Home Politik Sprachförderung vor der Einschulung – wirklich „eine Erfolgsgeschichte“, wie Hessens Kultusminister behauptet?

Sprachförderung vor der Einschulung – wirklich „eine Erfolgsgeschichte“, wie Hessens Kultusminister behauptet?

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WIESBADEN. Damit alle Kinder mit Schwierigkeiten in Deutsch die Chance auf einen erfolgreichen Schulstart haben, gibt es in Hessen seit nunmehr 20 Jahren die sogenannten Vorlaufkurse – laut Kultusminister Alexander Lorz (CDU) „eine Erfolgsgeschichte“. Seither würden Kinder mit Sprachdefiziten in Deutsch im Jahr vor der Einschulung intensiv auf den Unterricht in der Grundschule vorbereitet. Tatsächlich kann Lorz auf einige gute Daten verweisen. Den jüngsten Absturz in der IQB-Studie verschweigt er dabei allerdings.

Fünfjährige erhalten bei Bedarf in Hessen eine Sprachförderung. Foto: Shutterstock

Hessens Kultusminister Alexander Lorz hat einen sogenannten „Vorlaufkurs“ an Hessens größter Grundschule, der Pestalozzischule in Raunheim bei Frankfurt am Main (sieben- bzw. achtzügig mit 700 Schülerinnen und Schülern), besucht. Dabei erklärte er: „Jedes Kind soll von Anfang an in der Schule mitreden können. In unseren Vorlaufkursen, die zunächst als freiwillige Maßnahme eingeführt wurden und per Beschluss im Jahr 2020 für Kinder mit Sprachdefiziten verpflichtend sind, wird hierfür der Grundstein gelegt. Während andere Länder noch über die Einführung von Sprachkursen vor der Einschulung diskutieren, zeigen unsere in allen Bildungsetappen abgestimmten Sprachförderprogramme seit Jahren Wirkung.“

KMK-Präsidentin Karin Prien (CDU), Bildungsministerin von Schleswig-Holstein hatte eine solche Sprachförderung in der Kita als Konsequenz aus dem schlechten Abschneiden fast aller Bundesländer bei der jüngsten IQB-Studie gefordert (News4teachers berichtete).

Mit dem Projekt erfülle Hessen bereits diese Forderung, die auch von Bildungsfachleuten und Lehrerverbänden erhoben werde, so teilt nun das Hessische Kultusministerium mit – und verweist dabei auf die stark gestiegene Zahl von Kindern und Jugendlichen mit einer Migrationsgeschichte. So haben den Angaben zufolge derzeit im hessenweiten Durchschnitt 43 Prozent der Grundschulkinder, einer der höchsten Werte in Deutschland, einen Migrationshintergrund. Im städtischen Umfeld liege der Wert noch einmal darüber – in der Pestalozzischule bei aktuell über 85 Prozent.

„„Die Bildungssprache Deutsch und deren Beherrschung ist unabdingbar für einen guten und erfolgreichen Schulstart“

Als Erfolge meldet das Kultusministerium: Hatte Hessen Ende des vergangenen Jahrtausends insbesondere bei den zugewanderten ausländischen Schülerinnen und Schülern eine der höchsten Quoten ohne Hauptschulabschluss aller Länder mit bis zu 30 Prozent, gelang es, diese laut jüngster Veröffentlichung des Bildungsmonitors systematisch auf 9,6 Prozent zu senken (Bundesdurchschnitt 14,6 Prozent). Zudem sei Hessen seit Jahren spitze bei der Schulabbrecherquote und weist hier einen Wert der Abgänger ohne Hauptschulabschluss von 5,4 Prozent auf (Bundesdurchschnitt 6,2 Prozent).

„Weniger Kinder und Jugendliche, die ein Schuljahr wiederholen oder die Schullaufbahn abbrechen, mehr qualifizierte Schulabschlüsse und im Endeffekt mehr Chancengerechtigkeit – dafür steht unser hessisches Gesamtsprachförderkonzept“, sagt Lorz. Hessen stelle für das schulische Gesamtsprachförderkonzept, dessen erster Baustein die Vorlaufkurse sind, im laufenden Schuljahr insgesamt rund 3.100 Lehrerstellen zur Verfügung.

Der Leiter der Pestalozzischule, Christian Scherer, ergänzt: „Die Bildungssprache Deutsch und deren Beherrschung ist unabdingbar für einen guten und erfolgreichen Schulstart. Die Vorlaufkurse bilden den ersten entscheidenden Baustein des Gesamtsprachförderkonzeptes an der Pestalozzischule in Raunheim.“

Das mag sein. Was Lorz allerdings verschweigt: Der praktisch bundesweit gemessene Absturz von Leistungen der Viertklässler in Deutschland, festgehalten in der jüngsten IQB-Studie (News4teachers berichtete), betrifft auch Hessen. Das Bundesland liegt bei den – schlechten – Ergebnissen im Bundesdurchschnitt. So scheitern 18,8 Prozent der Zehnjährigen in Deutschland am Mindeststandard im Lesen – in Hessen sind es 17,1 Prozent. In der Rechtschreibung verfehlen in Deutschland 30,4 Prozent der Viertklässler den Mindeststandard – in Hessen sind es 29,1 Prozent. In Mathematik schaffen 22 Prozent bundesweit die niedrigste Hürde in Mathematik nicht – in Hessen sind es 21,7 Prozent. Wirklich eine Erfolgsgeschichte?

„Mehr als 95 Prozent erreichten das Ziel des Vorlaufkurses und konnten mit entsprechenden Deutschkenntnissen in die erste Klasse eingeschult werden“

Seit Beginn im Schuljahr 2002/03 haben in Hessen rund 200.000 Kinder die Vorlaufkurse durchlaufen. „Davon erreichten mehr als 95 Prozent das Ziel des Vorlaufkurses und konnten mit entsprechenden Deutschkenntnissen in die erste Klasse eingeschult werden“, unterstrich Lorz. Kinder, die aus rein sprachlichen Gründen zunächst zurückgestellt würden, erhielten weiterhin eine sprachliche Förderung und könnten im Verlauf des Schuljahrs nachträglich in die erste Klasse wechseln. Aktuell besuchten mehr als 16.000 Kinder einen Vorlaufkurs – so  viele wie nie zuvor. Etwa 1.000 von ihnen besuchen keine Kita und erhielten damit eine zusätzliche Bildungschance vor der Einschulung. „Die Pestalozzischule zeigt, wie Schule von Beginn an zu einem Erfolg werden kann“, meint der Minister. Das mag sein – das Land Hessen zeigt es alles in allem aber nicht. News4teachers

Nach dem IQB-Schock: Land will Grundschulen personell aufstocken (aber nur ein paar Dutzend von 2.300)

 

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Riesenzwerg
1 Jahr zuvor

Oder – man spricht zu Hause mal mit den Kindern.

Wer kein Thema findet, darf auch vorlesen.

Ron
1 Jahr zuvor

Sprachförderung vor der Einschulung – wirklich „eine Erfolgsgeschichte“

Ich Frage mich: Wer hat diesen Artikel in Auftrag gegeben? Und mit welcher Intention? Hier wird der Erfolg der hessischen frühkindliche Sprachförderung mit der Begründung in Zweifel gezogen, dass auch Hessen sich in der letzten Bildungsstudie verschlechtert hat und unverändert einen der mittleren Plätze belegt. Hessen hat mit fast 50 Prozent eine der höchsten Migrationsquoten in den Grundschulklassen. Wie würde Unterricht dort aussehen, wenn es diese Sprachförderung nicht gäbe und ein noch größerer Teil der Schulanfänger gar keine oder nur sehr schlechte Deutschkenntnisse hätten? Statt nun Hessen – ich vermute politisch motiviert – vorzuführen, fände ich es interessanter, einfach mal das Bildungskonzept eines erfolgreichen Bundeslandes mit dem eines Schlusslichtes zu vergleichen. Übrigens sieht Hamburg – ein Land, das sich im Vergleich zu anderen Bundesländern verbessert hat – die frühkindliche Sprachförderung ebenfalls als wichtigen Baustein seiner vorschulischen Förderung.

ed840
1 Jahr zuvor
Antwortet  Ron

Grundsätzlich sehe ich solche Maßnahmen durchaus positiv. Aber eine Frage an die Pädagogen hier hätte ich: Wie wahrscheinlich ist es eigentlich, dass solche Kurse nicht zu Beginn der Schulkarriere, sondern über die ganze Schullaufbahn hinweg signifikante Effekte entfalten. Also nicht nur Startschwierigkeiten in den ersten Klasse abmildern, sondern auch mitentscheiden, ob jemand neun/zehn Jahre später einen Schulabschluss schafft oder nicht?

Last edited 1 Jahr zuvor by ed840
Ron
1 Jahr zuvor
Antwortet  ed840

Da eine solche Förderung hierzulande unüblich ist, dürfte es dazu keine Erfahrungen geben. Zu fragen ist auch, wie sowas organisiert und finanziert werden sollte. Und außerdem: Wenn Sie Ihr Kind im Jugendalter für ein Jahr z.B. als Austauschschüler in die USA schicken, gibt es da auch keinen gesonderten Sprachunterricht. Trotzdem kommen die meisten nach dieser Zeit mit guten Englischkenntnissen wieder nach Hause.

So ist das
1 Jahr zuvor
Antwortet  Ron

Herr Lorz wird vorgeführt, weil er sich selbst massiv aufs Glatteis begeben und sich völlig unglaubwürdig gemacht hat. Den Typen nimmt niemand mehr ernst. Zurecht werden seine Aussagen hinterfragt.

Änne
1 Jahr zuvor

Armer Typ.Er verstrickt sich weiter in Lügen und Verherrlichungen. Danke für die Analyse seiner Aussagen!
Herr Lorz und Erfolgsgeschichte – das wird wohl nichts mehr, auch wenn er es doch soooo gerne will.

Jojo
1 Jahr zuvor
Antwortet  Änne

Kinder müssen abgehärtet werden!

dauerlüfterin
1 Jahr zuvor
Antwortet  Jojo

Und Lehrer auch!

Carsten60
1 Jahr zuvor

Es gibt mittlerweile jede Menge Sprachförderprogramme, auch das BISS-Programm der KMK existiert schon 10 Jahre. Aber eine nachgewiesene breitere Wirkung ist ausgeblieben. Aber die Kultusminister können damit weiter ihr Mantra herunterbeten, wie wichtig doch die Bildungssprache ist, und den Eindruck erwecken, als würden sie großartige Maßnahmen dafür in petto haben. Auf Dauer genügt das aber nicht.

Lera
1 Jahr zuvor

Ich halte es ebenfalls für vollkommen abwegig, dass eine basale Kenntnis der Unterrichtssprache bei der Einschulung irgendwelche positiven Auswirkungen auf den Lernerfolg haben soll.

ed840
1 Jahr zuvor

Wie gut oder schlecht manche Maßnahmen wirken, kann man eigentlich nur genau ermitteln, wenn es eine vergleichbare Kontrollgruppe gäbe. Das scheint aber hier eher nicht der Fall zu sein. Im Nachbarland Baden Württemberg waren m.W. die Leistungseinbußen bei IQB unter der Gruppe der Kinder mit Migrationshintergrund noch höher als in Hessen. Aber ob das nun Kausalität oder nur Korrelation ist, wird man auch nicht so einfach beurteilen können.

dauerlüfterin
1 Jahr zuvor

In Hessen sind alle Äußerungen von Regierungsmitgliedern vor dem Hintergrund zu betrachten, dass im nächsten Jahr eine Landtagswahl ansteht. Das nochmal zum Hintergrund.

(Was ist das eigentlich für eine Grundschule? 700 SuS, sieben- bis achtzügig. Fast so groß wie ein Gymnasium und in der Jahrgangsbreite größer. Ich kenne weder die Schule noch die Gegebenheiten, allerdings drängt sich schon die Frage auf, inwieweit die Schulentwicklungplanung da versagt haben könnte.)

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