Online-Unterricht als letzte Hilfe: Wie ein Projekt gegen Schulabsentismus vorgeht

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CHEMNITZ. Psychische und körperliche Erkrankungen machen bei manchen Kindern den Schulbesuch unmöglich. Die Zahlen der Betroffenen steigen. In Mittweida hilft ein sachsenweit einmaliges Projekt mit Online-Unterricht weiter.

Ein Mittel gegen Schulangst? (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

Irgendwann wollte das eigene Kind nicht mehr zur Schule gehen. «Es gibt Krankheiten und Behinderungen, die es unmöglich machen, im normalen Schulalltag zu funktionieren», sagt eine Mutter aus dem Landkreis Mittelsachsen, die anonym bleiben möchte. Jahre der Ausgrenzung lägen hinter der Familie. Jetzt darf ihre Tochter, die Autistin ist, im geschützten Rahmen online weiterlernen. «Es war unsere Rettung. Wir wussten nicht weiter. Wenn das Kind leidet, leiden alle in der Familie.»

Seit zwei Jahren läuft das Projekt «Online-Lernzeit Mittweida» (OLM) erstmals an einer Schule im Freistaat. Es ermöglicht Kindern eine Schulbildung, die wegen psychischer oder körperlicher Erkrankungen nicht mehr am Unterricht vor Ort teilnehmen können, sagt Initiator Matthias Möbius, Schulleiter der Johann-Gottlieb-Fichte-Schule in Mittweida. «Wir stecken mit unserem Projekt noch in den Kinderschuhen. Aber der Bedarf ist riesig.»

Online unterrichtet werden könnten im Moment nur Schüler aus den Regionen, die von den Landesämtern für Schule und Bildung in Zwickau und Chemnitz betreut werden. Dazu gehören neben dem Landkreis Zwickau und der Stadt Chemnitz auch der Erzgebirgskreis, der Landkreis Mittelsachsen und der Vogtlandkreis. «Aktuell wird geprüft, ob wir uns auf andere Regionen erweitern dürfen», sagt der Schulleiter, der OLM mit der Unterstützung des Landesamtes ins Leben gerufen hat.

Ein Hauptgrund für die Idee seien betroffene Kinder der eigenen Schule gewesen. Nun werden sie in kleinen Gruppen digital betreut – jede Woche gibt es eine feste Anzahl an Online-Unterrichtsstunden, zusätzlich ist selbstständige Arbeitszeit vorgesehen. Weitere Lehrer oder Lehramtsstudierende werden dringend gesucht. «Auch welche, die wegen einer Erkrankung nicht mehr vor einer Klasse stehen können.»

Wegen des Lehrermangels sei in diesem Schuljahr keine fünfte Klasse bei OLM zustande gekommen, bedauert Möbius. Die Klassen sechs bis zehn seien jedoch aktuell abgesichert. Im letzten Schuljahr seien rund 50 Kinder bei OLM betreut worden. Jetzt startet die Schule mit rund 25 in die neue Runde. «Aber das ändert sich noch, die Anträge dauern und täglich kommen neue dazu.» Ein Teil der Kinder könne nach einiger Zeit wieder zurück in den Regelunterricht, so Möbius.

Die Schulabbrecher-Quote im Freistaat liege über dem Bundesdurchschnitt, informiert das Landesamt für Schule und Bildung in Chemnitz. 2020 betrug sie 7,8 Prozent in Sachsen, 5,8 Prozent im Bundesdurchschnitt. 2019 lag die Quote bei 8,5 Prozent im Freistaat und 6,6 Prozent im Bundesdurchschnitt. In den zwei letzten Pandemie-Jahren lägen dem Landesamt zufolge keine Vergleichszahlen vor.

Auch fehle ein Überblick über Kinder und Jugendliche, die mit dem Schulalltag nicht zurechtkommen: «Die Schulpflichtüberwachung liegt in der Hand der Kommunen und Landkreise», sagt ein Sprecher. Sogenanntes schulabstinentes Verhalten habe viele Ursachen. Ziel bei Hilfsprojekten für Schulverweigerer solle die Reintegration in den regulären Unterricht sein: «Daher kann Schulverweigerung nicht durch Onlinebeschulung aufgehoben werden, sondern höchstens den fehlenden Schulbesuch in einigen Bereichen kompensieren.»

Online-Unterricht empfiehlt auch die Landesarbeitsgemeinschaft Schulsozialarbeit Sachsen nur als vorübergehende Hilfestellung. «Schulabstinentes Verhalten ist im individuellen Einzelfall zu betrachten und benötigt die professionell-pädagogische Haltung aller Personen», sagt Paula Bormann, Geschäftsführende Bildungsreferentin. Die Hauptverantwortung liege bei der Schule, die Kinder zurück in den Unterricht zu bringen. «Schulsozialarbeit kann zwar unterstützend tätig sein, aber es gibt keinen Beratungszwang für die Kinder. Es ist ein freiwilliges Angebot.»

Ab Oktober will die Stadt Leipzig eine Beratungsstelle für Schulabsentismus einrichten. Das Jugendamt der Landeshauptstadt Dresden bietet bereits mit einer Fachstelle eine solche Unterstützung für betroffene Schüler und deren Eltern an. Im Landkreis Zwickau plant das Jugendamt für Januar 2024 einen Fachtag zur Schulverweigerung. «Dort sollen neben einer Bestandsaufnahme präventive Handlungskonzepte diskutiert werden», ergänzt der Sprecher des Landesamtes, das bei den Initiativen Kooperationspartner ist. Das Projekt «start off» für Schulverweigerer habe in Zwickau nach eigenen Angaben schon 260 Kindern und Jugendlichen helfen können, diese wieder in Schulklassen zu integrieren.

Regionale Arbeitsgruppen etwa im Vogtland und Erzgebirge hätten das Thema Schulabsentismus regelmäßig erörtert, so der Landesamtssprecher weiter. «Von den Jugendämtern wurde widergespiegelt, dass insbesondere seit Corona eine größere Anzahl von Kindern und Jugendlichen schulvermeidendes Verhalten zeigen würde.» Um dem Trend vorzubeugen, bereite das Kultusministerium ein Projekt vor, das an bis zu fünf Schulstandorten Angebote zur Reintegration von Schulverweigerern zum Ziel hat. Das Ausschreibungsverfahren, das sich an freie Träger der Jugendhilfe richten soll, werde voraussichtlich noch 2023 beginnen. Von Katrin Mädler, dpa

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2 Kommentare
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Hiltrud
1 Jahr zuvor

Da wird also homeschooling / äh homeoffice probiert

Spanned

Lisa
1 Jahr zuvor

Und warum werden diese Kinder nicht inkludiert?