HANNOVER. Für die niedersächsische Landesregierung ist es nur eine Stunde mehr Unterrichtsverpflichtung, für viele andere ein Tabu und ein Bruch der Verfassung: Seit Beginn des Schuljahres müssen die Gymnasiallehrer 24,5 statt 23,5 Stunden pro Woche unterrichten. Darüber hinaus wurde die versprochene Altersermäßigung für Lehrer ab 55 Jahren gestrichen. Fragen und Antworten zum größten Streitthema der niedersächsischen Bildungspolitik.
Warum hat die Landesregierung die Unterrichtszeit verlängert?
Wie so oft in der Politik geht es auch bei dieser Reform um Geld. Die Landesregierung spart auf diese Weise nach eigenen Angaben rund 80 Millionen Euro ein, die sie zur Finanzierung von notwendigen Ausgaben für Ganztagsschulen, Krippen und den gemeinsamen Unterricht von behinderten und nichtbehinderten Kindern benötigt.
Warum protestieren die Lehrer so heftig dagegen?
Die Pädagogen fühlen sich ungerecht behandelt. Sie werfen SPD und Grünen vor, sie einseitig und willkürlich für die Finanzierung ihrer Vorhaben zur Kasse zu bitten. Dies gilt auch für die Aufhebung der nach bisherigem Recht vorgesehenen Altersermäßigung.
Warum stehen auch Klassenfahrten auf der Kippe?
Infolge der Umstellung kündigte ein Großteil der rund 300 Gymnasien und Kooperativen Gesamtschulen an, Klassenfahrten streichen zu wollen. Die Lehrer wollen damit den Druck auf die Landesregierung erhöhen. Unter bestimmten Bedingungen ist im Einzelfall eine Begleitung einer Klassenfahrt durch Eltern als Betreuer möglich.
Was sagt die Landesregierung dazu?
Ein Verzicht auf Klassenfahren ist für das Kultusministerium weder nachvollziehbar noch notwendig. Die Lehrkräfte seien parallel zur neuen Arbeitszeitverordnung durch ein umfangreiches Paket entlastet worden: Dazu zählten unter anderem kleinere Klassen und die Rückkehr zum Abitur nach neun Jahren mit weniger Klausuren in der Oberstufe.
Gibt es noch weitere Proteste gegen die Reform?
Ja, bisher haben sieben Lehrer am Oberverwaltungsgericht Lüneburg Klage eingereicht. Hinter einigen steht der niedersächsische Philologenverband, hinter den anderen die Bildungsgewerkschaft GEW. Die Verbände wollen, dass das Oberverwaltungsgericht die Erhöhung der Unterrichtszeit sowie die Streichung der Altersermäßigung an allen Schulen als verfassungswidrig einstuft.
Wieso soll die Reform verfassungswidrig sein?
Der Verfassungsrechtler Ulrich Battis hat dazu für die Philologen ein Gutachten erstellt, in dem er der Landesregierung Verstöße gegen das Grundgesetz vorwirft. Der Gestaltungsspielraum bei der Bemessung der Arbeitszeit dürfe nicht willkürlich und unter Missachtung des verfassungsrechtlich verankerten Fürsorgeprinzips ausgenutzt werden. Vielmehr habe sich der Dienstherr an der für Beamten generell geltenden Arbeitszeit zu orientieren.
Was sagen die Schüler dazu?
Der Landesschülerrat fordert eine schnelle Lösung des Problems abseits der juristischen Auseinandersetzung. Deshalb protestieren die Schüler insbesondere dagegen, dass der Streit auf ihren Schultern ausgetragen wird. Denn der Verzicht auf Klassenfahrten ist in erster Linie ein Nachteil für die Kinder und Jugendlichen.
Dürfen Schüler demonstrieren?
Das Demonstrationsrecht ist ein Grundrecht, welches auch für Schüler gilt. Dem gegenüber steht jedoch in der Woche die Schulpflicht. Letztlich ist es eine Ermessenssache der Schulen. Sie müssen entscheiden, ob die Schüler im Einzelfall von Unterricht freigestellt werden können, wenn die Demonstration nicht außerhalb der Schulzeit stattfinden kann.
Wie ist die Lage an den Gymnasien in anderen Bundesländern?
Mit 24,5 Unterrichtsstunden liegt Niedersachsen im Ländervergleich im Mittelfeld. Zwar gibt es in Hamburg (22,2 Stunden) sowie Bayern, Thüringen und Sachen-Anhalt (je 23 Stunden) Regelungen, die eine geringere Zahl von Pflichtstunden vorsehen. In den anderen Ländern müssen aber sogar bis zu 28 Stunden pro Woche unterrichtet werden. Allerdings gibt es nach Angaben der Lehrerverbände dort auch andere Regelungen der Entlastung. Christina Sticht und Marco Hadem, dpa
Zum Bericht: Tausende Schüler demonstrieren für Klassenfahrten – Lehrer wollen Land verklagen