KÖLN. Wie sehr St. Martin zum deutschen Kulturgut gehört, kann man so richtig erst im Ausland erfassen. Es ist eines der stimmungsvollsten Feste – sofern der Heilige nicht durch Pommes und Salat reitet. Auch Frauen als St. Martin-Darstellerinnen sind nicht so gern gesehen.
Von außen betrachtet kann St. Martin ziemlich exotisch erscheinen. Und erst im Ausland merkt man, wie deutsch dieser November-Brauch ist. Wer dann irgendwann nach Hause zurückkehrt, lässt sich das Laternenfest erst mal nicht mehr entgehen. In vielen Teilen Deutschlands ist die Tradition lebendiger denn je. Selbst Muslime feiern den Tag hierzulande häufiger, wie Aiman Mazyek vom Zentralrat der Muslime bestätigt.
Allein die Stadt Köln genehmigt mehr als 230 Martinszüge. Damit sich die Laternenträger nicht in die Quere kommen, müssen die Züge oft über mehrere Tage verteilt werden.
Auch beim St. Martinszug der Deutschen Evangelischen Gemeinde im Londoner Hyde Park scheint zunächst alles wie daheim: Laternen, Lieder, Weckmänner. Als sich Eltern und Kinder ums Martinsfeuer gruppieren, kommt allerdings ein asiatischer Tourist auf sie zu. «Entschuldigung, was ist das für eine Zeremonie? Vermutlich vertreiben Sie mit den Laternen böse, Geister oder? Und das da» – er zeigt auf eine Kiste mit Weckmännern – «das sind Opfergaben, stimmt’s?»
Die richtige Martinsstimmung will sich lange nicht überall einstellen. Ein deutscher Kindergarten in New York zum Beispiel veranstaltet seinen Martinsumzug traditionell auf der verlassenen Promenade des Seebads Rye. Wind und Wellen übertönen die dünnen Stimmchen der Kinder. Und nach ungefähr eineinhalb Liedern ist die Promenade zu Ende und man steht vor den Weiten des Atlantischen Ozeans.
Einen Martinszug zu organisieren, ist gar nicht einfach. In Deutschland muss man den Zug frühzeitig beim Ordnungsamt anmelden, und dann braucht man einen Martin samt Ausstattung: mein Pferd, mein Schwert, mein Mantel – all das soll er vorweisen können.
Umstritten ist – zumindest unter Jungs – ob der mantelteilende Heilige auch von einer Frau verkörpert werden kann. «Ich kann eine Frau mit Helm sehen, aber keinen St. Martin», kommt dann als Einwand. Manchmal wird auch die Rolle des Bettlers besetzt – ein eher unbeliebter Part, da man unter Umständen in Lumpen gekleidet bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt ausharren muss.
Am schwierigsten zu besorgen ist in der Regel das Pferd. «Es muss ein weißes Pferd sein, weil ein Heiliger immer auf einem weißen Pferd reitet, und das Pferd muss an Lärm gewöhnt sein», erklärt Brauchtums-Forscher und St.-Martin-Spezialist Prof. Manfred Becker-Huberti. Sonst geht es durch – und St. Martin zu Boden. Die Miete für ein Martinspferd beträgt in Großstädten gut und gern 200 Euro.
Die Martinslaternen sind vielfach selbst gemacht. Die Motive werden für gewöhnlich von Kindergärtnerinnen und Lehrerinnen vorgegeben. Bei freier Motivwahl kann jedoch der noch unausgereifte kindliche Geschmack voll durchschlagen. Ehe man sich’s versieht, hat ein Fünfjähriger eine «Uruk Hai»-Laterne nach einer Kino-Vorlage aus «Der Herr der Ringe» gebastelt, einem Film, der unangenehmerweise erst ab zwölf Jahren freigegeben ist.
Was das Singen betrifft, muss man ehrlicherweise einen Niedergang konstatieren. Früher waren Schüler – und auch Lehrer – textsicherer. Heute sitzen vor allem Parodien, so kennen viele Kinder die Zeilen: «Sankt Martin ritt durch Pommes und Salat, sein Ross steht still am Cola-Automat.» Wenn eine Kindergartengruppe die alten Lieder heute auch nur halbwegs hinbekommt, ist das bei YouTube schnell für über 300 000 Abrufe gut. dpa
Hier gibt es die Texte der Martinslieder.