Der Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar blickte von der Bühne ins Rund des mit über 1.200 Menschen vollbesetzten Plenums im Düsseldorfer Congresszentrum, die meisten davon verantwortlich für die Digitalisierung von Unternehmen und Behörden – und bat um Handzeichen: Wer ist aktuell auf der Suche nach IT-Fachkräften? Geschätzt vier Fünftel der (überwiegend männlichen) Teilnehmer meldeten sich. Und wer hat Schwierigkeiten bei seiner Suche nach diesen Fachkräften? Ebenso viele Hände fuhren nach oben.
Das Bild macht anschaulich, woran es in Deutschland derzeit gravierend hapert – der nach China und den USA aktuell Dritte unter den Exportnationen (noch!) schafft es nicht, auch nur annähernd genügend junge Menschen an die Zukunftsbranche Nummer eins heranzuführen. Die Digitalisierung explodiert zwar geradezu in allen privaten Lebensbereichen. Aber eben nicht im professionellen Zusammenhang. Klar – Digitalisierung sei das Zukunftsding, ohne Computer laufe ökonomisch bald nichts mehr, so klingt es dem Medienjournalisten und Kommunikationswissenschaftler Sascha Lobo zufolge (der mit der Irokesen-Frisur) aus jeder Geschäftsführung. In trauter abendlicher Runde beim Wein aber werde das Thema dann kleingekocht. Seit Jahren wachse man zweistellig, so heißt es dann, auch ohne das Digitaldingsda. Menschlich verständlich, meinte Lobo – aber eben auch brandgefährlich. Der Erfolg der vergangenen Jahrzehnte habe viele Entscheider in der deutschen Wirtschaft satt und unbeweglich gemacht. Der Glaube, der Erfolg werde sich locker weiter einstellen, sei eine Illusion. Ganz schnell könne sich Deutschland auf dem Abstellgleis wiederfinden.
Es bedürfe massiver Investitionen in eine zukunftssichere IT-Infrastruktur. Wie weit Deutschland davon entfernt ist, belegte eindrucksvoll eine Grafik, aus der sich der Ausbau des Glasfasernetzes ersehen ließ – Deutschland rangiert darauf im internationalen Vergleich weit abgeschlagen. „Es ist uns im vergangenen Jahr gelungen, zu Angola aufzuschließen“, erklärte Lobo ironisch. Um ernst hinzuzufügen: „Das kann nicht sein.“
Der sich vergrößernde Rückstand Deutschlands beim Digitalen zu den führenden Nationen hat auch mit Bildung zu tun – allerdings gar nicht so sehr mit der grottenschlechten Ausstattung der deutschen Schulen mit IT, die wahrscheinlich immer noch hinter der angolanischer Schulen rangiert. Bald, im kommenden Jahr vielleicht, vielleicht auch später, sollen ja fünf Milliarden Euro vom Bund dafür ausgeschüttet werden. Seit der Ankündigung der Mittel sind ja auch erst zwei Jahre vergangen, was nicht so schlimm ist, weil die Konkurrenten Deutschlands auf dem Weltmarkt sicher mit ihren Anstrengungen bei der Digitalen Bildung auf den deutschen Schlafwagen warten. Im Ernst: Es ist ein Trauerspiel (und zwar eins in Slow Motion), was sich Bund und Länder in Sachen Digitalpakt leisten.
Aber zurück zum eigentlichen Thema, das auf dem DILK eine bemerkenswerte Perspektiverweiterung erfuhr: Es kommt bei der Digitalen Bildung nämlich gar nicht so sehr auf großflächigen Technikeinsatz an, wie man gemeinhin meint. Sondern vielmehr auf einen Kulturwandel. Ranga Yogeshwar erläuterte den am Beispiel der Medienbranche. Früher war ein großer Apparat, ein Verlag, ein Druckhaus oder ein Rundfunksender mit jeweils Hunderten von Mitarbeitern notwendig, um für eine größere Anzahl von Menschen publizieren zu können. Der Informationsweg war eine Einbahnstraße – der Sender sendete, die Empfänger empfingen. „Heute“, so Yogeshwar, „ist jeder ein Sender.“ Und natürlich auch Empfänger. Heißt: Informationen können von jedermann ins Netz eingespeist und abgerufen werden. Das verändere die Branche von Grund auf.
Bildung im Fokus auf dem DILK 2018
Tatsächlich kämpfen mittlerweile viele Medienhäuser mit der Existenz. Traditionsmedien, etwa Lexika, sind bereits hinweggefegt worden. Damit sind wir bei der Bildung: Auch die Rolle von Lehrkräften verändert sich, ob sie’s nun wollen oder nicht – ihr Informationsmonopol verschwindet. Schon heute dürften sich mehr Schüler den Stoff am Nachmittag via Youtube vermitteln lassen, als morgens aufmerksam im Klassenzimmer sitzen. Mit allen Risiken und Nebenwirkungen, die mit ungeprüften Informationen einhergehen. Wer garantiert denn, dass die Kinder und Jugendlichen dabei nicht Fake-Fakten aufsitzen? Tatsächlich tun sie das, wenn man sie auf diesem Weg der Informationsbeschaffung allein lässt. „Aus dem Produkt wird zunehmend ein Prozess“, so erklärt Ranga Yogeshwar mit Blick auf die Wirtschaft, „und Kommunikation mit dem Kunden ist Teil des Prozesses“. Auf die Bildung übertragen heißt das wohl: Es reicht nicht mehr, Wissen vorzugeben. Der Weg zum (neuen) Wissen sollten Lehrer und Schüler darüber hinaus gemeinsam gehen.
Wie sich Menschen mitnehmen lassen, machen – bei aller berechtigten Kritik an den Auswüchsen – die IT-Giganten vor, wie der amerikanisch-deutsche Unternehmensberater Tom Oliver auf dem DILK anschaulich machte. Der Wirtschaftswissenschaftler, der Muschelkette und goldene Turnschuhe zum Anzug kombiniert, hat nach eigenen Angaben bereits Konzerne wie Google und SAP sowie Institutionen wie die Weltbank, das EU-Parlament und die Vereinten Nationen beraten. Was ihm im Silicon Valley aufgefallen ist, verriet er den versammelten IT-Experten auf dem DILK: Flache Hierarchien – jeder Chef sei von jedem Mitarbeiter ansprechbar. Teamwork rund um die Uhr – niemand sei als Einzelkämpfer unterwegs. Eine ausgeprägte Fehlertoleranz – Scheitern werde als notwendiger Teil letztlich erfolgreicher Prozesse angesehen. Und: Kreativität als Erfolgsmotor – für spielerische Herangehensweisen würden Freiräume geschaffen.
Von dieser Kultur, so Oliver, lasse sich in deutschen Schulen leider wenig finden.
Andrej Priboschek, Agentur für Bildungsjournalismus
Hier gibt es weitere Informationen zum DILK.
IfW-Präsident Snower: Digitalisierung erzwingt neue – kreativere! – Bildung
Nun gut: Wenn Herr Priboschek es jetzt jeden Tag mit einer Meldung in diese Richtung versucht, dann hier auch nochmal die ebenso wichtige und mindestens genau so richtige Gegenposition von Klaus Zierer, dem Herausgeber der dt. Version der Hattie-Studie, als Korrektiv zum gegenwärtigen Digitalisierungs-Hype, der Smart Industries, Texas Instruments u.a. die Taschen vollmachen soll.
Zitat: “Was wissen wir über Digitalisierung und ihren Einfluss auf die Lernleistung von Schülerinnen und Schülern? In der aktuellen Diskussion wird schnell deutlich: Vieles entspringt vagen Vorstellungen und vereinzelten Erfahrungen. Klarheit liefert die Forschung – etwa die einflussreiche Hattie-Studie, eine Metastudie zu Unterricht und Lernerfolg. Das aktuelle Hattie-Ranking listet 250 Faktoren auf, die Einfluss darauf haben, wie gut Unterricht gelingt. Darunter sind über 20 Digitalisierungsfaktoren, die jedoch in der Summe nur mäßige Effekte haben.
Drei Beispiele:
Der Einsatz von Powerpoint wirkt sich kaum auf den Lernerfolg aus. Einer der Gründe dafür ist, dass Lernende eher den Folien folgen als dem Redner und dadurch die entscheidenden Informationen nicht mitbekommen.
Die Einzelnutzung eines Computers wird überschätzt. In der Studie “The pen is mightier than the keyboard” konnten die Autoren nachweisen, dass Lernende sich Gehörtes besser merken können, wenn sie es mit Bleistift und Papier mitschreiben als mit Laptop oder Computer.
Auch Smartphones sind im Unterricht nicht per se hilfreich. Vielmehr kommt die Studie “Brain Drain” zu dem Schluss, dass allein die Anwesenheit des Smartphones die Aufmerksamkeit verringert und damit auch die Leistungen.
Was folgt daraus? Lernen bleibt lernen – egal, ob analog oder digital. Und damit das gelingt, braucht es Einsatz, Anstrengung und den menschlichen Dialog. Kurzum: Pädagogik vor Technik.”
http://www.spiegel.de/lebenundlernen/schule/digitales-klassenzimmer-die-schueler-muessen-wieder-in-den-mittelpunkt-a-1181900.html
Schüler lassen sich ganz einfach fit für die Digitalisierung machen:
Der mathematisch-naturwissenschaftliche Unterricht muss viel anspruchsvoller werden, damit die Schüler in die Lage versetzt werden, sich in komplexe (technische) Situationen schnell einarbeiten zu können. Das gilt insbesondere für einen viel abstrakter werdenden Mathematikunterricht.
Die Bedienung technischer Geräte ist wenig förderlich, weil sie in dem Moment, in dem sie angeschafft wurden, bereits veraltet sind und im Schulbetrieb etliche Jahre halten müssen. Der derzeit propagierte Einsatz digitaler Geräte um des Einsatzes Willen bringt nichts.
Dummerweise werden die Mathebücher auch bei einem abstrakterem Matheunterricht schlecht bleiben, somit lernen die Schüler noch weniger.
Bei einem guten Lehrmeister sind die Mathebücher Aufgabensammlungen, weil man die Merktexte oft in die Tonne kloppen kann. Außerdem hat jeder Lehrmeister seinen eigenen Schreibstil. Mathematik lernt man am besten, wenn jemand mit viel Ahnung die Vorgehensweisen erklärt und bei Fragen hilft. Bücher sind da eher ungeeignet.
(Ja, ich sehe mich eher als Lehrmeister und weniger als Lernbegleiter, auch wenn letzteres gerade in den Grundschulen zumindest noch sehr stark propagiert wird. Ab spätestens Klasse 8 wird sogar der aktuell verlangte Stoff auch zu schwierig, um ihn nicht herausragend talentierten Schülern im Selbststudium mit Lernbegleitung in die Hände zu geben.)
“Mathematik lernt man am besten, wenn jemand mit viel Ahnung die Vorgehensweisen erklärt und bei Fragen hilft. ”
Dann machen Sie das doch… dann müssten Ihre Schüler ja alle bestens abschneiden, wenn das so erfolgreich ist.
Zitat: “Dann machen Sie das doch… dann müssten Ihre Schüler ja alle bestens abschneiden, wenn das so erfolgreich ist.”
So eine dumme Antwort. Vielleicht macht er es ja auch. Und? Bedeutet das, dass alle anderen es auch machen und dass niemand etwas falsch macht, weil xxx es richtig macht?
Was soll das für eine Argumentation sein?
Palim, Sie sehen sich sicherlich auch als Expertin für das jeweils unterrichtete Unterrichtsfach. Sie machen folglich nichts anderes als ich auch. Warum schneiden Ihre Schüler nicht alle gleich gut ab?
(Bitte jetzt nicht die Inklusion auspacken. Diese Schüler werden ohnehin nach eigenem Lehrplan unterrichtet.)
Ich kann Ihnen diverse Gründe nennen, das Mathebuch wird nur eine winzige Determinante sein.
Wenn es so einfach wäre, wie Sie es darstellen, hätten wir alle nur erfolgreiche SchülerInnen, die alle in Ihrem Mathematikunterricht herausragende Leistungen erbringen, sodass ihnen im Anschluss die MINT-Welt offen stünde.
Wir wissen beide, dass Sie das nicht ernst meinen können. Natürlich gibt es 1000 Gründe für unterschiedliche Mathematikleistungen, aber auch Deutsch-, Geschichts-, Sportleistungen.
Außerdem gibt es Unterschiede zwischen “lernt man am besten” und “herausragende Abschlüsse”. Meiner Erfahrung nach brauchen Schüler eine sehr hohe Leistungsbereitschaft, intrinsische Motivation und bildungsnahe Eltern, um mit dem sehr offenen Lernbegleitertum klar zu kommen. Die andere Zielgruppe nimmt mehr Schaden dadurch, obwohl der Lernbegleiter gerade für diese Zielgruppe erfunden wurde.
Dummerweise gibt es aber auch viele schlechte Mathelehrer, daher ist es sehr wichtig, dass die Schüler auch auf sehr verständliche Mathebücher zurückgreifen können.
Sehr geehrte/r “Aufmerksamer Beobachter/in”,
“lernen bleibt lernen”, schreiben Sie, “egal, ob analog oder digital”. Damit haben Sie völlig Recht – jedenfalls was den Anteil des reinen Paukens betrifft, der immer auch zum Lernen gehört.
Wer eine Fremdsprache lernen möchte, kommt ums Vokabelpauken nicht drumherum. Damit ist es aber nicht getan – wer eine Fremdsprache wirklich lernen möchte, muss sie auch sprechen. Er muss an der Sprache im Hier und Jetzt teilnehmen, um sie wirklich verstehen zu können. Es geht um die Anwendung, anders ausgedrückt: um die Kompetenz. Keiner lernt allein durchs Übersetzen von Shakespeare-Lektüre Englisch, so geistreich Shakespeare auch sein mag.
Damit sind wir beim Punkt: Lernen, verstanden als komplexer Prozess vom Erfassen der Grundlagen bis hin zur Anwendung, verändert sich laufend, muss sich verändern. Das fängt ja schon bei den Inhalten an. Glauben Sie, Deutschland könne es sich auf Dauer leisten, seine Schulabgänger ohne jegliche Programmierkenntnisse in die digitale Welt zu entlassen – eine Schlüsselkompetenz, ohne deren Grundlagen sie das kaum verstehen können, was die Menschen heute und in Zukunft bewegt? Was wollen wir künftig verkaufen? Wovon sollen unsere Kinder leben – von Latein? Bei allem Respekt: Damit wird sich Deutschland als Industrieland nicht behaupten können.
Aber natürlich verändert sich auch der Lernprozess selbst – schauen Sie mal in die berufliche Weiterbildung: Digitale Formate werden dort mittlerweile selbstverständlich genutzt, um Grundlagen zu vermitteln. Präsenzveranstaltungen dienen dann der Vertiefung und Anwendung. Im Ergebnis lässt sich so mit sehr viel weniger Aufwand deutlich mehr Lernerfolg erreichen (weshalb die kostenbewussten Unternehmen das ja auch so machen).
In den Schulen läuft’s mittlerweile längst ähnlich, allerdings meist ungesteuert von den Lehrkräften. Millionen von Schüler in Deutschland sitzen am Nachmittag vor Youtube-Videos und lernen damit die Grundlagen, die sie im Unterricht dann an sich vorbeiziehen lassen. Das lässt sich nicht zurückdrehen, auch wenn’s die Lehrer wollten. Es ließe sich aber nutzen – systematisch eingesetzt, könnte ein solches sogenanntes “blended learning” auch die Schulen mächtig voranbringen. Dann müssten im Präsenzunterricht nicht mehr die Basisfakten vermittelt werden, sondern die könnten dann vertieft werden.
Das ist nur ein Beispiel von vielen – eigentlich geht’s in dem Beitrag oben aber um etwas anderes: Dass wir nämlich eine neue Lernkultur brauchen, die mit den Erfordernissen der digitalen Welt kompatibel ist. Und die hat mit Technik-Einsatz erstmal gar nichts zu tun.
Mit freundlichem Gruß
Andrej Priboschek
Herausgeber News4teachers
Herr Priboschek schrieb: “Sehr geehrte/r ‘Aufmerksamer Beobachter/in’, ‘lernen bleibt lernen’, schreiben Sie, ‘egal, ob analog oder digital’.”
Nein, Herr Priboschek: Nicht ich schrieb das, sondern Klaus Zierer schrieb das – und zwar im Spiegel.
Ich zitierte aus seinem Beitrag “Warum der Fokus auf das digitale Klassenzimmer Unsinn ist” vom Dezember 2017 schon mehrfach – und zwar immer dann, wenn interessierte Kreise so tun, als bräuchte man den Schulen lediglich die Hardware hinkippen, und alles wird gut.
Ich selbst arbeite seit vielen, vielen Jahren im Bereich der Musik (Audio-/Video-Produktion, Studio) und auch im Fach Deutsch mit PC/Laptop/Beamer/Sequencer/Mixing Desk usw. usw.
Ein Smartboard, das dauernd kaputt ist und alle drei Stunden kalibriert werden muss, brauch ich aber nicht. Das ersetze ich durch die viel kostengünstigere Laptop-Beamer-Kombination (eine! – und fest installiert!). Auch den kostensparenden “Bring your own device”-Kram halte ich für ganz großen Bockmist. Rechtlich im Zweifel kaum haltbar/vergleichbar, bei Prüfungen außen vor – und alle daddeln nur noch rum.
Ach ja: Und W-LAN mussten wir “wegen Gesundheitsgefährdung” wieder abschalten und zum guten alten LAN-Kabel zurück. Läuft auch stabiler…
Also: Technik – da, wo sie sinnvoll ist: gerne. Digitalisierung nur deshalb, damit Konzerne Geld verdienen und Politiker sich ‘ne Trophäe ans Revers heften können: nein danke!
Außerdem muss man sich sowieso entscheiden: Wenn man solche Technik benutzt, dann muss man sie auch selbst warten/updaten/sich ständig informieren. Die Kollegen machen es nämlich nicht – oder selbst genauso.
Die restlichen Geräte sind innerhalb von Wochen (nicht Monaten!) im Eimer, wenn sie in den “normalen Schulbetrieb” hineingeraten.
Sehr geehrter Herr Priboschek,
eigentlich hatte ich mir auferlegt, Ihren ja nun sattsam bekannten, rein ökonomis-tisch definierten Bildungsbegriff keiner Replik mehr zu unterziehen; ein Rückfall freilich sei mir noch gestattet.
Zum einen: Auf den Einfall, fließende englische Sprachkenntnisse gegen etwa die geistige Durchdringung eines elisabethanischen Liebessonetts auszuspielen, kommt eben nur jemand, dem das klassische Bildungsbürgertum als Schandtitel ebenso verhasst ist wie seinerzeit den Kulturgranden der ehemaligen DDR.
Desgleichen könnte andererseits Ihre fortgesetzt-süffisante Polemik gegen Latein als Schulfach spielend mit dem Einwand gekontert werden, daß gerade eine alte Sprache maßstäbliche Werte in Form von Fragestellungen vermittelt, die insbeson-dere in unserem Zeitalter des oftmals orientierungsarmen “anything goes” gewiß einen bisweilen nützlichen, weil nachdenkenswerten Kontrapunkt setzten dürf-ten (erst recht im notwendigen vis-à-vis zwischen Lehrer und Schüler, das das digitale Medium nie wird ersetzen können) – oder wollen Sie die schulische Be-schäftigung mit der “Mona Lisa” Leonardos oder Bachs “Brandenburgischen Kon-zerten” denn auch als überflüssigen, weil digitalisierungshemmenden Ballast dis-kriminieren ? Theodor W. Adorno scheint mir gerade daher kein Schwätzer zu sein, indem er fordert, daß Schule auch Schutz vor dem Andrängen der Außen-welt benötige, zumal IBM, Microsoft & Co. sich gewiß nicht aus reinem Idealismus immer mehr Raum in den Klassenzimmern zu sichern bestrebt sind.
So sehr mithin die Digitalisierung zweifellos als Teil der täglichen Realität ihren Platz in unseren Schulen haben muss: die Dosis allerdings macht auch hier das Gift, das Euphoriker wie Sie allzu bereitwillig im Übermaß hineinpumpen möchten.
Sehr geehrte/r Milch,
was hat denn das Schulfach Latein mit der Mona Lisa oder mit Bach zu tun? Und warum sollen Schüler eine alte Sprache lernen, um mit universellen Werten und philosophischen Fragestellungen konfrontiert zu werden? Das geht doch auch direkt – in einem Unterricht, der sich eben mit universellen Werten uind philosophischen Fragestellungen beschäftigt.
Aber das nur am Rande. Im Kern geht es sehr viel grundsätzlicher um die Frage: Was ist eine grundlegende Allgemeinbildung, die Schule zu vermitteln hat? Mit einer “Ökonomisierung” von Bildung hat das rein gar nichts zu tun. Der entscheidende Punkt ist: Allgemeinbildung ist nicht statisch oder ewig, sondern Entwicklungen unterworfen – was im 19. Jahrhundert wichtig war, muss es im 21. Jahrhundert nicht mehr sein.
Dietrich Schwanitz beispielsweise ist mit seinem seinerzeit schon sehr ambitionierten Versuch, einen Bildungskanon aufzustellen (“Alles, was man wissen muss”), am Ende des 20. Jahrhunderts tatsächlich noch komplett ohne die Naturwissenschaften ausgekommen – eine allein von der Philologie geprägte Sicht. Aus heutiger Perspektive (nur 20 Jahre später) geradezu absurd: Wie sollen junge Menschen die Welt um sich herum verstehen, wie sollen sie zu “mündigen Bürgern” werden können, wenn sie nicht wissen, was ein Algorithmus ist – wenn sie also die Regeln der Informationstechnologie nicht kennen, die ihr Leben prägt? Wenn sie weder die Funktionsweise von politischen Systemen noch von Wirtschaftsordnungen verstehen?
Darüber hinaus ist Schule ja mehr als ein reiner Wissensvermittlungsbetrieb – es geht auch um Erziehung. Und dabei kommen meines Erachtens zwei Aspekte viel zu kurz, die essentiell sind sowohl für jeden einzelnen Schüler wie für unsere Gesellschaft: den Wert von gemeinschaftlichem Arbeiten (ohne die heutzutage nichts mehr geht, weder in der Wissenschaft, noch in der Politik oder der Wirtschaft) sowie die Bedeutung von Kreativität kennenzulernen.
In der digitalen Welt geht reines Reproduzieren immer mehr auf Maschinen über – was bleibt, das ist die eigenständige Idee. Das muss jungen Menschen aber auch erst mal vermittelt werden. Schwierig in einem Schulbetrieb, der immer noch vorwiegend aufs Reproduzieren setzt.
Leonardo und sicher auch Bach wären übrigens wunderbare Themen, anhand derer sich fächerübergreifend das Zusammenwirken von Philosophie, Naturwissenschaften und Kunst anschaulich machen ließe. Passiert so etwas an Ihrer Schule? An denen meiner Kinder leider nicht.
Herzliche Grüße
Andrej Priboschek
Herausgeber News4teachers
@Milch der frommen Denkungsart
Bitte erlegen Sie sich doch keine Zurückhaltung auf! Ich vermisse Ihre früher häufigeren Kommentare.
Für mich ist es sehr bedauerlich, dass sich einige von mir wertgeschätzte Kommentarschreiber rar gemacht oder sogar verabschiedet haben durch ständiges Vergraulen ihrer Meinung und Anriffe auf ihre Person als altmodisch oder rechts.
Motto meines alten Griechisch-Lehrers:
„Üben hilft – leider.“
“Was ihm im Silicon Valley aufgefallen ist, verriet er den versammelten IT-Experten auf dem DILK: Flache Hierarchien – jeder Chef sei von jedem Mitarbeiter ansprechbar. Teamwork rund um die Uhr – niemand sei als Einzelkämpfer unterwegs. Eine ausgeprägte Fehlertoleranz – Scheitern werde als notwendiger Teil letztlich erfolgreicher Prozesse angesehen. Und: Kreativität als Erfolgsmotor – für spielerische Herangehensweisen würden Freiräume geschaffen.
Von dieser Kultur, so Oliver, lasse sich in deutschen Schulen leider wenig finden.”
Wie kommt Herr Oliver darauf, dass das, was im Silicon Valley, funktioniert, auch so in der Schule umgesetzt werden kann. Sind die Menschen, die dort arbeiten Schüler einer Grund-, Mittel-, Real- oder sonstigen Schule? Sind diese Menschen in ihren (beruflichen) Interessen gänzlich verschieden? Gibt es unter diesen Menschen auch Eigenbrötler, die keinen Wert auf ständiges Teamwork legen?
Wie kommt man darauf, das Lern- und Arbeitsverhalten der Menschen eines einzelnen Berufsfeldes, noch dazu am weltweit wichtigsten Standort eben jenes, auf eine Schulklasse übertragen zu wollen. Oder missverstehe ich seine Aussage?