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„Demokratie ist keine Projektwoche“: Was Marina Weisband von Schulen fordert

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DÜSSELDORF. Marina Weisband, Deutschlands wohl bekannteste Demokratie-Aktivistin (mit ihrem Projekt „Aula“ in Schulen aktiv), ist am morgigen Freitag, 28. November 2025, zu Gast beim Deutschen Schulleitungskongress (DSLK). Im Vorfeld ihres Auftritts spricht sie im Podcast „Hey Diggis! So geht Lernen heute“ über die fundamentalen Herausforderungen des deutschen Schulwesens – und warum echte Demokratiebildung die gesamte Schulkultur verändern muss.

 „Ganz viele Probleme der mentalen Gesundheit sind fehlende Selbstwirksamkeit“: Marina Weisband. Foto: privat

In der neuen Folge des Wissenspodcasts, die in Kooperation mit dem DSLK entstanden ist, begrüßen die Hosts Viola Patricia Herrmann und Gerd Mengel eine Gästin, die wie kaum eine andere für die Frage steht, wie junge Menschen demokratische Wirksamkeit lernen können: die Psychologin, Aktivistin und Demokratie-Vermittlerin Marina Weisband. Sie  betont gleich zu Beginn: Demokratieerziehung sei weit mehr als Politikunterricht oder Wertevermittlung. „Demokratiebildung formt am Ende die Rolle, die ich gegenüber meiner Gesellschaft habe. Und das ist Sozialisation.“

„Ich bin hier nicht Besucher, ich bin Gestalter“

Weisband kritisiert, dass viele Schulen Beteiligung auf eine Schülervertretung reduzieren – und damit nur wenige Jugendliche tatsächlich erfahren, dass ihr Handeln Wirkung hat. „Im besten Fall macht diese Erfahrung jeder 30. bei euch, nämlich die SV-Mitglieder.“ Demokratiebildung müsse aber alle betreffen. Kinder sollten lernen: „Ich bin hier nicht Besucher, ich bin Gestalter.“

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Diese Erfahrung habe sie selbst erst sehr spät gemacht. Ihre Schullaufbahn beschreibt sie als Ort „der Fremdbestimmung“ und als System, das ihr sagte, „was falsch an mir ist“. Selbstwirksamkeit habe sie „erst später gelernt“ – und gerade deshalb beobachte sie heute besonders deutlich, wie sehr Schulen Jugendlichen diese Erfahrung vorenthalten.

Schule als System der Angst – und warum das gefährlich ist

Weisband diagnostiziert ein strukturelles Problem: ein Bildungssystem, das Kindern wie Lehrkräften regelmäßig das Gefühl nimmt, etwas bewirken zu können. „Wir machen sehr oft die Erfahrung erlernter Hilflosigkeit.“ Das Ergebnis seien Sätze wie: „Die Lehrer machen doch eh, was sie wollen.“ oder „Ich muss hier hauptsächlich mein Zeugnis kriegen.“

Auch für Lehrkräfte sei das fatal. Ein System, das selbst Pädagoginnen und Pädagogen die Selbstwirksamkeit nehme, könne sie nicht an Schülerinnen und Schüler weitergeben. Darum brauche es einen Kulturwandel: weniger Hierarchie, weniger Angst, weniger Druck.

Aula: Ein Werkzeug für echte demokratische Schulentwicklung

Über ihr Beteiligungsprojekt „Aula“ erklärt Weisband, wie Schulen konsequent demokratischer werden können. Die Plattform ermögliche, „dass alle mit allen reden können an der Schule“ – und dass Schülerinnen und Schüler echte Entscheidungen treffen dürfen, etwa über Hausordnungen oder Projekte. Wichtig sei ein klarer Vertrag mit der Schulkonferenz: „Das dürft ihr, das dürft ihr nicht. Das sind eure Grade der Freiheit.“ Mehr als 50 Schulen seien bereits dabei, berichtet Weisband – mit wachsender Nachfrage.

Gleichzeitig weiß sie, wie schwer Veränderung im Schulalltag häufig ist. Weisband spricht offen über Widerstände in Kollegien. Veränderung werde oft aus Angst blockiert. Doch gerade deshalb rät sie Lehrkräften: „Bittet lieber um Entschuldigung als um Erlaubnis.“ Wer Veränderung vorher absegnen lasse, bekomme „immer nein“.

Auf die Frage nach der wichtigsten Reform antwortet Weisband ohne Zögern: „Weniger prüfen.“ Prüfungen seien „einfach sinnlos“, machten Druck, verhinderten Lernen – und könnten „morgen umgesetzt“ werden, ganz ohne Mehraufwand.

Dass Schule auch ein Ort der psychischen Belastung ist, macht Weisband deutlich. Mental Health könne man aber nicht durch Projekte oder Fächer verbessern, sondern durch echte Beteiligung: „Ganz viele Probleme der mentalen Gesundheit sind fehlende Selbstwirksamkeit.“ Trauma sei im Kern „Kontrollverlust“. Demokratiepädagogik sei daher immer auch Prävention.

Von Kriegsangst bis digitaler Radikalisierung: Die Themen der Jugendlichen

Weisband warnt vor den Folgen der wachsenden Belastung junger Menschen – etwa Angst vor Krieg, vor sozialer Unsicherheit oder vor digitalem Extremismus. Besonders deutlich spricht sie über die zunehmende Radikalisierung junger Männer durch Online-Communities und algorithmisch verstärkten Frauenhass. Mädchen wiederum hätten immer häufiger „Angst vor Faschismus“. Schulen müssten diese Realitäten ernst nehmen.

Am Ende wird Weisband grundsätzlich: Politische Neutralität bedeute nicht, schweigend zuzusehen. „Jeder, der sagt, du darfst die Demokratie nicht verteidigen, steht auf der Seite gegen Demokratie.“ Schule habe nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, sich gegen antidemokratische Kräfte zu stellen.

Beim Deutschen Schulleitungskongress wird Marina Weisband am Freitag eine der zentralen Keynotes halten – über Schule als demokratischen Lebensraum, über Selbstwirksamkeit und über die Verantwortung, die Erwachsenen tragen. Ihr Ziel: ein Bildungssystem, das Kinder ernst nimmt und ihnen Gestaltungsmacht gibt. News4teachers 

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