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KMK-Präsidentin Prien zur Demokratiebildung: „Es lohnt sich jeden Tag, die Welt ein kleines Stückchen besser zu machen“

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BERLIN. Demokratiebildung? Ist in den Schulgesetzen aller Bundesländer verankert. Doch wie sieht es in der Praxis aus? Haben Schulen angesichts des Lehrkräftemangels einerseits, Herausforderungen wie der Inklusion und der Integration andererseits, überhaupt noch Kapazitäten, um sich über den Fachunterricht hinaus mit der Demokratie zu beschäftigen? Wir haben dazu die KMK-Präsidentin, Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU) befragt.

„Ich bin mit elf Jahren zur Klassensprecherin gewählt worden“: KMK-Präsidentin Karin Prien (CDU). Foto: Frank Peter / Land Schleswig-Holstein

News4teachers: Sie sind bereits als Schülerin der CDU beigetreten. Was hat Sie damals dazu bewogen, sich politisch zu engagieren und gab es in Ihrer Schulzeit bereits so etwas wie Demokratiebildung?

Karin Prien: Ich bin mit elf Jahren zur Klassensprecherin gewählt worden und ich war stolz darauf, mitgestalten und entscheiden zu können. Aber mir war sehr früh klar, dass man Mitstreiter braucht, um Dinge im Kleinen und Großen zu verbessern. Von Anfang an waren mir politisch Extreme rechts wie links suspekt. Ein pragmatisches, pro europäisches, antitotalitäres Politikangebot wie es die CDU seit den 80er Jahren vertritt, war für mich überzeugend. Und Demokratiebildung gab es durchaus in meiner Schule. Die Arbeit in der SV wurde schon gefördert.

News4teachers: Studien zeigen, dass die Demokratiebildung in der Schule zu kurz kommt. Woran liegt das aus Ihrer Sicht?

Demokratiekosmos Schule

Hier gibt es Materialien und Informationen zum Thema Demokratie: Das Projekt „Demokratiekosmos Schule“ (DEKOS) soll Lehrkräfte insbesondere im wirksamen Umgang mit antidemokratischen Situationen unterstützen – und zeigt dabei auch auf, wie den Phänomenen Antisemitimus und Rechtsextemismus in der pädagogischen Praxis begegnet werden kann.

Mit unterschiedlichen Formaten erhalten Lehrkräfte anwendungsorientiertes Know-how. DEKOS zeigt Wege auf, wie sie sich diesen Herausforderungen stellen und angemessen handeln können.

DEKOS, ein gemeinsames Projekt der Bundeszentrale für politische Bildung mit der Bertelsmann Stiftung, wendet sich an Schulleitungen, Lehrer/innen und Schulsozialarbeiter/innen. Adressiert werden die siebte bis zur 13. Jahrgangsstufe. Da Diskriminierungen in allen Schulsituationen auftreten, betrifft das Thema alle Unterrichtsfächer. DEKOS ist auch geeignet, in Aus- und Fortbildungsbereichen eingesetzt zu werden.

Hier geht es zu den kostenlosen Materialien.

Karin Prien: „Demokratie ist die einzige politisch verfasste Gesellschaftsordnung, die gelernt werden muss“, sagte der Sozialphilosoph Oskar Negt. Ich stimme ihm zu, Demokratie muss immer gelernt werden und will gelernt sein. Deshalb ist Demokratiebildung in der Schule unerlässlich. So können wir das demokratische Bewusstsein bei den Schülerinnen und Schülern stärken, weiterentwickeln und festigen. Dies ist auch innerhalb der Länder unumstritten und deshalb hat die Demokratiebildung sehr wohl ihren Platz in den Schulen. Die Länder haben sich innerhalb der KMK auf eine noch stärkere Verankerung der Demokratie- und Menschenrechtsbildung in Unterricht und Schulalltag verständigt. Ausdruck dessen sind die Empfehlungen „Demokratie als Ziel, Gegenstand und Praxis historisch-politischer Bildung und Erziehung in der Schule“ und „Menschenrechtsbildung in der Schule.

In meinem Bundesland Schleswig-Holstein beispielsweise haben wir 2019 zum „Jahr der politischen Bildung“ an den Schulen gemacht, um Demokratie und Partizipation für Schülerinnen und Schüler in Angeboten und Projekten erlebbar zu machen. Auch politische Wettbewerbe wie Jugend debattiert, der im letzten Jahr sein 20-jähriges Jubiläum feierte und bundesweit sowie in 34 anderen Ländern stattfindet, stärkt die Demokratiebildung, indem er Schülerinnen und Schülern ermöglicht, multiperspektivisch und sachlich zu debattieren und die eigene Meinung zu vertreten (vgl. Jugend debattiert – weil Kontroversen lohnen (jugend-debattiert.de)). Zudem ist Demokratiebildung eine Querschnittsaufgabe aller Fächer und wird auch als diese wahrgenommen.

News4teachers: Welche politischen Kompetenzen muss ein junger Mensch in der Schule mitbekommen?

Karin Prien: Die Schülerinnen und Schüler müssen in ihrem Engagement für den demokratischen Rechtsstaat und ihrem entschiedenen Eintreten gegen antidemokratische und menschenfeindliche Haltungen und Entwicklungen gestärkt werden. Das ist Aufgabe von Schul- und Unterrichtsentwicklung und Aufgabe aller Fächer sowie von außerschulischen Angeboten. Eine demokratische Schul- und Unterrichtsentwicklung manifestiert sich ebenfalls in der Schul- und Unterrichtskultur einer Schule sowie einer wertschätzenden und diversitätsbewussten Kommunikation innerhalb der Schule.

Dazu gehört beispielsweise, dass die Schülerinnen und Schüler die Funktion und die Arbeit von parlamentarischen Vertretungen kennen oder dass sie mittels bestimmter Projekte erfahren, welchen Wert es für sie persönlich hat, sich zu engagieren, sich vor Ort einzusetzen und so die eigene Umwelt mitzugestalten und wie wichtig die Stimme eines jeden Einzelnen bei einer Wahl ist.

All das konkretisiert sich in Schleswig-Holstein in den Fachanforderungen Wirtschaft/Politik. Zum Beispiel werden in der Sekundarstufe I im Themenbereich 3 „Politik betrifft uns“ thematische Schwerpunkte wie politische Kommunikations- und Partizipationsmöglichkeiten, Wahlen sowie der politische Prozess behandelt. Diese und andere Themen werden in der Oberstufe weiter vertieft und mit Projekten wie z. B. der Juniorwahl praktisch unterstützt.

News4teachers:
Antisemitismus ist ein gesellschaftliches Problem. Was können Schulen leisten, um dem entgegenzuwirken?

Karin Prien: In vielen unterschiedlichen Formaten erzählen und vermitteln, was jüdisches Leben bedeutet und wie vielfältig jüdisches Leben ist. Es ist ein Dreiklang aus Wissen vermitteln, Prävention und Erinnerungsarbeit. Hierzu gibt es eine entsprechende Empfehlung der KMK aus dem Jahr 2021 (hier geht es hin, d. Red.). Sie basiert auf dem Beschluss des Präsidiums des Zentralrats der Juden in Deutschland, der Bund-Länder-Kommission der Antisemitismusbeauftragten und der KMK und enthält Konkretisierungen und Leitlinien für den Umgang mit Antisemitismus im Unterricht wie im schulischen Alltag.

Beispiel: Antisemitische Vorfälle im schulischen Umfeld als solche benennen, aufklären und bekämpfen; gegenwärtiges jüdisches Leben im schulischen Rahmen zu thematisieren und Begegnungen mit Jüdinnen und Juden zu ermöglichen; eine intensivere Vermittlung von Kenntnissen zu Antisemitismus, Judentum und jüdischer Geschichte und Gegenwart in der Lehrerbildung oder ein Pilotprojekt zum Antisemitismus als Thema in der Lehrerbildung an Hochschulen als Modell entwickeln.

In Schleswig-Holstein gibt es seit dem Schuljahr 2018/19 die GEMON(Gewaltmonitoring)-Datenbank. Sie erhebt Gewaltvorkommnisse von Menschen gegenüber Menschen an den öffentlichen allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen in SH, wertet diese aus und erfasst auch antisemitische Vorfälle.

Wir haben deshalb in Schleswig-Holstein die Antisemitismusprävention in den Fachanforderungen verankert, zum Beispiel in den Fachanforderungen Geschichte. Bereits in der Sekundarstufe I wird als verpflichtendes Thema „Deutschland 1918 – 1945: Zwischen Demokratie und Diktatur, internationaler Verständigung und Verbrechen“ behandelt. Weiter vertieft werden die erlangten Kompetenzen im zweiten Jahr der Qualifikationsphase. Hier wird unter dem Thema „Diktatur und Demokratie im Zeitalter der Extreme“ durch problematisierende Fragestellungen der Holocaust thematisiert. In Kürze erscheint auch ein neuer Leitfaden Judentum / Antisemitismus für die Sekundarstufe I und II, es gibt ein Fortbildungsprogramm für Lehrkräfte, die in Yad Vashem ausgebildet werden – viele Länder haben bereits hierzu eine Kooperationsvereinbarung –, es gibt Zeitzeugenbesuche an Schulen und Angebote von jüdischen Gemeinden, die in Schulen gehen oder Klassen in die Synagogen und Gemeindezentren einladen.

News4teachers: Für wie gravierend halten Sie den Rechtsextremismus unter jungen Menschen?

„Rechtsextreme Einstellungen sind bei den Jugendlichen verbreiteter als linksextreme oder islamistische Einstellungen“

Karin Prien: Im Rahmen der Jugendstudie „Jugendliche Perspektiven auf Politik, Religion und Gemeinschaft“, die vom BMBF gefördert worden ist, wurden die gesellschaftlich relevanten Einstellungen und Verhaltensweisen von Schülerinnen und Schülern der 9. Klassen erforscht. Danach sind rechtsextreme Einstellungen bei den Jugendlichen verbreiteter als linksextreme oder islamistische Einstellungen. Auch in der Schule lassen sich rassistische, antisemitische, salafistische, populistische Äußerungen und Verhaltensweisen, aber auch jede andere Form von Diskriminierungen gegenüber bestimmten Bevölkerungsgruppen immer wieder beobachten. Deshalb sind Programme und Angebote zur Extremismusprävention unverzichtbar. Sie wirken demokratiefeindlichen Haltungen entgegen und machen ein soziales Miteinander möglich. Auch hier hat die KMK bereits im März 2009 und erneut im Oktober 2018 die „Demokratie als Ziel, Gegenstand und Praxis historisch-politischer Bildung und Erziehung in der Schule“ aufgenommen. Außerdem wurden Maßnahmen hinsichtlich der „Interkulturelle(n) Bildung und Erziehung in der Schule“ im Dezember 2013 beschlossen.

Wir brauchen Konzepte zur Stärkung der Lehrkräftebildung zu den Themen Extremismus, Demokratiebildung und Prävention, die in allen drei Phasen der Lehrkräftebildung ansetzen und die Festigung der Handlungskompetenz von (angehenden) Lehrkräften durch konzeptionell vorausschauendes Agieren als wesentliches Ziel haben, sodass die (angehenden) Lehrkräfte ihre erworbenen Kompetenzen an ihre Schülerinnen und Schüler weitergeben können.

Ein solches Konzept wird gerade durch das MBWFK gemeinsam mit der Bertelsmann-Stiftung, dem IQSH und zahlreichen Beratungsinstitutionen aus Schleswig-Holstein (ZEBRA, LIDA, PROvention, KAST) sowie der CAU Kiel (Prof. Simon) unter dem Titel „Rahmenkonzept Extremismusprävention“ entwickelt. Es geht im kommenden Schulhalbjahr in Form eines Zertifikatskurses Extremismusprävention in die erste Umsetzungsphase.

„Ich unterstütze nachdrücklich das Ziel, dass möglichst alle Jugendlichen in ihrer Schulzeit eine Gedenkstätte mit Bezug zu NS-Verbrechen besuchen“

News4teachers: Sollten Gedenkstättenbesuche von Schülerinnen und Schülern für Schulen verpflichtend sein?

Karin Prien: Ich unterstütze nachdrücklich das Ziel, dass möglichst alle Jugendlichen in ihrer Schulzeit eine Gedenkstätte mit Bezug zu NS-Verbrechen besuchen, dies aber eingebettet in das Unterrichtsgeschehen, qualitativ betreut mit Vor- und Nachbereitung. Wir brauchen eine kritische Aufarbeitung der Geschichte. Wir brauchen eine Reflexion der Vergangenheit, der Mechanismen, mit denen Hitler und die Nationalsozialisten gearbeitet haben, und mit denen Diktatoren und Ideologen in aller Welt arbeiten und heute noch Erfolg haben. Damit dürfen wir uns nicht abfinden. Genau deshalb ist das so wichtig, was in der „2. Blick“ genannt wird: Wir brauchen eine Erinnerungskultur, die nicht nur in die Vergangenheit schaut, sondern sehr klar die Gegenwart und Zukunft unserer Demokratie im Blick hat.

News4teachers: Viele Lehrerinnen und Lehrer klagen über eine hohe Arbeitsbelastung. Brauchen Lehrerinnen und Lehrer mehr Freiräume, um sich für das Thema Demokratie zusätzlich zu engagieren?

Karin Prien: Demokratiebildung ist und bleibt ein Zukunftsthema. Die Beschäftigung damit könnte über neue, mutige Formate in die Schulen hereingetragen werden. Hier setzen wir u. a. auf die Experimentierklausel, die die Schulen in die Lage versetzen, neue Wege in der Gestaltung von Schule und Unterricht zu gehen. Hierfür soll über die bestehenden Möglichkeiten hinaus Flexibilisierung geschaffen werden. Ich möchte die Schulen ausdrücklich dazu ermuntern, die Freiräume, die die Kontingentstundentafel ihnen bereits jetzt bietet, innovativ zu gestalten und neue interdisziplinäre, fächerübergreifende Formate auszuprobieren.

Die Implementierung und Weiterentwicklung von Demokratiebildung im schulischen Kontext ist äußerst wichtig. Die Beschäftigung mit Demokratiegeschichte und Möglichkeiten der politischen Mitbestimmung kann auch an außerschulischen Lernorten erfolgen, weshalb wir diese stärken werden. Im Klassenzimmer soll das Konzept der Klassenräte gestärkt und die Bedeutung der historisch-politischen Bildung im Unterricht ausgebaut werden.

Lernenden in Schulen soll unmissverständlich klargemacht werden, dass ihre Meinung, ihre Beobachtung und ihre Rückmeldungen eine Bedeutung haben, dass sie wahrgenommen werden, dass sie sich nicht in einer passiven Rolle befinden, sondern zu aktiven Gestaltern des Schulalltages werden können. Ein wirkungsvolles Instrument ist in diesem Zusammenhang das Schülerfeedback, das in Schleswig-Holstein flächendeckend eingeführt wird.

News4teachers: Die Demokratie, das sehen wir vielfach heutzutage, leidet auch unter der fehlenden Medienkompetenz vieler Menschen. Fake News machen seriöse Diskussionen unmöglich. Wie kann Schule da gegensteuern?

Karin Prien: Fake News sind in aller Munde – zu Recht. Durch die sozialen Medien können Falschaussagen so schnell wie noch nie verbreitet werden. Sie erreichen viele Menschen in kurzer Zeit und sind sehr schwer wieder zu löschen oder zu korrigieren. Es ist also sehr wichtig, die Schülerinnen und Schüler dazu zu befähigen, Fake News zu erkennen bzw. sie zu kritischem und multiperspektivischem Denken zu erziehen und beispielsweise gegenüber Verschwörungserzählungen ihre Resilienz zu erhöhen.

Hinsichtlich der Medienkompetenz gibt es bereits mehrere Ansätze, diese in den Schulen nachhaltig zu verankern und die Schülerinnen und Schüler im Umgang mit den neuen Medien zu schulen. Auf KMK-Ebene wurde bereits durch einen Beschluss am 8.12. 2016 eine Strategie zur „Bildung in der digitalen Welt“ festgelegt. In Schleswig-Holstein gibt es seit 2018 bereits „Ergänzungen zu den Fachanforderungen Medienkompetenz – Lernen mit digitalen Medien“ für allgemeinbildende Schulen.

Aber nicht nur der Umgang mit der Hardware und das Wissen um Fake News ist wichtig, sondern auch die eigene vertiefende Meinungsbildung. Das Fach Wirtschaft/Politik übernimmt in diesem Zusammenhang inhaltlich im Bereich der Urteilsbildung eine zentrale Rolle, da u.a. Multiperspektivität und das Heranziehen verschiedener Quellen hohe Relevanz in Bezug auf die Entwicklung eines Sach- und Werturteils haben. Aber auch alle anderen Fächer sind gefordert. Das ist eine Querschnittsaufgabe. Auch hierzu brauchen wir und gibt es in den Ländern Fortbildungsveranstaltungen, die den Umgang mit Fake News und Verschwörungserzählungen thematisieren sowie Strategien im Umgang mit ihnen aufzeigen.

News4teachers:
Wie würden Sie junge Menschen dazu ermutigen, die Gesellschaft aktiv mitzugestalten oder sich gar politisch zu engagieren?

Karin Prien: Es lohnt sich im Kleinen und Großen jeden Tag, die Welt ein kleines Stückchen besser zu machen. Und Demokratie ist kein Selbstgänger, sondern lebt in jeder Generation von engagierten Demokratinnen und Demokraten. Nehmen Sie die vielen Angebote zur politischen Partizipation an – gestalten Sie mit, sammeln Sie Erfahrungen, entscheiden Sie mit. So können Sie die Gesellschaft auch in Ihrem Sinne verändern und mithelfen, unser Leben in Freiheit zu bewahren. Nina Odenius und Andrej Priboschek, Agentur für Bildungsjournalismus, führten das Interview

Zentralrats-Präsident Schuster über Antisemitismus unter Schülern und Lehrkräften: „Das gesamte System Schule muss auf den Prüfstand“

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13 Kommentare
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Riesenzwerg
1 Jahr zuvor

Text nicht gelesen, aber…..

„Dann, liebe Frau Prien, treten Sie doch bitte mit allen KuMis zurück!“ Dann wird die Schulwelt deutlich besser!

Ron
1 Jahr zuvor

Bei mir verfestigt sich immer öfter der Eindruck, dass wir vorwiegend Kampagnen-Demokratie fördern. Es geht nicht mehr um das Erlernen von wirklicher Offenheit, Diskussionskultur und Pluralität, sondern um politische Schlagworte, Symbolakte und Haltung. Ergebnis und Wirkungsziel sind dabei längst vorgedacht. Es fehlen nur noch ein paar passende Schüleraktivitäten und ein wohlwollender Presseartikel. Und genau aus dieser Gemengelage heraus kommen dann auch solche Interviews zustande. Alle bekannten Missstände werden mit den aktuell richtigen Schlagworten benannt und müssen – klar doch – im Unterricht ganz ganz unbedingt behandelt werden. Um die tieferen Fragen und Probleme schlawinert man sich dann elegant herum. Antisemitismus z.B. muss natürlich bekämpft werden (finde ich ausdrücklich auch), bevor man aber zu sehr ins Detail geht und schaut, wo die Problemfelder des Wiederaufflammens eigentlich sind, kommen wir doch schnell mit der nächsten Frage zum Rechtsradikalismus. Das erspart dann weiteres Nachdenken und einen genaueren Blick auf das Vorangegangene. Was soll Schule, was sollen Lehrer jetzt damit anfangen? Gibt es eine Stunde mehr dafür? Die Beschäftigung im Kontext des Unterrichts der Fächer reiche, so der Artikel, ja nicht. Sollen wir uns jetzt auch alle in der Schule für ein Foto schnell mal in der Pause eine Armbinde überziehen und den Mund zuhalten? Wie solch unüberlegte Aktionen im Endeffekt mehr schaden als nützen, die (gute) Sache sogar diskreditieren können, zeigt doch die aktuelle Diskussion über die deutsche Nationalmannschaft in Qatar. Nicht nur, dass kaum eine ausländische Zeitung auf Spott und entsprechende Karikaturen für die Frühheimkehrer verzichtet (selbstverständlich ungezeigt im moralinsauren ÖRR), sondern sich im Nachhinein auch rausstellt, dass der überwältigende Teil der oft noch jugendlichen Nationalspieler gegen ihren Willen zu dieser Aktion förmlich von Politik und DFB genötigt wurde. Was für ein mediales Desaster! Sowas darf Schule nicht imitieren und sich dazu drängen lassen. Schule braucht keine Symbolakte, damit andere sich darin sonnen können, sondern intensive Auseinandersetzung mit problematischen Themen. Dafür braucht es Zeit, Stunden und Lehrer. Liebe Politikerin, hast du uns welche mitgebracht?

Last edited 1 Jahr zuvor by Ron
Nika
1 Jahr zuvor
Antwortet  Ron

Hervorragend ! Ob die Dame das auch liest und wenn ja, versteht ?

Carsten60
1 Jahr zuvor

Der Artikel klingt nicht nach Grundschule, eher nach Sekundarstufe. Aber tatsächlich steht „Demokratie und Gesellschaft“ schon in Bildungsplänen im Sachunterricht für das 1. Schuljahr, z.B. in Baden-Württemberg (nicht aber in Berlin, dort gibt es Familie, Zusammenleben und Kinderrechte als Themen). Ich finde das übertrieben, erstmal und vorrangig sollen die Kinder Lesen, Schreiben, Rechnen lernen, denn ohne das geht Demokratie sowieso nicht. Eine Demokratie von Analphabeten wäre wohl sehr seltsam. Geschichts- und Politikunterricht kann dann nach der GS kommen.

Mo3
1 Jahr zuvor

Demokratiebildung in der Schule – die schöne Theorie trifft dann auf die Wirklichkeit: einen Politikbetrieb, wo es nicht darum geht, die Welt jeden Tag besser zu machen sondern um Machterhalt und politisches Klein-Klein und faule Kompromisse.

Konfutse
1 Jahr zuvor

„Es lohnt sich jeden Tag, die Welt ein kleines Stückchen besser zu machen“Jep, Frau Prien, aber dann beginnen Sie doch erst mal kleineren Brötchen: „Es lohnt sich jeden Tag, die Schule ein kleines Stückchen besser zu machen“Das wäre erst mal eine gute Basis für alles andere, was noch dazu kommt.
Wir warten schon lange darauf…

Hilfe
1 Jahr zuvor
Antwortet  Konfutse

Der Rücktritt von Fr. Prien würde die Welt ein kleines Stückchen besser machen.

Klaus Lehmkuhl
1 Jahr zuvor
Antwortet  Hilfe

Eher ein großes …

Bärbel Göbel
1 Jahr zuvor

Ich möchte hiermit meiner Trauer, Verwunderung, meinem Unverständnis und meinem Ärger Worte geben und freue mich über diese Möglichkeit.

Ich gehöre einem kleinen gemeinnützigen Verein an, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, der Demokratie den ihr zustehenden Platz wieder zurück zu holen. Dies wollen wir u.a. durch Wahlkreisparlamnte für alle Menschen, die in dem jeweiligen Wahlkreis leben, und Diskussionsrunden in den Schulen verwirklichen.

Zu diesem Zweck habe ich nach den Sommerferien alle SVen und Vertrauenslehrer*innen von Haupt- bis Berufsbildende Schulen und im Oktober alle Schulleitungen der gleichen Schulen angeschrieben. Bis jetzt hat nicht eine einzige Schule geantwortet.

Auch wenn unsere Vorschläge auf keine Gegenliebe gestossen sind, hätten wir uns über eine Anwort gefreut. Aber es kam nichts. Das verstehe ich nicht.

Auch wenn ich bereit bin einiges nach zu sehen, weil die Schulleitungen ja meistens in den Unterricht mit eingebunden sind. Die Anwort hätte im Sekretariat erledigt werden können und wo sind SV und Vertrauenslehrer?

Ich polemisiere- ich sehe schwarz für die Demokratie –

mit freundlichen Grüßen

Bärbel Göbel, 2. Vorsitzende, selbstbestimmte Demokratie eV

Carsten60
1 Jahr zuvor
Antwortet  Bärbel Göbel

Das Problem dürfte sein: Wir haben eine parlamentarische Demokratie, und da sind etliche Gesetzesvorhaben und die Sachverhalte dahinter so kompliziert, dass selbst die Abgeordneten und ihre Mitarbeiter überfordert sind. Ihr Vorschlag auf der Homepage „alle politisch interessierten Bürger*innen informieren sich …“ stößt daher an enge Grenzen. Wer soll so viel Zeit und Energie haben? Und was ist mit Lobbyisten? Die könnten „interessierte Bürger“ durchaus für ihre Zwecke einspannen, so wie sie das ja auch mit Parlamentariern tun.
Leider haben sich schon viele Bürgerinitiativen von „interessierten Bürgern“ auf kommunaler Ebene gegen gewisse Projekte gewandt, die andere für sinnvoll erklärt hatten, etwa Windparks oder Flüchtlingsheime oder eine neue Kita im ruhigen Wohnviertel. Da gibt es auch gewisse Egoismen zu beachten.
In den Schulen könnte man natürlich eine Art „direkt-demokratische Spielwiese“ einrichten, aber in welchem Schulfach soll das geschehen, wie viel Zeit kostet das, und was soll ggfs. dafür gestrichen werden?
In der Schweiz gibt es ja eine gewisse direkte Demokratie, ist das Ihr Vorbild? Ich höre immer, bei uns solle es die nicht geben, weil das Populisten begünstigen würde.

Konfutse
1 Jahr zuvor
Antwortet  Bärbel Göbel

Guten Tag Frau Göbel,

Ihre Trauer, Wut und Ihr Unverständnis kann ich nachvollziehen. Demokratiebildung ist wirklich die Basis für unser aller Zusammenleben.
Jedoch möchte ich Ihnen mal meine Sicht der Dinge schildern:
Jeden Tag ist mein Post-und Emailfach voll, was neben der unterrichtlichen Tätigkeit am liebsten von den Adressaten sofort, gestern oder vorgestern beantwortet sein soll. Nun bin ich ja nur das kleinste Rädchen im System, gehöre nicht zur Schulleitung….wenn ich überlege, wie überbordend sich die Erwartungen und Belange schon für mich darstellen, möchte ich ehrlich gesagt nicht wissen, wie die Postfächer meiner Chefs aussehen.
Wir bekommen tagtäglich von außen hereingereicht, was wir bitte schön an den Schulen noch alles bilden, erziehen und worum wir uns kümmern sollen. Alles mögliche soll in die Schule verlagert werden, weil es außerhalb der Schule wohl nicht mehr erledigt wird. Manchmal kann es sein, dass dann aussortiert wird: Was ist im Schulalltag machbar, was nicht.
Der Zeitfaktor Ihres Anliegens spielt dabei auch eine immense Rolle: Wenn nun ein Geschichts-oder Gemeinschaftskundelehrer z.B. eine Klasse nur 1 bis 2 Einzelstunde/n pro Woche unterrichtet, dann stellt sich die Frage, ob sich eine Diskussionsrunde wirklich lohnt; heißt, dass ein solches Unternehmen eher 2-3 Schulstunden am Stück beansprucht. Vielleicht auch an einem anderen Wochentag als die Stunde überhaupt stattfindet, weil ja der Referent oder die Teilnehmer auch nicht immer Zeit haben. Dafür müssen Stundenpläne umgeschrieben werden, möglicherweise fällt ein anderes Unterrichtsfach deshalb aus. Das hat nicht nur für die eine Klasse einen Rattenschwanz, sondern für andere Klassen auch.

Ich denke aber, dass es vielleicht für Ihr Anliegen ein Appell, Brief oder eine Email an die jeweiligen Landesregierungen, Kultusministerien oder sogar an Frau Prien höchstselbst hilfreich wäre, mit der Aufforderung, dass wieder mehr Schulstunden (in Geschichte, Gemeinschaftskunde) eingerichtet werden müssen, damit die Demokratiebildung in Deutschland wieder den Stellenwert bekommt, den sie verdient.
Natürlich müssen dafür andere Fächer (IT? Wirtschaftskunde? Sport? Musik? Berufsorientierung? Profil AC? Bildende Kunst? Deutsch? Mathe? Fremdsprachen?) gekürzt werden. Mal schauen, welche Lobby dann zuerst schreit….

Wir machen an den Schulen derzeit alles Mögliche, vor allem aber Dinge, die unseren Schülern scheinbar nicht wirklich helfen (siehe z.B. diverse Vergleichsstudien und siehe auch der Umgang in der Gesellschaft untereinander). Ich denke, dass ein Großteil der Lehrerschaft sich sehr gerne auf ihr Kerngeschäft konzentrieren würde, und ja, dazu gehört natürlich auch Demokratiebildung (was von der Entscheiderseite schlichtweg zugunsten anderer Lobbybelange gekürzt wurde).

Natürlich können Sie jetzt sagen, dass für die Demokratiebildung immer Zeit sein muss und da stimme ich Ihnen voll und ganz zu. Aber leider gibt es Vorhaben und Projekte, die einfach zu viel sind im täglichen Geschäft.

Deshalb bin ich auch voller Wut, Trauer und Unverständnis.

Carsten60
1 Jahr zuvor

Auch im Artikel wird erwähnt, dass es einen KMK-Beschluss vom 6.3.2009 zur Demokratieerziehung gibt. Aber wie ist der denn in 13 Jahren umgesetzt worden? Ich habe das Gefühl, man begnügt sich mit solchen Beschlüssen, die nach außen eine „guten Willen“ zeigen, aber niemand fragt nach den Effekten solcher Beschlüsse. Das Resultat: alle reden immer mehr um alles drumherum. Da werden Defizite beklagt und wortreich Postulate verkündet, und es wird eine „politisch korrekte“ Terminologie abgesteckt, die zu benutzen ist. Sofort ist von „Bildung in der digitalen Welt“ die Rede, so als sei das ein Beitrag zur Demokratie. Zu befürchten ist eher eine Datenkrake und eine Entmündigung der Bürger durch elektronische Formulare. Es wird die „Festigung der Handlungskompetenz von Lehrenden“ postuliert, aber wobei dürfen die Lehrenden denn noch handeln, so wie sie selber denken? Und wie zum Hohn sagt Frau Prien am Schluss: „So können Sie die Gesellschaft auch in Ihrem Sinne verändern …“. Also jeder in seinem Sinne? Auch gegen das Gender-Sternchen, auch gegen das, was die Großkopfeten bereits beschlossen haben? Ohne jede Festlegung in bestimmter, vorgegebener Richtung?

klm
1 Jahr zuvor

„Es lohnt sich jeden Tag, die Welt ein kleines Stückchen besser zu machen.“
Wohl wahr, doch was ist, wenn die Welt trotz der immer gleichen Behauptung, sie werde ständig besser gemacht, in Wahrheit dauernd schlechter gemacht und in den Ruin getrieben wird, zumindest in den Schulen?

Ist es dann sinnvoll, noch immer solche Sprüche zu klopfen und zu erwarten, dass sie LuL weiterhin erfreuen, weil sie ihnen nach wie vor Glauben schenken?
Mir schwant fnur noch Unheil, wenn Bildungspolitiker mal wieder „die Welt ein kleines Stückchen besser machen wollen.“

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