Pausenaufsicht? Ich kenne meine Pflicht als loyaler Beamter – eine Glosse

6

DÜSSELDORF. Pausenaufsichten sind für Lehrkräfte eine lästige Pflicht, aber sie können auch von großem Nutzen sein – meint jedenfalls unser Gastautor Uli Black. Nämlich: als „Karrieresprungbrett“. Über seine diesbezüglichen Erfahrungen schreibt er humorvoll in der folgenden Glosse. Black war bis zu seiner Pensionierung Gymnasiallehrer für die Fächer Sport, Englisch und Psychologie. Unlängst veröffentlichte er einen satirisch-ironischen Roman. Titel: „Kafka kannste knicken. Bildung war gestern, heute ist TikTok“.

“Mit kaltem Herzen und steinerner Seele…” (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

Große Pause. Die Schülerschaft bewegt sich in Scharen in Richtung Supermarkt. Eigentlich ist das verboten, da der Supermarkt auf der anderen Straßenseite liegt und die Schulleitung der festen Überzeugung ist, dass Schüler beim Überqueren einer Straße reihenweise überfahren werden, weil sie einfach zu blöd sind, auf einem Fußgängerüberweg mit Ampelanlage in einer 30er-Zone ohne Schaden auf die andere Seite zu gelangen. Woher sollen sie auch wissen, wie das geht? Also im Bildungsplan steht das jedenfalls nicht.

Aus diesem Grund hat man Sicherheitsvorkehrungen getroffen, die verhindern sollen, dass auch nur ein einziger Schüler in der Großen Pause den Schulhof verlässt. Mit größtem Aufwand und ohne Kosten zu scheuen wurde ein vier Meter hoher Sicherheitszaun um das gesamte Schulgelände gebaut, gekrönt von nadelspitzem Stacheldraht, der eher an Guantanamo erinnert als an eine Bildungseinrichtung für junge Menschen.

Einen klitzekleinen Denkfehler hat das perfekt ausgeklügelte Sicherheitssystem dennoch. Irgendwie muss man ja in die Schule hineinkommen und auch wieder hinaus, weshalb zur Straße hin – ausgerechnet zu dieser lebensgefährlichen Autobahn, wo Fußgänger überfahren werden wie arglose Kröten auf ihrer Wanderschaft – eine Öffnung ist, durch die man problemlos auf die Straße gelangen und sich vor die Autos werfen kann. Der Schuleingang.

Aber der Schulleiter ist nicht dumm. Zusammen mit seiner klugen Stellvertreterin hat er einen extraklugen Aufsichtsplan ausgeheckt, der dafür sorgt, dass dieses vermeintliche Schlupfloch rund um die Uhr von seinem besten Personal bewacht wird. Ja, es bedarf der profiliertesten Pädagogen und intelligentesten Köpfe im Kreise dieser ohnehin überqualifizierten Lehrerschaft, um das scheinbar Unvermeidliche zu verhindern.

“Jeder weiß, dass man im Ansehen des Schulleiters katapultartig nach oben schießt, wenn man sich für derlei Dienste an der Menschheit bewirbt”

Es ist keineswegs so, dass diese, wie man es von stets überarbeiteten Lehrern erwarten könnte, versuchen, sich um die undankbare Aufgabe der Aufsicht zu drücken, weil sie die Pause lieber nutzen wollen, um ein Käffchen zu trinken, ein Schwätzchen zu halten oder ein kleines Nickerchen zu machen, damit sich das frühe Aufstehen auch gelohnt hat. Nein, weit gefehlt. Jeder weiß, dass man im Ansehen des Schulleiters katapultartig nach oben schießt, wenn man sich für derlei Dienste an der Menschheit bewirbt. Und wer im Ansehen des Schulleiters weit oben auf der Leiter steht, kann mit einer baldigen Beförderung rechnen oder wird gar selbst bald Schulleiter.

Also war die Schlange lang, als man sich zu Beginn des neuen Schuljahres, als die Aufsichten neu vergeben wurden, in die Aufsichtsliste eintragen durfte. Einmal um das gesamte Schulgebäude herum und wieder zurück. Die Eifrigsten der Eifrigen hatten sogar am Tag vor Aushängen der Liste mit Schlafsack und Thermoskanne unter dem Arm vor dem Schulhauseingang Stellung bezogen, um die Aufstiegschance der Aufsichtsführung um keinen Preis zu verpassen. Nur wenige unbelehrbare Dauerträge, wie sie es nun mal leider in jedem System gibt, versuchten hier nicht ihr Glück, weil sie schon lange in Ungnade gefallen waren bei ihrem  Schulleiter, und sich ohnehin keine Chancen ausrechneten, jemals die Ehre haben zu dürfen, in der Großen Pause am Eingang der Schule Wache schieben zu dürfen.

Heute ist Dienstag und heute habe ich das Vergnügen, die Schülermeute am Meutern zu hindern. Nicht weil ich zu dem erlauchten Kreis der Auserwählten gehören würde. Mitnichten. Aber eine furchtbare Grippewelle hat den Großteil der furchtlosen Vorzeigepädagogen kalt erwischt und so muss die Schulleitung wohl oder übel auf den verbliebenen Rest derjenigen zurückgreifen, die diese Ehre zwar nicht verdient haben, aber als letzte Qual der Wahl, als ultima ratio sozusagen, zur Verfügung stehen.

Ich kenne meine Pflicht als loyaler Beamter und werde mit kaltem Herzen und steinerner Seele unerbittlich den Ausgang verteidigen, komme was da wolle. Ich werde mein großes pädagogisches Vorbild nicht enttäuschen, bei meiner Seele. Niemals, um keinen Preis der Welt, in tausend Jahren nicht! Dumm ist nur, dass dienstags, ausgerechnet dienstags, im Supermarkt gegenüber immer „Sale Day“ ist, wo man die besten Schnäppchen machen kann. Und wer macht nicht gerne Schnäppchen?

Nachdem ich mindestens zwei Minuten lang mit Händen und Füßen vergebens versucht habe, den Tsunami von Schülermassen vor dem nahenden Tod auf der schrecklichen Straße zu bewahren, klopfe ich mir den Staub von der kugelsicheren Weste, sage »Ach, Scheiß drauf« – und schließe mich der Meute an. Wir haben Glück, die Fußgängerampel steht gerade auf Grün, alle Autos bleiben brav stehen, und wir erreichen alle unbeschadet die andere Straßenseite. Uff, das Schlimmste wäre geschafft. Dann schiebe ich mich mit der Masse in den Supermarkt.

Dort angekommen, sehe ich schon von weitem einen rot blinkenden Pfeil, das Zeichen für den „Deal of the Day“. Früher nannten sie es noch „Tagesangebot“, aber man muss mit der Zeit gehen und sich auch linguistisch dem Mainstream anpassen. Ich also vorbei an den Regalen mit trendy Craftbeer, der Veggieabteilung, rechts die Cereals, links die Ham & Cheese Coolers, und schon bin ich am Ziel. Was gibt es denn heute Schönes? Ahhh, „Raisins sunburnt, from California“. 500 Gramm regulärer Preis 4,99 Euro. Heute „Buy 10, Pay 9“. Ich nehme alles, was die gierigen Raffer vor mir übriggelassen haben. Keine Ahnung, was ich jetzt verdient habe, aber es hat sich in jedem Fall gelohnt, mehr als gelohnt. Jetzt geht es in direktem Weg an die Kasse.

Ein Blick auf die Uhr zeigt mir, dass die Große Pause in zwei Minuten zu Ende ist. Ich also schnell bei Rot über die Straße, die quietschenden Autos ignorierend. Hoffentlich hat mich keiner von meinen Schülern gesehen, man soll ja schließlich Vorbild sein. Es dauert alles etwas länger, weil ich den überfüllten Einkaufswagen vor mir herschieben muss. Das linke Vorderrad klemmt und verursacht einen Höllenlärm. Ich komme unkontrolliert durch den Eingang aufs Schulgelände zurück. Ich schätze, der Kollege, der hier eigentlich Aufsicht schieben müsste, sitzt gemütlich im Lehrerzimmer, trinkt ein Käffchen, hält ein Schwätzchen oder macht ein Nickerchen.

Ich will gerade um die letzte Ecke biegen, da springt ein Schatten hinter einem Haselnussbusch hervor und stellt sich mir in den Weg. Ich weiß natürlich sofort, wer das ist. Bevor ich ihn fragen kann, ob ich ihn zu einer Runde Kalifornischer Rosinen einladen darf, sagt er mit gefährlich leiser Stimme: »Darf ich fragen, was Sie hier machen?«  »Ja, klar, Herr Dr. Doktor. Ich komme von REWE. Stellen Sie sich das mal vor, sonnenverwöhnte Kalifornische Rosinen, Buy 10, Pay 9, Sie verstehen? Ist das nicht der Hammer?«

Er glotzt mich an, als spräche ich Kisuaheli. Er scheint meine Begeisterung nicht zu teilen. »Buy 10, pay 9? Kalifornische Rosinen?? Wollen Sie mich auf den Arm nehmen, Mann?« »Keineswegs«, erwidere ich entzückt. »Buy 10, pay 9, Sie verstehen? Aber ich muss Sie enttäuschen, alles weg, hihihi. Ich habe den ganzen Stapel gekauft.« Ich kann die Freude über meinen Megadeal nicht verbergen und zeige stolz auf  den Einkauf.

“Sie hatten Aufsicht! Pausenaufsicht, hier am Eingang. Und Sie waren nicht da. Also musste ich jetzt Ihre Aufgabe übernehmen”

»REWE? Sie waren bei REWE?? Ich habe Sie überall gesucht. Wir haben Große Pause, ist Ihnen das klar?«   »Ja, klar ist mir das klar, Herr Doktor. Die kleine Pause reicht ja gerade mal für Pippi, hihihi. Sie haben mich gesucht? Wollten Sie mit mir ein Käffchen trinken und ein Schwätzchen halten?«, frage ich erwartungsvoll. Das mit dem Nickerchen spare ich mir.  »Nein, verdammt noch mal. Sie hatten Aufsicht! Pausenaufsicht, hier am Eingang. Und Sie waren nicht da. Also musste ich jetzt Ihre Aufgabe übernehmen. Pausenaufsicht. Als Schulleiter! Glauben Sie, ich hätte nichts Besseres zu tun?« Ehrliche Antwort? Besser nicht.

»Dass Sie jetzt keine günstigen Rosinen mehr bekommen bei REWE tut mir leid, aber nächsten Dienstag ist wieder Deal of the Day, da lasse ich Ihnen den Vortritt, mein Ehrenwort als Indianer.« »Hören Sie endlich auf mit Ihren Rosinen. Ich hasse Rosinen!!«   »Na, umso besser. Ich hasse sie im Übrigen auch, aber so einen Megadeal kann man sich ja wohl schlecht durch die Lappen gehen lassen, oder? «  »Mann, Sie bringen mich noch ins Grab. Aber eines sage ich Ihnen, das mit der Pausenaufsicht können Sie in Zukunft vergessen. Das war das letzte Mal, dass Sie dieses Privileg genossen haben!« News4teachers

Bildungspläne: „Eher Hemmschuh als Hilfe“ – was Lehrkräfte wirklich brauchen (Gastbeitrag eines erfahrenen Pädagogen)

Anzeige


Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

6 Kommentare
Älteste
Neuste Oft bewertet
Inline Feedbacks
View all comments
kanndochnichtwahrsein
17 Tage zuvor

…hat das mit der verbotenen Straßenüberquerung und dem Supermarktverbot nicht eher den Grund, dass die Kids nur auf dem dierkten Weg zwischen Haustür und Schule über den GUV versichert sind…???
Gilt ja eigentlich auch für uns – Anfahrt und Rückfahrt zum Dienstort sind über den Dienstherrn versichert – ein Unfall also ein Wegeunfall/Dienstunfall – nicht aber der Abstecher zum Einkaufszentrum etc.

Biene
16 Tage zuvor

Sie dürfen die Tankstelle besuchen, nur zum Tanken und Reifen aufpumpen, dann sind Sie auch wieder über die GUV versichert. Sobald Sie aber vom “Superdeal” bei REWE to go überfallen werden, ist auch das Tanken nicht mehr GUV versichert.

447
17 Tage zuvor

Aussenaufsichten sind eh die besten – doch warum?

Nun, dank der Erfindung der Kluguhr kann man mit exakt drei Tastendrücken ein (bei guten Modellen) metergenaues Laufprotokoll der Aufsicht anlegen.

Wenn also Anwärter auf den Darwin-Award mal wieder ihre päuslichen Gigafails produzieren, der örtliche BezRg-Einschmeichler mit lückenlos ultradeutscher Gründlichkeit die Kollegen verpfeif…äh….überprüfen will, woanders was passiert, dann erklingt aus der Geräuschausgabeöffnung der Bildungsdrohne nur dieses Verslein:

“Lieber Schulleitungsstellvertreter
und Landesamtsgeheimagent,
was soll dieses denn nun heissen,
da hätte wer gepennt?

Komm wir gehen in Dein Büro,
zu einem schönen Dienstgespräch
der Anlass ist das dienstliche Verhalten,
und nicht wie man ‘ne Taube brät!

Dort kannst Du allen von uns erzählen,
mit Zeugen und Aufnahmefaxgerät,
wie wichtig sei die verbohrte Aufsicht,
verfiddelt und zugenäht!

Protokolliere diese Ansicht,
mach ein böses Amtsgesicht,
doch ach die Überraschung,
die gelingt so ganz nicht!

Fragt der Frechling noch nach Zeugen,
nach sowas wie einem Beleg,
am Ende gar noch ‘Rechtsstaat’,
was glaubt der was hier geht?

Petzer- und Streberkollegen,
eventuell garnoch der Typus Schleimer,
Kollegenbespitzelungsdienstleister,
alles dann im Eimer!

Denn so ganz am Ende vom Disziplinierungsdienstgespräch,
nach Enthüllung gewisser Insekten und Spitzel,
da zeigt sich was mit Technik geht!

In bunt animierten Farben,
mit Schrittzahl, Puls und Uhrzeit ausgestellt,
verläuft animiert die Aufsicht,
woraufhin es sich rausstellt:

Das war ein Schlag ins Wasser,
nur ganz ohne Fisch,
verdammte amerikanische Technik,
a lot is here amiss!

Kann man das nicht verbieten,
wo ist de-geh-äss-voh,
doch sich selber tracken,
das darf der Beamte sogar auf dem Klo!”

Lisa
17 Tage zuvor

“Und wer im Ansehen des Schulleiters weit oben auf der Leiter steht, kann mit einer baldigen Beförderung rechnen oder wird gar selbst bald Schulleiter.”
Das ist aber nicht richtig. Auf welchen Posten sollte man denn befördert werden? Und es ist mitnichten so, dass der beste Lehrer dann Schulleiter wird, oder dass der Schulleiter den ” Kronprinzen”, die “Kronprinzessin ” kürt.
Wenn es so wäre, gäbe es jedoch vielleicht mehr freiwillige Pausenaufsichten. 😀

alter Pauker
17 Tage zuvor

Oh Mann, Frau oder andere, wie tief kann man sinken? -hihi!

seltensogelacht
15 Tage zuvor

Pausenaufsicht als Karrieresprungbrett: ironischer kann man dieses konfliktreiche Thema nicht auf den Punkt bringen. Ich habe mich aus dem Fenster geschmissen vor Lachen. Der loyale Beamte verzichtet auf Dienstpflicht und Beförderung, um sich ein paar Kilo Rosinen zu sichern, obwohl er Rosinen hasst und dann bietet er sie dem tobenden Schulleiter als Entschädigung an. Kafkaesker kann man die lächerlichen hierarchischen Strukturen an unseren Schulen nicht mehr darstellen. Ganz großes Kino. Hahaha.