HANNOVER (Mit Leserkommentaren). Nach Post, Bäcker oder Apotheke ohne ausreichend Kundschaft müssen jetzt vielerorts auch kleine Grundschulen schließen: Ihnen gehen die Kinder aus. Auf dem Land verändern sich gewachsene Strukturen.
Eigentlich ist es ein trauriger Tag. Doch im kleinen Dörfchen Stollhamm, nur ein paar Kilometer von der Nordseeküste entfernt, feiern sie ihn trotzdem: Die niedersächsische Gemeinde Butjadingen (Kreis Wesermarsch) schließt dort nach vielen Jahrzehnten die alte Grundschule. «Neue Schule, neues Glück, es führt kein Weg zurück», singt die dritte Klasse, die nach den Ferien in den Nachbarort Burhave zur größeren Grundschule umziehen muss.
Mit zuletzt 45 Kindern und zwei Klassen lief alles auf einen Zusammenschluss der beiden Häuser hinaus. «Es ist immer schade, eine Schule schließen zu müssen», bedauert der kommissarische Leiter Wolfgang Zappe. Andererseits sieht er auch viele Vorteile: «Der pädagogische Austausch mit nur zwei Lehrerinnen und einer Feuerwehrkraft funktioniert nicht so gut wie an einer größeren Schule, es fehlen auch die Vergleichsmöglichkeiten.» Nach 18 Jahren in Stollhamm wechselt auch Lehrerin Christa Mann an die neue Schule: «Das macht schon sehr wehmütig. Aber wenn eine Schule zu klein wird, lässt sich das kaum auffangen.»
Die Kinder beurteilen die Schließung ganz unterschiedlich: «Is’ ok», «Schade», «Ein bischen traurig», sagen Jakob, Wiebke und Elina (9). Stefan (10) freut sich über bald größere Klassen und neue Lehrer: «Da werde ich bestimmt auch viele neue Freunde finden.» «Das Kinderlachen in der Schulstraße wird jedenfalls verstummen», bedauert Anwohnerin Elke Kußmann, «das war immer beruhigend, unsere eigenen Kinder so in der Nähe zu haben.»
In wie vielen Schulen in Niedersachsen sonst noch mit dem letzten Schultag am Freitag endgültig die Lichter ausgegangen sind, das weiß das Kultusministerium in Hannover nicht – Entscheidungen über Standortschließungen seien Sache der Kommunen, sagt Sprecherin Corinna Fischer. Zahlen hat sie nur im Rückblick: In den vergangenen acht Jahren machten 98 öffentliche Grundschulen in Niedersachsen dicht, das waren rund fünf Prozent.
1765 Grundschulen gibt es landesweit im Moment noch. Doch 67 davon sind so klein, dass es nicht mal mehr für eine Klasse pro Jahrgang reicht. Oft wird dort wie früher jahrgangsübergreifend unterrichtet, die kleinen Kinder lernen von den Großen, die Lehrer widmen sich mal den einen, mal den anderen. Die allermeisten Schüler, Lehrer und Eltern hängen an ihren Zwergschulen, kämpfen wie in Heinsen im Kreis Holzminden mit aller Kraft für den Erhalt.
Für die alte Backsteinschule in Adensen im Kreis Hildesheim ist das Aus nicht mehr abzuwenden: Auch dort werden Freitag die letzten Zeugnisse ausgeteilt, zum allerletzten Mal stürmen die Kinder nach dem Pausengong auf den Hof und in die langersehnten großen Ferien.
In Adensen wären es im September nur noch acht Mädchen und Jungen gewesen – und zwar in den Klassen 1 bis 4 zusammen. Die müssen nun per Bus in die Nachbarorte fahren. «Über die Schließung reden wir hier schon lange», sagt Norbert Pallentin, Bürgermeister der Gemeinde Nordstemmen, zu der Adensen gehört. Er sieht das Ende ganz nüchtern – sparen tut die Gemeinde dadurch keinen Cent, alle freigewordenen Gelder sollen nun an die anderen Grundschulen gehen.
Im 1000-Einwohner-Dorf Adensen haben sie aber Hoffnung, dass das Aus der alten Dorfschule kein endgültiges ist. Eine Elterninitiative macht sich dafür stark, in dem unter Denkmalschutz stehenden Gebäude eine Privatschule anzusiedeln. Unterschriftsreif ist noch nichts, doch der Bürgermeister ist guter Hoffnung. «Schule bedeutet Leben und Zukunft», sagt er.
In anderen Dörfern hatten engagierte Eltern mit ähnlichen Projekten schon Erfolg, etwa in der Wedemark nördlich von Hannover. Nachdem die Gemeinde dort die winzig kleine idyllische Waldschule in Bissendorf-Wietze schloss, wurde das Gebäude von einer Elterninitiative erfolgreich als Montessori-Schule wieder belebt. SIGRUN STOCK und HANS-CHRISTIAN WÖSTE, dpa
(22.7.2012)
