“Ein paar Stunden Geschichtsunterricht zum Holocaust reichen nicht aus” – Bundesland kündigt Pflichtbesuche in Gedenkstätten an

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BERLIN. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat angesichts des 80. Jahrestages der Befreiung des NS-Konzentrationslagers Auschwitz zu mehr Erinnerungskultur aufgerufen. «Es muss uns bedrücken, wie viele junge Menschen in Deutschland kaum noch etwas über den Holocaust wissen», sagte Scholz. Das sei eine Mahnung und ein Auftrag an alle, daran etwas zu ändern. Aber wie? Hamburg kündigt Pflichtbesuche in Gedenkstätten an.

In Auschwitz wurden zwischen 1,1 und 1,5 Millionen Menschen ermordet. Foto: Shutterstock

Angesichts der abnehmenden Zahl der Zeitzeugen, sagte Scholz in einem Interview mit der Neuen Berliner Redaktionsgesellschaft sowie der «Stuttgarter Zeitung» und den «Stuttgarter Nachrichten», sei es «wichtig, dass wir möglichst vielen jungen Menschen ermöglichen, mit den noch lebenden Zeitzeugen zu sprechen. Und wir müssen die Erinnerung hochhalten, wenn die letzten Zeugen einmal nicht mehr leben.»

Am 27. Januar 1945 befreiten sowjetische Soldaten das deutsche Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz im von der Wehrmacht besetzten Polen. Die Nationalsozialisten hatten rund 1,3 Millionen Menschen in das Lager verschleppt. Etwa 1,1 Millionen wurden getötet, darunter etwa eine Million europäische Juden. Seit 1996 ist der Tag nationaler Gedenktag.

Bundesbildungsminister Cem Özdemir beklagte Wissenslücken über den Holocaust. «80 Jahre nach diesem Zivilisationsbruch besorgen mich Umfragen zu massiven Wissenslücken, insbesondere bei der jüngeren Generation», sagte der Grünen-Politiker dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Er verwies auf kürzlich veröffentlichte Umfrageergebnisse der Jewish Claims Conference zu jungen Leuten und ihrem Wissensstand zur Schoah und zum Holocaust.

Danach hat gut jeder zehnte junge Erwachsene in Deutschland demzufolge noch nie etwas von den Begriffen Holocaust oder Schoah gehört. In Deutschland sagten dies auf eine entsprechende Frage 12 Prozent der befragten 18- bis 29-Jährigen. In Österreich waren es 14, in Rumänien 15, in Frankreich sogar 46 Prozent der jungen Leute. Die Umfrage hat die Jewish Claims Conference mit jeweils 1.000 Befragten in acht Ländern in Auftrag gegeben. Diese Länder waren Deutschland, Frankreich, Österreich, Großbritannien, Polen, Ungarn, Rumänien und die USA.

«Wir dürfen niemals zulassen, dass die Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschlands in Vergessen geraten»

Es dürfe nicht sein, dass mehr als jeder zehnte junge Deutsche im Alter den Begriff Holocaust noch nie gehört habe, und dass 40 Prozent nicht wüssten, dass sechs Millionen Jüdinnen und Juden während des Holocausts getötet wurden, sagte Özdemir. «Wir dürfen niemals zulassen, dass die Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschlands in Vergessen geraten. Allen Relativierungsversuchen haben sich Demokratinnen und Demokraten entgegenzustellen», sagte der Minister.

Hamburgs Schulsenatorin Ksenija Bekeris (SPD) plant für alle Hamburger Schülerinnen und Schülern den verpflichtenden Besuch einer Gedenkstätte. Eingebettet werden soll der Besuch in eine entsprechende pädagogische Vor- und Nachbereitung durch die Lehrkräfte, damit davon eine nachhaltige Wirkung ausgehen kann, wie Bekeris bei der Verleihung der Bertini-Preise im Ernst-Deutsch-Theater sagte.

«Die Befragung im Auftrag der jüdischen Claims Conference zeigt leider erschreckende Ergebnisse, auch für Deutschland», sagte Bekeris. Zwar wissen die Deutschen im Vergleich mit sieben anderen Ländern immer noch am meisten über die Schoah, dieses Wissen nehme erschreckenderweise aber ab.

Wissen über die Schoah nimmt ab

«Die Studie gibt uns einen erneuten mahnenden Anlass, gerade am 27. Januar, noch stärker grundlegendes Wissen über den Holocaust und die Schoah zu vermitteln», sagte die Senatorin. «Gleichzeitig müssen wir das übergreifende Thema Demokratiebildung sehr viel stärker in den Fokus nehmen. Beides muss, mehr noch als bisher, zu einem zentralen Auftrag der Schulen gemacht werden.»

In Hamburg gibt es zahlreiche Gedenkstätten, die an die Zeit des Nationalsozialismus und den Holocaust erinnern. Die KZ-Gedenkstätte Neuengamme erinnert an die mehr als 100.000 Opfer des Nationalsozialismus, die hier zwischen 1938 und 1945 inhaftiert waren und von denen 50.000 starben. Weitere Gedenkstätten sind Bullenhuser Damm, Poppenbüttel und Fuhlsbüttel sowie das Denkmal Hannoverscher Bahnhof, Ausgangspunkt für Deportationen in Ghettos, Konzentrations- und Vernichtungslager.

Entwicklung eines neuen Demokratie-Leitbildes

Aktuell werde ein neues Demokratie-Leitbild für alle Schulen entwickelt, in dem grundlegende Vorstellungen von Demokratiebildung in allen Lebens- und Bildungsphasen von der Vorschulerziehung bis hin zum lebenslangen Lernen festgelegt werden, hieß es. Das Landesinstitut bekomme zusätzliche Mittel, um für Schulen Demokratiewerkstätten zu entwickeln und Projekte der Demokratiebildung in großem Umfang anzubieten.

«Denn gerade heute ist es notwendiger denn je, zu betonen, dass Freiheit und Menschenwürde, Demokratie und das Bekenntnis zu Toleranz und Empathie nicht nur in der mittlerweile fernen Vergangenheit gefährdet waren», sagte Bekeris. «Sie sind auch in der Gegenwart wieder bedroht. Auch heute werden in Deutschland Menschen verhöhnt und diskriminiert, ausgegrenzt und beschimpft.»

Erweiterung der Lehrkräftequalifizierung

Gleichzeitig solle die Lehrkräftequalifizierung im Bereich der Demokratiebildung deutlich ausgeweitet werden. Im Startchancenprogramm für Schulen in sozial herausforderndem Umfeld werde die «Förderung der demokratischen Teilhabe» in den nächsten Jahren personell und materiell nachhaltig ausgestattet.

Hamburg entspricht mit den Pflicht-Besuchen von Holocaust-Gedenkstätten einer Forderung, die aktuell der Landesschülerrat Mecklenburg-Vorpommern und die Ernst-Moritz-Arndt-Gesellschaft stellen.

Mindestens einmal in der 8. und 9. Klasse sollten Schülerinnen und Schüler als festen Teil des Unterrichts ein Konzentrationslager besuchen, betonte die Ernst-Moritz-Arndt-Gesellschaft. Bislang gelte die Regel nur in Bayern und im Saarland, teilte die Gesellschaft mit. «Wer hier auf Freiwilligkeit pocht, hat den Sinn demokratischer und historisch-politischer Bildung nicht erkannt. Denn vor allem durch Begegnung wird der Sinn dafür geschärft, dass Ausgrenzung, Denunziation und Verächtlichmachung Brutstätten für Extremismus sind», sagte der Vorsitzende der Gesellschaft, Klaus-Michael Erben, dazu laut Mitteilung.

«In unseren Schulen wird zu wenig über den Holocaust informiert, aber auch die Art und Weise, wie Schülerinnen und Schüler aufgeklärt werden, muss sich maßgeblich verbessern»

Bei der Arndt-Gesellschaft war am Wochenende die Holocaust-Forscherin und Autorin Melissa Müller zu Gast. «Verdrängung auf Eltern- und Großelternseite führt zu Nichtwissen der Nachgeborenen, führt hin zur Stärkung anti-demokratischer Kräfte, die sich jetzt zur Wahl stellen», sagte Müller laut Mitteilung.

Auch der Landesschülerrat M-V wünscht sich mehr Aufklärung über den Holocaust. Diese Zeit sei für die Schülerinnen und Schüler nur noch schwer greifbar, sagte der Vorsitzende Felix Wizowsky. «In unseren Schulen wird zu wenig über den Holocaust informiert, aber auch die Art und Weise, wie Schülerinnen und Schüler aufgeklärt werden, muss sich maßgeblich verbessern. Ein paar Stunden Geschichtsunterricht reichen dabei lange nicht aus.» Exkursionen zu Holocaust-Gedenkstätten fänden viel zu selten statt. News4teachers / mit Material der dpa

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Rüdiger Vehrenkamp
10 Tage zuvor

Halte ich für eine 100% sinnvolle Sache. Nur geht mit dem Tod der Großmütter und -väter persönlicher Bezug zum Thema verloren und meiner Erfahrung nach, sind Jugendliche durch die (sozialen) Medien inzwischen sehr viel abgestumpfter, wenn es um das Thema Gewalt gegen Menschen geht. Es gibt Videospiele, die im zweiten Weltkrieg spielen. Zwar ist mir keines bekannt, in dem man die deutsche Seite spielt, aber irgendwo bekommt die Zeit des Nationalsozialismus dadurch einen gewissen Entertainmentfaktor.

Als ich selbst Schüler war und wir die Gedenkstätte Dachau besuchten, standen einigen von uns die Tränen in den Augen, den Kloß im Hals werde ich nie vergessen. Meine Tochter besuchte mit ihrer Stufe ebenfalls die Gedenkstätte Dachau (mein Sohn hat dies in diesem Jahr noch vor sich) und sie berichtete mir eher von der ausgelassenen Stimmung im Bus.

Absolut jeder sollte eine KZ-Gedenkstätte besuchen müssen, bin ich dafür. Aber uns muss auch klar sein, dass Jugendliche heuzutage anders mit dem Besuch umgehen, als wir uns das vielleicht wünschen.

Rainer Zufall
10 Tage zuvor

“Nur geht mit dem Tod der Großmütter und -väter persönlicher Bezug zum Thema verloren .”
Mit dem Tod beziehen Sie sich hoffentlich auf den Tod der meisten Menschen, die Täter* und Mitläufer*innen waren…

Videospiele anzuführen, wenn Musk, Höcke und Co. munter Naziparolen/ -Grüße auf Sozial Media herunterspielen halte ich auch für ein wenig verfehlt. Nachvollziehbar, dass Rechtsextreme lieber die Deutschen im Multiplayer spielen, dass die Spiele Sie zu Rechtsextremen machen, sollte bitte mit Untersuchungen gestützt werden.

Natürlich muss so ein Besuch vor- und nachbereitet werden und Fehlverhalten der Schülerschaft von heute muss ggf. aufgegriffen werden.
Ich sehe aber auch eine Chance, besonders bei den Kindern, die antisemitischen Haltungen im Umfeld ausgesetzt sind: die Distanz, zeitlich und ohne verwandtschaftliche Verknüpfungen, können zu einer abgeklärteren Reflexion genutzt werden

Rüdiger Vehrenkamp
9 Tage zuvor
Antwortet  Rainer Zufall

Bitte legen Sie mir doch keine Worte in den Mund, die ich so nie gesagt habe. Meine Aussagen zu Videospielen bezog sich darauf, wie die Zeit des Nationalsozialismus inzwischen auch als “Unterhaltung” wahrgenommen wird. Welche Schrecken hat denn der zweite Weltkrieg noch, wenn ihn ein 15-jähriger nur aus Videospielen kennt? Ich hab absolut keinen Schimmer, wie Sie anhand meines Postings auf Musk, Höcke und Naziparolen kommen bzw. dass ich diese herunterspielen wollen würde.

Mit dem “Tod” beziehe ich mich auf den Tod von Zeitzeugen generell. Mein Opa selbst war ein handfester Nazi. Kein Wunder, er wuchs unterm Hakenkreuz auf und war dementsprechend gehirngewaschen. Er kämpfte im zweiten Weltkrieg auf deutscher Seite und geriet in russische Kriegsgefangenschaft. Sehr viel später engagierte er sich in der SPD. Er konnte mir als Zeitzeuge noch einiges über die Zeit des Nationalsozialismus erzählen und er tat dies ohne diese zu glorifizieren. Dieser persönliche Bezug geht mit jeder Generation mehr verloren. Je weiter weg diese Ereignisse sind, umso weniger erreichen sie mich emotional. So geht es doch mit vielen Dingen. Daher sind Gedenkstättenbesuche sinnvoll. Aber wahrscheinlich stumpfen die Menschen hier immer mehr ab.

Ich hoffe, Sie haben meine ursprüngliche Intention nun verstanden.

Rainer Zufall
9 Tage zuvor

“Nur geht mit dem Tod der Großmütter und -väter persönlicher Bezug zum Thema verloren”

Ich wollte hnen da nicht unbötig nahe treten, mit Blick auf die Zahlen von Tätern, Mitläufern und echten Opfern hätte ich mir aber eine konkretere Aussage gewünscht.
Nicht alle Altnazis, traten später für die Dekokratie ein…

Das Ballerspiele mitschuld seien sollen, sehe ich persönlich nicht wirklich belegt und mit Blick auf social Media und Politik für unfassbar gering, sollte es bestehen

Unfassbar
9 Tage zuvor
Antwortet  Rainer Zufall

Mittlerweile eher schon die Urgroßmutter oder der Urgroßvater, die beide oft genug schon bei der Geburt der heutigen Schüler nicht mehr am Leben waren.

Rainer Zufall
9 Tage zuvor
Antwortet  Unfassbar

Oder aufgrund der Herkunft der Schüler*innen keine Tätergeneration.
Dass die (Groß-)Eltern Nazideutschland erlebten, scheint sehr viele AfD-Wähler*innen nicht beeinflusst zu haben.

Wie beschrieben sehe ich aber eine Chance darin, Kinder gerade aufgrund dieser Distanz an diese Geschichte heranführen und auf aktuellere Themen übertragen lassen zu können.

Einer
10 Tage zuvor

Finde ich super!
Noch besser wäre es, wenn auch die Kosten dafür übernommen werden. Gerne aus Steuergeldern. Obwohl da bestimmt eine Partei nicht mitstimmen würde. Von uns aus bis zur nächsten Gedenkstätte Bergen-Belsen sind es gute 3 Stunden Fahrzeit und ein Bus kostet Geld. Mit den D-Tickets würde die Fahrt noch länger dauern und es haben nicht alle Schüler ein D-Ticket.
Was ich auch völlig absurd finde sind dann die Kollegen, die einen solchen Tag dann planen mit “8 Uhr los – um 11 in Bergen-Belsen – 2 Stunden Besichtigung und dann sind wir um 14 Uhr in Hannover zum Shoppen. Dann ist der Tag auch gefüllt und man muss ja auch etwas Spaß haben auf einem Ausflug.” Solche Kollegen gibt es und ich finde eine solche Planung abstoßend.

Hans Malz
9 Tage zuvor
Antwortet  Einer

Das ist das Problem. Bergen-Belsen ist das nächste Konzentrationslager, das wir anfahren können. Wir haben das mal gemacht, um 6 Uhr morgens mit dem Bus los und um 22 Uhr waren wir wieder da. Ohne Rahmenprogramm.

Also gehen wir lieber regelmäßig Stolpersteine polieren. Das hält auch das Bewusstsein wach und hat lokalen Bezug. Außerdem ist es nicht nur eine einmalige Maßnahme.

Lisa
7 Tage zuvor
Antwortet  Hans Malz

https://www.hessenschau.de/kultur/schueler-gestalten-kunstwerk-ueber-ns-euthanasie-mit-wenn-der-ort-des-schreckens-vor-der-eigenen-haustuer-liegt-v1,weilmuenster-schulprojekt-100.html als Beispiel, da gibt es einige.
KZs sind nicht unbedingt in der Nähe, wenn man die Greuel der Nazizeit verdeutlichen möchte. Man kann das Thema aber auch auf ” Euthanasie” oder auf “Arbeitslager” ausweiten, da gibt es plötzlich doch so einiges oft am gleichen Ort. Für die Schüler evtl. eindrücklicher als eine große Fahrt woanders hin.

ed840
10 Tage zuvor

Ist in Bayern m.W. schon seit Jahren für RS und GYM verpflichtend, für MS im Ermessen der jeweiligen Schule. Wenn ich mich recht erinnere, sprach sich der BLLV in Bayern auch gegen eine Pflicht für Mittelschüler*innen aus.

Federfuchs
10 Tage zuvor

Ich weiß nicht, ob es Pflicht war, sowas gab es in der DDR. Wir besuchten in der 8. Klassen Sachsenhausen. Hat es geholfen, (ehemalige) DDR-Bürger vor dem Rechtsextremismus zu immunisieren? Ich glaube, solche Beschlüsse sind letztendlich ein großer Trugschluss. Daran liegt es nicht!

dickebank
9 Tage zuvor

Also Leistung ist Arbeit je Zeit – d.h. die Lehrpläne ausweiten, die Klassenfrequenzen hochsetzen und für die SuS die Unterrichtszeit je Woche auf ein 28 Stundenraster einzukürzen. Mehr Inhalte für Viele in kürzerer Zeit – mehr Leistung geht nicht.

Lisa
9 Tage zuvor

“Danach hat gut jeder zehnte junge Erwachsene in Deutschland demzufolge noch nie etwas von den Begriffen Holocaust oder Schoah gehört. In Deutschland sagten dies auf eine entsprechende Frage 12 Prozent der befragten 18- bis 29-Jährigen. In Österreich waren es 14, in Rumänien 15, in Frankreich sogar 46 Prozent der jungen Leute”
Das erschüttert mich. Haben diese jungen Leute denn unsere Schulen nicht durchlaufen? Oder war es so, dass sie kein bisschen zuhören? In den letzten drei Jahren Schulzeit wurden zumindest früher kaum andere Themen als Drittes Reich im Geschichtsunterricht behandelt. Ich vermisse allerdings auch, dass der Zugang im Deutschunterricht nicht angesprochen wird. Gerade in Deutsch gibt es sehr viele Lektüren, die man zum Thema lesen kann.
Eine Fahrt in ein Konzentrationslager ist kein einfaches Allheilmittel, sie muss sehr gut vorbereitet und nachbereitet werden. Man kann naiv und respektlos durch jede Gedenkstätte latschen, ohne sehr berührt zu sein.

Adele Horn
8 Tage zuvor
Antwortet  Lisa

Man kann naiv und respektlos durch jede Gedenkstätte latschen, ohne sehr berührt zu sein.” Genau das ist das Problem. Emotionen und Empathie kann man nicht erzwingen, und in der Wahrnehmung der heutigen Schülerinnen und Schüler ist der damalige Holocaust eben nicht mehr _das_ fürchterliche Event in der Weltgeschichte.
Das Dritte Reich rückt unweigerlich immer mehr in den Bereich “Längst vergangene Zeiten”. Meine eigenen Kinder sind mittlerweile erwachsen, und selbst deren Urgroßmütter waren bei Hitlers Machtergreifung gerade mal 5 bzw. 10 Jahre alt. Der persönliche Bezug und der Betroffenheitsfaktor, auf den Bekeris da hofft, ist mittlerweile nicht mehr größer als bei jedem beliebigen anderen Kapitel aus “Blood and Soil: A World History of Genocide and Extermination from Sparta to Darfur”. Und das ist ein verd*mmt dickes Buch.

Entweder, man empfindet da etwas, weil man als Mensch entsprechend sozialisiert wurde, oder man empfindet da eben nichts. Diese Sozialisierung mit einer Pflichtveranstaltung nachholen zu wollen, halte ich für ein ziemlich illusorisches Unterfangen. Wichtiger wäre es m. E., die Parallelen zu heutigen Ereignissen verstärkt auszuarbeiten. Nicht nur anhand des Holocaust, sondern anhand eben all der vielen anderen derartigen Episoden, international, quer durch Zeit und Raum.

Metalman
9 Tage zuvor

Ja unbedingt, ich besuche verschiedene KZs und Erinnerungsorte regelmäßig. Allerdings ist mit einem pauschalen “Verschreiben” von solchen Besuchen alleine nichts gewonnen. Das ist vielmehr reiner Aktionismus.

Genausowichtig wie der eigentliche Besuch ist die gründliche Vor- und Nachbereitung und evtl. eine qualifizierte Führung. Macht man die Vorbereitung nicht, und das habe ich mehrmals gesehen, traben die Schülergruppen teilnahmslos durch das Gelände, möglicherweise mit dem Handy in der Hand und warten darauf, bis es vorbei ist. Also ein Pflichtbesuch im wahrsten Sinne des Wortes. Erkenntnisvermehrend oder nachhaltig ist das nicht.

Oder aber, die Schüler erleben einen Schockmoment und bleiben damit alleine. Was also auch nötig ist, ist die Möglichkeit zur Reflexion und Einordnung nach dem Besuch um die verstörenden Ereignisse einigermaßen zu verarbeiten.