GEW-Chefin: Schüler aus der Ukraine bringen unterbesetzte Schulen über das Limit

7

FRANKFURT/MAIN. Mit Blick auf die aktuellen Daten zur schulischen Integration geflüchteter Kinder und Jugendlicher aus der Ukraine fordert die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Länder und Kommunen mit Nachdruck auf, die notwendigen Sofortprogramme auf den Weg zu bringen und Schulen deutlich besser auszustatten. Recherchen des Mediendienstes Integration zeigten ebenso wie aktuelle Lageberichte aus den Bundesländern, dass dringend personelle und räumliche Kapazitäten ausgebaut werden müssen, um das Recht auf Bildung in Deutschland zu garantieren.

„Das alles kostet Geld, viel Geld“: Maike Finnern, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Foto: GEW

„Seit Beginn des russischen Angriffskriegs sind über 200.000 Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine in den Schulen in Deutschland angekommen. Der dramatische Lehrkräftemangel führt dazu, dass die Bildungseinrichtungen und die Beschäftigten bereits seit langem am Limit arbeiten. Sie tun ihr Bestes zum Wohl der Kinder und Jugendlichen, brauchen aber endlich deutlich mehr Unterstützung, um guten Unterricht anbieten zu können – ob in Vorbereitungs- und Willkommens- oder Regelklassen“, sagt GEW-Vorsitzende Maike Finnern in Reaktion auf eine Pressekonferenz des Mediendienstes Integration, der Kritik insbesondere an der Einrichtung von Willkommensklassen geübt hatte (News4teachers berichtete).

„Damit die Schulen geflüchtete Kinder und Jugendliche gut aufnehmen können, werden dringend multiprofessionelle Teams benötigt“

Zudem warteten tausende schulpflichtige Geflüchtete seit Monaten auf den Platz in einer Schule. Im Winter würden viele weitere junge Menschen nach Deutschland fliehen und einen sicheren Zufluchtsort brauchen. „Die zuständigen Ministerien müssen aufhören, die Situation schön zu reden und ihrer Verantwortung gerecht werden: Bildung kann nicht warten!“, unterstrich Finnern. Sie betonte: „Der Lehrkräfte- und Raummangel war bereits vor dem Krieg ein Riesenproblem – und zwar ein hausgemachtes. Im Zuge der Corona-Pandemie und der permanenten Überlastung steht das Bildungssystem vor dem Kollaps. In vielen Schulen werden Klassengrenzen überschritten, Unterrichtsausfall ist an der Tagesordnung – so kann die Bildungsteilhabe geflüchteter sowie benachteiligter Schülerinnen und Schüler nicht verbessert werden. Die soziale Kluft wird größer.“

Anzeige

„Damit die Schulen geflüchtete Kinder und Jugendliche gut aufnehmen und bedarfsgerechte Bildungs- und Unterstützungsangebote – zum Beispiel bei Traumatisierungen – machen können, werden dringend multiprofessionelle Teams benötigt“, hebt Finnern hervor. In diesen arbeiteten Lehrkräfte, Erzieherinnen und Erzieher, Fachkräfte für Schulsozialarbeit und -psychologie sowie Pädagoginnen und Pädagogen mit Kenntnissen in Herkunftssprachen zusammen.

„Fachkräfte aus der Ukraine brauchen bessere und langfristige Anerkennungs- und Beschäftigungsperspektiven“

Die GEW-Vorsitzende unterstützte in diesem Zusammenhang ausdrücklich die Anstrengungen vieler Bundesländer, zusätzliches Personal einzustellen, darunter auch pädagogische Fachkräfte und Lehrerinnen aus der Ukraine. „Diese sind für die geflüchteten Kinder und Jugendlichen und das Bildungssystem in Deutschland auch mit Blick auf den Fachkräftemangel enorm wichtig. Allerdings sollten sie nicht nur kurzfristig zur Unterstützung in Klassen für ‚Deutsch als Zweitsprache‘, als pädagogische Hilfen im Regelunterricht, für den Ukrainisch-Unterricht oder als Sprachmittler beschäftigt werden. Sie brauchen auch bessere und langfristige Anerkennungs- und Beschäftigungsperspektiven.“

Daher begrüße die GEW die Reformen zur Fachkräfteeinwanderung der Bundesregierung und mahne verstärkte Anstrengungen an, um die Anerkennung ausländischer Abschlüsse und Berufserfahrungen in pädagogischen Berufen zu erleichtern sowie zielgruppengerechte Beratungs- und (Nach-)Qualifizierungsangebote für neu zugewanderte Lehrkräfte in den Ländern auszubauen.“ News4teachers

Lehrkräfte über ukrainische Schüler: „Ich habe den Eindruck, dass die Eltern den Deutschunterricht für ihre Kinder nicht unterstützen“

Anzeige


Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

7 Kommentare
Älteste
Neuste Oft bewertet
Inline Feedbacks
View all comments
kanndochnichtwahrsein
1 Jahr zuvor

…nicht zu vergessen all die anderen Zuwandererkinder, die schon da sind oder noch kommen werden… denen nutzt ein multiproffessionelles Team mit ukranischen Muttersprachlern nicht viel…

Wir brauchen dringend ausreichende und zeitnah angebotetene Sprachlernangebote für alle zuwandernden Pädagogen, damit sie ihre Kultur- und Sprachkenntnisse ins System einbringen können, aber auch, um ihre eigene Existenz und die ihrer Familien in Deutschland dauerhaft sichern zu können!

Diese Fachkräfte werden nicht „für Gotteslohn“ arbeiten und sich in unserem maroden System aufreiben können. Dafür haben sie viel zu viele eigene Probleme.
Das, was uns im System seit Jahrzehnten aufreibt, kann man nicht auch noch zugewanderten Fachkräften aufbürden.
Bestandslehrkräfte werden nicht für noch mehr erkrankte oder anderweitig ausfallende Kollegen noch mehr auffangen können, was vom System oder unserem „Verpflichtungsgefühl“ unseren Schülern gegenüber weit über unsere bezahlte Arbeitszeit hinaus unausweichlich, notwendig und irgendwie auch überlebenswichtig ist.

Es müssen endlich die Versprechungen an Eltern und Gesellschaft aufhören, dass Schule alles auffangen kann, was Elternhäuser und Gesellschaft nicht leisten können oder wollen – grundlegende Erziehung, Sozialverhalten, ausreichend Bewegung, Medienerziehung, Ganztagsversorgung…
Dazu gibt es einfach zu wenig Lehrkräfte – für alle Kinder!
Wie kann man angesichts dessen noch Versprechungen für Ganztagsschulen geben???

Realist
1 Jahr zuvor

40% wollen „länger hierbleiben“:
https://www.welt.de/politik/deutschland/article242529979/Ukrainische-Schueler-40-Prozent-der-Menschen-wollen-laenger-hierbleiben.html

Und die Zahlen werden (verständlicherweise) durch den Winter und die kaputte Infrastruktur ansteigen. Dazu kommt die wieder steigende Zahl von Geflüchteten aus anderen Länder. Nächstes Jahr werden außerdem die gestiegenden Gaspreise und damit die gestiegenden Preise für industriell hergestellte Düngemittel zu Ausfällen in der Nahrungsmttelproduktion insbesondere in ärmeren Ländern führen, was die Zahl der Geflüchteten weiter steigen lässt.

Die KMK sollte dringend ihre Strategie des (temporären) „Stuhl dazustellen“ überdenken…

Riesenzwerg
1 Jahr zuvor

Ich dachte, „ein Stuhl dazu“ reicht. 😉

Multiprofessionelle Teams…. Kenn ich nicht.

Die brauchen wir in Deutschland schon lange. So wie auch mehr Lehrkräfte, kleinere Klassen (ich kann mich nicht individuell um Massen kümmern), usw.

Wäre ja schön, wenn es nicht nur bei den Forderungen bleibt.

Doch auch dieser Weihnachtswunsch wird nichts.

Last edited 1 Jahr zuvor by Riesenzwerg
Carsten60
1 Jahr zuvor

Als Kuriosum bleibt dennoch festzuhalten, dass es jedenfalls in Baden-Württemberg in der Vergangenheit (noch 2003-07) erheblich mehr Schüler insgesamt gab als jetzt:
https://www.statistik-bw.de/BildungKultur/SchulenAllgem
Auch die Zahl der Einschulungen liegt jetzt wesentlich unter der in den 1990er und frühen 2000er Jahren. Auch an den Gymnasien ging die Zahl von 2012 bis 2021 nach unten (andere werden nicht angegeben), und der Zuwachs bei den Gemeinschaftsschulen ist deutlich niedriger als der Verlust bei Haupt- und Realschulen.
So stellt sich die Frage, ob der jetzige Lehrermangel auch damit zu tun hat, dass man vielleicht zu eilig Lehrerstellen abgebaut hat, eben in der Erwartung weiter sinkender Schülerzahlen. Und wenn jetzt Schulräume fehlen, dann wohl nur deshalb, weil man Schulen geschlossen oder Teilgebäude abgerissen hat. Jedenfalls reichte vor 20 Jahren alles für 20 % mehr Schüler (ca. 200.000) aus.

447
1 Jahr zuvor
Antwortet  Carsten60

Vor 20 Jahren wurde in der Schule halt auch eher Schule betrieben. Ein Zustand, den ich mir seit ca. 5-7 Jahren nicht mehr vorstellen kann und ddr geradezu paradiesisch klingt: Stell Dir vor Du gehst in die Schule und machst UNTERRICHT, bringst Kindern was bei… ohne ständig zusamnenbrechende Pläne, ohne ständig als Sozialarbeiter oder für Politunfug eingesetzt zu werden…

447
1 Jahr zuvor

Macht nix, ich erkläre es Ihnen: „Multiprofessionelles Team“ ist, wenn…
1. Die grünhaarige, schwer übergewichtige Dame aus dem vierten Arbeitsmarkt mit dauerhaften Finanzproblemen

und

2. der Hobbyfeuerwehrmann (ständig im Einsatz, angeblich 😉 bei uns angestellt) mit abgebrochenem Soziologie-Studium

und

3. eine engagierte junge Dame, die multiprofessionale soziale Arbeit studiert hat und hinter den anderen verzweifelt hinterherarbeitet (und, wie soll es anders sein, schwanger ist)

Kindern mit leichten bis schweren Problemen erklären bzw. dabei helfen soll, von Drogensucht bis familiäre Probleme ihr Leben auf die Reihe zu kriegen.

Feuerwehrleute sind super, soziales Engagement trotz massiver eigener Probleme auch, die Burnoutgefahr ist massiv… nur ob das so was bringt?
Verbrennen diese Leute sich nicht noch mehr selbst als Lehrer?
Bringt das was?
So, in der Form?

Carsten60
1 Jahr zuvor

Hier steht mal aufgeschrieben, wie man sich in NRW die Entwicklung der Schülerzahlen innerhalb von 20 Jahren gedacht hat:
https://webshop.it.nrw.de/gratis/Z089%20201054.pdf
Man prognostizierte einen erheblichen Schülerschwund ab 2009 außer in drei Städten. Das wird wohl mit ein Grund dafür sein, dass jetzt alles „am Limit“ ist. Und man darf sich fragen, wie seriös eigentlich solche Prognosen sind.