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Warum früher Englischunterricht wichtig gerade für mehrsprachige Kinder zu sein scheint

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HEIDELBERG. Der Fremdsprachenunterricht in der Grundschule steht auf der Kippe. Vor dem Hintergrund der Kompetenzdefizite deutscher Schülerinnen und Schüler in Deutsch und Mathe verliert er in den Augen von Politiker:innen an Bedeutung. Zuletzt haben sich Hessen und Bayern dazu entschieden, dass Schulen auf Englischstunden verzichten können, um mehr Unterricht in den Hauptfächern zu ermöglichen. Das geht allerdings zum Nachteil der Schülerinnen und Schüler, vor allem derer, die mehrsprachig aufwachsen, wie eine aktuelle Erhebung nahelegt.

Früher Englischunterricht ist besonders bei Kindern beliebt, die mehrsprachig aufwachsen. Foto: Shutterstock

In den meisten europäischen Ländern gehört Fremdsprachenunterricht in den Bildungsplan der Grundschule. EU-weit haben 2021 knapp 85 Prozent der Grundschulkinder Englisch gelernt, rund fünf Prozent Französisch und 3,5 Prozent Deutsch, wie aus der Erhebung „Foreign Language Learning Statistics 2023“ des Statistikportals Eurostat der Europäischen Kommission hervorgeht. Zwischen 2013 und 2021 stieg der Anteil der Grundschülerinnen und -schüler in der Europäischen Union, die sogar zwei oder mehr Fremdsprachen lernen, von 4,6 Prozent auf 7,2 Prozent an.

Bildungspolitiker:innen in Deutschland stellen derweil den Sinn des frühen Fremdsprachenunterrichts zunehmend in Frage. Vor dem Hintergrund schwacher Schülerleistungen in Deutsch und Mathe fordern sie eine Stärkung der beiden Hauptfächer oder zumindest der Lese- und Schreibfähigkeiten in der Primarstufe, oftmals zu Lasten der Englischstunden. Zuletzt zeigten sich sowohl die Landesregierung in Bayern als auch in Hessen bereit, dafür beim frühen Englischunterricht zu kürzen. Bereits zum Schuljahr 2020/2021 hatte Baden-Württemberg den Beginn für Englisch und Französisch von der ersten in die dritte Klasse verschoben, ein Jahr später war Nordrhein-Westfalen diesem Beispiel gefolgt.

Befragung von Grundschulkindern

Die politischen Entscheidungen gegen den Fremdsprachenunterricht in der Grundschule gestalten sich allerdings nachteilig für die Kinder. Die lernen einer Erhebung zufolge nämlich gerne Englisch oder Französisch – und das schon ab der 1. Klasse, unabhängig von der Erstsprache. Darauf weist die Untersuchung der Englischdidaktikerin Jutta Rymarczyk hin, Professorin an der pädagogischen Hochschule Heidelberg.

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Nachdem der Fokus früherer Studien zum Fremdsprachenlernen an Grundschulen auf Lehrkräften, Eltern und Expert:innen lag, wollte Rymarczyk die Meinung der Kinder einholen und befragte dafür über 1.600 Kinder der Klassen 3 und 4 in Baden-Württemberg. Denn: Die Motivation der Schüler:innen ist ein entscheidender Faktor für Lernerfolge in der Grundschule. Sie ermittelte unter anderem, ob die Kinder sich den Fremdsprachenunterricht – je nach Region Englisch oder Französisch – ab der ersten, dritten oder fünften Klasse wünschen, wie viel Spaß ihnen der Unterricht macht und ob sie lieber mehr Deutsch- beziehungsweise Mathematikunterricht hätten, statt eine Fremdsprache zu lernen. Die Fragebögen wurden den Kindern online oder in Papierform an ihren Grundschulen zugänglich gemacht. Der Kontakt zu den Grundschulen entstand größtenteils über Referendar:innen an den Seminarstandorten.

Beliebter Fremdsprachenunterricht

Erste Ergebnisse zeigen, dass die meisten der befragten Kinder sich für den Fremdsprachenunterricht in der Grundschule aussprechen. Dabei stimmen mit 43,35 Prozent in etwa so viele Kinder für den Beginn ab der ersten Klasse wie für den Start ab der dritten Klasse (42,55 Prozent). Lediglich knapp zehn Prozent wünschen sich den Fremdsprachenunterricht erst ab Klasse 5. Kein Wunder: Der Mehrheit der Kinder macht der Unterricht „viel“ bis „sehr viel“ Spaß (83 Prozent).

Ein Befund, der laut Professorin Rymarczyk besonders aufhorchen lasse: Von den 686 befragten Kindern, die angaben, mehrsprachig zu sein (ca. 42 Prozent), stimmen viele für den Fremdsprachenunterricht bereits ab Klasse 1 (42,42 Prozent). Diese Kinder hätten häufig Probleme, dem deutschsprachigen Unterricht zu folgen. „Im Englisch- oder Französischunterricht haben sie jedoch Erfolgserlebnisse, weil sie über Erfahrungen im Erlernen einer Zweitsprache verfügen oder diese Sprache sogar bereits zu einem gewissen Grad beherrschen“, schlussfolgert die Englischdidaktikerin. Die Aussage eines deutsch-türkischsprachigen Mädchens unterstreicht Rymarczyks Einschätzung: „Bitte streichen sie nicht diese zwei Stunden Englisch. Es macht mir sehr Spaß und es ist die einzige Fach, die ich sehr gut kann.“ Studienleiterin Rymarczyk erläutert auf Basis dieser Ergebnisse: „Auf jeden Fall haben sie im Fremdsprachenunterricht die gleichen sprachlichen Voraussetzungen wie die Kinder mit Deutsch als Erstsprache: Alle sitzen hier in demselben Boot. Das gibt ein Gefühl von Sicherheit. Neben den Erfolgserlebnissen und der Anerkennung durch die Peer Group ist das für die Ausbildung des Selbstwertgefühls und die Identitätsfindung von nicht zu unterschätzender Wichtigkeit.“ News4teachers

Für mehr Deutsch: Weiteres Bundesland kürzt Englisch-Unterricht (als Modell zunächst)

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Unfassbar
17 Tage zuvor

Die Meinung der Kinder über den Englischunterricht würde sich rapide ändern, wenn er mit Vokabeln und Grammatik lernen verbunden wäre. Das Sprachbad macht natürlich viel mehr Spaß als die Grammatikübungen in Deutsch.

Seit wann werden eigentlich Kinder befragt, was sie in einer Grundschule zu lernen haben und was nicht?

Fräulein Rottenmeier
17 Tage zuvor
Antwortet  Unfassbar

„Seit wann werden eigentlich Kinder befragt, was sie in einer Grundschule zu lernen haben und was nicht?“

Das wurden sie gar nicht. Sie wurden lediglich nach ihrer Meinung gefragt. Wie kommen Sie darauf, dass Kinder keine Meinung haben dürfen? Kinder können erstaunlich gut über sich und ihre Wünsche reflektieren.

Unfassbar
16 Tage zuvor

Aus den Antworten der Kinder wurde die Berechtigung des Englischunterrichts (in der aktuellen Form) gefolgert. Wenn man die Kinder über ihre Haltung zum Matheunterricht befragen würde, käme sehr wahrscheinlich nicht so ein positives Ergebnis heraus. Gleichzeitig diskutiert niemand darüber, den Matheunterricht abzuschaffen oder so umzubauen, bis er den Kindern gefällt. Dann könnte man die Kopfrechenkenntnisse nämlich komplett vergessen.

Lisa
14 Tage zuvor
Antwortet  Unfassbar

Ich weiß nicht, was immer mit Mathematik bemängelt wird. In drei GS, in denen ich unterrichtet habe, war es in der ersten und zweiten Klasse zumindest das beliebteste Fach. Gute Nichtmuttersprachler konnten glänzen, das hat sich nur in letzter Zeit mit den vielen Textaufgaben etwas relativiert. Es gibt auch viele Spiele und Material.

laromir
16 Tage zuvor

Zumal es ja auch Kinder gibt, die sprachlichen Bereich ihre Begabung haben und sich freuen, dass sie noch etwas anderes lernen können. Ich bin mal gespannt, wie der Versuch in Hessen ausgeht und ob die Stunde Deutsch mehr tatsächlich bessere Ergebnisse bringt. Ich glaube noch nicht dran, denn es gehört einfach mehr dazu. Ich kann nur aus meiner Wahrnehmung sagen dass bereits im Kindergarten der Englischkurs zum spielerischen Lernen immer voll war und die Kinder gerne hin sind. Und das Zusatzangebot in der GS am Nachmittag wurde ebenfalls angenommen. Auch die Bili-GS, die ich gewählten habe, hat kein Problem SuS zu finden. Es scheint somit Interesse an Englisch zu geben. Vor dem Hintergrund der Globalisierung und der immer enger vernetzten Welt, kann ich gar nicht verstehen, warum Englisch nicht einen zusätzlichen Schwerpunkt ab Klasse 1 bekommt als weiteres Hauptfach.

RainerZufall
16 Tage zuvor
Antwortet  Unfassbar

Aus meiner Erfahrung kann ich dies nicht bestätigen. Musste einiges zusätzlich (vor allem Schriftliches) ergänzen und dennoch mögen viele Kinder das Fach.

Vieles kennen Sie bereits über Mediennutzung (besser als deren eigene Eltern), zudem haben Sie über Einheiten und Spiralkurrikulum öfter die Gelegenheit, wieder aufspringen zu können.

Teacher mit Herz
15 Tage zuvor
Antwortet  Unfassbar

Nun ja, Immersion gilt aber als der beste Weg, eine Sprache zu erlernen. Ich selbst gehöre noch zur Generation derer, die Vokabeln pauken mussten. Wirklich gelernt habe ich die Sprache dadurch aber nicht. Das kam erst, als ich täglich mit englischen Muttersprachlern zusammen gearbeitet habe.

RainerZufall
16 Tage zuvor

„Vor dem Hintergrund der Kompetenzdefizite deutscher Schülerinnen und Schüler in Deutsch und Mathe verliert er in den Augen von Politiker:innen an Bedeutung.“

Eine interessante Umschreibung der Notfallversorgung angesichts einer anstehen Bildungskatastrophe…

Englischlehrerin
16 Tage zuvor

Seit unsere Fünftklässler:innen mit Englischkenntnissen aus der Grundschule kommen, ist der Einstieg ins Fach deutlich entspannter und erfreulicher – auch wenn nun verstärkt auch geschrieben und Vokabeln/Grammatik geübt werden müssen.

Überdies: Auch auf der weiterführenden Schule bleibt der Anteil des Mündlichen („Sprachbad“) hoch und wichtig – und sogar die meisten Erwachsenen werden Fremdsprachen überwiegend rezeptiv (= verstehend) und mündlich verwenden.

Betroffene
15 Tage zuvor

Ich bin dafür, die Stundentafel zu erhöhen.
Im Zuge des Ausbaus der Ganztagsschule müsste genügend Zeit sein, zusätzlich zu verstärkem Deutschunterricht, Englisch zu lehren, auch schon ab Klasse 1.
Englischunterricht könnte sogar verstärkt durch Native Speaker erteilt werden!

Ach so,….
es fehlen ja professionelle Lehrkräfte
….hatte ich fast vergessen..

Teacher mit Herz
15 Tage zuvor

Das ein frühes Erlernen einer Fremdsprache wichtig ist, unterschreibe ich absolut. ABER gerade am Anfang ist es wichtig, das hier auch Kollegen unterrichten, die die Sprache und auch die Aussprache beherrschen. Leider sieht das an Grundschulen oft nicht so aus.
Gerade kürzlich erlebt, dass die Sechstklässler den Zweitis einen Vorgeschmack auf das Fach Englisch geben sollten – leider hatten die Großen bei vielen Worten selbst keine Ahnung wie man diese ausspricht oder was diese auf Deutsch heißen. Da ich selbst in UK gelebt habe und zumindest qualifiziert bin, Erwachsenen Englischunterricht zu erteilen, fand ich das bedenklich. Als ich an meiner Schule anfing, hatte ich das angegeben und auch, dass ich das Fach gern unterrichten würde. Aber angeblich gibt ja schon genug Kollegen, die das tun. Tja, nur können es nicht alle.

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