STUTTGART. Zu viel Gleichmacherei im Schulsystem und zu wenig Rücksicht auf die Bedürfnisse der Arbeitsmarkts: Die Metall-Branche sieht die grün-rote Schulpolitik mit großer Sorge. Vor allem die als SPD-nah geltende Gewerkschaft fürchtet Nachwuchsprobleme.
Gewerkschaften und Arbeitgeber der Metall-Branche im Südwesten fürchten wegen der grün-roten Schulpolitik einen Mangel an Fachkräften. «Das Hauptproblem der Metall- und Elektroindustrie ist nicht nur der Mangel an Ingenieuren, sondern auch an Fachkräften mit dualer Ausbildung», sagte IG-Metall-Bezirksleiter und SPD-Mitglied Jörg Hofmann. «Man darf den jungen Menschen nicht vormachen, der einzige Weg zum Glück ist das Abitur und dafür die Ressourcen weiter ausbauen, ohne das Gleiche für die Berufsschulen zu tun.» Die Politik müsse den Arbeitsmarkt, den Bedarf der Unternehmen und berufliche Perspektiven der Menschen stärker im Blick haben. Die Bemühungen der Landesregierung, allen Kindern den Weg zu möglichst hohen Schulabschlüssen zu ebnen, führten zu falscher Orientierung, sagte Hofmann.
Rückendeckung bekam der Gewerkschaftsboss von den Arbeitgebern. Die Abschaffung der verbindlichen Grundschulempfehlung mit der Folge, dass Haupt- und Werkrealschulen mangels Schülern verschwänden, sei «völlig daneben», kritisierte Südwestmetall-Chef Stefan Wolf. Die Schülerströme verschöben sich in Richtung Realschule und Gymnasium, wo die Lehrer überfordert vor Riesenklassen stünden. «Wir brauchen aber auch junge Menschen mit Hauptschulabschluss und Mittlerer Reife, die eine duale Ausbildung durchlaufen wollen», betonte Wolf, Vorstandschef des Dettinger Autozulieferers ElringKlinger (Kreis Reutlingen).
Bei Wirtschaftsminister Nils Schmid (SPD) laufen IG Metall und Unternehmer offene Türen ein. Der Vize-Regierungschef distanzierte sich vom Ziel der grün-roten Koalition, nach dem mehr junge Leute einen Hochschulabschluss machen sollen. «Wir müssen unser Hauptaugenmerk vielmehr darauf richten, die duale Ausbildung attraktiv zu machen», sagte Schmid den «Stuttgarter Nachrichten». Während das Defizit bei Akademikern bei rund 40.000 liege, fehlten 190.000 beruflich qualifizierte Fachkräfte. Um das Interesse der Schüler an einer Ausbildung zu erhöhen, wolle er das Schulfach «Wirtschaft und Berufsorientierung» einführen.
Stoch: Land kann sich frühere Bildungspolitik nicht mehr leisten
Kultusminister Andreas Stoch (SPD) wies die Vorwürfe zurück. Ziel der Landesregierung sei es, jedem Jugendlichen im Rahmen seiner Fähigkeiten den bestmöglichen Bildungsabschluss bieten zu können. Zudem solle die berufliche Orientierung an den weiterführenden Schulen künftig einen höheren Stellenwert bekommen als bisher, betonte Stoch. «Die Landesregierung will durch den Ausbau der individuellen Förderung erreichen, dass die Ausbildungsreife vieler Jugendlicher und die Bildungsgerechtigkeit im Land verbessert werden», erklärte Stoch. Das Land könne sich die frühere Politik nicht mehr leisten, Schüler mit einer geringeren Ausbildungsperspektive aus den Schulen zu entlassen.
Wolf sieht indes die Gefahr, dass zu viele, nicht geeignete Schulabgänger ein Studium begännen und es frustriert abbrächen, ohne Ausbildung oder Beruf zu haben. Andererseits strebten viele Absolventen nach der dualen Ausbildung einen Hochschulabschluss an, was in den Firmen zu Nachwuchsproblemen führe. «Dabei ist ein Mangel an Facharbeitern in der Zukunft absehbar.» Spätestens in fünf Jahren werde der Engpass deutlich.
Hofmann erinnerte an die vergleichsweise hohen Gehälter von Facharbeitern: «Ein Jurist nach Ausbildung verdient heute am Anfang weniger als ein Facharbeiter nach Ausbildung.» Allerdings müssten dem Facharbeiter auch Aufstiegschancen geboten werden. «Da ist noch viel Luft nach oben», sagte er mit Blick auf die Hochschulen. Es reiche nicht, den Stempel «berufsbegleitend» auf ein Studienangebot zu drucken und ein paar Vorbereitungskurse anzubieten. Notwendig sei eine bessere Verzahnung zwischen Hochschulen und Betrieb, mehr Anerkennung beruflicher Ausbildung sowie Angebote für berufsbegleitendes Studieren.
Die FDP-Fraktion fühlt sich in ihrer Dauerkritik an der Ausdünnung des beruflichen Schulwesens bestärkt. «Es sollte für Grün-Rot ein Alarmzeichen sein, dass selbst die IG Metall den mit ihr traditionell verbündeten Sozialdemokraten ins Stammbuch schreibt, ihre einseitig auf die Bevorzugung des ideologischen Projekts der Gemeinschaftsschule ausgerichtete Schulpolitik aufzugeben.» JULIA GIERTZ, dpa
(17.3.2013)
Zum Bericht: “Wegen dualer Ausbildung: Obama erklärt die deutschen Schulen zum Vorbild”