Ein Kommentar von ANDREJ PRIBOSCHEK.
Porno-Links in Wikipedia – ein Aufreger? Wenn die Online-Texte-Sammlung als das angesehen würde, was sie tatsächlich ist, dann wäre es keiner. Was ist sie denn? Eine ziemlich wilde Mischung aus hochwissenschaftlichen Fachbeiträgen, etlichen von Lobbyisten bearbeiteten PR-Texten und auch einigem Schund, der im Gewand eines seriösen Online-Lexikons daherkommt. Kurz: ein Nachschlagewerk für die erste schnelle Information – aber beileibe kein Medium, mit dem sich fundiert arbeiten ließe, sei es journalistisch, wissenschaftlich oder eben in der Schule. Genutzt wird sie aber von Millionen Menschen, darunter viele Schüler, als einzige Quelle für vermeintliches Wissen.
Und hier beginnt das Problem: In unserer Gesellschaft hat sich auf dem Informationsmarkt eine „Kost‘-nix“-Mentalität breitgemacht – immer weniger Menschen sind im Internet-Zeitalter bereit, für gehaltvolle Informationen zu bezahlen. Im Journalismus führt das zu einem heftigen Zeitungs- und Zeitschriftensterben und zur Arbeitslosigkeit von vielen Tausend ehemals dort beschäftigter Redakteure. Die Branche benötigt allerdings kein Mitleid; soll sie doch ihr Angebot so gut machen, dass Menschen auch bereit sind, dafür (wieder) in die Tasche zu greifen. Qualitätsmedien wie die „Zeit“, deren Auflage gegen den Trend wächst, machen es vor.
Sehr viel problematischer ist die „Geiz-ist-geil“-Denke in der Bildung. Schulträger, und das sind in der Regel die stets klammen Kommunen, tragen hier die Verantwortung. Und dieser Verantwortung werden sie schlecht gerecht. Die Klagen der Bildungsverlage, dass in Deutschland viel zu wenig Geld für gute Lernmedien bereit gestellt wird, ist ebenso alt wie richtig. Die Porno-Links in Wikipedia werfen jetzt ein Schlaglicht auf die Not vieler Schulen (und Schüler), denen keine seriösen und aktuellen Wissensquellen für den Unterricht zur Verfügung stehen. Die Schulen sind gehalten, Kinder und Jugendliche in Sachen Medienkompetenz zu erziehen. Wie denn, wenn sie ihren Schülern nicht einmal den Unterschied zwischen einer „Schwarm-Intelligenz“ (samt Ausfällen) und der Arbeit einer wissenschaftlich fundierten Redaktion vor Augen führen können – allzu oft eben deshalb, weil sie über gar keinen Zugang zu einer seriösen Quelle verfügen.
Die Porno-Links in Wikipedia sind kein Wikipedia-Skandal. Sie sind ein politischer Skandal, weil sie – einmal mehr – deutlich machen, wie weit Deutschland von der bereits ausgerufenen Bildungsrepublik noch entfernt ist.
Zur Presseschau: Bundesweite Debatte um Porno-Links
Zum Bericht: Jugendgefährdend – Porno-Links in Wikipedia
Zum Bericht: Porno-Links in Wikipedia: Deutscher Lehrerverband fordert Schulminister zum Handeln auf