BERLIN. Flüchtlinge in Deutschland zeigen einer aktuellen Studie zufolge eine hohe Bildungsorientierung – immerhin fast ein Drittel von ihnen haben eine Hochschule oder eine berufliche Bildungseinrichtung durchlaufen, und ein Großteil möchte sich weiter qualifizieren. Allerdings verfügen viele Flüchtlinge auch über so gut wie keine Schulbildung. Das sind zentrale Ergebnisse einer repräsentativen Befragung von mehr als 2300 geflüchteten Menschen über 18 Jahren, die bis Januar nach Deutschland gekommen sind.
„Unter den Geflüchteten ist das Niveau der Schulbildung stark polarisiert“, so heißt es in dem Bericht. 58 Prozent der erwachsenen Geflüchteten haben in ihren Herkunftsländern zehn Jahre und mehr in Schule, Ausbildung und Studium verbracht, im Vergleich zu 88 Prozent bei der deutschen Wohnbevölkerung. 37 Prozent der Geflüchteten besuchten eine weiterführende Schule, 31 Prozent eine Mittelschule, zehn Prozent nur eine Grundschule und neun Prozent gar keine Schule. 31 Prozent waren auf Hochschulen oder beruflichen Bildungseinrichtungen, 19 Prozent erreichten einen Abschluss. Zudem konnten viele Geflüchtete berufliche Fähigkeiten durch Berufserfahrung erwerben: 73 Prozent der Geflüchteten waren vor dem Zuzug nach Deutschland erwerbstätig, im Durchschnitt 6,4 Jahre. „Insgesamt haben 55 Prozent der Geflüchteten zehn und mehr Schuljahre in allgemeinbildenden Schulen verbracht und damit ein Niveau erreicht, das in Europa als Mindeststandard gilt“, so heißt es in der Studie. „Zu berücksichtigen ist dabei, dass viele Geflüchtete ihre Bildungsbiografien durch Krieg, Verfolgung und Flucht unterbrechen mussten.“
Viele Flüchtlinge wollen erst arbeiten
Die Ergebnisse der Befragung sprächen dafür, dass sich die Bildungsstruktur der Geflüchteten noch stark verändern werde. 46 Prozent der erwachsenen Geflüchteten streben noch einen allgemeinbildenden Schulabschluss in Deutschland an, 66 Prozent einen beruflichen Abschluss. „Allerdings wäre es voreilig, aus den Bildungsvorhaben Schlussfolgerungen darüber zu ziehen, in welchem Umfang die Geflüchteten tatsächlich Bildungseinrichtungen in Deutschland besuchen und Abschlüsse erwerben werden“, heißt es in der am Dienstag erschienenen Studie. Viele Geflüchtete wollen zunächst arbeiten und erst später in Bildung und Ausbildung investieren.
Als Fluchtursachen nennen die Befragten mit großem Abstand am häufigsten die Angst vor gewaltsamen Konflikten und Krieg (70 Prozent). Andere wichtige politische Motive sind Verfolgung (44 Prozent), Diskriminierung (38 Prozent) und Zwangsrekrutierung (36 Prozent). Ebenfalls häufig werden schlechte persönliche Lebensbedingungen (39 Prozent) und die wirtschaftliche Situation im Herkunftsland (32 Prozent) angegeben. Geflüchtete aus Syrien, Afghanistan, dem Irak und Iran nennen besonders häufig Krieg und Verfolgung als Fluchtursachen, Geflüchtete aus Eritrea Zwangsrekrutierung. Demgegenüber berichten Geflüchtete aus den Westbalkan-Staaten vielfach von prekären persönlichen Lebensbedingungen, der schlechten wirtschaftlichen Situation in den Herkunftsländern und Diskriminierung.
Auch bei der Auswahl Deutschlands als Zielland spielt das Schutzbedürfnis der Betroffenen die wichtigste Rolle: Der am häufigsten genannte Grund ist die Achtung der Menschenrechte (73 Prozent). Dies gilt insbesondere für Befragte aus dem Irak (85 Prozent) und Syrien (81 Prozent), ähnlich hohe Anteile entfallen auf dieses Motiv bei Geflüchteten aus anderen Konfliktregionen. Seltener wird als Grund das deutsche Bildungssystem angegeben (43 Prozent) und das Gefühl, in Deutschland willkommen zu sein (42 Prozent). Knapp ein Viertel der Befragten nennt die wirtschaftliche Lage in Deutschland oder das staatliche Wohlfahrtssystem als Motiv für ihre Wahl.
Einstellungen: Gemeinsamkeiten mit Deutschen
In ihren Wertvorstellungen weisen die Geflüchteten viele Gemeinsamkeiten mit der deutschen Bevölkerung auf. So unterstützen 96 Prozent der befragten Geflüchteten die Aussage, dass „man ein demokratisches System haben sollte“. 92 Prozent sagen, dass „gleiche Rechte von Männern und Frauen“ ein Bestandteil von Demokratien sind. Bei der Aussage „wenn eine Frau mehr Geld verdient als ihr Partner, führt dies zwangsläufig zu Problemen“ zeigen sich jedoch Unterschiede: Während 29 Prozent der Geflüchteten zustimmen, sind es bei der deutschen Vergleichsgruppe 18 Prozent. Problematisch auch: 18 Prozent der Geflüchteten stimmen der Aussage zu, dass „für Eltern […] die berufliche Ausbildung oder Hochschulausbildung ihrer Söhne wichtiger sein [sollte] als die berufliche Ausbildung oder Hochschulausbildung ihrer Töchter“. Allerdings stimmen auch 14 Prozent der Deutschen dieser Aussage zu. Agentur für Bildungsjournalismus
Die Befragung der Geflüchteten, die gemeinsam vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), dem Forschungszentrum des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF-FZ) und dem Sozioökonomischen Panel (SOEP) am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) durchgeführt wurde, ist eine repräsentative Längsschnittstudie von mehr als 4.500 Personen in Deutschland, die mindestens 18 Jahre alt sind. Im ersten Schritt wurden 2.349 Personen, die in 1.766 Haushalten leben, von Juni bis Oktober 2016 befragt. Auf diese Befragung stützen sich die Ergebnisse im vorliegenden Bericht. Gegenwärtig ist der zweite Teil der Studie im Feld, geplant ist die Befragung von weiteren 2.300 Personen bis Ende des Jahres 2016. Aus der Studie können repräsentative Aussagen über die Grundgesamtheit der im Ausländerzentralregister erfassten Geflüchteten, die vom 1.1.2013 bis zum 31.1.2016 in Deutschland eingereist sind und einen Asylantrag gestellt haben, unabhängig von ihrem gegenwärtigen Rechtsstatus, abgeleitet werden.
Vor lauter Zahlen sehe ich hier die Realität nicht mehr. Suggeriert wird aus meiner Sicht eine wesentlich bessere Situation als sie es in Wahrheit ist. Außerdem fehlen die Unter 18-jährigen, die natürlich kaum eine Berufsausbildung oder -erfahrung haben können, aber deren Schulvergangenheit und Sozialisation aufgrund des Krieges im Heimatland mit „schwierig“ nur sehr wohlwollend beschrieben werden kann.
XXX, ich kann ihnen durchaus sagen, dass die Zahlen für die ab 18 Jährigen zutreffend sind.
Übrigens ist es in einigen Herkunftsländern nicht unüblich, dass Kinder arbeiten. Da diese allerdings in Deutschland bis min. 14 Jahren vor Ausbeutung durch Arbeit und durch das JArbSchuG geschützt sind, wird so was nach Möglichkeit in keiner Studie auftauchen oder möchten Sie wissen, welche 10 Jährigen sich schon dumm und dusselig schuften mussten, nur damit die Familie eine warme Malzeit auf dem Tisch bekommt? (Ist etwas überspitzt formuliert.) Ich jedenfalls nicht.
Schuljahre zu zählen genügt nicht. Schon an der Uni vor 20 Jahren (also ohne Krieg usw.) war festzustellen, dass z.B. ein ägyptisches, ein englisches, ein deutsches oder ein russisches Diplom sehr unterschiedliche Bedeutung hatten. Vielleicht bedeuten 10 Jahre Zuhören beim Vortrag vor 50 Schülern auch etwas anderes als 10 Jahre Arbeit in kleinen Gruppen, vielleicht ist 10 Jahre angestrengt lernen, um als einer von wenigen die Prüfung zu schaffen, von anderem Wert als 10 Jahre gechillt und bequem in der sicheren Schulbank sitzen.