben!!!“ Ich kannte irgendwann so viele Ordnungs – und Bauvorschriften, dass ich die ganze Landbevölkerung hinter ihren Gardinen in Schimpf und Schande hätte bringen können. Naja, wie sich die Zeiten ändern… jetzt darf man ja so leben 😉
Meine Kinder haben auch so gelebt. Ich stand um 5 Uhr auf, zündete den Ofen an, setzte Wasser auf und wenn dann Aufstehzeit war, war es warm und auch warmes Wasser zum waschen da und dann gab es einen nicht gerade kurzen Fußmarsch bis zum Kindergarten.
Die Leute hatten aber keine Sorge um die Kinder, sondern mehr Angst um unseren Hund, dass der friert und hungert und das die Katze bei Schlechtwetter in den Stall gehen muss, wenn wir unterwegs sind und deswegen sollten wir gefälligst eine Katzenklappe in die Tür unseres Heuwagen einbauen. Das Bauamt wiederum ärgerte sich, weil sie nicht wussten, wie sie unsere Wohnung nennen sollten “ Das ist kein Bauwagen, kein Wohnwagen, das ist auch kein Heuwagen mehr…“. Der NDR war auch mal da, ich dachte ich könnte so für Akzeptanz werben – aber ohje, da ging es erst richtig los, denn der NDR hatte uns positiv dargestellt und das kann man auf dem Lande dann erstreckt nicht haben.
Heute ärgern sich diese missliebigen Personen, dass meine Kinder sich auch noch so toll entwickeln und garnicht ihren Prophezeiungen entsprechen oder ins Arme-Leute-Kinder-Klischee passen. “ Mit dem kriegst du später RICHTIG Probleme! “ – ja, dass hören alle Alleinerziehenden. Und dann noch Geringverdiener sein und dann noch frech alternativ leben! „Der gerät auf die schiefe Bahn!“
Ich glaube, ich kenne keine Mutter, die mit ihrem pubertären Sohn so wenig Probleme und so so viel Freude hat, wie ich! Drei Tage hatten wir hier Zeltlager meiner Reitschüler und er hat mich unterstützt ohne dafür etwas zu erwarten (hat aber trotzdem ein Taschengeld bekommen),übernimmt Verantwortung, ist laut Klassenlehrer emotional reifer als sein ganzer Jahrgang. Und in seiner, zu seiner Schule dazugehörigen Grundschule, wo wegen eines in diesem Jahr fehlendem FÖJler die Tierhaltung aufgegeben werden soll, hat er angeboten, die Versorgung der Tiere zu übernehmen, damit die nicht verkauft werden und ist dafür quasi von der Schule angestellt worden (ist schon 16),mit polizeiliche Führungszeugnis und was so dazu gehört. Fand er halt Schade, weil er dort auch zur Grundschule ging und die Schafe, Enten, Kaninchen ect ein Markenzeichen dieser Schule sind.