FRANKFURT. Integrationsassistenten sollen behinderten Schülern die Integration in der Schule erleichtern, was sie genau machen sollen, ist aber nicht geregelt. Experten klagen über fehlende Standards.
Der siebenjährige Kubilay berührt den Bildschirm fast schon mit der Nase, so dicht sitzt er vor seinem Lesecomputer in der Frankfurter Gruneliusschule. Der stark sehbehinderte Junge braucht den Apparat im Schulunterricht. Neben ihm tippt Lukas Schug Aufgaben aus einem Textbuch in einen Laptop ein, sie erscheinen in riesiger Schrift auf Kubilays Bildschirm. Der 23-jährige Schug ist nicht sehbehindert, er ist ein sogenannter Integrationsassistent und soll Kubilay unterstützen. Über die genaue Aufgabe dieser Assistenten und über ihre Ausbildung wird in Hessen derzeit heftig debattiert.
«Integrationsassistenten fungieren als erster Ansprechpartner des Schülers», sagt die Leiterin der Integrationsassistenz in den Praunheimer Werkstätten, Maria Dresselhaus. Die Werkstätten stellen im Auftrag der Kommune Integrationsassistenten für die Arbeit an Schulen ein. Dort dienen sie als Strukturhilfe, Motivator und Übersetzer zugleich. Häufig wird die Aufgabe von Frauen nach der Elternzeit, von Abiturienten oder von Quereinsteigern übernommen. Wenn Assistenten Schüler mit seelischer Behinderung betreuen sollen, wird eine pädagogische Ausbildung vorausgesetzt.
Das Instrument Integrationsassistenz erntet aber Kritik. Problematisch seien der schwammig definierte Aufgabenbereich sowie die schlechte Akzeptanz der Integrationshelfer bei Schülern, Lehrkörpern und Eltern, sagt Alexander Cieslawski vom CBF Hessen, der Landesarbeitsgemeinschaft der Clubs Behinderter und Ihrer Freunde (CBF). «Das Verfahren im Einsatz von Integrationshelfern ist weit ab davon, standardisiert zu sein», bemängelt er. Das Programm werde von Kommune zu Kommune unterschiedlich gehandhabt, eine Bewertung finde nicht statt. «Hessen muss eindeutige Qualitätsstandards definieren und die Position der Integrationshelfer stärken», fordert Cieslawski. «Was momentan betrieben wird, ist eine Nothilfeförderung, die von der Politik als Standard hingenommen wird, weil sie das Projekt Inklusion bewusst gegen die Wand fahren will».
Eine Expertin des hessischen Kultusministeriums verteidigt das Vorgehen: «Es ist schwierig zu sagen, was ein Integrationshelfer im Einzelfall leisten muss. Dafür muss ich die Bedürfnisse des Kindes betrachten.» Autistische Kinder etwa benötigten eine emotionale Bindung, während schwer mehrfach behinderte Kinder zusätzlich nicht selten gewickelt oder gefüttert werden müssten. Vor allem komme es darauf an, dass Schulen und Kommunen mit Eltern und Verbänden zusammenarbeiteten. «Die Kommunen, die für die Bereitstellung eines Integrationshelfers zuständig sind, sind aktiv und entwickeln sich in diesem Bereich weiter», sagt die Expertin.
Ob und wie die Integrationsassistenten vorbereitet werden, ist Dresselhaus zufolge den sozialen Vereinen freigestellt, über den sie angestellt werden. Bei den Praunheimer Werkstätten etwa machen die Kandidaten eine ein- bis zweitägige Hospitanz in den Schulen, um festzustellen, ob sie mit den Schülern zurechtkommen. Bei Eignung gibt es eine Gruppeneinweisung, meist zu Beginn des neuen Schuljahres, in der die Assistenten sich untereinander kennenlernen und Informationen über Aufgaben erhalten, etwa wie sie sich in besonderen Situationen verhalten sollen, etwa wenn sie mit der ganzen Klasse alleine gelassen werden.
Dem kleinen Kubilay, der während des Unterrichts ständig mit Integrationsassistent Schug im Gespräch ist, gefällt die Sonderbetreuung: «Lukas hilft mir bei allem: Mathe, Deutsch, Sport. Für mich ist er wie ein Lehrer», sagt er. Im Computerunterricht ist der Integrationsassistent besonders gefragt. Kubilay erkennt kaum den Mauszeiger, und die Buchstaben für die Leseübungen kann er unmöglich entziffern. Schug sucht Übungen aus, die große Symbole haben, bei denen es auf das Hörverständnis ankommt, oder die er vorlesen kann.
Er war vor zwei Jahren bei der Jobsuche zufällig auf die Arbeit gestoßen und sagt: «Ich habe meinen Job nie als Herausforderung angesehen. Im Gegenteil: Ich mache das sehr gerne.» Langfristig möchte der 23-Jährige Förderlehrer werden. Die individuelle Betreuung wirke: Die Kinder seien sehr selbstständig geworden, sagt er. Auch ihr Sozialverhalten habe sich positiv entwickelt. Verena Bongartz/dpa
(22.11.2012)