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„Eine ähnlich tiefgreifende Entwicklung wie das Internet selbst“: David Klett über KI – und die Perspektiven für die Bildung

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STUTTGART. Sie betreibt Kindertagesstätten und Schulen, umfasst Bildungsmedienverlage und reicht bis zur Erwachsenen- und Weiterbildung – die Klett Gruppe ist weit mehr als nur ein Schulbuchverlag. In dem  Traditionsunternehmen, das mit 90 Tochterunternehmen in 23 Ländern heute zu Europas größten Bildungskonzernen gehört, steht mittlerweile die vierte Generation der Familie Klett am Ruder. Wie blickt man aus der Stuttgarter Zentrale auf die akute Bildungskrise in Deutschland – und auf die weiteren Perspektiven? News4teachers-Herausgeber Andrej Priboschek sprach mit Vorstand Dr. David Klett.

„Ich brauche keine weitere PISA-Studie, die mich an die Probleme erinnert, die wir eigentlich schon kennen“: David Klett, Vorstand der Klett Gruppe. Foto: Klett

News4teachers: Wie schaut eines der führenden Bildungsunternehmen in Europa mit Hauptsitz in Stuttgart auf den Zustand der Bildung in Deutschland?

David Klett: Wenn wir auf Deutschland schauen, fällt immer wieder ein Wort: Stress. Es herrscht Stress im Bildungssystem. Der wohl schlimmste Stressfaktor ist der Mangel an Lehrkräften, der voraussichtlich noch übler werden wird. Die Baby-Boomer gehen in den Ruhestand und der Peak dieser Entwicklung wird wohl erst 2028 erreicht werden.

Für Stress im Bildungssystem sorgt aber auch, dass wir es mit einer Heterogenisierung von Lerngruppen zu tun haben. Kinder sind immer unterschiedlicher in ihren Lernvoraussetzungen und in dem, was sie an Vorwissen und Prägung von zu Hause mitbringen. Das erfordert eine entsprechende Ausbildung und Erfahrung, Energie und Kraft von den Lehrkräften, um allen Kindern in ihrer Entwicklung gerecht zu werden.

Als einen weiteren Faktor stoßen wir immer wieder auf das Thema Bürokratisierung, auf ein System, das nach mehr und mehr Dokumentation, Kontrolle und Absicherung verlangt und dabei die Lehrkräfte vom Unterrichten abhält. Ein zu wenig beachtetes Thema – ein weiterer Stressfaktor – ist aus meiner Sicht auch der Mangel an Schulleitungen. Die offiziellen Zahlen dazu sind leider nicht so präzise, aber wenn ich es richtig sehe, fehlen mehrere Tausend Schulleitungskräfte in Deutschland.

Dazu kommt der Geldmangel. Es herrscht ein beklemmender Sanierungsstau an Schulen, viele müssen schlicht den Mangel verwalten: Kein Geld, keine Zeit, keine Leute, keine Räume, oftmals auch keine funktionierende Technik – das alles sorgt für Stress.

Klett ist mittlerweile in 23 Ländern mit eigenen Bildungsmedienverlagen vertreten, fast überall in Europa und vermehrt auch in den USA und Kanada. Wir haben eine Umfrage unter allen Geschäftsführungen durchgeführt, die Stressfaktoren in den Bildungssystemen ihrer Länder benennen sollten. Interessanterweise spiegelt sich das gleiche Bild fast überall in Europa wider.

„Wir suchen nach Lösungen, wie wir Lehrkräfte so unterstützen können, dass sie sich auf das Unterrichten und die Förderung jedes einzelnen Kindes konzentrieren können, auch wenn die Bedingungen schwierig sind“

News4teachers: Also ist Deutschland kein Sonderfall?

Klett: Genau, Deutschland ist kein Sonderfall. Es gibt zwar einige Länder, die ihre Lage etwas weniger kritisch einschätzen, wie zum Beispiel Finnland, die Schweiz und die Niederlande. Auf der anderen Seite gibt es aber viele Länder, in denen ähnlich besorgt auf die Bildung geschaut wird, wie zum Beispiel Frankreich.

News4teachers: Sie haben die wachsende Heterogenität als Herausforderung für die Lehrkräfte benannt. Tatsächlich sind Lehrkräfte zunehmend auch als Sozialarbeiter*innen gefordert, als Gesundheitsfachkräfte, als Erziehungsberater*innen und Lerntherapeut*innen. Müssen wir Schule angesichts der Entwicklung nicht anders denken, nämlich als eine Art Servicestelle rund ums Kind?

Klett (lächelt): Das ist natürlich keine Suggestivfrage …

News4teachers: Es geht darum, die Realität zu beschreiben.

Klett: Ich will es mal so sagen: Heterogenität ist ein schönes Wort, das eigentlich verschleiert, worum es geht: nämlich um Kinder und Jugendliche, die unterschiedlich sind, und die in ihrer zunehmenden Unterschiedlichkeit wahrgenommen, verstanden und gefördert werden müssen. Das ist tatsächlich die Realität. Ich glaube nicht, dass dieses Problem sich aus den Schulen herausdelegieren lässt, damit es jemand anderes löst. Insofern würde ich Ihnen zustimmen. Schulen müssen in die Lage versetzt werden, möglichst alle Kinder individuell und gut zu fördern, sodass sie das Beste aus sich machen können. Und wenn es dafür andere Kompetenzen braucht als fachdidaktische, dann müssen wir die auch an die Schulen holen.

News4teachers: Heißt dann: die multiprofessionelle Schule als Vision für die Zukunft?

Klett: Ich weiß, dass es Länder gibt, die das bewusst anders handhaben. Zum Beispiel in Japan ist es wohl so, dass man versucht, weniger auf multiprofessionelle Teams zu setzen. Dort sagt man eher, dass die Lehrkräfte eine gute Kenntnis ihrer Schüler und Schülerinnen haben und versuchen sollten, im engen Kontakt mit ihnen zu sein und sie dadurch zu fördern. Aber das sagt wenig über unsere spezifische Lage in Deutschland aus. Ich habe hier – auch als Vater – Schulen mit multiprofessionellen Teams erlebt, die toll zusammenarbeiten und auf diese Weise viel erreichen. Ich glaube schon, dass das die richtige Antwort ist.

News4teachers: Anfang Dezember gab es die Neuauflage der PISA-Studie. Von einem neuen PISA-Schock war die Rede, von einem Bildungsnotstand, von tiefer Krise. Jetzt sind wir mehrere Monate weiter – und kaum jemand scheint sich noch für die desaströsen Ergebnisse zu interessieren. Offenbar haben wir uns an Katastrophenmeldungen aus Kitas und Schulen gewöhnt …

Klett: Für jemanden wie mich, der sein ganzes berufliches Leben der Bildung widmet, sind diese Hochs und Tiefs in der medialen Berichterstattung nicht leitend. Bei der Klett Gruppe denken wir immer darüber nach, wie Dinge verbessert werden können – wohlwissend, dass sich an den Rahmenbedingungen nichts schnell ändert. Wir suchen nach Lösungen, wie wir Lehrkräfte so unterstützen können, dass sie sich auf das Unterrichten und die Förderung jedes einzelnen Kindes konzentrieren können, auch wenn die Bedingungen schwierig sind. Wie können wir Lehrerinnen und Lehrer entlasten? Diese Frage leitet uns wohl am meisten. Und Antworten darauf finden wir nicht in den öffentlichen Diskussionen der vergangenen Monate. Ich brauche keine weitere PISA-Studie, die mich an die Probleme erinnert, die wir eigentlich schon kennen. Mit Blick auf die aktuelle Mangellage müssen wir Schulen Konzepte vorschlagen, mit denen sie etwa mit weniger Lehrkräften dennoch ihre Ziele erreichen können.

News4teachers: Wie denn?

Klett: Ich glaube, Technologie kann helfen. Ein Beispiel aus der Klett Gruppe ist das Unternehmen Meister Cody in Düsseldorf. Es verwendet digitale standardisierte Diagnostikverfahren und leitet daraus gezielte Fördermaßnahmen für Kinder in den Basiskompetenzen ab. Schulen, die zur Klett Gruppe gehören, nutzen beispielsweise diese Methode. Hessen und Saarland haben diese Lösung für alle ihre Schulen angeschafft. Das ist ein ergänzendes digitales Instrument, mit dem Lehrkräfte gezielt Förderbedarf identifizieren und ihm begegnen können.

Eine andere Möglichkeit ist, dass wir uns Schulen anschauen, die innovative Lösungen für sich gefunden haben. Ich stoße immer wieder auf Schulen, die neue Wege einschlagen und etwa sagen: „Wir organisieren den Unterricht nicht mehr nur nach dem tradierten Modell – in 45-Minuten-Einheiten mit einer Lehrkraft im Klassenzimmer –, sondern versuchen, eine Phasierung des Unterrichts herzustellen.“ Es gibt dann Selbstlernphasen, instruktive Phasen und Gruppenarbeitsphasen. In diesen Phasen werden auch gezielt Klassenverbände aufgelöst, mehrere Klassen arbeiten zusammen. Solche organisatorischen Ansätze finde ich interessant, um zu sehen, wie Schulen anders aufgestellt werden können. Wir schauen sie uns an und versuchen zu verstehen, wie sie funktionieren und wie wir anderen Schulen helfen können, davon zu lernen.

News4teachers: Gegen die Digitalisierung der Bildung regt sich allerdings auch Widerstand. In einem Manifest machen 40 Wissenschaftler*innen, Ärzt*innen und Pädagog*innen mobil gegen einen angeblichen „Digitalisierungswahn“. Die Forderung lautet, Schülerinnen und Schüler frühestens ab Klasse sieben vor Bildschirme zu lassen. Wie stehen Sie dazu?

Klett: Zunächst einmal werde ich hellhörig, wenn es in der Bildung um ein „Entweder/Oder“ geht. Das erzeugt ein Scheindilemma, als müssten wir uns in dieser Art und Weise entscheiden. Meiner Meinung nach wäre es falsch, zu sagen, dass Schulen oder Lehrkräfte digitale Medien nicht nutzen dürfen, nur weil die Kinder in der sechsten Klasse sind. Es ist klar, dass der Einsatz digitaler Bildungsmedien, wenn er nicht sinnvoll in den Unterricht eingebettet ist, zu Problemen führen kann. Aber wenn Lehrkräfte wissen, warum und wie sie digitale Medien einsetzen, und dies erfolgreich umsetzen, wäre es meiner Meinung nach falsch und bedauerlich, pauschal darauf zu verzichten.

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News4teachers: Sie haben auch eben schon angedeutet, dass Sie Ansätze wie fächerübergreifendes Arbeiten und offene Projekte interessant finden. Wenn Sie nun visionär eine Idee entwickeln sollen, wie Ihrer Meinung nach der Unterricht in 20 Jahren aussehen wird, wie sähe die aus?

Klett: Bei einer Perspektive von 20 Jahren zucke ich zusammen, denn der Horizont erscheint mir angesichts der rasanten Entwicklung weit entfernt. Ich habe das Gefühl, dass sie sich sogar noch beschleunigt. Wenn ich mich festlegen müsste, würde ich sagen, dass gute Bildung weiterhin stark von der Beziehung zwischen Schülerinnen und Schülern und ihren Lehrerinnen und Lehrern abhängen wird. Ich kann mir keine gute Schule vorstellen, in der diese Beziehung vernachlässigt werden kann, nur weil Technologie Aufgaben der Lehrkraft ersetzt.

„Schulen werden Orte sein, an denen Kinder einen Großteil ihrer ersten Lebenszeit verbringen, und dafür müssen Schulen gut ausgerüstet sein“

Diagnostik wird eine größere Rolle spielen, insbesondere als formative Assessments, die nicht Noten vergeben, sondern in erster Linie handlungsleitende Rückmeldungen an die Lehrkräfte geben. Was braucht ein Kind jetzt? Wo steht es? Wie können wir dem Kind helfen? Hier kann Technologie unterstützen. Auch der von Ihnen angesprochene Ansatz mit multiprofessionellen Teams könnte eine Rolle spielen. Verschiedene Kompetenzen müssen an die Schule gebracht werden, besonders wenn Schulen zu Ganztagesschulen werden. Schulen werden Orte sein, an denen Kinder einen Großteil ihrer ersten Lebenszeit verbringen, und dafür müssen Schulen gut ausgerüstet sein. Die Herausforderungen, glaube ich, werden nicht allein von den Lehrkräften bewältigt werden können, von denen es ohnehin zu wenige gibt. Schule wird in diesem Sinne bunter werden müssen, indem Menschen mit verschiedenen Kompetenzen dort mitwirken.

News4teachers: Inwieweit wird KI im Unterricht eine Rolle spielen?

Klett: Meine erste Rückfrage wäre: Welche Form von KI? Ich glaube, dass KI im Sinne von Predictive Analytics bzw. im Sinne von adaptiven Lernsystemen schon ziemlich lange bekannt ist. In Bezug auf unsere Bildungsmedien haben wir schon viel damit ausprobiert und können zum Beispiel in den Niederlanden eindrucksvolle Erfolge vorweisen.

News4teachers: Was passiert denn da schon mit KI?

Klett: Diese adaptiven Lernumgebungen bilden laufend Hypothesen über den Wissenstand eines Kindes und leiten daraus ab, welche nächste Intervention es braucht, um etwas zu verstehen, zu vertiefen oder schlicht schneller zu werden. Je länger das Kind mit diesen Lernumgebungen interagiert, desto individueller stellt sich das System auf den Schüler bzw. die Schülerin ein. In den Niederlanden bieten wir diese adaptiven Lernumgebungen schon seit geraumer Zeit erfolgreich an. Die mathematischen Modelle dazu sind seit Jahrzehnten bekannt, brauchbare Lösungen gibt es schon seit zehn, 15 Jahren.

Seit Ende 2022 reden wir außerdem von generativer KI, die in der Lage ist, „schöpferisch tätig“ zu sein, die multimodal ist, die Texte, Bilder, Ton und Filme produzieren kann. Das ist für die Bildungswelt, aber auch für die Welt der Bildungsmedienanbieter wie uns eine ähnlich tiefgreifende Entwicklung wie das Internet selbst. Ich verspreche mir auf diesem Feld großen Fortschritt und Potenziale.

News4teachers: Was bedeutet das für die Schule?

Klett: Ich glaube, wir stehen erst am allerersten Anfang der Entwicklung. Wir beschäftigen uns bei Klett sehr aufmerksam mit jeder Idee, wie generative KI in der Schule genutzt werden kann. Fachleute gehen davon aus, dass die KI Tutoren-Funktionen übernehmen könnte, also eine tutorielle Begleitung des Schülers oder der Schülerin. Das ist natürlich spannend. Mit Blick auf die besprochene Mangelsituation in unseren Schulen finde ich es interessanter, wie wir Lehrkräfte jetzt sehr rasch damit entlasten können. Wir wissen zum Beispiel, wie viel Zeit sie mit Korrekturen verbringen, für Feedback benötigen, wie viel Zeit es braucht, sich ein gutes Bild vom Lernstand eines Schülers aus verschiedenen Datenquellen zusammenzusuchen. Und ich glaube, da kann generative KI irre helfen.

News4teachers: Also werden Lehrkräfte dann doch durch Roboter ersetzt, zumindest teilweise?

Klett: Ich bleibe dabei: Die Beziehung zwischen Lehrkraft und ihren Schülerinnen und Schülern bleibt Dreh- und Angelpunkt für gute Bildung. Wenn ich meine Kinder angucke: Die sind vor allem deshalb gerne in die Grundschule gegangen, weil sie ihre Lehrerin sehr mochten und gerne von ihr gelernt haben. Und ich glaube, wenn wir eines in der Coronapandemie erkennen mussten, dann doch wohl, dass Schule als Sozialraum, als Ort, an dem Kinder mit Kindern interagieren, als Ort, an dem Menschen zusammenkommen und gemeinsam etwas lernen, unersetzbar wichtig ist. Insofern sind meine Fantasien begrenzt, wenn jemand sagt, dass diese Bedeutung von Schule und Lehrkraft sich abschwächt oder verschwindet. Gleichzeitig werden smarte digitale Bildungsmedien ein fester Bestandteil des Lernens werden – da, wo sie helfen. Und generative KI wird diese Lösungen noch ein Stück smarter und adaptiver und anpassungsfähiger hinsichtlich der Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen machen. Und dann erhöht das ihre Chancen auf Bildungserfolg.

News4teachers: Und was bedeutet die Entwicklung für einen Konzern, der Bildungsmedien anbietet?

Klett: Wir sind bisher immer mit der Vorstellung unterwegs gewesen, dass kreative Leistungen vom Computer so schnell nicht ersetzt werden können. Das war offensichtlich falsch. Ich persönlich schätze ChatGPT als immens kreativ ein. Das kann ein echter Interaktionspartner sein. Wir machen an vielen Stellen in der Gruppe die Erfahrung, dass ein Dialog mit generativer KI zum Beispiel in redaktionellen Prozessen extrem fruchtbar ist. Didaktisch wertvolle Medieninhalte, Filme, Texte, Töne zu erstellen, war früher unglaublich teuer. Und da verspreche ich mir viel davon, wenn wir soweit sind, dass wir mit KI unsere Medien gezielt didaktisch wirksamer gestalten. Ich verspreche mir also davon, dass unsere Bildungsmedienangebote noch besser werden. Einher geht damit natürlich, dass wir es mit einem viel intensiveren Wettbewerb zu tun haben werden, weil die Hürden, um auf unserem Feld mitzuspielen, geringer werden. Aber Wettbewerb ist nichts Schlechtes. Das heißt ja nur, dass man sich noch mehr anstrengen muss.

News4teachers: Was müsste aus Ihrer Sicht getan werden, um den Lehrberuf für junge Menschen interessanter zu machen?

Klett: Ich glaube, es besteht eine Kluft zwischen der schulischen Realität und der gesellschaftlichen Wahrnehmung von Schule. Wenn Sie Lehrer oder Lehrerin sind und die Zeitung aufschlagen, im Internet lesen oder bestimmten Populär-Philosophen bei Interviews zuhören, können Sie leicht das Gefühl entwickeln, dass alles, was Sie als Lehrkraft machen, ungenügend ist. Die Erwartungen an das, was Schule leisten soll, sind immens und überschlagen sich zum Teil. Dabei geht es in der schulischen Realität oft sehr banal zu; es riecht nach Turnschuhen, es ist laut, und nicht selten läuft alles anders als geplant. Auch wenn die Luft raus ist, setzt man sich abends hin und beantwortet E-Mails der Eltern oder korrigiert noch einen Stapel an Klassenarbeiten und Tests. Lehrkräfte versuchen, das Beste aus einer schwierigen Situation zu machen. Doch dann schalten sie den Fernseher an und dürfen sich anhören, dass unsere Kinder angeblich von den falschen Leuten in den falschen Dingen mit den falschen Methoden unterrichtet werden.

News4teachers: Was läuft da schief?

Klett: Letztlich geht es um die wachsende Kluft zwischen den Erwartungen an die Schule und dem, was sie tatsächlich leisten kann, vor allem angesichts ihrer begrenzten Ressourcen. Das ist ein großes Problem. Ich könnte mir vorstellen, dass die hohe Zahl an Lehrkräften in psychosomatischen Kliniken auch damit zu tun haben könnte, dass dieses Gefühl, nicht zu genügen, irgendwann in die Verzweiflung führt. Ich habe keine Antwort darauf, möchte nur sagen, dass dies etwas ist, was ich mit wachsender Sorge beobachte: dass die schulische Realität nicht so recht zu dem passt, was die Schule leisten soll.

News4teachers: Könnte das nicht auch an der fehlenden Trennschärfe in der öffentlichen Diskussion zwischen Kritik an der Schulpolitik und Kritik an den Schulen liegen? Denn ich kann von der Schulpolitik durchaus verlangen, Schulen vernünftig auszustatten, um beispielsweise mit der angesprochenen Heterogenität angemessen umgehen zu können. Das muss nicht zwangsläufig als Kritik an den Lehrkräften verstanden werden, wird aber manchmal so aufgefasst.

Klett: Ja, diesen Aspekt sehe ich auch. Mir geht es aber vor allem um ein Verständnis von der Realität in Schulen. Man sollte nicht pauschal von „der“ Schule sprechen, denn die Vielfalt ist enorm. Das fängt schon bei den Schulstufen an: Grundschulen sind anders als Schularten in der Sekundarstufe. Es ist wichtig, zu verstehen, was Lehrkräfte leisten müssen und mit welchen menschlichen Herausforderungen sie konfrontiert sind. Dafür ist Differenzierung notwendig – und ein realistisches Bild vom Lehrberuf.

In Finnland sind wir mit unserem eigenen digitalen Bildungsmedienverlag namens Studeo in jeder Sekundarschule vertreten. Vieles an Finnland beeindruckt mich weiterhin, auch wenn das Land bei PISA abgerutscht ist und nicht mehr so im Fokus steht wie früher. Besonders beachtlich finde ich das Selbstbewusstsein der Lehrkräfte dort.

Sie fühlen sich verstanden und wertgeschätzt als Profis, die einen wichtigen Beitrag leisten. Das ist etwas, was Lehrerinnen und Lehrer hier oft vermissen. An vielen Schulen sind kein ordentlicher Arbeitsplatz und kein funktionierendes Arbeitsgerät vorhanden. Das sollen sich die Lehrkräfte oft selbst kaufen, so mancher bringt den eigenen Beamer mit und stellt mit seinem Handy einen Hotspot bereit, wenn das WLAN nicht tut. Unter solchen Bedingungen kann einem leicht der Gedanke kommen, dass die eigene Arbeit nicht als professionell angesehen wird, obwohl man jahrelang studieren musste, um Lehrer oder Lehrerin zu werden. Es wäre wichtig und sachlich richtig, Lehrkräften das Gefühl zu vermitteln, dass sie Profis sind, die gebraucht werden, um Kinder auf ein gelingendes Leben vorzubereiten. Ich glaube, wenn wir das stärker kommunizieren, werden auch wieder mehr Menschen gerne den Lehrberuf ergreifen. News4teachers

„Weniger Stoff in größerer Tiefe vermitteln – das wäre wichtig!“ PISA-Chef Schleicher im News4teachers-Interview

 

 

 

 

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12 Kommentare
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Hans Malz
12 Tage zuvor

news4teachers Schlagzeile 2033:
„Lehrkräfte sollen einheitlichen Zugang zu KI Anwendungen bekommen – nach neun Jahren Entwicklungszeit“ – Seid gespannt.

Der Zauberlehrling
12 Tage zuvor
Antwortet  Hans Malz

2034:

And then one day you find ten years have got behind you
No one told you when to run, you missed the starting gun …

Hysterican
12 Tage zuvor

Ach schön !!
Pink Floyd sind für solche Zitate immer wieder gut zu gebrauchen … und sehr angenehmer Nebeneffekt für mich ist, dass ich David Gilmores Gitarre direkt im Ohr habe.
Merci‘!!

Dil Uhlenspiegel
11 Tage zuvor

Sollte man als another brick in the wall besser run like hell? Hey teacher, leave them kids alone… uuhh, jetzt verstehe ich! Mein Gott, diese Weitsicht und das damals schon.

Besseranonym
12 Tage zuvor
Antwortet  Hans Malz

Ohje, wirklich so früh schon?
Da fehlt doch sicher noch eine Neuerung bezüglich der Persönlichkeitsrechte, das kann dauern.

Katze
12 Tage zuvor

„Und wenn es dafür andere Kompetenzen braucht als fachdidaktische, dann müssen wir die auch an die Schulen holen.“

So ist es.
Lehrer sind keine Sozialarbeiter, Psychologen, IT-Servicetechniker, Labor-Assistenten, Trauma-Therapeuten, Animateure, Juristen, Wach- und Datenschützer usw..
Hätten wir vielleicht werden können. Wollten wir aber nicht.
Einige haben sich um psychisch und physisch gesund zu bleiben zu opportunistischen Erfüllungsgehilfen, Fußabtretern, low-performenden Lernbegleitern, evaluierenden Labertaschen, Pausenclowns, Weichspülern usw. entwickelt. Wollten die bestimmt auch nicht, als sie den Lehrberuf ergriffen.
Aber sie fühlten sich selten verstanden und nie wertgeschätzt als Profis, die einen wichtigen Beitrag leisten.

Realist
11 Tage zuvor
Antwortet  Katze

„Lehrer sind keine Sozialarbeiter, Psychologen, IT-Servicetechniker, Labor-Assistenten, Trauma-Therapeuten, Animateure, Juristen, Wach- und Datenschützer usw..“

Richtig, aber da taucht gleich das nächste Problem auf: Auch in diesen Berufen herrscht Fachkräftemangel und mit der gegebenen Bezahlung und den gegebenen Arbeitsbedingungen finden diese Berufsgruppen aktuell immer etwas besseres als „Schule“…

Wenn man diese Berufsgruppen die Schule holen will, würde das wie in den USA laufen müssen: „Administrators“ und andere (studierte) Gruppen, die dann das (in einigen Staaten) Doppelte verdienen, was Lehrkräfte bekommen, da diese Gruppe alternative Berufsmöglichkeiten haben in denen sie entsprechend verdienen. Und die dann den Lehrkräften vorschreiben was sie wann wie zu tun haben… das Ende der letzten „pädagogischen Freiheit“. Und was die verdienen wird dann an den Lehrkräften eingespart, z.B. durch größere Lerngruppen (kein, Problem, denn die haben ja jetzt so viel „Unterstützung“, oder?). Im Bereich der Bildung wurde schon immer gegeizt, trotz „Bildungsrepupblik Deutschland,“ die Merkel schon vor fast zwei Jahrzehnten ausgerufen hat. Warum sollte sich das ausgerechnet JETZT ändern?

Egal wie man es dreht und wendet: Das wird nichts mehr mit dem vor langer Zeit noch respektierten und angesehenen Beruf des Lehrers. Rette sich wer kann!

Gen Z: …

Dil Uhlenspiegel
11 Tage zuvor
Antwortet  Realist

Faites vos jeux, rien ne va plus! Die Kugel rollt nun aus, gleich wissen wir’s.
Irgendwer wird mal gewinnen, doch viele andre werden immer verlieren.

Hysterican
12 Tage zuvor

Bei einem minimalen Anteil an Eigenwerbung ein treffender Analyseblick auf die Problem- und Stresslagen in unserem Schulsystem.

Danke dafür!

Frau Lore
11 Tage zuvor

Tja, dann gehen wir das stärker kommunizieren, Aneinanderreihungen von KI- Buzzword- Versatzstücken gehört die Zukunft.

Johann Friedrich H.
11 Tage zuvor

Besitzt Herr Klett eine pädagogische Ausbildung? Er setzt die Thesen und Begriffe mit schlafwandlerischer Sicherheit. Das Interview kann so im Unterricht eingesetzt werden, analysiert durch den fachlich anerkannten „Politikzyklus“, der auch nach den Interessen der Protagonisten fragt.

Hans Malz
10 Tage zuvor

„Letztlich geht es um die wachsende Kluft zwischen den Erwartungen an die Schule und dem, was sie tatsächlich leisten kann, vor allem angesichts ihrer begrenzten Ressourcen.“

Wie wohltuend … und es trifft den Kern. Keine Durchhalteparolen, Yoga und positives Denken. Machen wir uns ehrlich. Es braucht eine Bestandsaufnahme und dann müssen die Erwartungen neu formuliert werden. Gerne dann mit Zukunftsplanung und Erweiterung der Ressourcen. Aber eben mit Augenmaß. – Bei unseren Schulpolitikern und Bildungsexperten wird das aber eher nix.

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