Rechtsextremismus an Schulen: Brandbrief-Autoren erhoffen „Aufwachen in der Politik“ – neue KMK-Präsidentin irritiert mit Hinweis auf Neutralitätsgebot

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Der Brief von Lehrkräften zu rechtsextremen Vorfällen an einer Schule im Spreewald hat nach Ansicht eines Mitverfassers rechtsextreme Umtriebe an Schulen sichtbarer gemacht. «Wir haben eine breite, öffentliche Debatte angestoßen, um auf Diskriminierung, Homophobie und Rechtsextremismus an Schulen aufmerksam zu machen», sagt die Lehrkraft. Die neue Berliner Bildungssenatorin und designierte KMK-Präsidentin Katharina Günther-Wünsch fordert, genau hinzusehen und das Thema nicht zu verschweigen – irritiert aber mit einem Hinweis auf ein angebliches Neutralitätsgebot.

Brennt es in der rechten Ecke? Foto: Shutterstock

«Wir erhoffen uns, dass es ein Aufwachen in der Politik gibt, dass Lehrkräfte solche Vorfälle ansprechen können, ohne dass das im Sand verläuft (…)», so die Lehrkraft, die weiter unerkannt bleiben will, gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Gleichzeitig beschreibt sie eine Spaltung in der Lehrerschaft der Schule in Lager. Einige befürworteten, dass die Vorfälle zur Sprache gekommen seien. «Manche an der Schule tun das auch als Jugendstreich ab.» Die Schulleitung spiele die Vorfälle herunter, kritisiert sie.

In einem in der vergangenen Woche bekannt gewordenen Brief hatten Lehrkräfte der Oberschule im brandenburgischen Burg beklagt, sie seien täglich mit Rechtsextremismus, Sexismus und Homophobie konfrontiert. Außerdem erlebten sie eine «Mauer des Schweigens», die Unterstützung von Schulleitungen, Schulämtern und Politik fehle (News4teachers berichtete).

«Rechtsextremismus ist ganz eindeutig ein Thema, zu dem alle Bildungsminister und -senatoren einen klaren Standpunkt haben müssen», sagt dazu die CDU-Politikerin Günther-Wünsch, die am Freitag den Vorsitz der Kultusministerkonferenz (KMK) übernimmt. «Ich bin mir sicher, dass es kein flächendeckendes Phänomen ist.» Aber das, was in Brandenburg geschehen sei, bedürfe einer entschiedenen Reaktion.

«Solche Fälle müssen wir aufklären. Dazu gehört es auch, dass die Schulaufsicht in betroffene Schulen reingeht und schaut, welche Vorfälle es tatsächlich gegeben hat und wie groß das Ausmaß ist», sagt Günther-Wünsch. «Und dann muss das aufgearbeitet und ganz klar besprochen werden.»

«Es hat natürlich auch mit Qualifikation zu tun, wie ich mit solch kritischen Situationen umgehe, etwa wenn es im Unterricht rechtsextreme Äußerungen gibt»

Zu Lehrkräften, die sich bei der Konfrontation mit Rechtsextremismus unsicher fühlten, sagt sie: «Es hat natürlich auch mit Qualifikation zu tun, wie ich mit solch kritischen Situationen umgehe, etwa wenn es im Unterricht rechtsextreme Äußerungen gibt – oder radikale Statements aus anderen Richtungen kommen.» Es gebe ein Neutralitätsgebot in Schulen. «Das gilt es einzuhalten.»

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Eine irritierende Aussage in diesem Zusammenhang – denn ein Neutralitätsgebot von Lehrkräften gilt lediglich in Sachen Parteipolitik. «Dabei ist zu berücksichtigen, dass beamtete wie auch nicht beamtete Lehrkräfte gemäß den menschenrechtlichen Verträgen, dem Beamtenrecht und dem Schulrecht dazu verpflichtet sind, sich für die Menschenrechte, die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und die dahinter stehenden Werte einzusetzen. Lehrer_innen haben nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, für die Grundprinzipien der Grundund Menschenrechte einzutreten», so heißt es in einem schulrechtlichen Gutachten des Deutschen Instituts für Menschenrechte zum Thema.

Und weiter: «Gerade vor dem Hintergrund der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und menschenrechtlicher Verpflichtungen ist es unzulässig, aus dem Kontroversitätsgebot die Notwendigkeit abzuleiten, rassistische oder andere menschenverachtenden Positionen als gleichberechtigte legitime politische Positionen darzustellen.» Bildung und insbesondere politische Bildung sei nicht in dem Sinne neutral, dass sie wertneutral wäre. «Positionierungen von Lehrkräften, die darauf gerichtet sind, den Schüler_innen zu vermitteln, rassistischen Positionen nicht zu folgen, auch wenn es sich dabei um Positionen einer nicht verbotenen Partei oder sonstigen Vereinigung handelt, sind daher auch rechtlich geboten.»

«Gemeinsam mit der Schule werden anschließend geeignete und gewünschte Angebote der Demokratiebildung gestaltet»

Das Schulamt Cottbus, das mit der Aufarbeitung befasst ist, führt unterdessen weitere Gespräche mit der Schulleitung, den Lehrkräften sowie Eltern- und Schülervertretungen, wie das Bildungsministerium mitteilte. «Gemeinsam mit der Schule werden anschließend geeignete und gewünschte Angebote der Demokratiebildung gestaltet.»

Die Polizei ermittelt nach eigenen Angaben inzwischen zu vier Komplexen mit strafrechtlicher Relevanz. Zum Einen geht es um den Spruch «Arbeit macht frei», der laut der Lehrkräfte im Unterricht gefallen sein soll. Zum anderen soll im Sportunterricht der Hitlergruß gezeigt worden sein. Ein aufgetauchtes Gruppenbild zeigt Jugendliche, die den Hitlergruß zeigen. Zudem gibt es eine Anzeige wegen Schmierereien an Schulmobiliar, etwa mit Hakenkreuzen. News4teachers / mit Material der dpa

Demokratiekosmos Schule

Das Projekt „Demokratiekosmos Schule“ (DEKOS) soll Lehrkräfte im wirksamen Umgang mit antidemokratischen Situationen unterstützen – es zeigt dabei auch auf, wie rechtsextremen Provokationen in der pädagogischen Praxis begegnet werden kann.

Mit unterschiedlichen Formaten erhalten Lehrkräfte anwendungsorientiertes Know-how. DEKOS zeigt Wege auf, wie sie sich diesen Herausforderungen stellen und angemessen handeln können.

DEKOS, ein gemeinsames Projekt der Bundeszentrale für politische Bildung mit der Bertelsmann Stiftung, wendet sich an Schulleitungen, Lehrer/innen und Schulsozialarbeiter/innen. Adressiert werden die siebte bis zur 13. Jahrgangsstufe. Da Diskriminierungen in allen Schulsituationen auftreten, betrifft das Thema alle Unterrichtsfächer. DEKOS ist auch geeignet, in Aus- und Fortbildungsbereichen eingesetzt zu werden.

Hier geht es zu den kostenlosen Materialien.

Ist die KMK auf dem rechten Auge blind? Forscherin: Rechtsextreme Übergriffe an Schulen sind keine Einzelfälle

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Marc
10 Monate zuvor

Die Redaktion mag ein Neutralitätsgebot irritieren. Mich irritiert es nicht. Der Rahmen und die Grenzen sind ja gut beschrieben. Nun kommt es nur mal wieder drauf an was man als „rassistisch“ und „menschenverachtend“ wertet. Denn vieles, dass linke und linkspopulistische Menschen als rassistisch oder unsagbar einstufen, ist es häufig nicht. Und deswegen muss man da gut aufpassen, dass man Extremismus klar bekämpft, aber eben nicht anfängt den demokratisch, legitimen Rahmen zu beschneiden.

Jochen 2022
10 Monate zuvor
Antwortet  Redaktion

Wie irritiert wären Sie denn, wenn von Linksextremismus an Schulen die Rede wäre, insbesondere an Hochschulen?
Von diesem Extremismus wird allerdings kaum gesprochen, weil das unerwünscht ist. Er existiert allerdings ganz massiv, wird jedoch kaum thematisiert.
Für mich ist ein generelles Neutralitätsgebot vollkommen richtig, zumal es immer nur gegen eine Form von Extremismus geht, während die andere derweil blühen und gedeihen kann.

DerechteNorden
10 Monate zuvor
Antwortet  Redaktion

Wir vergibt dafür eigentlich rote Daumen? So ist es doch.

DerechteNorden
10 Monate zuvor
Antwortet  Jochen 2022

Ich frage mich gerade, wie denn dieser Linksextremismus in der Schule überhaupt aussehen müsste, um Sie so aufzuregen. Was müssten Schüler*innen sagen?
Bin da wirklich sehr gespannt, weil ich mir das nicht vorstellen kann und weder selbst erlebt noch von Kolleg*innen und/oder Schüler*innen darüber berichtet bekommen habe.

DerechteNorden
10 Monate zuvor
Antwortet  Marc

Am besten Lehrkräfte rufen gleich während des Unterrichts in der zuständigen Stelle an und fragen nach, ob etwas tatsächlich rassistisch und menschenverachtend ist, damit die dort beraten können und sagen können, was zu tun ist. Das geht bestimmt ganz schnell und hilft weiter.
Noch besser wäre es natürlich, die riefen bei Ihnen an, Marc.
Nur so kann man sicher stellen, dass nicht irgendeine Lehrkraft womöglich das N-Wort nicht duldet oder den H-Gruß kritisiert. Könnte ja sein, dass das eigentlich gar nicht so gemeint war von den jeweiligen S*S.
IRONIE AUS

Rhauda
10 Monate zuvor

1. Es gibt kein Neutralitätsgebot. Der Beutelpacher Konsens spricht von einem „Überwältigungsverbot“. Im Klartext heißt es, dass eine Lehrkraft ihre eigene Überzeugung darstellen darf, sie darf sie nur nicht als allgemeingültig darstellen und muss anderen Meinungen ausreichend Raum geben.
2. Vor allem Anderen steht das jeweilige Schulgesetz des Bundeslandes. In allen ist deutlich dargelegt, dass Erziehung zur Demokratie, Toleranz, etc zu leisten ist.
3. Jede verbeamtete Person leistet den Amtseid auf die FDGO. Sie nicht gegen rechtsradikales Gedankengut zu stellen, bedeutet also den Bruch eines Amtseides.
4. Die Frau hat keinen Schimmer, wovon sie da redet.

Mika
10 Monate zuvor
Antwortet  Rhauda

Danke @Rhauda für diese Klarstellung!

unverzagte
10 Monate zuvor
Antwortet  Rhauda

Die unsägliche Verwechslung des sog. „Neutralitätsgebotes“ mit dem „Überwältigungsverbot“ wird hier noch ausführlicher erläutert:

https://www.demokratiegeschichten.de/der-beutelsbacher-konsens-von-wegen-neutral/

SoBitter
10 Monate zuvor
Antwortet  Rhauda

Danke. Genau so ist es!

Walter Hasenbrot
10 Monate zuvor

Schade, dassxhier als Erster mal wieder jemand postet, der Rechtsextremismus relativieren will.

Es gehört zum Erziehungs- und Bildungsauftrag von LehrerInnen, sich für unsere grundgesetzlichen Werte einzusetzen. Hier gibt es keine Neutralität. Der Hinweis der Ministerin ist deshalb wirklich irritierend.

Anne S.
10 Monate zuvor

Gab es bei mir auch alles 1:1 so im Unterricht von einem ukrainischen Jungen (der, wie mir erzählt wurde, offenbar angestiftet wurde nicht nur von Schülern der Schule, auch sich über Rollstuhlfaher lustig zu machen). Die Schulaufsicht hat alles in Schutz genommen, was da passiert ist. „Die Kiddies…… uswblabla…“. Über mich wurde sich natürlich, wie sonst auch immer, lustig gemacht. Die Zeitungen ließen sich über miese Lehrer aus, die den Lauten zu viel Aufmerksamkeit schenken, die Stillen hintenrunterfallen.
Mir unbekannte Schüler zeigten regelmäßig auf dem Flur, im Vertretungsunterricht, etc. den Hitlergruß und beömmelten sich. Mir wird jetzt noch vorgehalten, dass ich ein solches Verhalten als „asozial“ betitelt habe (dazu stehe ich zu 100%), zumal niemand eingriff und selbst Kollegen sich amüsiert zeigten.

Ganz ehrlich, wenn es das ist, was die „demokratische Langzeitbeobachtungsstudie“ bewirkt hat, dann finde ich es furchtbar, aber ich gönne es all denjenigen, die es jetzt ausbaden müssen, weil sie weggeguckt haben, sich lustig gemacht haben, noch draufgehauen haben, mich für alles verantwortlich gemacht haben und mir noch psychische Störungen einreden wollten. Ihr habt fertig, alle miteinander.

Der neuen (irritierten) KMK-Präsidentin kann ich nur wünschen, dass sie es besser macht. Wird sie aber nicht tun, der menschenverachtende Sog der KMK wird sie bald aufgefressen haben.

„Jedes Volk hat die Regierung, die es verdient.“

DerechteNorden
10 Monate zuvor
Antwortet  Anne S.

Wo arbeiten Sie, wenn ich mal fragen darf? Hängt wohl auch vom Bundesland und der Schulleitung ab.
Diese Reaktionen der vorgesetzten Behörden wären bei uns undenkbar.

Anne S.
10 Monate zuvor
Antwortet  DerechteNorden

Ich wurde in verschiedenen Bundesländern von unterschiedlichen Vorgesetzten drangsaliert. Man hatte seine Anweisungen immer von den gleichen Schwachmaten angetrieben.

Ich bin auch nicht sonderlich links, sodass ich über jedes Stöckchen springe, aber gegen menschenverachtendes Verhalten mir und anderen gegenüber setze ich mich halt ein.
Es ist ein hausgemachtes Problem (und eine große Sauerei), was da passiert ist. Weiß nicht, wann es zuletzt gelang, eine so große Masse von Menschen dermaßen zu manipulieren.

DerechteNorden
10 Monate zuvor
Antwortet  Anne S.

Was meinen Sie mit dem letzten Absatz? Und wer manipuliert Ihrer Meinung nach?

Anne S.
10 Monate zuvor
Antwortet  DerechteNorden

Ich kann hier leider keine konkreten Namen nennen, obwohl ich es gerne würde. Tut mir leid.

TimoS.
10 Monate zuvor
Antwortet  Redaktion

Liebe Redaktion, genau dieses Verhalten ist das Problem in Deutschland. Es darf nicht sein was bereits einmal war und darum wird es ausradiert. Was allerdings zu dieser Situation führt wird genauso gecancelt denn dann müsste sich in Politik, Schule und Gesellschaft etwas ändern. Mein 87jähriger Opa der aus Schlesien vertrieben wurde sagte kürzlich – wir Deutschen sind so dumm und treiben es dahin daß wieder ein Hitler aufsteht und die Idioten hinterher rennen!
Es wird Zeit wieder ein paar Schritte zurück zu treten und uns neu zu konfigurieren.

HarryP
10 Monate zuvor

Ich bin wirklich entsetzt, wenn ich lese, dass zu allen Problemen, die auf Lehrkräfte einstürzen, sehr realistische Kommentare kommen ….. aber zu diesem Thema sich fast nichts regt…. und vielleicht die Meinung herrscht…… was geht mich das an….. der Osten…..
Zu vielen Berichten, die von der Redaktion zum Thema rechtsradikale Tendenzen in der Mitte der Bevölkerung….. gibt es so gut wie keine ( ernstzunehmenden) Beiträge.
Ich verfolge N4T seit einem Jahr und finde natürlich auch, dass der Lehrermangel so vieles ( bewusst ) auf Verschleiß gefahren wurde und man sehenden Auges auf eine Katastrophe zusteuert…..aber hier brennt die Hütte!!!
Und das ist nur der sichtbar gemachte Teil!

Markus
10 Monate zuvor

Dieses Institut für Menschenrechte schreibt „Lehrkräfte [seien] gemäß den menschenrechtlichen Verträgen, dem Beamtenrecht und dem Schulrecht dazu verpflichtet sind, sich für die Menschenrechte, die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und die dahinter stehenden Werte einzusetzen.“

In einer wortwörtlichen freiheitliche und demokratische Grundordnung, die nicht nur eine reine Worthülse ist, dürfte es einen Kampf gegen „Rechtsextremismus“, welcher nur in Meinungen besteht, gar nicht geben.

Es sei daran erinnert: Demokratie bedeutet Volksherrschaft. Das Volk ist der Souverän!! Nicht die Regierung. Die Regierung repräsentiert nur das Volk und dessen Ansichten.

In einem demokratischen System hat die Regierung das Recht und die Pflicht, sich gegen alle jene zur Wehr zu setzen, die mit Gewalt und ohne demokratische Legitimation die bestehende Ordnung verändern wollen. Sie hat aber kein Recht, das Volk – den Souverän– gewissermaßen politisch zu „erziehen“, bestimmte Positionen und Meinungen innerhalb des Volkes zu bekämpfen oder zu fördern. Dann nämlich wird das Prinzip der Demokratie – die Volkssouveränität – auf den Kopf gestellt.

Last edited 10 Monate zuvor by Markus
PaPo
10 Monate zuvor
Antwortet  Redaktion

Richtig. Sie skizzieren hier den Unterschied zwischen Ochlokratie und Demokratie. Die Grundrechte sind unverhandelbar; Ewigkeitsklausel und so…