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Leserrezension zum Thema Arbeiterkind: Marco Maurer “Du bleibst, was du bist”

BAD ZWISCHENAHN. Bücher zum Thema „Bildungssystem und Arbeiterkind“ füllen die Regale seit Ralf Dahrendorf (1965). Schon lange sind die Einflussfaktoren auf die Schulentscheidungen von Arbeitereltern, sind die soziale Spaltung am Ende der Grundschulzeit unter Stichworten wie „Bildungshabitus“, „Herkunftsbedingte Disparitäten“ oder „Chancenungleichheit“ empirisch untersucht und kaum noch bezweifelt.

Hat der Journalist Marco Maurer, Jahrgang 1980, das nicht gewusst, als er sich im vorliegenden Buch erneut die Frage stellte: Warum ist das so? Tatsächlich bilden seine eigene soziale Herkunftsfamilie, die der Autor in einem weit gefassten Verständnis ( Mutter: Selbständige Kauffrau, Vater: Bezirksschornsteinfeger ) eine „Arbeiterfamilie“ nennt, sowie ein Zeitungsartikel in der ZEIT (2013) über seine Schulerfahrungen als „Arbeiterkind“, den Hintergrund für das vorliegende Buch.
Es ist daher ein subjektiv berichtendes Buch, kein wissenschaftlich-exaktes. Ein Quellen- oder weiterführendes Literaturverzeichnis fehlt auch.
Das Verblüffende an dem Buch: Maurer schreibt seine Texte als eine außergewöhnlich gehaltvolle Mischung von persönlichen Erfahrungen, VIP- Interviews und wissenschaftlichen Erkenntnissen, die ohne Statistik und Zahlen auskommt. Diese formale Synthese gelingt eindringlich und liest sich gut: Wohltuend kann wortwörtlich die ungespreizte und klare Sprache ins Auge fallen.

Marco Maurer zeichnet in “Du bleibst, was Du bist” durch Gespräche mit Bildungsaufsteigern, Psychologen und Experten das Bild eines zutiefst ungerechten Bildungssystems.

Der Lesespaß wird allerdings mindestens ebenso geweckt durch die Interviews mit überwiegend bekannten Persönlichkeiten, wie Außenminister Walter Steinmeier, Bahnchef Rüdiger Grube, Grünen-MdB Cem Özdemir, Nobelpreisträger Stiglitz, Eliteforscher Michael Hartmann oder der Lernforscherin Elisabeth Stern. Die meisten sind dem Leser/ der Leserin aus ganz anderen Zusammenhängen bekannt. Sie vertreten meist unterschiedliche Interessen und Gruppen. Aber hier überrascht die Tatsache, dass sie überwiegend „Arbeiterkinder“ waren und heute die Ansicht eint, dass Chancengleichheit im deutschen Bildungswesen nicht gegeben ist. Ihre kritischen, informativen und oft auch ungewohnten Meinungen werden als Aussagen von einflussreichen „Zeitzeugen“ gelesen werden und interessant bleiben können.

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Warum haben sie es aber geschafft ? Warum sind sie dem Schein nach offenbar der Gegenbeweis zum Faktum, dass von 100 Akademikerkindern in Deutschland 77 studieren, von 100 Nichtakademikerkindern nur 23? Auf diese Frage kann das Buch keine Antwort geben; Marco Maurer muss seine Ausgangsfrage unbeantwortet lassen: Es bleibt weiterhin offen, was zwischen Herkunftsstruktur und persönlichem „Aufstieg“ vermittelt. Sind es die Gene, die Resilienz, die Anstrengungsbereitschaft oder der Zufall?

Leser und Leserinnen werden sich erinnern, dass in den Siebziger Jahren die „Bildungswerbung“ und der Ausbau des Bildungswesens eine erfolgreiche bundeseinheitliche Strategie waren. Ähnliches verhindern heute das Föderalismusgesetz und Kooperationsverbot.
Arnulf Hopf, Bad Zwischenahn

Informationen zum Buch: Marco Maurer DU BLEIBST WAS DU BIST – Warum bei uns immer noch die soziale Herkunft entscheidet, 381 Seiten, Droemer München, 2015

Mehr Informationen zum Thema unter Arbeiterkind.de

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