„Der schönste Arbeitsplatz, den ich je hatte“: Ein Ortsbesuch im Bauernhof-Kindergarten

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GIEBELSTADT. Waldkindergärten sind längst weit verbreitet. Weniger bekannt sind Bauernhofkitas. Doch die Erziehung mit Hühnern, Schweinen und Ackern wirft bei Behörden oft noch Fragen auf.

Im Bauernhof-Kindergarten gehört der Kontakt zu Tieren zum Alltag (Symbolfoto). Foto: Shutterstock

Eine Kindergruppe kocht draußen Kartoffelsuppe mit selbstgesammelten Wildkräutern. Andere Kinder haben einen Kaufladen gebaut und verkaufen Löwenzahnblumen zum Essen. Zwei Vierjährige füttern die Ziegen. «Das Futter ist alle, wir brauchen Gras», sagt der vierjährige Levi. Der Bauernhof-Kindergarten im unterfränkischen Giebelstadt (Landkreis Würzburg) ist eine von bisher relativ wenigen Bauernhofkitas bundesweit. Ähnlich wie bei Waldkindergärten verbringen die Kinder die meiste Zeit im Freien.

Eine Erzieherin bastelt eine Blattpresse. Daneben liegt ihr Hund Hazel im Gras. Andere Kinder spielen im Sandkasten, malen, klettern oder fahren mit Laufrad und Spielzeugtraktor. Die Erzieher und Erzieherinnen haben Walkie-Talkies dabei, damit sie auf dem 5000 Quadratmeter großen Gelände miteinander kommunizieren können.

Jedes Kind hat einen Quadratmeter Acker, den es mit Unterstützung pflegt. Zudem machen sie jede Woche einen Ausflug zum Wald und kommen an weiteren Feldern vorbei.

«Durch den täglichen Umgang mit Hühnern und Ziegen haben die Kinder eine Vorstellung von Tierwohl»

«Die Kinder beobachten wöchentlich über das Jahr, wie die Saat wächst», sagt Landwirt Ulrich Pabst, der den Kindergarten zusammen mit seiner Frau initiiert hat und betreibt. Schon Fünfjährige wüssten, wo das Essen herkommt und dass das Arbeit mache, meint der Landwirt. «Durch den täglichen Umgang mit Hühnern und Ziegen haben die Kinder eine Vorstellung von Tierwohl», sagt Pabst. Seine Familie betreibt seit 500 Jahren Landwirtschaft, seit acht Jahren in Bioqualität. Ehefrau Inge Moser-Pabst ist gelernte Lehrerin.

Die Idee zur Kita mit Ziegen, Hühnern und Acker kam den Eheleuten schleichend. Als die eigenen Kinder in die Schule kamen, fing das Paar mit ersten Schulaktionen an. «Äpfel zu Saft pressen, Kartoffeln pflanzen, so einfache Sachen», erzählt der 63-Jährige. Der Bauernhof-Kindergarten hieß schließlich 2018 die ersten Kinder willkommen. Zuvor sei der örtliche Kindergarten so überfüllt gewesen, dass eine weitere Notgruppe im Keller eröffnet werden sollte.

Die Kita startete mit sechs Kindern. Jetzt dürfen es bis zu 28 sein. Das Mindestalter beträgt zweieinhalb Jahre. Der Betreuungsschlüssel ist wesentlich besser als in den allermeisten Kindergärten: In der Regel sind vier Erzieherinnen und Erzieher da, so dass etwa sechs Kinder auf jede Pädagogin kommen.

«Es ist der schönste Arbeitsplatz, den ich je hatte», sagt Kita-Leiterin Elke Kleider. Die 56-Jährige hat früher als Krankenschwester gearbeitet und dabei Allergien entwickelt. Jetzt ist sie zusammen mit den Kindern jeden Tag an der frischen Luft. «Die Natur ist eine sehr gute Erzieherin», meint Kleider. Die Kinder erlebten ganz natürlich Konsequenzen: Die Tiere laufen weg, wenn die Kinder sie zu grob behandeln. Handschuhe werden nass, wenn ein Kind sie draußen liegen lässt und es regnet.

«Wenn ich Elias abhole, ist er immer entspannt und hat auch nachmittags noch viel Energie»

Kleider ist der Meinung, dass Kinder in Bauernhof- und Waldkitas anders spielten als in Regelkindergärten. Kreativer. Das hat auch Tatia Michel so erlebt. Sie ist Mutter des dreieinhalbjährigen Elias, der den Bauernhof-Kindergarten seit September besucht. Zuvor war er in einer Regelkita. «Wenn ich Elias abhole, ist er immer entspannt und hat auch nachmittags noch viel Energie», erzählt die Mutter. Früher sei er nach der Kita oft eher gereizt gewesen und habe seine Ruhe gewollt. Auch im Winter habe die Bauernhofkita Elias Spaß gemacht. «Die Angst, dass es zu kalt und ungemütlich sein könnte, war eher meine eigene», sagt Michel, die selbst Sonderpädagogin ist.

Etwa 80 Bauernhofkitas gibt es laut der Bundesarbeitsgemeinschaft Lernort Bauernhof (BAGLoB) mit Sitz in Berlin inzwischen bundesweit. Davon die meisten in Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. Auch Bauernhofkrippen für Kinder unter drei Jahren existierten vereinzelt. Die erste Bauernhofkita in Deutschland eröffnete laut BAGLoB vor etwa 20 Jahren in Schleswig-Holstein.

Nicht alle Bauernhofkitas sind gleich. Nur manche befinden sich auf einem aktiv-bewirtschaftetem Bauernhof. Andere sind nur in Nähe zu einem Hof angesiedelt oder machen regelmäßig Hofausflüge. Manche befinden sich auch auf ehemaligen Höfen.

Für Landwirte können Kitas ein Zubrot sein. Allerdings oft ein aufwendiges. Finanziell profitieren Landwirte laut BAGLoB vor allem von Verpachtung. Manchen Landwirten erlaube das Konzept aber auch, Tierarten zu halten, die sich rein landwirtschaftlich nicht mehr lohnen. «Das kann Landwirtschaft in kleinen Strukturen wieder möglich machen», sagt BAGLoB-Sprecherin Annette Müller-Clemm.

Während Waldkitas inzwischen weitverbreitet sind, ruft das Wort «Bauernhofkindergarten» offenbar oft noch Fragezeichen hervor. «Bauernhöfe, die Kitas installieren wollen, sind immer noch Pioniere», sagt Müller-Clemm. Gerade Behörden seien oft überfordert mit dem für sie noch neuen Begriff. «Dabei hilft es auf schon bestehende Bauernhofkitas hinzuweisen», sagt Müller-Clemm.

Auch Ulrich Pabst und seine Frau haben anfangs Skepsis bei Behörden wie Gesundheits- und Jugendamt erfahren. Eine Spielscheune für schlechtes Wetter hätten die Behörden aus Sicherheitsbedenken untersagt. Daher hat das Paar stattdessen Bauwagen wie in Waldkitas organisiert. «Das kannten die Behörden schon und haben es durchgewunken», erzählt Pabst. Den Waldkitas ist der Landwirt sehr dankbar. «Sie haben viel Pionierarbeit bei Naturpädagogik geleistet und uns den behördlichen Weg geebnet», meint der Bauernhof-Landwirt. Von Vanessa Köneke, dpa

Ein ähnliches Konzept gibt’s auch für die weiterführende Schule – hier wird es vorgestellt:

Warum Schule mit Pubertierenden oft so quälend ist – und wie Lernen dann trotzdem funktionieren kann (ein Montessori-Beispiel)

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2 Kommentare
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TaMu
10 Monate zuvor

Ein Bauwagen wird für Regentage erlaubt (und muss erstmal angeschafft werden), eine Spielscheune, die vermutlich viel mehr Platz geboten hätte und die sowieso zur Verfügung stand, kennen die Behörden nicht und deshalb darf sie auch nicht genutzt werden. Das ist so ein Irrsinn mit dem Jugendamt. Natürlich müsste die Scheune sicher sein. Warum also gleich Nein? Hat der kleine, überfüllte Bauwagen nicht auch Nachteile und eine größere Scheune Vorteile? Überprüft werden muss sowieso beides. Es gibt Tagesmütter mit tollen Gärten, in denen die Rosen ausgegraben werden müssen, damit er vom Jugendamt abgenommen wird und Kinder dort spielen dürfen, oder wo um jede Rose ein stabiler Zaun gebaut werden muss. Einige entscheiden sich deshalb gegen die Betreuung im eigenen Garten und gehen lieber mit den Kindern über einige Straßen hinweg bis zu Äckern und Wald. Dort ist nichts umzäunt und es ist völlig natürlich und auch pädagogisch sinnvoll, Kindern beizubringen, dass man unbekannte Pflanzen und Früchte nicht einfach essen darf und dass manche Pflanzen weh tun, wenn man nicht aufpasst. Das könnte man entspannt und hausnah im Garten auch so machen. Mir fehlt hier wirklich die Flexibilität bei Behörden, viele gute Ideen scheitern auf diese Art schon im Frühstadium, während Kinderbetreuung ein immer größeres Problem wird. Kinder sind nicht aus Zucker und in der Welt gibt es viele Gefahren, aufpassen lernen ist also wichtig. Eine kindgerecht gestaltete Scheune mit den üblichen Sicherungen halte ich für die naheliegendere Lösung als einen Bauwagen. Mit „Kenn ich nicht, gibts nicht“ lösen wir die heutigen Probleme bestimmt nicht.

Angelika Mauel
10 Monate zuvor

Nur ein Kommentar ist bei einem so wichtigen Thema zu wenig.

Es sollte klar sein, dass die institutionelle Kinderbetreuung bei laufendem Betrieb eines Bauernhofs mit ähnlichen Risiken einhergeht, denen auch die auf dem Hof der Eltern spielenden eigenen Kinder und ihre Freunde ausgesetzt sind.

Es gab auf Höfen leider immer wieder tragische Unfälle, bei denen Kinder ihr Leben oder ihre Gesundheit verloren haben und noch immer dürfte ein entsprechendes Risiko fortbestehen. Kinder rennen nun mal unverhofft vor Fahrzeuge. Und trotz Überwachungskameras kann ein Kind übersehen werden. Ich mag nicht googeln. Als Landwirtstochter weiß ich allerdings, dass es auch heute noch zu schrecklichen Unfällen kommt. Als Kind hatte ich das große Glück, auf dem elterlichen Bauernhof eine wirklich freie Kindheit verbringen zu können. Kindergarten gab es nicht und schon früh war uns klar, dass wir auf uns und auch auf andere Kinder achten mussten. – Das haben wir fürs Leben gelernt. Fachkräfte dagegen, die selbst stundenlang in Kindergärten, Horten oder der OGS beaufsichtigt wurden, können manchmal viel zu schlecht Gefahren einschätzen. Muslimische Praktikantinnen, die in ihren Großfamilien immer wieder auf Kleinkinder aufgepasst haben, werden deshalb heute in manchen Kitas gern genommen.

Damit man mich nicht falsch versteht: Ich wünsche mir für Kinder auch von Herzen bessere Betreuungsbedingungen und der Kontakt zu Tieren und Pflanzen ist mir für sie wichtig. Aber aufgrund ihrer Reife gibt es mehr Bedenken als nur die gegen die Nutzung einer „Spielscheune“. Sollte es sich um eine alte, mit Ziegeln bedeckte Scheune handeln – ohne Klammerung, ohne Unterspannbahnen – , könnte die Kontrolle und Instandhaltung des Dachs nach Hagel oder zu hoher Schneelast ein Problem sein. Der Artikel liefert dazu keine Angaben, aber nachdem es nicht einfach ist, Handwerker dann zu bekommen, wenn sie gebraucht werden, könnte ein Bauwagen sinnvoll sein.

Was das Alter der Kinder angeht würde ich die Aufnahme der Kinder erst ab vier Jahren aufwärts begrüßen. Zweieinhalb hätte ich nicht genehmigt, wenn ich an der zuständigen Stelle gesessen hätte.