STUTTGART. Um eine Abiturlektüre in Baden-Württemberg ist ein Rassismus-Streit ausgebrochen, in dessen Verlauf eine Deutschlehrerin ihren Dienst zeitweilig quittiert hat. Die Kernfrage: Kann ein Buch voller rassistischer Beleidigungen, das als bedeutendes Werk der deutschen Nachkriegsliteratur gilt, reflektiert im Unterricht eingesetzt werden? Daran gibt es begründete Zweifel.
„Tauben im Gras“ von Wolfgang Koeppen, 1951 erschienen, schildert Szenen aus einer deutschen Großstadt unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs. „Das Buch ist in einem gehetzten, zufällige Gedankenfetzen aneinanderreihenden Stil geschrieben. Die Darstellung erscheint nicht anders als ein Erbrechen, als ein stoßweises Vonsichgeben des Bodensatzes nie ganz zu verarbeitender Erlebnisse“, so beschrieb der „Spiegel“ in einer zeitgenössischen Kritik den Text, der – ähnlich wie „Berlin Alexanderplatz“ von Alfred Döblin – als schonungslose Milieustudie gilt.
Was damals kaum auffiel (und auch heute noch durchaus als realistische Beschreibung des damals verbreiteten Umgangstons gelten kann): In dem von verschiedenen Protagonisten vorgebrachten Wortschwall werden schwarze Menschen, die vor allem als amerikanische Besatzungssoldaten in Erscheinung treten, unentwegt als „Neger“ tituliert, Jazz gilt als „Negermusik“ – über 100 Mal taucht der Begriff im Buch auf. Keine einzige Fußnote weist darauf hin, dass das sogenannte „N-Wort“ von Betroffenen als beleidigend empfunden wird.
„Was man sich bewusst machen muss bei dem Thema ist, dass die Sprache tatsächlich den Rassismus transportiert – und zwar in meine Lebenswelt hinein“
Ist das eine geeignete Pflichtlektüre fürs Abitur? In Baden-Württemberg offenbar schon. Schülerinnen und Schüler der beruflichen Gymnasien müssen sich dort auf „Tauben im Gras“ vorbereiten, weil es für die Prüfungen 2024 als Thema vorgesehen ist. Eine Lehrerin aus Ulm, die sich seit Jahren (auch aus eigener Betroffenheit) gegen Rassismus engagiert, zeigt sich entsetzt. Für sie sei die Konfrontation mit dem Buch „einer der schlimmsten Tage“ ihres Lebens gewesen.
Sie weist im SWR darauf hin, dass das „N-Wort“ einen Ausdruck von Unterdrückung und Entmenschlichung ist. „Was man sich bewusst machen muss bei dem Thema ist, dass die Sprache tatsächlich den Rassismus transportiert – und zwar in meine Lebenswelt hinein“, so sagt sie. Das sei nicht abstrakt, sondern betreffe sie direkt, erklärt die Lehrerin. „Das ist ein brutaler Angriff auf meine Menschenwürde.”
Sie hat deshalb eine Petition an das Kultusministerium gerichtet, das Buch zurückzuziehen. „Die Sprache des Romans ist rassistisch und es wird dein rassistisches Bild Schwarzer Soldaten vermittelt, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland gedient haben“, schreibt die Lehrerin darin laut „Schwäbischer“.
Schüler mit Schwarzer Hautfarbe würden während der Besprechung des Buches „immer wieder rassistisches Diskriminierung ausgesetzt“. Für betroffene Schüler sei es egal, ob die diskriminierenden Worte auf dem Pausenhof oder im Rahmen der literarischen Erarbeitung fallen. Man könne, so betont die Lehrerin, nicht von Schülern an beruflichen Gymnasien erwarten, dass sie distanziert und sprachsensibel das Thema erörtern – ohne dass dabei betroffene Schüler Diskriminierung erfahren.
Das Kultusministerium weist das Ansinnen allerdings zurück. Der Roman sei für den Unterricht geeignet. Er zähle zur bedeutenden deutschen Nachkriegsliteratur. Mit ihm könne man den jungen Menschen vermitteln, was Rassismus sei. „Genau dies begründet eine wesentliche Anforderung an Literaturunterricht, nämlich Literatur in ihrem jeweiligen zeitgeschichtlichen Kontext zu sehen“, antwortet das Ministerium. Rassismus werde in dem Roman nicht vor-, sondern dargestellt. In entsprechenden Fortbildungen sei nachdrücklich darauf hingewiesen worden, dass die Auseinandersetzung mit der Lektüre vorab eine Rassismus- und Diskriminierungsdebatte im Unterricht braucht.
„Es gibt zu wenig Sensibilität dafür, was die Macht von Sprache ausmacht, und da werden Erfahrungsberichte zu wenig ernst genommen“
Vorab eine Rassismus-Debatte im Unterricht? Die Literaturwissenschaftlerin Prof. Magdalena Kißling von der Universität Paderborn hält für unrealistisch. Die Lehrkräfte seien oft nicht dafür ausgebildet, Rassismus in der Literatur zu erkennen: „Es gibt zu wenig Sensibilität dafür, was die Macht von Sprache ausmacht, und da werden Erfahrungsberichte zu wenig ernst genommen.“ Außerdem seien entsprechende Konzepte für den Unterricht noch nicht ausgereift genug, so zitiert sie der SWR.
Inzwischen haben sich laut „Schwäbische“ etliche Organisationen hinter die Forderung gestellt, die Lektüre aus dem Abitur zu nehmen, etwa die Black Community Foundation Stuttgart, die Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland sowie die Antidiskriminierungsstelle Esslingen. Sie fordern die Wahl einer sensibleren Lektüre, die sich mit Rassismus und Diskriminierung auseinandersetzt. Die Ulmer Lehrerin hat allerdings bereits eine Konsequenz aus dem Vorfall gezogen: Sie will den Schuldienst für das kommende Schuljahr quittieren, um die Lektüre nicht unterrichten zu müssen. Sie hat einen Antrag auf Beurlaubung ohne Besoldung gestellt.
Dafür wird sie nun im Netz angefeindet. Ein rechtsextremer Hetz-Blog benennt die Pädagogin namentlich und beleidigt sie übelst – Gelegenheit für das baden-württembergische Kultusministerium, sich schützend vor seine Lehrerin zu stellen und öffentlich zu machen, dass es rassistische Entgleisungen gegenüber seinen Lehrkräften nicht duldet. News4teachers
“Mit ihm könne man den jungen Menschen vermitteln, was Rassismus sei.”
In der Tat. Der Umgang mit dem Thema, das Ignorieren von Bedenken Betroffener, die Wertschätzung und das Relativieren des Werkes sowie die – im schlimmsten Fall – unreflektierte Verbreitung von Rassimus vermittelt doch einige Einsichten über strukturellen Rassismus einer Gesellschaft…
Rassismus, Homophobie, Antisemitismus, Hundefeindschaft, Kinderfeindschaft, Frauenfeindschaft…
..und …und…
So low, so beschränkt, so ärmlich.
21. Jahrhundert auf der Zeitleiste. Und immer noch geht es darum. Bemitleidenswert.
“So low, so beschränkt, so ärmlich….”
Im 21. Jahrhundert mangelt es noch immer an Mitgefühl und Selbstreflexion.
Warum sollten Schüler 2023, sich ein halbes Jahr(!) mit einer Lektüre auseinandersetzen müssen, die in einen ” gehetzten, zufällige Gedankenfetzen aneinanderreihenden Stil” verfasst wurde und darüberhinaus die afroamerikanischen Besatzungssoldaten über 100 Mal als N…. benennt? Weil es als “schonungslose Milieustudie” beschrieben wurde?
Auf dem Land, so jedenfalls die Erzählungen aus meinem Heimatdorf, waren auch die Besatzungssoldaten schwarzer Hautfarbe herzlich willkommen. Meine Tanten schwärmen heute noch von Schokoladen und Bananen, die sie zum ersten Mal in ihrem Leben essen durften. Meine Oma war über Unterstützung bei der Reparatur der Landwirtschaftlichen Geräte überglücklich!
Zur ihrer konsequenten Haltung möchte ich der Lehrerin beglückwünschen
.
“Im 21. Jahrhundert mangelt es noch immer an Mitgefühl und Selbstreflexion.”
Sie sagten es!
Und es geht immer bergunter. Warum? Keiner versteht es (angeblich!), aber es passiert immer wieder. Das ist verdamt noch mal traurig. WIr sollten bis jetzt besser dran sein Alt sind wir als menschliches Wesen genug!
“In dem von verschiedenen Protagonisten vorgebrachten Wortschwall werden schwarze Menschen, die vor allem als amerikanische Besatzungssoldaten in Erscheinung treten, unentwegt als ‘Neger’ tituliert, Jazz gilt als ‘Negermusik’ – über 100 Mal taucht der Begriff im Buch auf.”
Ich kenne den Roman nicht.
Aber prinzipiell gilt ja in einem fiktionalen Werk, dass die Äußerungen, Gedanken, Taten etc. von Charakteren, auch diejenigen des Erzählers, nicht automatisch affirmativ ggü. entsprechenden Äußerungen, Gedanken, Taten etc. in der Realität sind.
Einerseits sind die textinhärenten Kontexte auch hier essenziell relevant. Andererseits natürlich auch die Perspektive des Rezipienten, dessen Perspektive, die u.a. beeinflusst wird von dessen individualbiographischen Charakteristika, der konkreten Rezeptionssituation und seinem (gem. J. Fiske) Referenzwissen über horziontale Intertextualität (z.B. Wissen um Genrekonventionen) und vertikale Intertextualität (z.B. Texte über den rezipierten Text), seinem (salopp formuliert) Weltwissen, seinem Wissen über den Autoren, die konkrete Entstehungsgeschichte des gegenständlichen Werkes etc. Die vermeintl. objektive ‘Botschaft’ einer Schrift gem. älterer hermeneutischer Vorstellungen von Verstehen” per simpler, auch von diesen Faktoren losgelöster Inhaltsanalyse konstatieren wollen, wird nicht funktionieren. Es kann nur darum gehen, möglichst intersubjektivierbare Interpretationen zu generieren, die umso substantiierter sind, je ganzheitlicher sie sind. Das macht unterschiedliche Interpretationen nicht falsch oder richtig, nur mehr oder weniger nachvollziehbar. Es ist ein Zusammenwirken dieser Faktoren, die subjektiv(!) eine Darstellung/Schilderung bspw.affirmativ, bagatellisierend o.ä. (oder gegenteilig) wirken (besser: erscheinen) lassen kann
That said: Einzig von den rassistischen Äußerungen, Gedanken, Taten etc. von Charakteren, auch diejenigen des Erzählers, auch noch ohne basalste Würdigung des zumindest textlichen Kontexts zu schließen, ist maximal dekontextualisiert, unganzheitllich, d.h. allenfalls minimal intersubjektivierbar/nachvollziehbar.
And that said: Wenn dann angesichts salopp behauptet wird, “dass die Sprache tatsächlich den Rassismus transportiert – und zwar in meine Lebenswelt hinein”, dann vermischt sich die skizziert-oberflächliche Textrezeption auch noch mit Implikationen von Medienwirkung, die man auf den Faktor ‘Inhalt’ reduzieren will, was nicht nur das prinzipiell naive Medieninformationskonzept, sondern auch die negative Anthropologie des Stimulus-(Objekt-)Reaktion-Modells perpetuiert.
D.h. nicht, dass man Sprache nicht auch (begleitend) thematisieren kann (ggf. sollte), dass nicht u.U. dieses oben skizzierte Wissen auch vermittelt werden muss (wir sprechen ja von Schülern, die sich i.d.R. kaum bis gar nciht mit den entsprechenden Aspekten befasst haben werden). Nicht falsch verstehen. Aber ich muss doch eigtl. von einem Abiturienten am Ende auch erwarten können, dass er nicht alles literal rezipiert, alles was dargestellt/geschildert wird salopp als Affirmation (gar für analoge Phänomene in der Realität) versteht. Und ich muss doch auch eine gewisse Resilienz ggü. bestimmtem Vokabular in einem fiktionalen Werk, aber auch bspw. in einer hist. Quelle im Geschichtsunterricht erwarten können, sonst sehe ich das Ziel der Mündigkeit nicht als erreicht an.
Schönes Beispiel für die Ausblendung bzw. Relativierung der Befindlichkeiten von Rassismus Betroffener.
Schönes Beispiel für ein (kontraproduktives) Plädoyer für Betroffenheitsdiskurse…
Nachdem ich die urspgrl. Problematisierung der Lehrerin wie auch die Diskussionen hier und andernorts gelesen habe:
Verstehe ich es richtig, dass das Problem ausschl. darin gesehen wird, dass der fragliche Begriff überhaupt verwendet wird und dass alleine bereits durch “[d]ie Sprache des Romans […] ein rassistisches Bild Schwarzer Soldaten vermittelt”, “Rassismus transportiert” werde?
Also dass dies behauptet wird, ohne dass überhaupt, um diese Vorwürfe zu fundieren, sie intersubjektivierbar zu machen, etwa die konkreten situativen, soziolektischen, grammatischen u.ä. Kontexte der Verwendung dieses Begriffs thematisiert würden, die para- und körpersprachlichem Spezifika bei seiner Verwendung, die (zeitgenössische) Semantik etc., also alle Faktoren, die für die Bedeutungspotenziale bei der Verwendung durch die Charaktere u./o. den Erzähler konstituierend sind, thematisiert würde?
Und da sind wir immer noch lediglich auf der intratextuellen Interpretationsebene, wo doch auch die extratextuelle Perspektive bedeutungsgenerierend ist.
Oder geht es wirklich nur darum, dass dieses Wort überhaupt verwendet wird und dies i.w.S. Undignationen beim ein oder anderen auslöst, weil er diese oder jene Konnotation mit ihm assoziiert?
Dem Begriff an sich liegt keinerlei devalvierende Qualität inne, die bekommt er erst im Zusammenspiel der skizzierten Faktoren. Sonst würden wir hier auch wikipedia.de, Lexika, hist. Dokumente, wissenschaftl. Arbeiten und Co. entsprechend thematisieren müssen. Oder achten wir jetzt auch auf entsprechende Befindlichkeiten, wenn von was auch immer vermeintl. Addressierte in diesen Textgattungen mit Begriffen konfrontiert werden, die entsprechende Aversionen evozieren?
tl:dr
Nicht das man einen Begriff benutzt, kann problematisch sein, sondern wer, wo, wann und wie einen Begriff benutzt, kann einzig das Problem ausmachen. Und wenn jmd. bereits schmilzt, weil ein Begriff genutzt wird, dann sollte das einem auch egal sein (von der Triggerproblematik mal abgesehen).
Was soll da also dieser Rekurs auf einen vermeintl. Betroffenheitsdiskurs? Diese bedingungslose Voldemortisierung von Begriffen (“N-Wort”) ist intellektuell unredlich, kontraproduktiv und kontraproduktiv. Ihr Vorwurf ist exemplarisch für die Problematik.
Ergänzung:
Um ein praktisches Beispiel zu präsentieren; Der stählerne Traum (1972) von Norman Spinrad (https://en.wikipedia.org/wiki/The_Iron_Dream):
Ohne die Rahmenhandlung würde die Binnenhandlung des Romans wie eine Glorifizierung nationalsozialistischen Gedankenguts scheinen, mit der Rahmenhandlung, die untrennbarer(!) Teil des Werks ist, wird eine Satire auf faschistoide Elemente in der Phantastik daraus. Es genügt nicht, sich über die Äußerungen, Gedanken und Taten des Protagonisten der Binnenhandlung, Feric Jagger, das Alter Ego von Adolf Hitler, dem gem. Rahmenhandlung Autoren des Binnenwerks Der Herr des Hakenreuzes, zu echauffieren. Man kann aufgrund deessen eben nicht schließen, dass Der stählerne Traum problematisch wäre, nationalsozialistisches Gedankengut glorifiziere o.ä., auch wenn Ferric Jagger dies eindeutig tut, auch wenn der Binnenroman Der Herr des Hakenreuzes dies eindeutig tut.
Verstehen Sie, was ich meine?
Oder ganz anders:
Ich kenne Tauben im Gras nicht. Klären Sie mich doch auf, statt mir salopp “Ausblendung bzw. Relativierung der Befindlichkeiten von Rassismus Betroffener” vorzuwerfen. Wovon ist denn wer konkret durch den Roman betroffen? Was macht die Verwendung der fraglichen Begriffe konkret problematisch in diesem Werk?
Sehe ich völlig anders.
M.E. lässt sich durch diese Art von Lyrik der Zeitgeist (!) sehr nachvollziehbar einfangen, und aus dem Kontrast mit unseren heutigen Auffassungen ergeben sich etliche, sehr nachhaltige Lernanlässe. Wenn man denn den Schreib- und Erzählstil bzw. die nie endenden, inhaltlich prall gefüllten Kettensätze ein ganzes Buch lang aushält 🙂
Aber nur zu, entmündigt den Menschen immer mehr, gebt ihm keinen Kompass in die Hand, sondern lasst ihn immer geradeaus zwischen den Brettereänden laufen, auf denen steht, dass er nicht vom Weg abweichen darf…
Ich verstehe zwar nicht, was das ganze soll — weder die Einbeziehung dieses Romans ins Abitur noch der Protest dagegen, aber es sollte doch klar sein, dass man den Zeitgeist nicht rückwirkend ändern kann. In Schriften aus der Antike wurden mal eben Sklaven getötet, im Mittelalter wurden Hexen gefoltert und verbrannt, in “Winnetou” von Karl May werden Kriegsgegner langsam zu Tode gemartert, alles gegen die heute so verstandene Menschenwürde. Man muss einfach ältere Quellen “gegen den Strich” lesen, dann macht man sich eben nicht gemein mit dem, was da gesagt wird. Genau das leistet Textkritik. Es könnte sogar nützlich sein, eine Rede von Goebbels mit Hetze gegen Juden daraufhin zu analysieren und die rhetorischen Mechanismen offenzulegen. Am besten liest man auch neuere Quellen (z.B. Reden von Putin) “gegen den Strich” und fragt nach den rhetorischen Mechanismen, dann tappt man nicht so leicht in ideologische Fallen.
achso, nur für den Fall, dass jemand fragt: Ich habe das Buch gelesen…
Ich selber habe mich noch im Abitur damals damit auseinandersetzen müssen. Ein gutes Buch. Natürlich wurde das Buch und seine Sprache auch kritisch diskutiert und reflektiert. Niemand, nicht mal unser schwarzer Mitschüler damals, machte einen Aufstand über das Buch. Heute ist sowas ja leider anders und die Empörung gehört zum Alltagsgeschäft.
Dann hoffen wir mal dass das neue Buch dann bloß nicht irgendeiner Minderheit auf die Füße tritt und vorher sprachlich abgesegnet wird.
Wahrscheinlich hat dein Mitschüler, so wie es sich anhört, war er der einzige farbige Schüler, sich gar nicht getraut, seine Gefühle bzgl des Buches zu benennen. Und bei solchen Mitschülern ist es auch nicht verwunderlich.
Wieso ist es so schwer, die Gefühle von betroffenen Menschen einfach mal anzunehmen und zu akzeptieren? Und allein schon das Wort Minderheit zeigt die Einstellung dahinter. Es wundert mich bei diesen Einstellungen überhaupt nicht, dass Rassismus wieder Salonfähig ist. Habe hier im Forum nichts dazu gelesen, dass die betreffende Lehrerin von Nazis im Netz diffamiert und angegriffen wird. Scheint nicht so schlimm zu sein. Wenigstens man kann sagen, die sollen sich nicht so anstellen. Die paar N Worte, tun doch keinem weh. Doch, tun es. Den betroffenen Menschen und unserer Gesellschaft.
Und für diesen Kommentar gibt’s hier mehr als doppelt so viele rote wie grüne Daumen. Wie beschämend für ein Lehrerforum.
‘Wahrscheinlich…nicht getraut’, kann sein, braucht aber hellseherische Fähigkeiten oder den Besitz der alleinigen Wahrheit. Als logische (?) Folge daraus ‘Und bei solchen Mitschülern ist es auch nicht verwunderlich.’. Mein Grund für den roten Daumen ist dieser persönliche, beleidigende Angriff auf eine Person, deren Erfahrungsbericht nicht gefällt. Beschämend für ein Lehrerforum.
Ich bin übrigens eher selten der Meinung von @marc und sehe das auch hier deutlich anders als er, aber bis ‘…Aufstand über das Buch’ ist das ein Bericht nach eigener Wahrnehmung, ob diese ausreichend reflektiert ist/war kann man sicher diskutieren. ‘Förderung von Rassismus durch diese Einstellung’ ist wohl kaum eine angemessene und reflektierte Antwort.
Danke.
Dank, Hannah, Ihr erster Satz spiegelt exakt meine Befürchtung wieder:
Als wenn es immer so einfach und selbstverständlich wäre, als einzig Andersfarbige*r aufzustehen und ein Veto einzulegen.
Erinnert mich an eine lange Busfahrt mit Panne in Mexiko, wo ich als einzige, junge Dunkelblonde und Bleichgesichtige mitreiste: Obwohl niemand abwertend über oder mit mir sprach, war mir meine optische Auffälligkeit mehr als bewusst und für nichts in der Welt hätte ich etwas gesagt, was diese unübersehbare “Unzugehörigkeit” noch verschärft hätte – trotz meiner ansonsten nicht eben kleinen Klappe.
Klar, gibt zum Glück auch junge Menschen mit mehr Zivilcourage, dennoch vermute ich, dass nicht selbstverständlich davon ausgegangen werden sollte, dass Farbige in jeder Situation für Ihre Rechte aufstehen.
Und was hat, bitte, Ihr letzter Abschnitt auch nur entfernt mit Koeppens Roman zu tun? Welches “Recht” sollte ein Farbiger gegen Koeppens Roman geltend machen, der Klage und Analyse zugleich über das Nachkriegsdeutschland (West) und dessen Hass bzw. Ressentiments gegen “die Besatzer”.
Es mag Ihnen ja ausschließlich um den Roman des “armen Herrn Koeppen” gehen:
Indem Sie aber gezielt einen Abschnitt meines Beitrages aus dem Kontext wählen, um mit Ihrer rein rhetorischen Frage thematische Irrelevanz anzudeuten, richten Sie Ihr Vorgehen selbst.
Tipp: Bitte nehmen Sie vorhergehende Beiträge zur Kenntnis, in diesem Fall von Hannah und Marc, bevor Sie kommentieren, danke.
Ich frage mich nur, wo die Debatte bloß hinführen soll.
Jetzt findet mal irgendein Buch, welches nicht den historischen Zeitgeist mit all seinen Vorurteilen direkt oder auch indirekt beinhaltet, oder sonstiges fragwürdiges Gedankengut. Selbst moralisch hoch fragwürdige moderne Literatur wie “Harry Potter” müsste man dann aus der Schule verbannen (siehe J.K. Rolling Shitstorm).
Gerade die konstruktive Auseinandersetzung mit den Werken halte ich für sinnvoll. Bildung ist kein Social Media Feed, durch den wir Gedankenlos scrollen und uns unterbewusst beeinflussen lassen (kaufen, kaufen, konsumieren).
Natürlich kann das für die eine oder andere direkt betroffene Person im Klassenzimmer sehr unangenehm sein, aber aus meiner Schulzeit kann ich auch bestätigen, dass so manche anwesende ethnische Minderheit in der Klasse die Auseinandersetzung erst so richtig beflügelt.
“benennt die Pädagogin namentlich”
Das macht die seriöse Presse ebenfalls:
https://www.swp.de/lokales/ulm/rassismus-im-unterricht-ulmer-lehrerin-geht-gegen-n-wort-in-unterrichtslektuere-vor-69680599.html
https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/pflichtlektuere-tauben-im-gras-petition-wegen-rassismus-100.html?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE
Die Damen tritt durchweg offen auf, was ja ihr gutes Recht ist. Es sollte daher aber nicht der Eindruck erweckt werden, man habe Ihre Identität offen gelegt. Sie sollte ungeachtet dessen den vollen Schutz des Dienstherrn erfahren.
Es ist ein Unterschied, ob jemand in der Presse mit Namen genannt wird, weil er mit dem Medium gesprochen hat – oder ob der Name genannt wird, um damit zur Hetzjagd gegen die Person aufzurufen. Herzliche Grüße Die Redaktion
Hut ab vor der Kollegin, die sich von der weiteren Unterrichtsarbeit mit dieser fragwürdigen Pflichtlektüre mit klarem, sehr nachvollziehbarem Motiv distanziert, hoffentlich macht Ihr Beispiel Schule.
Koeppens “Treibhaus” war bereits Anfang der 90 er im letzten Jahrtausend eine bevorzugte Lektüre für Abijahrgänge…es stellt sich die Frage, ob selbst in den letzten 30 Jahren keine relevanteren, sprachsensibleren Bücher zum Themenkomplex Rassismus auf dem Markt vorliegen.
Kürzlich las ich erstmalig Hesses “Steppenwolf”: Auch hier finden sich massive Stolpersteine im sprachlichen Ausdruck. Ganz abgesehen von peinlich klischeehafter Darstellung von Minderheiten. Trotzdem hab ich ihn verschlungen und werde ihn erneut lesen, aber als Abilektüre sollte es Alternativen geben.
Ich schlage mal als Alternative “Peterchens Mondfahrt” vor. Ich hoffe, da kommen keine “N-Wörter” drin vor.
Und hoffentlich haben Goethe, Schiller, Heine, Kleist und wie sie noch alle heißen, dieses Wort nie verwendet. Sonst müsste man die nämlich auch aus dem Kanon deutscher Literatur verbannen.
Selbst in Pippi- Langstrumpf kommt das “N-Wort” ein oder zweimal vor. Ich gehe mal davon aus, dass die Familie Lindgren es begrüßen würde, wenn es ,aus humanen Gründen,in Zukumpft nur noch “König von Taka-Tuka” heißen würde und damit gut.
Wenn Schüler, v.a.farbige, aber ein ganzes halbes Jahr, über 100 Mal (!) mit diesen abscheulichen Begriff emotional arbeiten müssen und von der Mitarbeit auch noch die Abinote abhängt,dann ist das inhuman, besonders den sensibleren Schülern gegenüber.
Außerdem soll das Zeitalter der Pandemien ja jetzt erst begonnen haben. Wer garantiert denn dass durch eine anwesende Fachkraft, das Werk konzentriert aufgearbeitet werden kann?
Sie haben den Roman anscheinend nicht gelesen, denn sonst könnten sie die N-Begriffe eindeutig den im Roman charakterisierten deutschen Spießern zuordnen, die sich über die Kultur der Sieger abfällig und herabwürdigend äußern.
Bei Pippi Langstrumpf erkennt jeder, dass dieser Begriff zur damaligen Zeit Wertneutral verwendet wurde. Der Buchverlag hat die N-Begriffe durch zeitgemäße Begriffe ersetzt, die keine rassistischen Stereotype übertragen.
Anders ist die Situation im erzählenden Roman Tauben im Gras, der uns den damaligen Alltagsrassismus im frühen Nachkriegsdeutschland darlegt.
“Sie haben den Roman anscheinend nicht gelesen……”
Und Sie den Kommentarverlauf nicht ?
Pippi Langstrumpf war eine Reaktion auf Peterchens Mondfahrt….
Dass die N- Begriffe im Roman den Charakteren der Unbelehrbaren zuzuordnen sind, ist schon klar.
Muss man eine kritische Ausgabe in der Schule lesen? Ja, auf jeden Fall. Sollte man jede Literatur zensieren, die nicht mehr unserem Sprachgebrauch entspricht? Nein.
Jede Lehrkraft sollte einen kritischen Umgang mit Texten pflegen und dazu gehört auch, dass man die Sprache zusammen mit den SuS in dem Werk analysiert und reflektiert. Hierin liegt auch die Chance der sensibilisieren. Es gibt viele Abilektüren, in denen es Wörter gibt, die nicht mehr zeitgemäß sind. Die Lektüre deshalb nicht mehr zu behandeln schürt eben genau den Rassismus, da man durch eine Zensur eben diesen Personen wieder Material für ihre Hasskampagnen gibt.
In Geschichte ist eine kritische Auseinandersetzung mit Hitlers “Mein Kampf” sogar gewollt. Also sollte auch eine Lehrkraft kritisch mit Deutscher Literatur umgehen können. Unsere politischen Überzeugen haben vor den SuS nichts zu suchen, sondern wir sollen neutral Wissen vermitteln und dazu gehört, gerade auch heutzutage, der kritische Umgang mit rassistischen Äußerungen.
Mit dieser Meinung stoßen aber bei einigen Kollegen (oder Kolleginnen) auf Unverständnis, wie die zeigen.
“Man könne, so betont die Lehrerin, nicht von Schülern an beruflichen Gymnasien erwarten, dass sie distanziert und sprachsensibel das Thema erörtern – ohne dass dabei betroffene Schüler Diskriminierung erfahren.”
Von wem dann?
“Keine einzige Fußnote weist darauf hin, dass das sogenannte „N-Wort“ von Betroffenen als beleidigend empfunden wird.”
Braucht man dafür wirklich eine Fußnote? Wird das nicht zwangsläufig thematisiert?
“Die Literaturwissenschaftlerin Prof. Magdalena Kißling von der Universität Paderborn hält (das) für unrealistisch. Die Lehrkräfte seien oft nicht dafür ausgebildet, Rassismus in der Literatur zu erkennen…”
Eine Professorin für Literatur, von der ich annehme, dass sie von heutiger Schule überhaupt keine Ahnung hat, spricht Lehrkräften also ihre Eignung ab, Rassismus in Büchern zu erkennen. Das “N-Wort” sollte doch aber geläufig sein. Sind nicht gerade Lehrer ständig im Alltag mit rassistischen und sexistischen Stereotypen beschäftigt, alleine durch andere Fächer wie Gemeinschaftskunde, Geschichte oder Ethik? Hält sie Lehrkräfte für dumm?
Ich kenne das Buch, um das es geht, nicht. Aber es sollte Lehrern doch möglich sein, eine Abiturklasse für das Thema zu sensibilisieren und das Buch im entsprechenden Kontext zu lesen – selbst wenn dies nicht über Anmerkungen in den Fußnoten verfügt.
Welche weiteren Bücher sollen künftig aus dem Kanon entfernt werden, nur weil darin eine Sprache herrscht, die im Jahr 2023 rassistisch oder sexistisch wirkt? Ich bin kein Lehrer, doch selbst mir fielen Erklärungen ein, wie ich die Schüler darauf aufmerksam mache. Ich halte die Diskussion und die Reaktion der Lehrerin für maßlos übertrieben.
Danke, lieber Rüdiger!!
Sehe ich auch so. Wenn man es zuspitzen wollte, müsste man z.B. auch Goethes Faust aus dem Unterricht verbannen, zumindest unter “MeToo-Gesichtspunkten”. Es ist doch die klare Aufgabe der Dame, dieses Werk umfassend zu behandeln und damit auch zum Thema Rassismus. Wenn sie dazu nicht in der Lage ist, hat sie vielleicht auch nicht den richtigen Job.
Die Kollegin sollte zumindest mal gucken, dass sie sich kompetente “Lesehilfe” besorgt, z.B. in Literaturlexika. Was soll ich sagen, wenn ich Lektüren behandeln soll, in denen weiße GYM-Lehrer so richtig “vorgemnommen” und “abgefertigt” werden: “Da er Rat hieß, nannten ihn alle Unrat…”
Sie haben sooo Recht. Man könnte dann auch die Lektüre von Schnitzlers “Der Reigen” verweigern, z.B. wegen der “unhygienischen” Sex-Szenen.
Oder “Katz & Maus” sowie “Die Blechtrommel” auf keinen Fall als Buch und/oder Folm, igitt…
Ich habe selbst einen Migrationshintergrund und besitze eine dunkle Hautfarbe. Das Thematisieren des Buches im Unterricht finde ich nicht schlimm; die Sprache entspricht leider nun einmal dem damaligen Zeitgeist. Problematisch sehe ich an dem Buch eher, dass es keine Fußnoten mit Verweisen enthält, die auf die rassistische Sprache hinweisen. Dies könnte tatsächlich dazuführen, das Gelesene unreflektiert zu übernehmen. Das wäre in etwa so, als würde man eine unkommentierte Ausgabe von mein Kampf publizieren… Daher kann ich die Entrüstung der Lehrkraft verstehen.
“Problematisch sehe ich an dem Buch eher, dass es keine Fußnoten mit Verweisen enthält, die auf die rassistische Sprache hinweisen.”
Dies zu thematisieren, ist doch aber Aufgaben des Unterrichts oder von Sekundärliteratur zu diesem Buch. Das ist doch gerade der Grund, warum das Buch auf dem Lehrplan steht.
Wieso Daumen runter? Im Forum meldet sich jemand, der direkt betroffen ist und gleich gibt es Downvotes? Einige können es wohl nicht ertragen, dass es nun einmal da draußen Menschen gibt, die den Gebrauch der rassistischen Sprache nicht mit Achselzucken wegstecken können.
Ich glaube, hier geht es vor allem darum, dass wir Lehrkräfte es irritierend finden, dass uns – ganz allgemein – abgesprochen wird, ein Buch im Rahmen des Unterrichts, nach allen Facetten der Kunst aufzuarbeiten und zu besprechen.
Ich finde es im übrigen sehr gut, dass entsprechende Fußnoten fehlen – beim Lesenden sollte eine Reaktion eintreten, die verloren geht, wenn quasi ein Warnhinweis gegeben wird.
Mir scheint, dieses Buch (ich kenne es nicht) lässt sehr viele Möglichkeiten der Bearbeitung zu.
Ganz kurz eine Nebenfrage:
Das Buch begleitet zu lesen ist falsch?
Unbegleitet ist … besser?
Es geht nicht um irgendeine Art von Koeppens Rassismus, sondern um den von Koeppen zu Recht thematisierten allgemein verbreiteten Rassismus &, nebenbei, Anti-Amerikanismus und Anti-Semitismus. Die 3 Romane Koeppens gehören zusammen – so z.B. ganz wichtig seine Analyse des damaligen “Treibhauses” Bonner Adenauer-Demokratie.
Koeppen stellt den damaligen Zeit-un-geist ja gerade bloß, er verpasst ihm, wenn man so will, eine deftige Abreibung. Koeppens Werk gehört in eine Reihe mit JOYCE, DÖBLIN, DOS PASSOS. Wer sich nun über ein solches Werk der Best-Liteatur “entrüstet” (mon Dieu), sollte vielleicht noch mal genauer hingucken.
Ihr Vergleich Koeppens Weltliteratur mit Hitlers “Mein Kampf” ist einfach nur entsetzlich !
Es bedarf auch keiner Fußnoten, um zu erkennen, wer da für was spricht oder für wen etwa Koeppen andere Personen sprechen lässt !
Die Lehrkraft hat sich in keiner Weise reflektierend mit Koeppen und seinen Werken auseinandergesetzt. Sie hat allein Anstoß an der Verwendung des N-Wortes genommen und das Buch in keiner Weise inhaltlich erfasst. Herr Schmitt hat weiter unten sehr treffend formuliert, was und wen Koeppen thematisiert hat.
Ulrich Schmitz war natürlich gemeint.
“Genau dies begründet eine wesentliche Anforderung an Literaturunterricht, nämlich Literatur in ihrem jeweiligen zeitgeschichtlichen Kontext zu sehen“,
Genau dieser Punkt berührt eine außerordentliche Empfindlichkeit, die im gegenwärtigen Diskurs die Auseinandersetzung mit “ehemals zeitgenössischer Sicht- und Sprachweise” extrem schwierig macht.
Bsp:
Geschichtsunterricht Q1 – Thema Imperialismus.
Wir lesen Quellentexte von Cecil Rhodes oder Carl Peters, in denen das N-Wort natürlich zuhauf verwendet wird. Die SuS sind durch die gegenwärtigen Diskurse derart eingeschüchtert – oder sensibilisiert, dass sie nicht aus den Quellen “fachgerecht” zitieren können, weil sie sich nicht trauen, die entsprechende historische Semantik zu formulieren.
Frage aus dem Kurs:
“Dürfen wir diese Wörter überhaupt verwenden, wo die doch offenkundig den Rassismus beinhalten?”
Die Auseinandersetzung mit historischen Grundhaltungen / Mentalitäten wird massiv behindert, weil die SuS sich nicht befähigt oder legitimiert sehen, diesen Spachgebrauch in einer fachhistorischen Auseinandersetzung zu formulieren.
Erinnert zuweilen an das Spiel “Tabu”, in dem die expliziten Begriffe umschifft werden müssen…die historische Lebensrealität erreichen die SuS auch auf der kritisch-reflektierenden Ebene nicht mehr.
So geht es im Bereich Literatur – hier Koeppen- Tauben im Gras- genauso.
Und daher kommt auch der seltsame Anspruch klassische Werke “durchzugendern” (Faust) oder entsprechend die Originalquellen der Geschichtswissenschaft sprachlich zu “bereinigen” …. that ‘s one step beyond!
…hint: bloß jetzt alles richtig machen…auch wenn wir damit alles falsch machen…aber niemand soll mir – wie auch immer – nachsagen können, ich hätte Wörter aus dem Bereich der politischen Unkorrektheit verwendet.
Diese Schnüffelei nach Rassismus und anderen Feindlichkeiteten geht mir nur noch auf den Wecker. Das ist doch nicht mehr normal.
Wilhelm Busch hat es trefflich auf den Punkt gebracht:
“Wer durch des Argwohns Brille schaut, sieht Raupen selbst im Sauerkraut.”
Ergänzung zum treffenden Busch-Zitat:
“Just because you’re offended, doesn’t mean you’re right.”
Ricky Gervais
Negerkuss – Mohrenkopf – Schaumerzeugnis auf Waffel mit Schokoladenüberzug.
Alles ändert sich. Die Blechtrommel war auch nicht ohne und die Bibel würde so manch’ einer auch gerne einer woken Überarbeitung unterziehen. Wurde aber schon gemacht – von der katholischen Kirche.
Unsere Deutschlehrer sind Fachkräfte genug, das Werk zu sichten und sich darüber Gedanken zu machen. Alles studierte Germanisten mit Lehrererlaubnis, Herz und Sachverstand. Nur machen lassen, die schaffen das.
Und wenn eine Lehrerin das nicht hinbekommt, soll sie sich an das Regierungspräsidium wenden. Dort wird ihr geholfen.
Ich verstehe den Wirbel nicht. Sie hat ja angeboten, ein Jahr unbezahlten Urlaub nehmen zu wollen. Und damit ist auch genug Zeichen gesetzt. Dann noch an die Presse wenden, das sieht mir nach “ich will Mitleid und Aufmerksamkeit”.
Wenn man die Forderung der Lehrerin ernst nimmt, dann dürfen in der Schule aber auch keine Texte gelesen werden, in denen es z.B. um Judenverfolgung geht. Ich nutze gerne Quellen, die die damalige Sprache zeigen. Natürlich ist das, weder damals noch heute, eine Sprache und Wortwahl, die wir für angemessen halten. Aber genau darum geht es mir. Ich will zeigen, was Sprache gewirkt, welche Macht sie hat. Dazu muss ich aber auch Texte nehmen, in denen wenig sensibel formuliert wurde.
Verbieten wir solche Texte in der Schule, an welchem Ort wird es dann möglich sein, mit einer guten Begleitung, darüber zu sprechen. Durch ein alleiniges Verbot fehlt die differenzierte Auseiandersetzung, die in der Schule möglich ist.
Rassismus, Benachteiligung von Frauen, Diskriminierung von queeren Personen usw. sind Dinge die man heute richtigerweise verurteilt und in unserer Gesellschaft vermeiden sollte.
Leider schießen wir hier, typisch deutsch, mal wieder meilenweit am Ziel vorbei und schütten das Kind mit dem Bade aus.
In der Vergangenheit war das Weltbild der Menschen eben anders als unser Weltbild. Dieses Weltbild mag in vielen Aspekten aus heutiger Sicht eindeutig falsch gewesen sein. Es war aber damals in der überwältigen Mehrheit der Bevölkerung verbreitet.
Die Gegenwart von den falschen Ansichten der Vergangenheit zu befreien ist richtig. Die Vergangenheit zu verschweigen oder im Nachhinein ändern zu wollen ist falsch und gefährlich.
Der Nutzen der Vergangenheit liegt eben genau darin, dass man aus den Fehlern der Vergangenheit lernt. Dazu muss man aber über die Einstellungen und Handlungsweisen in früheren Zeiten reden dürfen.
Wie soll ich einem Schüler in Politik den vermitteln, wie schrecklich die NS Zeit war, wenn ich nicht über die Ideologie der NS Zeit sprechen darf. Ohne deren rassistische und menschenverachtende Ideologie zu kennen kann ich auch nicht die passenden Lehren aus dieser verfehlten Ideologie ziehen.
Noch lächerlicher finde ich es übrigens dass z.B. Straßen die nach Forschen oder Politikern benannt sind, welche wirklich große Erfolge erzielt haben, um benannt werden, weil diese Leute nebenbei auch rassistische oder antifeministische Ansichten vertreten haben. Das war damals die gängige Ansicht der Gesellschaft.
So gesehen müssten wir alle Straßen umbenennen deren Namensgeber vor 1970 geboren wurden.
Der General von Hindenburg war wie der ihm nachgestellte Erich von Ludendorff ein überzeugter Anhänger des Kaiserreichs, ein entscheidender Wegbereiter des Nationalsozialismus und ein Gegner der Weimarer Republik. Außerdem haben sich die beiden Herrenmenschen ebenso wie der ihnen zugeordnete und selbst von Gottes Gnaden so berufen bezeichnende Kaiser Wilhelm sich rechtzeitig der Verantwortung für die absolute Kapitulation im 1. Weltkrieg durch Abdankung und Rücktritt entzogen. Anschließend konnte man dann die Weimarer Republik mit der Dolchstoßlegende für die Niederlage und die totale Kapitulation machen.
Warum sollte nach diesen Herrenmenschen noch irgend eine Straße oder ein Schlossplatz benannt werden können.
Das gleiche gilt auch für den General von Trotta , der als Verantwortlicher für die Niederschlagung der Aufstände im heutigen Namibia Ende des 19. Jahrhundert in der deutschen Kolonialzeit auch keine Gedenktafel verdient hat.
Er war schon zu seinen Lebzeiten eine Schande für deutsche Humanisten in seiner unmenschlichen, rassistischen Vorgehensweise gegen die aufständischen Hereros und die San.
Eine Zensur findet nicht statt. Jeder darf seine Meinung frei in Bild und Schrift öffentlich äußern, auch der Schriftsteller und im Nachgang die Lehrerin, wobei Ersterer mit seiner Roman-Trilogie lediglich das Milieu der frühen Nachkriegsjahre widerspiegelt, um einen realen Einblick in die Gedankenwelt dieser Kriegsgeneration zu vermitteln.
Endlos lang und ermüdend sind aber auch die langen Textpassagen, und vielleicht deshalb ist dieser Roman auch weniger mitreißend in der Vermittlung einer antirassistischen Grundhaltung der nachfolgenden Generationen. Ich las aus der Roman-Trilogie das Treibhaus, was sich ähnlich ausschweifend in der Textlänge darbietet.
Die einzige verbliebene Option ist es aus meiner subjektiven Sicht, den entsprechenden Forderungen nicht nur nachzugeben – sondern sie überzuerfüllen.
Also NICHT das Buch umschreiben – sondern eben ersatzlos streichen.
Oder noch besser: Alle Bücher, in denen “das N-Wort” (sic!) vorkommt (und wenn es nur ein Mal ist) ersatzlos aus Lehrplänen und der Schule überhaupt entfernen.
Lektürearbeit ist eh relativ anstrengend (wenn auch spaßig und bildungsförderlich) – in der Zeit halt, was weiß ich, gendersensible Sprache üben oder sowas.
Weniger Arbeit für die Kollegen und die Schüler, keine Reibungspunkte.
Richtig. Und damit wird das Denken und Reflektieren, die kritische Auseinandersetzung mit der Gesellschaft, der Zeit und Geschichte und der Gewalttätigkeit von Sprache unterbunden. Seeehr gut, wir brauchen nichtdenkende, unreflektierte und unkritische Menschen, weil sie prima zu lenken sind.
Wahrscheinlich kann zum kritischen Denken anregende Literatur nur noch gerettet werden, indem sie aus der Schule ferngehalten wird.
dto
Mir scheint, in diese Richtung sind wir tatsächlich unterwegs.
Betrüblich, bedauerlich, beängstigend.
Ironie pur
Das wäre wie in einer Diktatur, die eine mündliche und schriftliche Verwendung bestimmter Begriffe verbietet und somit sich gleich aller möglicher zeitgeschichtlicher Bücher entledigt.
Derartiges wird bereits anderswo in Europa umgesetzt.
Es geht in der Debatte nicht um ein Verbot des Buches. Es geht darum, ob ein literarisches Werk, das in der Schule zwingend in eine ausgeruhte und reflektierte Rassismus-Betrachtung eingebettet sein muss, sich als Abitur-Pflichtlektüre eignet. Herzliche Grüße Die Redaktion
Ich gehe einmal davon aus, dass heutige Abiturienten die zeitgeschichtliche Einordnung derartiger N-Begriffe vornehmen können.
Ansonsten sähe ich die Qualifikation des Abitur stark beeinträchtigt, und dann müsste sich etwas gravierend in Richtung der zeitgeschichtlichen Eingliederungsfähigkeit der Schüler ab der 10. Klasse ändern.
Woher sollen heutige Abiturientinnen und Abiturienten das können? Rassismus kommt kaum in den Lehrplänen vor. Es hängt also im Wesentlichen vom Engagement der Lehrkräfte und der jeweiligen Schule (“Schule ohne Rassismus”) ab, ob Schülerinnen und Schüler überhaupt jemals mit dem Thema konfrontiert werden. Herzliche Grüße Die Redaktion
Das Beispiel der Bearbeitung des Nationalsozialismus im Geschichtsunterricht widerspricht aber deutlich ihrer These der Nichtbearbeitung dieses Themas im Schulunterricht.
Beim Thema Nationalsozialismus wird vor allem die Judenverfolgung fokussiert. Rassismus in seinen Erscheinungsformen – von der Sklaverei über Kolonialismus und Apartheid bis hin zum Alltagsrassismus in Deutschland – spielt dabei keine Rolle. Welcher Schüler, welche Schülerin lernt im Unterricht etwas über den Völkermord, den Deutsche an den Herero begangen haben? Gerne hier nachlesen: https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/wahl-oder-pflicht-kolonialismus-im-unterricht-li.143551
Herzliche Grüße Die Redaktion
In Verbindung mit dem Thema Nationalsozialismus sind in ähnlicher Weise der von Anbeginn an geplant vorbereitete Eroberungskrieg gegen Polen und die Sowjetunion mit der Versklavung der slawischen Völker zu thematisieren. Rassistisch war der Nationalsozialismus in jedem Fall.
Ich kann aus meiner Schule sagen, dass Rassismuskritik und entsprechende Projekte einen großen Raum einnehmen, da die Kinder mindestens in einer Rolle (häufig in zwei Rollen) Rassismus erfahren haben (bzw. ausüben).
Ach so…hmmh…denken wir mal nach…was auf was genau und in welche Richtung (ob bei Rowling, irgendwelchen im Gras sitzenden Tauben oder fikitionalen Geschichten über ausgedachte Abenteuer mit Indianern) die diktatorischen Angriffe immer zielen….hmmh…grübel, nachdenkt, reflektier…
Gemeint war Putins Russland, wo bereits die Verwendung bestimmter Begriffe zum Verbot dieser Bücher und Schriften sowie zur langjährigen Inhaftierung der Autoren führt.
Es ist beschämend, dass dieser Roman, der die Realität des Nachkriegsrassismus deutscher Spießbürger der 50er Jahre beschreibend widerspiegelt, allein auf Grund der realitätswiderspiegelnden Verwendung dieses N-Begriff, heute derart angegriffen wird.
Was kann der Autor für die traumatisierenden Kindheitserfahrungen nachfolgender Generationen, wo er sich doch zeitnah beschreibend, an den deutschen Kleinbürgerrassismus herangewagt hat.
Dann sollen diese Kritiker es doch lassen, sich mit diesem Werk auseinandersetzen und sich anderem zuwenden.
Es wird diesen Kritikern schwer fallen, zu belegen, dass ein Wolfgang Koeppen nationalsozialistisch oder gar rassistisch kompromittiert ist.
Das behauptet gar keiner – es geht um die notwendige Einordnung, die es möglicherweise in Schulen (gar vor Abiturprüfungen) so nicht gibt. Herzliche Grüße Die Redaktion
Dann sollte doch etwas an der schulischen Ausrichtung im Hinblick auf die Einordnung im geschichtlichen Zeitgeschehen, Geschichtskenntnisse und kritischem Reflexionsvermögen der Schüler geändert werden.
Ja, sollte vielleicht. Die Abiturprüfungen sind aber womöglich nicht der richtige Rahmen. Herzliche Grüße Die Redaktion
Wenn es vor dem Abitur in einer Schule diese Einordnung nicht gibt, sollte man ein ernstes Wort mit der Lehrkraft wechseln.
Niemand kann im Deutsch-Abitur bestehen, der nicht zuvor in alle Richtungen per Unterricht, Debatte, Referat usw. darauf vorbereitet wurde. Hier liegt aber doch der Fall vor, dass eine Lehrkraft sich nicht auf die Durchnahme der verordneten Lektüre intensiv vorbereitet hat und sich ihrer “Entrüstung” hingibt.
Eine solche “Entrüstung” kann ich als Lehrkraft jederzeit erzeugen – dazu nimmt man den “Faust” (und entsprechend “offensive” Inszenierungen) und den “Ödipus Rex” – OMG, Vatermord, Inzest, die eigenen Töchter sind Halbschwestern ihres Vaters…. oder “Die Marquise von O.” (“Hier—-traf er…”) oder “Das Erdbeben in Chili”. “Zauberflöte” geht gar nicht, da spielt ein “Mohr” mit, der singt: “Nun herbei mit Stahl und Eisen / … ich will euch Mores weisen…”
Kafka, “Der Verschollene”, geht gar nicht, unmögliche erotische Szenen, in dem Fragment “Das Schloß” – Frieda und K. unterm Schanktisch, stundenlang…
Wenn dieses Vorgehen, des Verbots der zeitgeschichtlich bezogenen Verwendung von Literatur mit dem N-Begriff im Unterricht umgesetzt wird, so wird es schwierig mit der schulbezogenen Vermittlung von älterer Weltliteratur. Dieses Vorgehen ist mit einer Zensur gleichzusetzen.
Mark Twain, Michael Ende und andere Autoren dürften dann nicht mehr in einer unzensierten Form gelesen werden.
Denken Sie mal an Kafkas “Der Proceß” – die Prügler-Szene in einer Abstellkammer einer Bank… oder GOethes “Faust” – “Walpurgisnacht” – unfassliches Treiben, kann man 17-/18-jährigen SuS nicht zumuten. Arno Schmidt, “Pocahontas” oder der letzte Anbschnitt einer Erzählung, in der 3 “Tribadinnen” sich miteinander vergnügen.
Wo sollen Schüler denn lernen sensibel mit dem Thema umzugehen, wenn man solche Literatur von vornherein verbannt und das Thema somit tot schweigt. Ob dieses Werk nun besser oder schlechter dafür geeignet ist, kann ich aber leider nicht beurteilen.
Oder muss man annehmen, dass sämliche vorhergehenden Projekte zum Thema Rassismus keine Früchte getragen haben?
Beeindruckend finde ich, in wie vielen Kommentaren Argumente angeführt werden, die die Befindlichkeiten der Lehrerin angreifen, negieren, ad absurdum führen sollen und die darauf hinauslaufen, dass ihre Wahrnehmung falsch bzw. unangemessen ist.
Interessanterweise ist genau das ein wesentlicher Bestandteil von Rassismus.
Deren subjektiven Wahrnehmungen und Empfindungen anzugreifen, ist sicherlich falsch. Ebenso falsch ist es aber, aufgrund subjektiver Wahrnehmungen und Empfindungen Literatur objektiv als ungeeignet für den Schulunterricht zu bewerten.
Der Autor hat zum Zeitpunkt der Veröffentlichung nicht an mögliche Befindlichkeiten bezogen auf den N-Begriff gedacht, da dieses Wort Teil des praktizierten Inbegriffs von Nachkriegsrassismus der Deutschen in deren Denkweise in der Nachnazizeit war.
Die spießigen Kleindeutschen, die soeben von der Nazidiktatur befreit worden waren, und diesen Umstand eben auch diesen lebenslustigen Menschen aus den USA zu verdanken hatten, wurden von diesen jazzbegeisterten in eine andere Welt eingeführt.
Ihre bornierte und überheblich stolze Arroganz war aber ihnen, diesen kleinbürgerlichen Deutschen geblieben, und um so verächtlicher waren deren Äußerungen über das Lebensgefühl anderer endlich in freier Luft atmen und leben zu dürfen.
Ich wünsche mir Schülerinnen und Schüler, die spätestens zum Abi hin in der Lage sind, diskriminierendes Verhalten oder Sprache auch ohne Fußnote zu erkennen. Von Lehrkräften ganz zu Schweigen. Aus dem Sachverhalt, DASS das Buch solch eine Sprache enthält lässt sich prima eine Analyse ableiten.
Auch aus dem Umgang mit dieser Literatur können Rückschlüsse auf die Kritiker selbst gezogen werden.
Der N-Begriff war zum damaligen Zeitpunkt in 1951, also 6 Jahre nach dem Holocaust begangen an Juden, Sinti und Roma, den Zeugen Jehovas, geistig beeinträchtigten Menschen und vielen anderen sowie den bis zu 80.000.000 Toten im Nachkriegsdeutschland ein beständiger Sprachteil der deutschen Umgangssprache, und das hing auch mit der zuvor praktizierten Erziehung und der abwertenden Sprachkultur sowie der sprachlichen Kultivierung des Hasses gegen alles Menschliche zusammen.
Aber dann muss man genau hinschauen, WEN Koeppen da sprechen lässt. Hier wird doch in einigen Kommentaren auf geradezu hanebüchene Weise der Autor mit der Sprache seiner Figuren verrührt. Koeppen hat 1950/1951 sehr genau hingehört, wie da in der Nachkriegszeit von wem geredet wird, mit welchem Hintergrund und mit welcher Absicht – z.B. um die “Sieger-Kultur” zu denunzieren, um an dem braunen Sumpf festzuhalten, um – arrogant bis in die Knochen – z.B. Comics als “Sieger-Kultur” und “Schmutz & Schund” zu beschimpfen. Ich finde es absolut unverständlich, wie hier von etlichen Beiträgern über die Tatsache hinweggeschrieben wird, dass der Roman aus 1950/1951 stammt.
dto
Der arme Koeppen! In seinen drei Romanen – “Der Tod in Rom”, “Das Treibhaus” und “Tauben im Gras” fertigt er u.a. radikal das im Nachkriegs-Westdeutschland weit verbreitete Denken & Geschwätz von der “Siegerkultur” ab – daher das N-Wort: Als Jahrgang 1951 habe ich diese “Denke” und das Geschwätz selbst erlebt – Beispiele:
Jeans waren damals “Ami-” oder “Nietenhosen” und durften nicht zur Schule getragen werden.
Coca Cola wurde misstrauisch beäugt.
Jazz war, genau so gehört, “Nigger-Jazz” oder “Neger-Musik” – O-Ton eines Biologielehrer noch in den 60er.
Comics gehörten zur “Sieger-Kultur” und waren “Schmutz & Schund”
Genau auf diesen “Widerstand”, genährt aus “braunen” Versatzstücken und Rassismus zielt Koeppen hier ab. Widerstand, der sich u.a. dadurch entlarvte, dass Frauen wg. ihrer Verbindung zu den “Siegern”, zumal, wenn diese Bessatzungssoldaten schwarz waren, hart angelassen wurden.
(Vgl. nebenbei Titel wie “Der Neger von Scharhörn” oder “Neger, Neger, Schornsteinfeger”).
Wie soll Koeppen 1950/1951 auch nur ansatzweise ahnen – und also Rücksicht nehmen – auf die Befindlichkeit /Sensibilität einer Lehrerin im Jahre 2023, die, so muss man leider annehmen, von dem Roman und dessen historischem Kontext wenig bis gar nichts verstanden hat.
Hat sie sich überhaupt mit Koeppen, dessen Werk, dem historichen Kontext befasst?
Dringende Empfehlung zur Weiterbildunbg: Kindlers Literaturlexikon “Hauptwerke der deutschen Literatur”, Band 2, S. 685f.:
“Die Möglichkeiten der Montagetechnik von DÖBLIN oder DON PASSOS, des inneren Monologs von JOYCE mit virtuoser Selbstverständlichkeit nutzend, gibt der Autor in dieser mosaikartigen Szenenfolge die modellhaft konzentrierte Bestandsaufnahme eines Tagesgeschehens im Nachkriegsdeutschland. (…)
“Es verwundert, daß der Roman (Tauben im Gras – U.S.) … beim Erscheinen als aggressiv-militant empfunden wurde. Was ihn kennzeichnet, ist nicht Anklage, sondern Klage, Diagnose, verbunden mit dem Versuch der Ortsbestimmung durch einen Mann, der >>Zeuge gewesen und am Leben geblieben war.<<”
Was kommt als Nächstes? Dass wieder “zutiefst betroffene Kathoik:innen empört zu Gericht rasen und gegen Arno Schmidts “Seelandschaft mit Pocahontas” zu Kreuzzug ziehen?
Vielen Dank!
Kleine Anekdote am Rande, auch wenn etwas off topic:
Comics gehörten zur „Sieger-Kultur“ und waren „Schmutz & Schund“
Als die damalige Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (BPjS) ihre Prüfttätigkeit aufnahm, war der zwölfte Band des Comics DER KLEINE SHERIFF das erste der ersten drei ihrer Prüfobjekte (alle ausnahmslos Comics) am 09.06.1954. Sie indizierte den Comic natürlich. Die Indizierungsgründe waren nach Gunkel (2009) abenteuerlich: “CDU-Bundesinnenminister Gerhard Schröder empfand die Abenteuer des Comic-Helden der fünfziger Jahre als ‘nervenaufpeitschend und verrohend’. Die Zeichnungen seien das ‘Ergebnis einer entarteten Phantasie’, sie könnten Jugendliche in eine ‘unwirkliche Lügenwelt’ versetzen und ‘förderten die geistige Trägheit’. […] Die Sittenwächter bemängelten die ‘abstoßenden Physiognomien der Banditen’ und waren entsetzt über den ‘grauenhaften’ Tod eines Gauners, der ‘nach einem aufregenden Kampf mit Raubvögeln in eine Felsenschlucht stürzt’. Die Prüfer störten sich auch an der schnoddrige, rüde Sprache: Sätze wie ‘Ihr Schakale’, ‘verdammte Mörder’ oder ‘Du Lümmel’ waren nicht akzeptabel.”
Die in der Literatur oftmals als humoreske Kuriositäten dargestellten Indizierungsexzesse waren für die Betroffenen allerdings nicht besonders komisch, sondern zwangen die Betroffenen zu umfangreichen Selbstzensuren, um ein Vertriebsverbot an den für den Handel mit Comics essentiellen Kiosken zu vermeiden. Die BPjS war i.d.S. Teil einer eines moralpanischen Trends ggü. Comics, der auch die USA erfasst hatte und für den Wertham (1954) ein Paradebeispiel darstellte. Merten (1999) resümierte den Inhalts des Pamphlets: “Die Rezeption von Comics fördere Libertinage, eine verstellte Wirklichkeit, Homosexualität und Gewaltanwendung […]. Comics seien wegen der offen dargestelltenGewaltanwendung letztlich auch für die großen Rassenunruhen in New York Anfang der 50er Jahre verantwortlich zu machen […]. Die wissenschaftliche Prüfung der Untersuchungsergebnisse von Wertham fiel allerdings für Wertham verheerend aus: Vor allem wurde moniert, dass die gesamte Datenerhebung wissenschaftlichen Standards in keiner Weise gerecht werde.”
Ähnliche Publikation und jenes Wirken von Frederic Wertham führte in den USA 1954 zur Einführung des sog. Comic Code (https://de.wikipedia.org/wiki/Comics_Code) und hatte wohl entscheidenen Einfluss auf die Reaktivierung des Gesetzes zur Bewahrung der Jugend vor Schund- und Schmutzschriften (1926) in Form des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften (1953) das den Ausgangspunkt für die Indizierungsexzesse der BPjS darstellte.
Das kuriose: Frederic Wertham geb. 1895 war gebürtiger Franke, der 1922 in die USA emigrierte. SO schließt sich der Kreis. Fiel mir gerade dazu ein. ^^
Ich möchte als Aussenstehender mal behaupten: die Dame ist für ihren doch relativ anspruchsvollen Job ungeeignet. Wer es nicht fertig bringt, mit (fast) erwachsenen Menschen (die als Abiturienten noch dazu vermutlich über etwas ausgeprägtere Intelligenz verfügen) ein zweifelhaftes Werk kritisch und bewusst zu lesen, sollte sich doch bitte einen anderen Beruf suchen.
Wieviel differenzierendes und kritisches Denken dürfen wir denn von Schülerinnen und Schülern erhoffen? Ich jedenfalls habe mich getraut, im Englischunterricht Martin Luther Kings Reden zu behandeln, in denen ständig das Wort “negro” vorkommt.