KÖLN. Die Inklusion ist da – theoretisch zumindest. Doch die Erfahrungen von Betroffenen zeigen: Die Realität hinkt dem Anspruch weit hinterher. Fachpersonal fehlt, Lerngruppen sind zu groß, Barrierefreiheit ist nicht gegeben. Wie es weiter gehen kann, ohne dass die Inklusion vor die Wand gefahren wird, haben auf der Didacta-Messe Ludwig Hecke, Staatssekretär im Schulministerium NRW, Udo Beckmann Vorsitzender vom Verband Bildung und Erziehung (VBE), Jörg Dräger, Vorstandsmitglied bei der Bertelsmann-Stiftung und Claus Hamacher vom Städte- und Gemeindebund NRW diskutiert.
Die Bestandsaufnahme war ehrlich, denn selbst der verantwortliche Staatssekretär Hecke räumte ein: Wir brauchen multiprofessionelle Teams in den Schulen, aber bis es soweit sei, dass das Personal ausgebildet und im Schuldienst ist, werden noch einige Jahre ins Land gehen. Verbandschef Beckmann betonte die Unzufriedenheit der Lehrer mit der Situation: “Die Kollegen fühlen sich allein gelassen und ins kalte Wasser geworfen.” Die Landesregierung tue zwar etwas, etwa im Bereich Fortbildung habe sich viel entwickelt, aber es sei zu spät und zu wenig gekommen.
Bertelsmann-Vorstandsmitglied Dräger analysierte zu Beginn der Debatte die vorhandenen Daten. Seit 2009, dem Jahr, in dem die UN-Behindertenrechtskonvention in Kraft trat, habe sich der Inklusionsanteil in den allgemeinbildenden Schulen zwar verdoppelt, der Exklusionsanteil habe sich aber ebenfalls gesteigert. Es fehle gleichzeitig an bundeseinheitlichen Standards. So komme es zu mitunter seltsamen Phänomenen, dass es beispielsweise in einem Bundesland doppelt so viele Kinder mit Förderbedarf “hören” gebe als im Nachbarbundesland.
Bei der Frage nach den Standards hatte VBE-Chef Beckmann einige Vorschläge parat: Doppelbesetzung in den Klassen und multiprofessionelle Teams. Dräger plädierte eher für einheitliche Kriterien bei Diagnose und Infrastruktur.
Brauchen wir weiterhin Förderschulen?, fragte Moderator Lothar Guckeisen. “Bisher haben wir noch mehr Förderschulen als Gymnasien, wir müssen sicherlich noch einige schließen”, sagte Dräger. Die Eltern wollten weiterhin Förderschulen, also werde es auch weiterhin Förderschulen geben, schränkte Hecke ein. Die Eltern entscheiden mit den Füßen, ergänzte Beckmann. Die Politik sei gefordert, die sonderpädagogische Förderung an den allgemeinbildenden Schulen genauso gut aufzustellen wie an den Förderschulen. “Ich glaube nicht an ein Ende des Förderschulsystems”, betonte auch Hamacher. Er warnte auch vor falschen Erwartungen. Die Betreungsquote an allgemeinbildenden Schulen wird immer schlechter sein als an den Förderschulen. Es gebe aber andere Vorteile an der allgemeinbildenden Schule für Inklusionskinder.
Auch in der Lehrerausbildung sei die Inklusion noch nicht ausreichend verankert. “Inklusion ist in rund der Hälfte der Lehramts-Studiengänge integriert. Das ist problematisch, denn Inklusion wird im Alltag der Lehrer der Regelfall werden”, sagt Dräger. Hecke versichert, dass er das ebenso sehe und das daher in NRW das Modul gerade im Lehrerausbildungsgesetz verankert werden. “Es ersetzt aber nicht die Sonderpädagogen.”
Einig waren sich die Diskussionsteilnehmer weitestgehend bei der Frage, wieweit der Förderbedarf gehen sollte. Zumindest langfristig sollte eine inklusive Schule jeglichen Förderbedarf abdecken, nicht nur den sonderpädagogischen. nin