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Was Lehrer alles leisten sollen – der „Traumberuf“ wird zusehends aufreibend

STUTTGART. Von wo wird heutzutage nicht alles an den Lehrern gezogen: Schulreformen aller Orten, neue Ansprüche von Eltern, ständig neue Aufgaben, denen sich das Bildungssystem und mit ihm seine Protagonisten stellen müssen. Lehrern wird in ihrem Beruf mehr denn je außerordentlicher Einsatz abverlangt, nicht nur angesichts der aktuellen Herausforderungen bei der Integration von Flüchtlingskindern. Dem stellen sich die Lehrer mit einer gesellschaftlich noch kaum beachteten Selbstverständlichkeit. Aber immer öfter stoßen gerade engagierte Lehrer an die eigenen Grenzen, warnen Lehrerverbände.

Lehrer sein ist nicht leicht. Auf der einen Seite gilt der Beruf vielen Menschen noch als vermeintlicher Traumob, geprägt von Ferien, freien Nachmittagen und Beamtenstatus. Auf der anderen Seite agieren Lehrer in einem Bereich, der seit längerer Zeit, wenn nicht eigentlich immer im gesellschaftlichen und politischen Fokus steht wie kaum ein anderer. Dabei gehört es geradezu zu den strukturellen Bedingungen des Berufs, dass sich im Bildungsbereich nicht nur vermeintlich die Zukunft der deutschen Gesellschaft entscheidet – ein geradezu elementarer Terminus politischer Sonntagsreden –, sondern aus Sicht von Eltern vielfach die Zukunft der eigenen Familie.

Lehrer stehen von vielen Seiten unter Druck, die Arbeitsbelastung ist hoch. Foto: bark / flickr (CC BY 2.0)

Eltern sind zunehmend bereit, sich für den Bildungserfolg ihrer Kinder zu engagieren und verlangen von Lehrern eine passgenaue Förderung ihrer Kinder, ergab jüngst eine Studie des niedersächsischen Forschungsinstituts für frühkindliche Bildung. Weil dabei auch das Wohlbefinden ihrer Kinder zentral sei, verlangen sie zunehmend auch Rückmeldung hierüber. Lehrer sind damit weit mehr gefordert, Beziehungsarbeit zu leisten, als früher. Diese unterscheide sich von herkömmlichen Formaten insofern, als dass es nicht lediglich um Informationsweitergabe zum Lernstand oder Sozialverhalten gehe. Auch wenn dies dem Trend zur postulierten individuellen Förderung im Schulsystem entspricht, fühlen sich viele Lehrer auf diese Anforderungen nur wenig vorbereitet.

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Ziehen von dieser Seite also die direkt Betroffenen an den Lehrern, unterliegt das Schulsystem nicht erst seit der ersten Pisa-Untersuchung stetigen Reformbemühungen seitens Politik und Schulverwaltung. Diese sind dabei zum Teil von einander zuwiderlaufenden Entwicklungszielen und -interessen bestimmt. Eine einheitliche Linie ist in vielen Fällen schwer zu erkennen. Viele Neuerungen werden schon nach kurzer Zeit wieder ganz oder teilweise zurückgefahren, wie es sich beispielsweise in der Einführung und teilweisen Wiederabschaffung der verkürzten Abiturzeit an den weiterführenden Schulen zeigt. – Alles nicht gerade dazu angetan, einer Verunsicherung unter den eigentlichen Umsetzern der Reformen, den Lehrern, entgegenzuwirken.

Daneben kamen in der letzten Zeit laufend neue Aufgaben auf die Lehrerschaft zu. Gewaltprävention, neue Bildungspläne und zunehmender Ganztagsbetrieb, Inklusion und Flüchtlingskinderproblematik: Baustellen gibt es an den Schulen gerade mehr als genug, schreibt etwa der Verband Bildung und Erziehung Baden-Württemberg (VBE) in einer Pressemeldung.

Die meisten Lehrer zeigen nicht erst angesichts der aktuellen schwierigen Situation der Integration von Flüchtlingssituation ein außerordentliches Engagement. Das schlägt sich allmählich, zumindest stellenweise, in der öffentlichen Meinung vom Lehrerberuf nieder. So stimmt schon 2013 in einer Allensbach-Umfrage die Mehrheit der Befragten der Aussage zu, dass sich die Pädagogen sehr für ihre Schüler einsetzten und einen anstrengenden Job machten.

Verbessert sich somit zwar allmählich das Berufsimage, bringt gerade das hohe Engagement für ihre Schutzbefohlenen für die Lehrer eine Gefahr mit sich. Viele stießen derzeit an ihre Grenzen und zeigten deutliche Überlastungs- und Erschöpfungssymptome, beklagen Lehrerverbände. Diese seien meist Ausdruck eines dauerhaft zu großen Engagements: „In der Regel haben sich diese Pädagogen im Dienst völlig verausgabt, meint etwa Michael Gomolzig, Sprecher des baden-württembergischen VBE.

Das für die Gesunderhaltung notwendige gedankliche Abschalten von der Arbeit außerhalb der Schule könne von vielen Lehrern nicht vollzogen werden, weil sie sich zum einen zu stark mit der Schule und den Schülern identifizierten, zum anderen zwangsläufig immer wieder Arbeit mit nach Hause genommen werden müsse. Tatsächlich spielt sich ein Großteil der Lehrerarbeitszeit außerhalb der Schule ab, quasi im Verborgenen. Arbeitszeiten von bis zu 50 Stunden pro Woche bilden keine Ausnahme.

Die Gefahr psychischer Erkrankungen wie Depressionen oder Burnout ist angesichts solch hoher Belastungen groß. Insgesamt stieg zwischen 2010 und 2014 allein die Zahl der Krankmeldungen durch Burnout um das Neunfache. Auffällig oft sind die Betroffenen Lehrer, paradoxerweise eine Berufsgruppe, die in Untersuchungen gleichzeitig mit die höchste Arbeitszufriedenheit bezeugt, obwohl Lehrer überdurchschnittlich ungünstige Werte für ihre Gesundheit und hohe Stresssymptome zeigen.

Erschöpfung, Leere, Zurückgezogenheit, Schlafstörungen, Angst und Schweißausbrüche: Experten empfehlen, die ersten Warnzeichen ernst zu nehmen und sich nicht zu scheuen, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. “Manche unserer Patienten haben es geradezu verlernt, gut zu sich selbst zu sein. Den eigenen körperlichen und seelischen Bedürfnissen gegenüber achtsam zu sein und z. B. wieder mit Lebensfreude eine Mahlzeit einzunehmen – das müssen viele ausgebrannte Lehrer erst wieder ganz neu einüben”, betont etwa der Bad Säckinger Psychiater und Psychotherapeut Andreas Jähne.

Doch nicht nur die Lehrer selber sollten mehr auf ihre Gesundheit achten, meint VBE-Sprecher Gomolzig. Noch wichtiger sei es, dass die Politik aktiv werde und die Arbeitsbedingungen an den Schulen verbessere. An erster Stelle der Agenda stehe bei den Pädagogen der Wunsch nach kleineren Klassen, dicht gefolgt von dem Bedürfnis nach einer spürbaren zeitlichen Entlastung.

Bei Erziehungsproblemen mit Schülern sollten außerdem Eltern wieder verstärkt mit in die Pflicht genommen werden. „Lehrer sind keine pädagogischen Allzweckreiniger, die zu ihrem eigentlichen schulischen Bildungsauftrag noch so nebenher sämtliche gesellschaftlichen Werte- und Erziehungsdefizite bei den Schülern ausbügeln“, schimpft der VBE-Sprecher. (zab)

zum Bericht: Flüchtlingskinder: Lehrer an der Grenze des guten Willens – Hilferufe nehmen zu

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