In Deutschland leben 1,62 Millionen Kinder unter 15 Jahren in Hartz IV-Haushalten. Zu viel, meint der Politikwissenschaftler und Armutsforscher Prof. Christoph Butterwege von der Universität Köln. Er hält eine bessere Ausstattung der Familien für notwendig, um den Kindern diskriminierungsfreien Zugang zu Kultur und Bildung zu ermöglichen. Am Montag spricht er auf einer Fachtagung des Bundesverbandes Museumspädagogik zu dem Thema «Kinder in Armut, Bildungsbenachteiligung und soziale Ausgrenzung».
News4teachers.de: Was ist Kinderarmut?
Butterwege: Arm zu sein bedeutet mehr, als wenig Geld zu haben. Armut bedeutet für Kinder und Jugendliche, nicht teilzuhaben am gesellschaftlichen Leben, nicht an Sport- und Kulturveranstaltungen teilnehmen zu können und die Freizeitaktivitäten einschränken zu müssen. Deswegen beeinträchtigt die Armut von Familien im Grunde die ganze Entwicklung der Kinder und Jugendlichen.
News4teachers.de: Wie zeigt sich das in Deutschland?
Butterwege: In der Bundesrepublik leben 1,62 Millionen Kinder unter 15 Jahren in SGB-II-Bedarfsgemeinschaften, landläufig «Hartz-IV-Haushalte» genannt, auf dem Sozialhilfeniveau. Das ist bei etwa 10,5 Millionen Kindern dieser Altersgruppe, die es insgesamt gibt, eine erschreckend hohe Anzahl.
News4teachers.de: Wurden es nicht zuletzt deutlich weniger?
Butterwege: Tatsächlich hat die Anzahl der Betroffenen seit dem Frühjahr 2007 um rund 300 000 abgenommen und Frau von der Leyen rechnet es sich als hohen Verdienst an, die Kinderarmut so stark verringert zu haben. Dabei sorgt der demografische Wandel dafür, dass die Zahl der Kinder abnimmt und folglich auch die der armen Kinder. Außerdem sind zahlreiche Familien, vor allem alleinerziehende Mütter mit Kindern, seit dem 1. Oktober 2008 aus dem Hartz-IV-Bezug und der Statistik herausgefallen, weil der Kinderzuschlag zu diesem Stichtag reformiert wurde. Familien, die ihn in Anspruch nehmen, bekommen auch Wohngeld, haben jedoch unter dem Strich nur wenig mehr Geld als früher.
News4teachers.de: Bleiben Arme immer arm?
Butterwege: Mit dem Begriff «Kultur der Armut» wird darauf hingewiesen, dass sich Armut häufig sozial vererbt. Oft kommen die Betroffenen nur schwer aus dem Teufelskreis der Armut heraus. Dann werden aus armen Kindern arme Erwachsene, die wieder arme Kinder haben. Das ist aber keine Frage der Kultur oder Folge einer kulturellen Vernachlässigung und Verwahrlosung, die in den Familien stattfindet, sondern durch die mangelnde Ausstattung mit finanziellen Ressourcen bedingt.
News4teachers.de: Was sind die Folgen?
Butterwege: Wenn eine Familie materiell eingeschränkt ist, wird sie kaum sehr viel Wert auf Bildung, auf Kultur und auf die gesellschaftliche Teilhabe ihrer Kinder legen. Wenn man am 20. des Monats nicht weiß, wie man noch warmes Essen auf den Tisch bekommt, wird man sich keine Gedanken machen, ob man mit seinen Kindern ins Museum, ins Kino, in den Zirkus oder den Zoo geht.
News4teachers.de: Was ist also zu tun?
Butterwege: Wenn eine Gesellschaft so reich ist wie unsere, hat sie die Verpflichtung, allen ihren Mitgliedern, besonders den jüngsten, optimale Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten zu eröffnen. Dazu gehören materielle Ressourcen, die nicht zuletzt nötig sind, um kulturelle Angebote nutzen zu können. Es ist aber genauso wichtig, mehr kulturelle Angebote für diese Personengruppe bereitzustellen.
News4teachers.de: Gibt es dafür Beispiele?
Butterwege: Ein Beispiel sind Lesepaten, also Menschen, die in der Lage sind und genügend Zeit haben, Kindern aus Familien, die dazu weniger in der Lage sind, etwas vorzulesen. Es ist wichtig, dass Kindern vorgelesen wird. Wenn das nicht geschieht, haben sie weniger Möglichkeiten, sich zu bilden und später gute Leistungen in der Schule zu erbringen. Sie haben auch weniger Chancen, ihre Freizeit sinnvoll zu gestalten.
News4teachers.de: Wie sieht es mit Gutscheinen aus?
Butterwege: Das Bildungs- und Teilhabepaket der Bundesregierung sehe ich kritisch. Etwa die Hälfte der Eltern, die es beantragen könnten, tun das nicht, weil sie der bürokratische Aufwand abschreckt. Sinnvoller wäre es, würde der Staat die soziale, Bildungs- und Betreuungsinfrastruktur ausbauen, in deren Genuss alle Kinder gleichermaßen kommen. Wieso muss das Mittagessen in einer Kita oder einer Ganztagsschule extra beantragt werden? Man könnte doch allen Kindern, die dorthin gehen, wie in den skandinavischen Ländern üblich, ein warmes Essen zur Verfügung stellen.
News4teachers.de: Gilt das für alle Angebote?
Butterwege: In einem so reichen Land wie dem unseren sind genügend Ressourcen vorhanden, um allen Kindern optimale Bedingungen des Aufwachsens zu schaffen. Das muss diskriminierungsfrei erfolgen. Wenn die Kinder aus gutsituierten Familien mit Bargeld und die Kinder aus sozial benachteiligten Familien per Gutschein bezahlen, sind die zuletzt Genannten gesellschaftliche Außenseiter. Wolfgang Dahlmann/dpa