BERLIN. Kommt jetzt ein großer Wumms für die Bildung? Der reicht nicht, sagt VBE-Chef Gerhard Brand. Mit Blick auf das gerade im Bundestag beschlossene 500-Miliarden-Euro-Investitionspaket fordert er Mut zu echten Prioritäten: Bildung müsse als Grundlage für Fachkräftegewinnung und Wirtschaftswachstum langfristig finanziert werden. Der Lehrkräftemangel, unklare Zuständigkeiten und kurzfristige Sprachtests drohten sonst weiterhin die Bildungsqualität zu gefährden. Der VBE pocht auf nachhaltige Lösungen statt temporärer Projekte – und warnt vor „Projektitis“.

„Wir brauchen nicht noch mehr Projekte, mit denen in kurzer Zeit mit einem Minimum an Investitionen das sowieso Erwartete umgesetzt werden soll. Wir brauchen mehr! Wir erwarten, dass mit dem Koalitionsvertrag Mut bewiesen wird, die richtigen Prioritäten zu setzen“ – sagt Gerhard Brand, Bundesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), mit Blick auf das gerade vom Bundestag beschlossene Schulden-Paket für Verteidigung und Investitionen in die Infrastruktur.
Brand: „Infrastruktur beginnt immer mit Bildung. Sie ist Grundstein aller Berufe und damit Teil der Antwort zur Behebung des Fachkräftemangels und Basis für Wirtschaftswachstum. Das muss sich auch am Investitionsvolumen ablesen lassen“, meint der VBE-Chef.
„Nach Jahren der Unterfinanzierung nun für drei bis fünf Jahre Geld ins System zu geben, wird kein Problem lösen“
Im Sondierungspapier zeige sich „Projektitis“. Wenn aber Kinder und Jugendliche gerechte und gleiche Bildungschancen haben sollen, um mit Lernfreude und Leistungsbereitschaft eine hervorragende Bildung zu erhalten, gehöre dazu mehr, so Brand – nämlich langfristige Perspektiven: „Es gibt Herausforderungen im Bildungssystem, die seit Jahrzehnten bestehen und sich beständig zuspitzen. Nach Jahren der Unterfinanzierung nun für drei bis fünf Jahre Geld ins System zu geben, wird kein Problem lösen. Politik scheint der Meinung zu sein, dass es hilft, verbrannte Erde zu löschen. Wir brauchen aber vor allem langfristige und nachhaltige Unterstützung, die früh ansetzt.“
Zentral für alle Vorhaben sei, dass Personal gewonnen, bestmöglich ausgebildet, kontinuierlich qualifiziert und gesundgehalten werde. Dreh- und Angelpunkt ist für Brand der akute Fachkräftemangel im Bildungssektor, sei es im frühkindlichen Bereich, unter Lehrkräften oder weiteren pädagogischen Professionen. „Kein einziges zusätzliches Vorhaben wird sich innerhalb der nächsten Jahre umsetzen lassen, wenn nicht massiv Personal gewonnen wird, das dabei unterstützen kann, die vielfältigen Herausforderungen zu schultern. Deshalb muss um mehr Personal geworben werden, das angemessen qualifiziert, kontinuierlich fort- und weitergebildet und gesundgehalten wird.“
Allerdings halte er nichts davon, den Bedarf nur mit Seiteneinsteigenden zu decken. Brand: „Davon abgesehen, dass in Bundesländern mit besonders hohen Bedarfen nicht mal mehr ausreichend Personen im Seiteneinstieg gefunden werden, bleibt es bei unserer Positionierung: Der Personalbedarf an Kitas und Schulen sollte mit originär ausgebildeten Lehrkräften gedeckt werden. Die Meldungen, dass seit 2022 die Geburtenrate wieder sinkt, darf uns nicht in den nächsten Schweinezyklus bringen. Wir brauchen jede Kraft. Auch in fünf Jahren. Das System hat in den letzten Jahren unter höchstem Druck funktionieren müssen. Das hat viele Lehrkräfte krank gemacht und führt auch dazu, dass mehr als üblich nicht bis zum Regelrenteneintrittsalter im Beruf bleiben. Die in Aussicht stehende Entlastung durch kleinere Lerngruppen, eine Doppelbesetzung oder die Unterstützung von Lehrkräften mit Zusatzqualifizierungen wie Deutsch als Zweitsprache sind ein Hoffnungsschimmer!“
Zuständigkeiten im Mehrebenensystem müssten klar geregelt sein, aber Zusammenarbeit und gemeinsame Finanzierung ermöglichen. Die Zusammensetzung der Arbeitsgruppe Bildung bei den Koalitionsverhandlungen lässt Brand zufolge hoffen: Sie bilde tatsächlich die Verantwortlichkeiten im Mehrebenensystem ab. Mitglieder des Bundestages sitzen dort am Tisch mit Ministerinnen und Minister der Länder sowie tragenden Personen der beteiligten Parteien. Brand betont: „Diese Zusammenstellung ist eine echte Chance, da von vornherein die Positionen von Bund und Land abgeglichen werden. Es ist zu hoffen, dass auch die dritte Ebene, die Kommunen, ausreichend eingedacht werden. Schließlich sind sie es, die am Ende die Finanzierung stemmen bzw. Investitionen verteilen müssen.“
Mit Blick auf die große Dringlichkeit und die geringen Möglichkeiten vieler Kommunen setzt sich der VBE-Chef für eine Sanierungsoffensive ein – und mit Blick auf die digitale Ausstattung der Schulen einen „Digitalpakt für die Ewigkeit, wenn man so möchte“. Darüber hinaus wird es in einigen Bundesländern weiterhin als große Herausforderung angesehen, den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung ab dem Schuljahr 2026/27 umzusetzen. „Die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse ist ein grundgesetzlich verbrieftes Recht, das es einzulösen gilt. Das heißt aber auch, dass der Heterogenität vor Ort Rechnung getragen werden muss. Ein Teil der Investitionssummen sollte daher nach sozio-ökonomischen Faktoren vergeben werden“, fordert Brand.
„Jede Forderung nach Sprachstandstests bleibt daher Makulatur, wenn nicht von vornherein eine auf dem Testergebnis basierende Förderung gewährleistet werden kann“
Ein aktuelles Politikum und eine der wenigen konkreten Forderungen aus dem Sondierungspapier von Union und SPD seien Sprachstandstests. Diese würden unter viel Aufwand durchgeführt und bänden Ressourcen, die an anderer Stelle fehlten. Durch den Mangel an Personal, Fortbildungen und Kooperationszeit könnten zudem kaum ausreichend Konsequenzen erwachsen. Der VBE-Chef warnt: „Im schlimmsten Fall besteht die Gefahr, dass die Tests nur dafür verwendet werden, Kinder von dem Schulbesuch abzuhalten. Jede Forderung nach Sprachstandstests bleibt daher Makulatur, wenn nicht von vornherein eine auf dem Testergebnis basierende Förderung gewährleistet werden kann. Deshalb braucht es ein Umdenken! Sprachstandstests müssen im Sinne der Chancengerechtigkeit die Integration von Kindern, deren bestmögliche Entwicklungsunterstützung und damit ihr Fortkommen im Bildungssystem im Fokus haben.“
Im Sondierungspapier wird zudem aufgeführt, Sprachkitas wieder einzuführen und das Startchancen-Programm auf die Kitas auszuweiten. Diese Vorschläge werden von Brand begrüßt, wenngleich er auch hier eine langfristige Perspektive anmahnt. Davon abgesehen, dass dies nicht zu einer Verminderung der Investitionssumme für schulische Bildung führen dürfe, stellt Brand klar: „Das Kita-Qualitätsgesetz bietet viele Ansatzpunkte. Es ist eine bekannte, gut verhandelte Struktur, die weiter finanziert werden sollte Wir fordern daher, die bestehenden Strukturen über 2026 hinaus mit einer angemessenen Investitionssumme zu bedenken. So kann das gleiche wie mit den angedachten Projekten geleistet werden – nur besser und schneller.“ Kurz: Im frühkindlichen Bereich sollten bestehende Förderstrukturen genutzt und mit entsprechendem Investitionsvolumen ausgestattet werden – anstatt das Rad immer wieder neu erfinden zu wollen. News4teachers
Leidet unser Bildungssystem an Projektitis oder doch eher an Projektose? (Analog zu Arthritis/Arthrose)
https://www.focus-gesundheit.de/magazin/gesundheitstipps/unterschied-zwischen-arthrose-und-arthritis
Bei Arthritis helfen meist noch Medikamente, bei Arthrose im fortgeschrittenem Stadium hilft oft nur noch eine OP (künstliches Gelenk z. B.)
Unser Bildungssystem leidet definitiv an einer Mehrzahl von unfähigen Politikern, die alles andere als die Sachlage erkennen und entsprechend reagieren. Jeder möchte sich einen Orden anheften, egal ob dies sinnvoll, pädagogisch oder zielführend ist. Hauptsache getrommelt. Die vielen Reformen wurden zum großen Teil wieder einkassiert, haben halt unnötig Geld gekostet. Aber was solls. So geht Politik.
Nu ja, Projektförderung gibt es eben nicht flächendeckend. Das ist noch weniger als Gießkanne – schließlich müssen wir doch verantwortlich mit den Steuergeldern der alternden Wählerschaft, die zu 25% jenseits der Altersgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung ist, umgehen. Und die Eigenanteile bei der Pflege lassen sich halt einfacher erhöhen als Kindergartenbeiträge.
Die Gelenk-OP hilft in erster Linie den notleidenden Krankenhäusern. Also bei Arthritis Pacebos verordnen, damit die sich daraus ergebende Arthrose operiert werden kann. Von nix kommt nix bzw. beim beschriebenen Vorgehen eine höhere Umsatzprognose.
Irgendwie habe ich den Verdacht, dass im Bildungsbereich vor allem alle möglichen neuen Expertenrunden entstehen werden. Interdisziplinär zusammengesetzt aus Didaktikern, Psychologen und Erziehungswissenschaftlern (vielleicht mit Politikergatten als gutbezahltem Geschäftsführer) und mit viel bezahlter Zeit für Tagungen, in denen sie jede Menge neue Handreichungen und Leitfäden für die Lehrer produzieren können.
Und vielleicht werden tatsächlich auch einige Schulgebäude renoviert.
Ansonsten dürfte vor allem eine Reallohnkürzung durch Inflation den Bildungsbetrieb beglücken, denn irgendwer muss die Zinsen für die Schulden ja bezahlen. Die Wirtschaft schrumpft schon, kann also kaum mehr belastet werden.
Und, vermute ist, Friedrich Merz wird auch nicht bereit sein, selber für die Zinsen zu zahlen.
Es ist schon merkwürdig:
“Projekte” (also Leuchtturmschwachsinn) und Co.: Scheinbar nie endende Geldströme verfügbar.
Aber mal ganz schlicht:
– mehr Personal
– mehr Renovieren
– mehr bauen
– mehr Lehr- und Lernmaterialien
DAS geht irgendwie nie.
Sehr, sehr komisch…bestimmt ein Zufall…
Ich hätte da noch gerne ein paar Fortbildungen die dringend nötig sind drin untergebracht. Für die ist nämlich komischerweise auch nie Geld da.
Das klingt aber auch nicht so chic und man kann mit sowas nicht angeben. Schöne Fotos in der Presse gibt es auch nicht, dazu noch mehr Arbeit … Ich würde es genauso machen. Schliesslich geht es um die Karriere.
Ein wichtiger und differenzierter Beitrag, der valide Daten und Fakten sowie die Situation in der Fläche vor Augen hat.
Mehr Realität und weniger Wunschdenken im Wolkenkuckucksheim wünsche ich mir auch von anderen Lehrergewerkschaften.
Wieso glauben eigentlich alle, dass unter “Investitionen für Infrastruktur” Ausgaben für das Bildungsministerium zu verstehen sind?
Genauso kann das bedeuten, dass Gleise und Straßen gebaut werden, die Richtung Osten führen und Brücken so neu aufgebaut werden, dass sie Panzer tragen können.
So inhaltsleer und unkonkret, wie die Politiker von Infrastruktur hier geredet haben, halte ich das sogar für wahrscheinlicher.
Das ist alte Obrigkeitsgläubigkeit der Deutschen, die durch nichts zu erschüttern ist.
Die Staatsschulden haben sich seit 2000 verdoppelt und jetzt braucht es neue Schulden, weil die Infrastruktur zusammenbricht.
Eigentlich sollte damit hinreichend belegt sein, dass Staatsschulden der Infrastruktur nicht helfen, zumindest mit Politikern der aktuellen Qualität. Trotz über 1Billonen Euro Neuschulden im Zeitraum 2000-2024 hat man die Infrastruktur verfallen lassen. Man muss schon extrem naiv sein um zu glauben, dass die gleichen Parteisoldaten mit der nächsten Billionen besser umgehen werden.
Aber wir haben anscheinend genug Mitmenschen, die immer wieder auf den gleichen Trick (“wir müssen jetzt mal Geld in die Hand nehmen”) reinfallen, anstatt die Politik zur Ordnung zu rufen und von ihnen zu verlangen, der Staat wieder funktional zu machen.
Die neue Regierung wird das nicht versuchen, das ist schon jetzt klar.
So, wie Sie das schreiben, könnte man ja noch aufatmen. Die 1 Billion (inzwischen steht sogar die Summe von 1,7 Billionen im Raum) entspricht den Schulden, die Deutschland in über 50 Jahren aufgenommen hat (bis 2019 waren das unter 2 Billionen gesamt).
Und jetzt geht das, zack zack, innerhalb weniger Wochen mit einem demokratisch nicht mehr legitimierten Bundestag, ja, sogar vorsätzlich entgegen des demokratisch gewählten Bundestages…
Wenn ich könnte, dann würde ich meine Gefühle noch mit ganz anderen Worten ausdrücken, aber dann bräuchte ich auch einen neuen Bademantel.
Der Bademantel ist gut. 🙂
Ich verstehe ja warum man die Bundeswehr aufrüsten will, aber die Art mit der das passiert dürfte jetzt maximalen Schaden in das Vertrauen gegenüber der Politik produzieren.
Nicht nur, weil es komplett gegen die Wahlkampfaussagen der CDU ist, sondern auch, weil jetzt plötzlich auch Infrastruktur usw. Geld bekomen sollen.
Und eine Auseinandersetzung damit, warum die Politiker der letzten Jahrzehnte dann anscheinend viel falsch gemacht haben, die findet auch nicht statt.
Alleine das Ursula von der Leyen jetzt von Aufrüstung redet, statt sich nur für ihre Zeit als Verteidigungsministerin zu entschuldigen, ist schon frech.
So zerstört man das Vertrauen.