NÜRNBERG. Besonders bei schweren Krankheiten müssen Ärzte das Geschlecht der Patienten nach Ansicht von Experten stärker berücksichtigen. Darauf haben Ärzte im Vorfeld eines Kongresses zur Geschlechterforschung in der Medizin am Samstag in Nürnberg hingewiesen. So würden Männer ihre Gefühle weniger deutlich wahrnehmen und weniger kommunizieren als Frauen. Doch es gibt noch mehr Unterschiede. Fragen und Antworten zur Gender-Forschung in der Medizin.
Können Frauen schwere Erkrankungen besser verkraften als Männer?
«Krebserkrankungen werden oft unterschiedlich bewältigt», sagt Professor Wolfgang Söllner, Chefarzt der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Klinikum Nürnberg. Während Frauen häufiger mit schweren Ängsten, Depression und chronischer Müdigkeit reagieren, steht für Männer der Wunsch nach Autonomie und Kontrolle im Vordergrund. Es gilt laut Söllner das Muster: «Frauen wollen reden, Männer wollen handeln.»
Stimmt es, dass Bluthochdruck bei jungen Frauen unbedenklich ist?
Bis zum 65. Lebensjahr ist die Wahrscheinlichkeit, hohen Blutdruck zu haben, bei Männern deutlich größer als bei Frauen. «Aber immer wenn es heißt, eine bestimmte Gruppe ist nicht so betroffen, besteht die Gefahr, dass bei der anderen Gruppe nicht mehr so richtig hingeguckt wird», warnt der Bluthochdruck-Experte Professor Roland Veelken. «Wenn junge Frauen tatsächlich Probleme mit hohem Blutdruck haben, dann ist die Gefahr einer schweren Herzerkrankung dreimal so hoch wie bei einem Mann.»
Sind Frauen tatsächlich vor Herzinfarkten geschützt?
Laut Statistik erleiden Frauen bis zu den Wechseljahren seltener einen Herzinfarkt als Männer. Mediziner sehen den Grund in einem Hormon, das Frauen bis dahin vor einem Infarkt schützt – aber eben nicht immer! Die Gefahr: Frauen unterschätzen die typischen Symptome, wie Stechen im Brustbereich.
Wirken Medikamente anders auf Frauen als auf Männer?
Die Pharmakologin Karin Nieber von der Universität Leipzig verweist auf den Fall des Schlafmittels Zolpidem: Frauen bauen den Wirkstoff langsamer ab, was am Morgen nach der Einnahme noch zu eingeschränktem Reaktionsvermögen führen kann. Wissenschaftler fanden zudem heraus, dass Schmerzmittel bei Frauen oft schlechter und kürzer wirken als bei Männern. Beruhigungsmittel haben dagegen bei Frauen offenbar einen längeren und intensiveren Effekt.
Wer nimmt mehr Medikamente: Frauen oder Männer?
Am Klinikum Nürnberg führte das Team um die Pharmazeutin Annette Sattler eine Umfrage durch: Patienten, die in die Notaufnahme kamen, wurden gefragt, welche Medikamente sie einnehmen – auch nicht verschreibungspflichtige. Das Ergebnis: Frauen nahmen prinzipiell mehr Medikamente ein, die sie sich selbst in der Apotheke besorgten. Einen auffälligen Unterschied gab es bei den sogenannten Stimmungsaufhellern: Der Anteil an Patienten mit Antidepressiva lag bei den Frauen bei 20 Prozent, bei den Männern bei 12 Prozent.
Spielt bei der Behandlung von Krankheiten auch die Herkunft des Patienten eine Rolle?
«Die Wirksamkeit von Wirkstoffen kann davon abhängen, aus welcher Region der Welt die eigenen Vorfahren kommen», betont Pharmazeutin Sattler. Bei Japanern kann etwa das Enzym, das für die Verstoffwechselung von Alkohol zuständig ist, weniger häufig vorhanden sein – entsprechend muss die Dosis bestimmter Medikamente angepasst werden. Deshalb sei neben der Geschlechterforschung auch zunehmend die personalisierte Medizin auf dem Vormarsch. Roland Beck