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Widerstand aus dem Kollegium: Warum digitale Schulentwicklung so häufig scheitert

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DARMSTADT. Change Management ist ein zentraler Baustein moderner Schulentwicklung – auch bei der Digitalisierung. Unser Gastautor, Dr. Ralf Tenberg, Professor für Technikdidaktik an der TU Darmstadt, zeigt in einer dreiteiligen Reihe auf News4teachers im Rahmen des Themenmonats “Digital lehren und lernen” auf, wie Change Management digitale Schulentwicklung wirksam unterstützt. Im zweiten Teil führt er uns nun dorthin, wo digitale Transformation regelmäßig scheitert: zu den emotionalen, professionellen und strukturellen Barrieren im Kollegium. 

Hier geht es zurück zu Teil eins der Reihe.

Nein, danke (Symbolfoto). Foto: Shutterstock

Change Management gestützte digitale Schulentwicklung

Im ersten Aufsatz dieser Reihe wurde beschrieben, woher Change Management (CM) kommt, welche Ideen diesem Entwicklungsinstrument zugrunde liegen und wie es in den Kontext schulischen Qualitätsmanagements übertragen wurde. Im Folgenden wird CM konzeptionell konkretisiert und in Zusammenhang mit digitaler Schulentwicklung gebracht.

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Inzwischen ist CM weitläufig bekannt, trotzdem sollen hier kurz dessen theoretisches Fundament und die sich daraus ergebenden Grund-Prämissen erläutert werden. Die Idee von CM ist psychologisch fundiert und geht auf die Bewältigung menschlicher Trauer zurück. Veränderungen im Arbeitsumfeld lösen – je nachdem wie substanziell sie wahrgenommen werden – emotionale Reaktionen aus, die jenen der Trauer ähneln.

Elisabeth Kübler-Ross beschrieb ursprünglich die psychischen Phasen trauernder Menschen. Ihr berühmtes Modell „Five Stages of Grief“ (1973) wurde von den ursprünglichen Change-Forschern wie John P. Kotter, William Bridges, Rick Maurer, etc. auf betriebliche Veränderungen übertragen. Zentral für CM ist die Wahrnehmung der Menschen von Sinn und Notwendigkeit in einer Veränderung: „Menschen haben eine Sehnsucht nach dem ‘Warum?’ und ‘Wozu?’. Am Anfang eines Veränderungsvorhabens sollte daher […] die Schaffung eines gemeinsamen Problembewusstseins bzw. die Vermittlung von Sinn- und Notwendigkeit der Veränderung stehen“ (Frey & Gerkhardt, 2006, 54).

Ebenso zentral sind Transparenz und Vorhersehbarkeit: „Menschen haben ein Bedürfnis nach Transparenz und Vorhersehbarkeit, welches zentral ist, solange sie adaptiv auf komplexe und unsichere Informationen reagieren können“ (55). Hinzu kommt der Wunsch nach Beeinflussbarkeit und Kontrolle. „Die erlebte Kontrolle ist dabei die Überzeugung einer Person, dass sie selbst über Handlungsmöglichkeiten verfügt, unangenehme Ereignisse reduzieren zu können“ (56). Schließlich geht es auch um Fairness und Vertrauen: „Dabei übt die wahrgenommene Gerechtigkeit einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Emotionen und das Verhalten der Betroffenen in Veränderungsprozessen aus“ (56). „In dem Maße, in dem die Mitarbeiter der eigenen Unternehmensführung vertrauen, akzeptieren sie auch deren Wege und Vorschläge“ (57).

CM ist immer dann relevant bzw. hilfreich, wenn im Zuge geplanter Veränderungen im Arbeitskontext bei den Betroffenen emotional bedingte Reaktanz zu erwarten ist. Dies trifft bei Schulentwicklung nicht in jedem Falle zu, aber generell dann, wenn der Unterricht involviert wird. Im Rahmen schulbezogener Governance-Forschung stellte Herbert Altrichter (Uni Graz) vor über 20 Jahren das Autonomie-Paritäts-Muster als zentrale Barriere substanzieller Schulentwicklung fest.

Als weltweit tradiertes Berufsmuster von Lehrpersonen entspricht es einem informellen Codex, nachdem Schulen keine zu enge Einmischung in Unterricht vollziehen und die Schulaufsicht pädagogische Eigenverantwortung respektiert, solange das System im Gleichgewicht bleibt. Wenn Schulentwicklung Unterricht fokussiert, wird dieser Codex aufgehoben, was aus Lehrpersonenperspektive einem Bruch mit dem Codex gleichkommt.

Zahlreiche empirische Studien (z. B. Eickelmann et al., 2024; KMK-Monitor Digitale Bildung, 2023) zeigen, dass digitale Schulentwicklung oft hinter ihren Erwartungen zurückbleibt. Digitale Innovation bleibt auf Ebene einzelner Lehrkräfte, strukturelle Verankerung findet selten statt. Warum dies so ist, liegt angesichts der vorausgehenden Ausführungen auf der Hand, denn digitale Schulentwicklung ist in hohem Maße unterrichtsbezogen. Die vielfältigen Gründe, warum Lehrpersonen sich mit der Digitalisierung ihres Unterrichts schwertun, zeigen, dass es hier gilt, eine große Bandbreite an Barrieren anzugehen:

  1. Persönliche Überzeugungen / Werte: Ein Teil der Lehrkräfte steht digitalen Lernkulturen grundsätzlich kritisch gegenüber (Tondeur et al. 2017)
  2. Fehlende pädagogische Sinnhaftigkeit / Nutzenzweifel: Viele Lehrkräfte bezweifeln den didaktischen Mehrwert digitaler Methoden (Howard 2013, Wampfler 2021)
  3. Emotionale Widerstände und Kontrollverlust: Digitalisierung wird mit Unsicherheit, Angst oder Kontrollverlust assoziiert (Howard 2013, HIIG 2024)
  4. Fehlende pädagogische und technologische Kompetenz: Lehrkräfte fühlen sich nicht ausreichend qualifiziert, digitale Medien sinnvoll einzusetzen (KMK & DLR 2021),
  5. Defizitäre technische Infrastruktur / Unterstützung: Mangelhafte Ausstattung und fehlender technischer Support verhindern stabile Nutzung (ICILS 2018 & 2023, Eickelmann et al. 2024)
  6. Zeitmangel und Arbeitsbelastung: Lehrpersonen antizipieren die Digitalisierung als Zusatzbelastung (OECD TALIS,2018)
  7. Fehlende institutionelle oder curriculare Einbettung: Lehrkräfte nehmen Digitalisierung oft nicht als Teil des Curriculums wahr, sondern als Zusatzaufgabe (KMK, 2020)
  8. Fehlende Anreize / Anerkennung: Unterrichtsentwicklung wird selten „gesehen“ und als Leistung oder Innovation honoriert

Die hier angeführten, empirisch abgestützten Aspekte wirken absehbar nicht singulär und unabhängig, sondern sind – gegenteilig – generell vielfältig ineinander verschränkt und in gegenseitigem Bezug. Effektive und vor allem schulverträgliche Digitale Schulentwicklung ohne CM ist daher kaum vorstellbar, umgekehrt ist sie ein typisches Veränderungsszenario, in welchem sich CM seit Jahrzehnten bewährt hat.

Die von Frey & Gerkhardt ermittelten zentralen Erfolgsfaktoren für CM (2006, 53f) deuten an, wie hier nun vorzugehen ist: Ist-Situation diagnostizieren – Ziele definieren – Problembewusstsein schaffen – Führung aktivieren – Kommunikation aufbauen – Zeitmanagement handhaben – Verantwortlichkeiten konkretisieren – qualifizieren und Ressourcen bereitstellen – motivieren und Monitoring. Das klingt zunächst einfach, in der unmittelbaren Schulentwicklungspraxis ergeben sich jedoch für Schulleitung und Change-Beratung vielfältige Herausforderungen. Dazu mehr im folgenden dritten Aufsatz dieser Reihe.

Der erscheint in den nächsten Tagen auf News4teachers. 

Hier geht es zurück zu Teil eins der Reihe.

Literatur

Hier geht es zu allen Beiträgen des Themenmonats “Digital lehren und lernen”. 

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