Besonders begabte Schüler: Wo angehende Maler oder Dichter gefördert werden

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GAGGENAU. Beim Fördern geht es oft um die, die Nachholbedarf haben oder aus weniger privilegierten Verhältnissen kommen. Die Stiftung Kinderland Baden-Württemberg hat es sich zum Ziel gesetzt, besonders Begabte zu unterstützen – was auch Begabungen in Disziplinen meint, die in Schulen zumeist nicht im Fokus stehen (wie bildende Kunst oder Literatur).

Kreativität ist im Regelunterricht meist nicht so sehr gefragt. (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

Mit einem dicken Pinsel grundiert Noel das Holz mit weißer Farbe. Hier sollen die Porträts von Irans Religionsführer Ajatollah Ali Chamenei und dem einstigen Revolutionsführer Ajatollah Chomeini entstehen – in einem Bilderrahmen mit zerbrochener Scheibe, aus einer vollgestopften Mülltonne ragend. Als Vorlage für sein Werk dient dem 15-jährigen Schüler aus Ulm ein Foto aus dem Internet. Ausgewählt habe er es wegen der jüngsten Protestwelle im Iran, sagt Noel. «Ich finde das Thema wichtig.» In Deutschland ist der Aufstand der Bevölkerung in der islamischen Republik nach seiner Meinung zu wenig Thema. «Über Kunst kann man viele Menschen erreichen.»

In der Kulturakademie der Stiftung Kinderland Baden-Württemberg hat der Teenager die Chance, frei nach Lust und Laune zu malen. Aus 137 Bewerbungen wurde er als einer von 20 Schülerinnen und Schülern ausgewählt, die eine Jury als besonders talentiert einschätzt und die je eine «Kreativwoche» am Ende der Sommerferien und in den Faschingsferien im Schloss Rotenfels in Gaggenau (Landkreis Rastatt) verbringen dürfen.

«Wir nutzen kulturelle Bildung als Türöffner für allgemeine Bildung»

Und das mit professioneller Unterstützung: Künstler Christian Vögtle hilft seiner Gruppe mit Rat und Tat. Die 14-jährige Marisa etwa erzählt: «Ich wusste am Anfang nicht, wie ich Lichter malen soll, so dass sie in der Dunkelheit herausstechen.» Nun hat sie mit Acrylfarbe die Laternen auf ihrem Gemälde gewissermaßen zum Leuchten gebracht. Wichtig sei, dass die Kinder ihren eigenen Weg finden, sagt Vögtle. In den zwei Wochen gibt es – anders als in der Schule – weder Aufgaben noch Noten. Statt 45 Minuten arbeiten die Jugendlichen teils bis in den Abend an den Staffeleien und geben sich auch gegenseitig Tipps.

«Wer Fußball spielt, hat immer eine Mannschaft. Gute Zeichner kennen oft keine anderen, die gut zeichnen können», sagt die Leiterin von Schloss Rotenfels, Katharina Beckmann. Hier sollen sie Gleichgesinnte und Profis kennenlernen sowie Einblicke in die Arbeit von Künstlern erhalten. «So werden hoffentlich Potenziale in Gang gesetzt.»

«Bildungspolitische Debatten haben oft schwächere Schülerleistungen im Blick», sagt der Geschäftsführer der Baden-Württemberg-Stiftung und der Stiftung Kinderland, Christoph Dahl. «Dabei gibt es so viele begabte Schülerinnen und Schüler in den Schulen in Baden-Württemberg.» Diese zu entdecken und ihre Talente gezielt zu fördern, sei das Anliegen der Kulturakademie. Seit 2010 fördert die Stiftung so besonders interessierte und talentierte Schülerinnen und Schüler der Klassen 6 bis 11 in den Bereichen bildende Kunst, Musik, Literatur und MINT.

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Lehrerinnen und Lehrer aus Baden-Württemberg können potenzielle Kandidaten nominieren. Bewerben müssen diese sich dann selbst. Rund 16.000 Nominierungen gab es einem Sprecher zufolge in den 13 Jahren, etwa die Hälfte bewirbt sich. Daraus wurden über alle Sparten rund 1360 Teilnehmerinnen und Teilnehmer ausgewählt. Kooperationspartner der Kulturakademie sind unter anderem das Deutsche Literaturarchiv Marbach (Landkreis Ludwigsburg), die Landesakademie für musizierende Jugend Ochsenhausen (Landkreis Biberach) sowie die Uni Stuttgart in Kooperation mit dem Verein Deutscher Ingenieure Stuttgart.

Der Kunst-Part in Schloss Rotenfels ist dabei nur eine Möglichkeit, besonders kreative Kinder und Jugendliche zu fördern. 42 Kunstschulen listet der Landesverband der Kunstschulen Baden-Württemberg auf – von Konstanz bis Mannheim. Die Nachfrage sei groß, sagt Geschäftsführerin Sabine Brandes. «Wir wollen wachsen.» Acht Initiativen planten derzeit, Kunstschule zu werden. «Wir versuchen, die weißen Flecken zu schließen», sagte Brandes und nannte etwa den Nordosten des Landes an der Grenze zu Bayern und den Schwarzwald als Beispiele.

«Im Kunstunterricht in der Schule bin nicht unbedingt der Beste. Da kommt nicht so viel Kreativität auf»

Die Förderlandschaft in dem Bereich sei sehr großzügig, sagt Claudia Seidensticker-Fountis von der Stiftung Kultur für Kinder. Es gebe viele Bundesmittel. Und Spender seien gerne bereit, für kulturelle Bildung Geld zu geben. «Wir nutzen kulturelle Bildung als Türöffner für allgemeine Bildung.» Die Stiftung unterstützt vornehmlich Kinder aus sozial schwachen und/oder sogenannten bildungsfernen Familien.

Im Schloss Rotenfels arbeitet derweil eine Gruppe an großen Plastiken aus alten Plakaten, die einst Werbung für Musicals und TV-Sendungen machten. In einem anderen Atelier malen die Kinder weiter mit Pinseln und Farbpaletten an Werken für eine große Abschlussausstellung.

Noel hat neben seinen politischen Bildern – ein weiteres zeigt Russlands Präsidenten Wladimir Putin mit roten Strichen, die blutverschmierte Finger hinterlassen haben könnten – eine Holzplatte mit wilden schwarzen Pinselstrichen fertiggestellt. «Christian hat mir den Schubs gegeben, mal abstrakter zu malen», erklärt der 15-Jährige. In der Schule sei er nicht unbedingt der Beste in Kunst, es gebe weniger Freiräume. «Da kommt nicht so viel Kreativität auf.» Von Marco Krefting, dpa

Lehrer übersehen Hochbegabung häufiger bei Mädchen und Kindern aus bildungsfernen Familien

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Ron
1 Jahr zuvor

Ich halte Musik und Kunst für wichtige Fächer. Außerhalb der Schule damit Geld zu verdienen, ist jedoch eher schwierig. Förderinitiativen in dieser Richtung können mitverantwortlich dafür sein, dass Jugendliche ihre Berufsorientierung falsch ausrichten. Wir brauchen in Deutschland händeringend Ingenieure, Informatiker, Ärzte, Facharbeiter, Handwerker usw. Vielleicht sollten wir das mal fördern. Von Theaterpädagogen haben wir schon genug und beim Musical kommen auch die wenigsten unter.

Walter
1 Jahr zuvor
Antwortet  Ron

DSDS scheint da ja die ideale Förderinitiative bei mangelnden schulischen Leistungen.

Dil Uhlenspiegel
1 Jahr zuvor
Antwortet  Ron

Lehrer wird neuerdings auch als wichtiger Job feilgehalten.

Juschu114
1 Jahr zuvor
Antwortet  Ron

Es geht nicht darum, sich auf einen künstlerischen Beruf vorzubereiten, sondern sich mit künstlerischen Methoden einem Thema zu nähern und dabei Kompetenzen zu erlangen, die in allen oben genannten Berufen notwendig sind: Was ist mit dem Thema gemeint, wie sehe ich das, wie sehen andere das, Aushandlungspprozesse zu starten, zuhören, vergleichen, Schlussfolgerung, eventuell mit Frust umgehen, wenn etwas nicht funktioniert oder abgelehnt wird, die Erkenntnisse vorstellen, andere verbal überzeugen, evtl. in einer anderen Sprache. Dabei werden Selbstwirksamkeit erlangt und demokratische Prozesse eingeübt. Das sind alles Kompetenzen, die in der Schule geschaffen werden müssen, da wir nicht wissen, wie wir oder nachfolgende Generationen in unserer Zukunft arbeiten und leben werden und welche Probleme zu lösen sind.

Ron
1 Jahr zuvor
Antwortet  Juschu114

Alles schön und gut. Eine Förderinitiative wird sich aber genau die Talente heraussuchen, die gut malen/zeichnen können oder instrumental begabt sind. Und genau da geht es dann auch weiter.

Dil Uhlenspiegel
1 Jahr zuvor

Man muss bei der Kreativität wohl doch immer wieder darauf hinweisen, dass sie alltagsgebräuchlich – und ich fürchte auch von wissenschaftlicher Seite allzu oftens* – sehr unsauber interpretiert bzw. verstanden wird: Nämlich als etwas, das sich ganz frei und ungehemmt entfaltet, ohne Regelwerk, ohne Begrenzung. Das nenne ich beliebige oder absolute** Kreativität. Ihre Güte und Qualität liegt weitgehend „im Auge des Betrachters“ und geht sie schief, naja, dann ist es halt sotala*.

Dagegen steht die pragmatische** Kreativität: Sie bewegt sich innerhalb gewisser vorgeschriebener, gesetzter Grenzen mit relativ klaren Zielfunktionsvorgaben. Z.B. die Erstellung einer Erörterung, das Lösen eines math. Problems, die innere Visualisierung molekularbiologischer Vorgänge oder die technische Lösung für einen Brückenbau unter Materialmangel. Geht hier etwas schief, kann es u.U. tödlich, zumindest aber ziemlich dööflich* ausgehen.

Diesem Verständnis folgend empfehle ich eine Sichtweise, die die Kreativität als ein äußerst normales, omnipräsentes Wirkungsgefüge versteht, das mehr oder weniger starren Rahmen und Regelwerksen* unterliegen kann und i.d.R. im Jedentagsverständnis* nur dann als Kreativität erkannt wird, wenn das Begrenzende maximalminimal* wird.

Tschü mit ü.*

[* Beispiele für beliebige/absolute Kreativität]
[** volle coole Definitionen nach D. Uhlenspiegel]

Last edited 1 Jahr zuvor by Dil Uhlenspiegel
Pit2020
1 Jahr zuvor
Antwortet  Dil Uhlenspiegel

@Dil Uhlenspiegel

Mal wida: Krass haißa Schaiss, du Tschecker!
Glöggwuntsch.
Unt 1 schÖnes Wochänente!

Achso: Am Mondtag muste dasnoch Faulau zaign, dan krikste nochein Hausifrai. 😉

Dil Uhlenspiegel
1 Jahr zuvor
Antwortet  Pit2020

🙂

Pit2020
1 Jahr zuvor
Antwortet  Dil Uhlenspiegel

@Dil Uhlenspiegel

Nü guggemol: Sonntag 20.18 Uhr.
Wia habn jäda ne rote 1 …
Das isdoch „sehr gut“? 😉

Juschu114
1 Jahr zuvor

Kulturelle Bildung macht es möglich, dass Kinder und Jugendliche ihre eigenen Themen bearbeiten lernen, unabhängig von ihren Noten und ihren Voraussetzungen. Als Prinzip ist es auf alle Fächer übertragbar und ermöglicht, die Kinder und Jugendlichen mit den Kompetenzen auszustatten, die sie für unsere ungewisse Zukunft benötigen, also Prozesse miteinander beobachten, hinterfragen, Ergebnisse diskutieren, mögliche Lösungen aushandeln und bewerten (nicht vollständig). Angeleitet werden sie dabei von Künstlern, Kulturpädagogen, die gemeinsam mit den Lehrkräften arbeiten = multiprofessionelle Teams. Dafür gibt es Initiativen, Konzepte und Beispiel-Schulen, die kulturelle Bildung als Schulprogramm haben, in allen Bundesländern, z. B. hier: https://www.lehrer-online.de/fokusthemen/dossier/do/kulturelle-bildung-im-unterricht/, aber auch bei TanzZeit „Calypso“, im Kulturagenten Programm, sogar bei der KMK erschien ein sehr gutes Theoriepapier „Empfehlungen zur kulturellen Bildung von Kindern und Jugendlichen“ von 2022 mit Bezug auf die 21st Century skills.

Indra Rupp
1 Jahr zuvor

Um Künstler zu werden braucht es neben der Veranlagung zunächst einmal einen ungeraden Weg. Der Weg muss steinig sein und man muss bereit sein, sich für die schwierigere Abzweigung zu entscheiden. Man muss sich immer wieder umsehen (beobachten) und zurückschauen (reflektieren) und in sich gehen. Eine gewisse Tiefe erreicht man dabei nur, wenn man es nicht immer leicht im Leben hatte, egal ob äußere oder innere Umstände dazu führten. Die Kunst, die man später anbietet, soll ja Menschen bewegen, ihnen ihre Sorgen, Nöte, Kummer und natürlich auch ihre positiven, leichten Gefühle widerspiegeln. Besser gesagt, die Kunst soll sie therapieren und ihnen das „Gift“ aus den Adern ziehen. Das brauchen wir, damit Menschen das Leben (@Ron : und somit auch ihr Berufsleben) meistern, Liebeskummer bewältigen, Kindheitserfahrungen, gesellschaftliche Erfahrungen. Dafür muss der Künstler aber selber durch „die Hölle“. Schmerz macht weise, Weisheit macht glücklich. Der Künstler verhilft dazu, zB mit Tönen, die genau im richtigen Moment die Stimmung auffangen. Oder auch die richtigen Worte, Farben, ect. Nicht zuletzt im Schauspiel geht der Künstler durch „die Hölle“. Er muss das Leid einer Person empathisch verstehen, um sie spielen zu können. Er darf kein schwarz-weiß-Denker sein um eine Person authentisch darzustellen, zB eine negative Person. Er kann es sich also nicht einfach machen und die Welt oberflächlich in schwarz und weiß aufteilen. Das zermürbt doch ganz schön und Schauspieler, die sich ein Leben lang in mitunter leidende Person hineinversetzen mussten und dies nachempfinden mussten, haben dann in höherem Alter zunehmend einen an der Waffel. So meinte es zumindest ein sehr erfolgreicher Regisseur an den städt. Bühnen unserer Stadt ggü den Darstellern und Mitwirkenden.

Wenn man sich also in jungem Alter für so einen Weg entscheidet, dann meist, weil man bereits ein Außenstehender in der Gesellschaft ist. Man beobachtet eher, als das man dazu gehört. Man interpretiert gerne, was auch besser am Rande stehend geht. Man lässt es über sich ergehen, schlecht behandelt zu werden um dann daraus gesellschaftswissenschaftliche Schlüsse zu ziehen. Man spielt zB gerne Theater, weil man sich für Menschen interessiert. Da sind viele Parallelen zur Pädagogik und somit ist es kein Wunder im Laienspiel sehr viele Pädagogen anzutreffen. Pädagogik, Kunst, Philosophie – alles hat Parallelen.

Aber hätte ich mich in der Pubertät nicht so stur vom Mainstream abgewandt, hätte ich nicht die Gleichaltrigen für unreif gehalten, hätte ich nicht aufgrund eines schlechten Verhältnisses zum Vater einen Komplex entwickelt und mich anschließend von viel zu alten Männern ausbeuten lassen, wäre meine Familie nicht so konservativ bürgerlich gewesen und hätte mir als Teenager immer gesagt, dass sie Künstler nicht für ehrenwerte Arbeiter halten mit dem Ergebnis, dass ich erst recht einer werden wollte…..

…. Tja, dann wäre ich heute Erzieherin!

Boah, Glück gehabt!!! 🙂

Indra Rupp
1 Jahr zuvor
Antwortet  Indra Rupp

Bin ja lieber brotloser Künstler als fiebernde Kleinstkinder von Karriereeltern verwahren zu müssen – tut doch in der Seele weh. Und die Rente hinterher auch. Freundin von mir kriegt 1.100 Brutto Rente – für 40 Jahre hauptsächlich Vollzeit! Waldorf mal wieder! Die haben ihre Angestellten immer unterbezahlt und diese müssen sich in der Rente jetzt Jobs suchen.