KÖLN. Die Übergriffe von offenbar arabischstämmigen jungen Männern auf Frauen in Köln, Hamburg und Stuttgart rücken ein altbekanntes Problem wieder in den Fokus: die überproportionale Gewaltbereitschaft von männlichen Jugendlichen aus muslimischen Familien – die auch in den Schulen immer wieder zu Problemen führt. Dazu kommt ein archaisches Frauenbild, das auch gerade Lehrerinnen und Polizistinnen zu spüren bekommen. Bereits 2010 hat das Bundesfamilienministerium dazu eine Expertise erarbeiten lassen. Die Wissenschaftler warnen darin vor zu einfachen Erklärungsansätzen, klar aber wird: Die Schwierigkeiten fangen bei der Erziehung an, oder besser: bei der fehlenden Erziehung durch überforderte Eltern.
„Wir haben immer mehr Migranten in Deutschland, und viele haben nicht gelernt, Respekt vor Frauen und der Staatsmacht zu haben. Sie leben in Parallelgesellschaften, wo andere Regeln gelten”, sagt die Bochumer Polizistin Tania Kambouri –, die unlängst mit ihrem Buch „Deutschland im Blaulicht. Notruf einer Polizistin” (Piper-Verlag, 14,99 Euro) für Aufsehen und breite Diskussionen gesorgt hat. Sie berichtet darin von zunehmender Gewalt, der Polizisten vor allem von jungen Männern aus muslimischen Einwandererfamilien ausgesetzt seien. Vor allem von Frauen ließen sie sich nichts sagen – eine Erfahrung, die auch so manche Lehrerin in Deutschland mit ihren arabisch- oder türkischstämmigen Schülern macht. „Unsere beste Waffe ist das Wort. Aber vielleicht empfinden sie es als Schwäche, weil in ihren Herkunftsländern nicht lange diskutiert wird und eher Gewalt angewendet wird”, sagt Kambouri, deren Familie selbst eingewandert ist (aus Griechenland).
Tatsächlich gibt es immer wieder Berichte darüber, dass insbesondere an Schulen mit hohem Migrantenanteil Lehrerinnen einen schweren Stand haben – bis hin zu Beleidigungen und sexuellen Belästigungen durch Schüler. Viele von ihnen sind in patriarchalischen Familien- und Gesellschaftsstrukturen aufgewachsen. „Das bedeutet, dass der Mann die Regeln aufstellt und die Frau gehorchen muss. Handelt sie nicht nach seinen Werten, kleidet sie sich zu freizügig oder hat Sex vor der Ehe, verliert die Familie ihr Ansehen und ist gesellschaftlich ruiniert“, erklärt der Psychologe Ahmad Mansour im Berliner „Tagesspiegel“. Eine Frau, die in der Schule plötzlich Forderungen an die Jungen stelle, passe nicht in dieses Bild hinein.
„Auch wenn nicht von einem homogenen Erziehungsstil gesprochen werden kann, prägt der autoritäre Erziehungsstil in arabisch- und türkischstämmigen Familien das Elternhandeln, wodurch im Wechselspiel mit den Erziehungsvorstellungen der deutschen Mehrheitsgesellschaft, insbesondere der Bildungsinstitutionen, ;Irritationen‘ entstehen“, so heißt es auch in einem Handbuch der Konrad-Adenauer-Stiftung für Lehrer und Erzieher über „Muslimische Kinder und Jugendliche in Deutschland“.
Weiter heißt es darin: „Die frühkindliche bzw. vorschulische Erziehung innerhalb der Familie wird von der überwiegenden Mehrheit der türkischen Eltern nicht ernst genommen. In dieser Phase der Erziehung werden die Kinder sehr wenig von ihren Eltern gefördert. Die vorschulische Erziehung besteht bei vielen lediglich aus Verboten und Tadeln, die wiederum nicht konsequent umgesetzt werden. Es entwickeln sich regelhaft dieselben innerfamiliären Muster: Die Mutter verwöhnt den Sohn und vernachlässigt emotional die Tochter. Der Vater kümmert sich erst ab dem dritten Lebensjahr um die Erziehung des Sohnes und vernachlässigt intellektuell seine Tochter. Die arabischen und türkischen Töchter lernen bereits in der Familie, frühzeitig Verantwortung zu übernehmen. Ein solches Gefühl des Gebrauchtwerdens erfahren Jungen kaum. Ihre Verantwortung beschränkt sich weitgehend auf die Verteidigung und Kontrolle (der Ehre) der Schwestern und auf die Aufrechterhaltung eines dominanten Erscheinungsbilds. Die Söhne erfahren insgesamt mehr Freiraum, den sie mit ihren Freundeskreisen ausleben. Und sie lernen implizit, dass sie weibliche Autorität missachten können. Das ist auch der Hauptgrund, warum sich (junge) Pädagoginnen gegenüber arabisch- und türkeistämmigen Jugendlichen häufig nicht durchsetzen können.“
Dass Jugendliche aus Migrantenfamilien häufig selbst Gewalt in ihren Familien ausgesetzt sind, betont die vom Bundesfamilienministerium 2010 herausgebrachte Studie „Gewaltphänomene bei männlichen muslimischen Jugendlichen“ – türkischstämmige Jugendliche im Schnitt zwei bis drei mal häufiger als andere Altersgenossen. Gewaltanwendung sei in den Familien ein verbreitetes Mittel, um Kinder und Jugendliche zu disziplinieren, die (auch durch sprachliche Unzulänglichkeiten) andere Konfliktlösungsstrategien gar nicht erführen. Dazu komme ein Unverständnis vieler Familien gegenüber den Erziehungszielen der Schule. „Besonders die Eltern aus dem Arbeitermilieu stehen der Schule skeptisch gegenüber, weil sie nicht autoritativ, sondern individualistisch erzieht, und zudem ihnen die Möglichkeiten fehlen, ihren Kindern Hilfestellungen zu geben.“
40 Prozent der muslimischen Familien bauen Schätzungen zufolge auf ein eher autoritäres Verständnis von Erziehung und Unterricht. „Es gibt hohe Bildungserwartungen bei türkischen Eltern“, so erklärt einer der beiden Studienautoren, der Sozialwissenschaftler Aladin El-Mafaalani, in der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“. Aber: Die meisten traditionell eingestellten Eltern halten sich aus schulischen Belangen heraus. „Die Erziehungsberechtigung geht für die Schulzeit auf den Lehrer über.“ Elterngespräche seien unüblich, auch bei Problemen. „Eine Lehrkraft in der Türkei oder in Syrien, wo ich herkomme“, sagt El-Mafaalani, „würde sich nie an die Eltern wenden. Hier lösen die Lehrer das Problem selbst.“
Co-Autor Ahmet Toprak, ein Erziehungswissenschaftler, empfiehlt Lehrerinnen und Lehrern, muslimischen Kindern und Jugendlichen mehr Orientierung zu geben – und ihnen gegenüber eine andere Ansprache zu pflegen: einen „autoritativen“ Stil, also mit klaren Regeln und Autoritätsstrukturen. News4teachers
Zum Bericht: Schule im sozialen Brennpunkt: Elternarbeit – oft auf verlorenem Posten