HOMBURG. Ein Modellversuch zum “selbstorganisierten Lernen” in Homburg zeigt gute Ergebnisse. Das Thema wird auf News4teachers zum meist kommentierten Beitrag 2012.
Besucher der Robert-Bosch-Schule Homburg werden auf den ersten Blick die sonst üblichen Anweisungen und Vorträge der Lehrer vermissen. Die Schülerinnen und Schüler vermissen das nicht: Sie lernen konzentriert allein oder in Gruppen.
In der Robert Bosch-Schule Homburg findet Unterricht als Instruktion nur hin und wieder statt, besonders zur Einführung in neue Themen und Arbeitsgebiete. Neurowissenschaftliche Erkenntnisse und Methoden des Selbstorganisierten Lernens haben innerhalb kürzester Zeit zu einer erstaunlichen Steigerung der schulischen Leistungen und zu einem förderlichen Arbeitsklima geführt, bestätigen Forscher des Universitätsklinikums des Saarlandes. Die Lehrkräfte sind fachlich und didaktisch gefordert, ansonsten begleiten und beraten sie die Lernarbeit, wo sie gebraucht werden.
Aber von vorne: Alles begann mit dem Ziel der Schulleitung, die Unterrichtskultur zu reformieren. Im Wesentlichen ging es darum, über eine Umgestaltung der Arbeitsweise in den Schulen die schulischen Leistungen sollen tragfähige Anschlüsse in die Berufsausbildung darstellen. die Schulleitung hatte den Eindruck, dass eine einfache Umstellung der Lehrpläne oder eine Intensivierung der Lehrtätigkeit hier nicht weiterhalfen. Die Lehrkräfte wollten vielmehr neurowissenschaftliche Erkenntnisse über Lernprozesse und deren biologischen Grundlagen bei der Neuausrichtung des Unterrichtens und Lernens der Schule nutzen. Leiterin Barbara Naumann wandte sich an das Universitätsklinikum des Saarlandes, mit dem sie bereits seit Jahren zusammenarbeitete.
Neurowissenschaftler empfehlen Kindern so viel wie möglich selber zu machen
Gemeinsam mit Neurowissenschaftler Christoph Krick plante sie, konsequent selbsttätiges Lernen einzuführen. Das klappt nach den bisherigen Ergebnissen der Gehirnforschung umso besser, je mehr das Lernen im Miteinander und in Erwartung des erfolgreichen Anwendens des Erlernten passiert. „Lehrer können die Schulkinder – auch mit noch so viel Lehrtätigkeit – nicht lernwilliger machen. Lernen passiert nämlich im Kinderkopf durch Nachdenken und Selbermachen entsprechend zuvor präsentierten Ideenskizzen. Beim Nachdenken und Lernen sollte man dann die Lernfreude der Kinder nicht durch langatmigen Unterricht stören“, sagt Krick.
(Foto: UKS Rüdiger Koop)
Die neue Unterrichts- und Lernkultur wird seit August 2012 praktiziert und zeigt überraschend schnell sehr positive Ergebnisse, melden die Wissenschaftler jetzt. Die Kinder hätten ihre schulischen Leistungen enorm gesteigert. Schüler, die zuvor in der Grundschule erhebliche Probleme mit dem Rechnen hatten, erreichen nun vielfach sehr gute Ergebnisse. Das Klassenklima ist außergewöhnlich freundlich und das Organisationstalent der Fünftklässler bewundernswert. Die Schülerinnen und Schüler beraten sich gegenseitig über ihre Arbeits-, Lernziele und individuellen Lernstrategien, so dass die Lehrpersonen mehr Freiraum als sogenannte „Lernberater“ gewinnen. Die Kinder ziehen sich zum eigenverantwortlichen Lernen auch mal gerne in eines der sogenannten Lernateliers zurück, um dort konzentriert zu arbeiten. Lerndruck oder Versagensangst seien einem zielorientierten Miteinander beim Lernen gewichen. Die Motivation der Schulkinder lasse sich auch damit erklären, dass der individuelle Lernerfolg beim Erarbeiten und Anwenden des Wissens in Lerngruppen zu einem großen Teil durch die Kinder selbst dokumentiert, reflektiert und bewertet wird. Dabei geben „Ich kann“-Listen zum Protokollieren des Erreichten und Punktekonten („Ich habe folgende Tätigkeiten erfolgreich abgeschlossen“) zum Selbstbewerten sowohl Stütze als auch Transparenz und Anreiz auf dem Weg zu den Arbeitsergebnissen.
Der Weg dahin bedeutet viel Arbeit für die Lehrkräfte
„Diese Initialzündung in den fünften Klassen soll nun in der gesamten Schule etabliert und noch verfeinert werden“, kündigt die Leiterin der Schule, Barbara Naumann an. „Der Erfolg spricht für sich, und das Kollegium profitiert ebenfalls vom besseren Lern- und Arbeitsklima.“ Doch auf dem Weg dieser Umgestaltung muten sich insbesondere die beteiligten Lehrerinnen und Lehrer viel Arbeit zu, denn sie müssen nicht nur ihre Rolle im Unterricht neu erfinden und neue Erkenntnisse über das Schülergehirn berücksichtigen, sondern sie investieren auch viel Fantasie und Kreativität in die Unterrichtsvorbereitung – oder richtiger: in die Arbeitsmaterialien, mit denen die Schülerinnen und Schüler ihre Lernarbeit organisieren und durchführen können. Diese Vorbereitungsarbeit wird insgesamt aufwändiger, da die kindgerechten Instrumente zur klassen- und fächerübergreifenden Steuerung und Selbstbewertung der Lernarbeit noch weitgehend Neuland sind.
Das Landesinstitut für Pädagogik und Medien (LPM) steuert Mittel für die Fortbildung für das anwendertaugliche Umsetzen des „Selbstorganisierten Lernens“ (SOL) bei, das in Ulm durch das Institut für Selbstorganisiertes Lernen entwickelt wurde. Die Robert-Bosch-Schule kann zudem auf die Erfahrungen der ausgebildeten SOL-Trainerin, Anne Preisinger, zurückgreifen, da sie zugleich Fachlehrerin an dieser Schule ist.
Die Auswirkungen der neuen Unterrichtskultur sollen dokumentiert werden, um sowohl Aussagen zu Belastungen und Vorteilen zu gewinnen, als auch Effekte auf kognitive und emotionale Prozesse des Lernens zu messen. Daher wird im Augenblick der neue schulische Ansatz durch Dr. Krick wissenschaftlich begleitet. An dieser forschenden Beobachtung ist auch die Kinder- und Jugendpsychiatrie des UKS beteiligt, um zu prüfen, ob ein kindgerechtes Schulklima zugleich auch das Risiko für seelische Erkrankungen im Jugendalter mindert. Die Universität des Saarlandes fördert die neurowissenschaftliche Begleitung des neuen Unterrichtsmodells über Forschungsmittel. nin
(1.12.2012)