DÜSSELDORF. Reizthema Inklusion: Drei Viertel der Lehrer in Deutschland sehen bei der Eingliederung behinderter Schüler große Probleme auf die Regelschulen zukommen. Genauso viele Pädagogen sind zudem der Ansicht, dass eine individuelle Förderung im Unterricht kaum oder gar nicht möglich ist. Dazu passt: Von Chancengerechtigkeit in der Schule sei wenig oder gar nichts zu spüren, meinen fast zwei Drittel der Lehrer. Dies sind Ergebnisse einer Umfrage unter Schülern, Lehrern und Eltern des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag der Vodafone-Stiftung.
Als größte Hürden einer erfolgreichen Inklusion betrachten die Lehrer dabei vor allem Ausbildungsdefizite hinsichtlich des Umgangs mit behinderten Schülern (41 Prozent) sowie unzureichende räumliche Gegebenheiten an den Schulen (36 Prozent). Wie die Erhebung zeigt, findet an nahezu jeder zweiten Schule in Deutschland (49 Prozent) wenigstens in Teilen bereits ein gemeinsamer Unterricht von Schülern mit und ohne Behinderung statt. Im Falle von Schülern mit körperlicher Behinderung, so die Meinung von 63 Prozent aller Lehrer, hätten diese an einer Regelschule zudem bessere individuelle Chancen als an einer speziellen Förder- oder Sonderschule. „Die Umfrageergebnisse bestätigen auch unseren Eindruck, dass gerade beim Schlagwort der individuellen Förderung bildungspolitischer Anspruch und schulische Realität noch weit auseinanderklaffen“, sagt Heinz-Peter Meidinger, Bundesvorsitzender des Deutschen Philologenverbandes. „Aber auch bei der Herkulesaufgabe Inklusion hinkt die Politik ihren eigenen Vorgaben noch weit hinterher.“
Wie die Studie zeigt, sind fast alle Lehrer in Deutschland (96 Prozent) davon überzeugt, dass der soziale Hintergrund des Elternhauses die Leistung von Schulkindern beeinflusst – 83 Prozent halten diesen Einfluss sogar für groß bis sehr groß. Ferner sind 54 Prozent der Pädagogen der Ansicht, dass die Leistungsunterschiede zwischen Schülern aus verschiedenen sozialen Schichten zugenommen haben.
Auch bei der Selbsteinschätzung der Schüler zu ihren schulischen Leistungen und ihrer Neigung zum Schulbesuch sind die sozialen Unterschiede deutlich erkennbar: Schüler aus sozial hohen Schichten attestieren sich zu 63 Prozent gute Leistungen und gehen zu 42 Prozent gern zur Schule, während sich nur 37 Prozent der Schüler aus sozial schwächeren Schichten gute Leistungen bescheinigen und auch nur jeder Vierte dieser Schüler (25 Prozent) gern zur Schule geht. Dessen ungeachtet betonen Lehrer aber mit deutlicher Mehrheit (83 Prozent), dass die soziale Herkunft der Schüler bei der Empfehlung für die Wahl einer weiterführenden Schule keine Rolle spielen sollte.
Lehrer: Erziehungsmängel vermindern die Chancen
Sowohl Lehrer als auch Eltern sind sich einig: Defizite im Elternhaus sind die wesentliche Ursache dafür, dass einige Kinder schlechtere Chancen haben als andere. 84 Prozent der Lehrer und 79 Prozent der Eltern betonen vor allem das fehlende Interesse von Eltern an einer Beschäftigung mit den eigenen Kindern. Auch nennen Lehrer und Eltern Erziehungsmängel im Hinblick auf gewissenhaftes Arbeiten (77 bzw. 76 Prozent), eine fehlende Vorbildfunktion der Eltern (75 bzw. 78 Prozent) und zu wenig Zeit der Eltern für ihre Kinder (69 bzw. 65 Prozent) als Hauptursachen.
Wie die Studie weiter zeigt, sind mehr als drei Viertel aller Lehrer (76 Prozent) der Meinung, Eltern aus sozial schwächeren Bevölkerungsschichten zeigen vergleichsweise wenig Interesse am schulischen Alltag ihrer Kinder. Für diese Ansicht spricht auch die Tatsache, dass diese Eltern weniger mit ihren Kindern über deren Schulalltag sprechen: 69 Prozent geben an, dies häufig zu tun – und damit 16 Prozentpunkte weniger als bei Eltern aus höheren sozialen Schichten (85 Prozent). Auch ist der Anteil von Schülern, die ihren Eltern wenig bis gar kein Interesse an deren Schulalltag attestieren, in sozial schwachen Bevölkerungsschichten fast doppelt so hoch (23 Prozent) wie im Durchschnitt aller befragten Schüler (13 Prozent). Zudem offenbart die Studie einen deutlichen Zusammenhang zwischen der sozialen Schicht des Elternhauses und der besuchten Schule sowie dem angestrebten Bildungsabschluss eines Kindes: So lernen aktuell 70 Prozent der Kinder aus gut situiertem Hause aber nur 30 Prozent aus sozial schwächeren Elternhäusern auf einem Gymnasium, und während Erstere zu 96 Prozent das Abitur oder die Fachhochschulreife anstreben, gilt dies bei Letzteren nur für 41 Prozent.
Mark Speich, Geschäftsführer der Vodafone Stiftung Deutschland, kommentiert: „Damit Bildung in Deutschland gerechter wird, brauchen wir individuelle Förderung für jedes Kind und zugleich kooperative Bildungspartnerschaften zwischen Schule und Elternhaus.“ News4teachers
(24.4.2013)
Zum Bericht: “Studie: Kaum Fortschritte bei der Inklusion”
