Die Olafstraße in Minden. An der Ecke die im schrägen Winkel gebaute Cornelia-Funke-Grundschule, nur wenige Meter weiter die Dependance der Kurt-Tucholsky-Gesamtschule. Gemeinsam stellen die beiden von diesem Schuljahr an die erste «Primusschule» in Nordrhein-Westfalen auf die Beine.
In dem Schulversuch Primusschule sollen Kinder zehn Jahre lang gemeinsam lernen. Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) erhofft sich von dieser Schulform eine «Bildungsbiografie ohne Brüche». Antje Mismahl, kommissarische Leiterin der Mindener Schule, drückt es so aus: «Ohne den Wechsel nach der vierten Klasse fällt der Stress für die Schüler und die Eltern weg. Die Debatten über die weitere Laufbahn, die richtige Schule und die dafür geforderten Leistungen werden überflüssig.»
Spannend findet Antje Mismahl auch, dass hier künftig Kinder verschiedener Jahrgänge miteinander lernen werden und zwar in Lerngruppen entsprechend ihrem Lernstand. «Außerdem kann die Schulkonferenz beschließen, bis zur achten Jahrgangsstufe auf Schulnoten zu verzichten.» Dass es darüber hinaus auch kein Sitzenbleiben in der Primusschule geben wird, ist für Mismahl dagegen nichts Besonderes. «Das gibt es hier auch schon in der Gesamtschule.»
Die Lehrergewerkschaften GEW und VBE haben den Schulversuch grundsätzlich begrüßt. Aber schon vor dem Start bekommt die Primusschule von Kritikern den Stempel «Einheitsschule» aufgedrückt. Regine Schwarzhoff, Vorsitzende des Elternvereins NRW, ist skeptisch. «Die Primusschule ist ein alter Hut von Grünen und SPD. Sie ist der Versuch, eine Einheitsschule von der ersten bis zur zehnten Klasse einzuführen.»
Mit dem gemeinsamen Lernen gebe es schon viel Erfahrung, sagt Schwarzhoff. In der Gesamtschule sei es so, allerdings erst ab Klasse fünf. «Es ist erwiesen, dass die Leistungen in gemischten Lerngruppen nicht so gut sind. Differenzierte Lerngruppen bringen bessere Leistungen.» Zudem seien Versuchsschulen immer besser ausgestattet. Das verzerre das Ergebnis.
Tatsächlich bekommt jede Modellschule ein zusätzliches Fortbildungsbudget von 2500 Euro. Dazu kommt ein «Versuchszuschlag». Das sind Entlastungsstunden im Umfang einer halben Stelle.
«Unser Ziel sind nicht Einheitsschüler, sondern selbstbewusste, starke und kreative Schüler, die bessere Abschlüsse machen», sagt Antje Mismahl. Die bestehenden Schulen würden die Kinder eher bremsen. Auch das Schulministerium findet den «Einheits-Vorwurf» absurd. Individuelle Förderung solle vielmehr Chancengleichheit sichern.
Mismahl glaubt, dass die Lehrer durch die Lerngruppen mehr Zeit für die individuelle Förderung haben werden. Zusätzlichen Förderunterricht werde es nicht geben. «Die Kinder lernen von Anfang an, für sich selbst verantwortlich zu sein. Die Klasse arbeitet am selben Thema, nur eben auf verschiedenen Niveaus.»
Aber es geht bei dem Schulversuch natürlich auch ums Geld. In Zeiten leerer Kassen der Kommunen und sinkender Schülerzahlen sind Antworten gefragt, wie künftig wohnortnahe und finanzierbare Bildungsangebote erhalten werden können, heißt es im Schulministerium in Düsseldorf. Matthias Bernischke/dpa
