MÜNCHEN. Mit kritischen Worten zu den niedersächsischen Plänen hat Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle eine bundesweite Diskussion um das Sitzenbleiben losgetreten. Nun fordert auch SPD-Spitzenkandidat Christian Ude Verzicht auf die „Ehrenrunde“. Unterschiedlich äußern sich indes die Lehrerverbände.
Nach der Abschaffung des Sitzenbleibens in mehreren Bundesländern verlangt SPD-Spitzenkandidat Christian Ude einen Verzicht auf das Wiederholen auch in Bayern. «Ich habe es schon in meiner Schulzeit nicht begriffen, warum Mitschüler, die in einigen wenigen Fächern nicht mitkommen, alle Fächer wiederholen müssen», sagte Ude. «Inzwischen ist herrschende Meinung auch in der pädagogischen Literatur, dass das Durchfallen unsinnig ist.»
Ude kritisierte, dass Schulminister Ludwig Spaenle (CSU) sich bislang gegen eine Abschaffung des Sitzenbleibens wehrt: «Die Repetenten sind beklagenswerte Zeitgenossen und kein bildungspolitisches Aushängeschild», spottete Ude.
Spaenle betonte seinerseits, dass jeder Schüler in Bayern die individuelle Lernzeit bekommen solle, die er brauche – ohne, dass das als Sitzenbleiben zählt. «Wir wollen alles tun, damit wir das Pflichtwiederholen verhindern», sagte Spaenle. Eben deswegen sei die Forderung der SPD «populistischer Unsinn».
Spaenle hat sich in den vergangenen Jahren selbst in eine SPD-ähnliche Richtung bewegt. So hatte er 2009 erklärt, leistungsschwache Kinder müssten bei Bedarf fünf Jahre in der Grundschule lernen dürfen, ohne dass das als Sitzenbleiben zählen sollte – inzwischen ist das unter dem Motto «flexible Grundschule» umgesetzt. Das geplante «freiwillige» Intensivierungsjahr am G8 soll ebenfalls nicht als Sitzenbleiben zählen.
Der Kultusminister will das Sitzenbleiben nicht ganz abschaffen, sondern als letztes Mittel «in besonderen Situationen» beibehalten. Laut Ministerium ist die Zahl der Sitzenbleiber an den Volksschulen in den vergangenen zehn Jahren um knapp zwei Drittel von 1,4 auf 0,5 Prozent gesunken. An an Gymnasien und Realschulen bleiben demnach heute wesentlich weniger Schüler sitzen als zu Beginn des vergangenen Jahrzehnts.
Unterschiedliche Stimmen aus den Lehrerverbänden
Für die Abschaffung des Sitzenbleibens in seiner klassischen Form hatte sich vor einem Jahr auch der Bayerische Philologenverband (bpv) ausgesprochen. Die Vertretung der Gymnasiallehrer steht den bildungspolitischen Forderungen der SPD ansonsten eher fern.
Deutliche Kritik äußerte dagegen der Verband Deutscher Realschullehrer (VDR) an der Absicht mehrerer Länder, das Sitzenbleiben auf mittlere Sicht abzuschaffen: «Mit dieser leistungsfeindlichen Einstellung kann man im internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe nicht bestehen und wird langfristig im Mittelmaß enden», kritisierte der Vorsitzende des Verbandes Deutscher Realschullehrer (VDR), Jürgen Böhm.
«Wenn die wenigen Kinder oder Jugendlichen, die in einem gewissen Zeitraum trotz aller angebotenen Fördermaßnahmen die gestellten Standards nicht erfüllt haben, dann müssen diese die Möglichkeit der Wiederholung wahrnehmen können», betonte Böhm. Der VDR vertritt nach eigenen Angaben etwa 20 000 Lehrer an Schulen im Sekundarbereich.
Differenziertere Töne kommen aus Sachsen Anhalt: Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sehe im Abschaffen des Sitzenbleibens in der Schule nicht den Königsweg, um lernschwachen Jungen und Mädchen zu besseren Leistungen zu verhelfen: «Wir brauchen vielmehr ein richtiges Konzept, damit sie das Schuljahr schaffen», sagte der GEW-Landesvorsitzende Thomas Lippmann. Kultusminister Stephan Dorgerloh (SPD) hatte das geplante Aus für das Sitzenbleiben in Niedersachsen begrüßt und sich zugleich für mehr individuelle Förderung ausgesprochen. Das setze aber genügend Personal voraus, sagte der Gewerkschafter. (dpa)
(18.02.2013)
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