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Kraus zu “Schwachleistern”: Eltern mehr in die Verantwortung nehmen!

BERLIN. Nach wie vor, dies ergibt eine aktuelle Sonderauswertung von PISA-Daten aus dem Jahr 2012, hat das deutsche Schulsystem ein gravierendes Problem: etwa 140.000 Fünfzehnjährige schafften etwa in Mathe höchstens nur das dürftige Kompetenzniveau 1 – sie gelten als „Schwachleister“, die auf dem Arbeitsmarkt kaum Chancen haben. Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, fordert mehr Ressourcen für die individuelle Förderung in Schulen – und: die Eltern mehr in die Pflicht zu nehmen. Der Verband Deutscher Realschullehrer schlägt in eine ähnliche Kerbe.

Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbands. Foto: Deutscher Lehrerverband

„Die aktuell vorgelegten Ergebnisse sind nach wie vor kein Ruhmesblatt für die Schule in Deutschland“, sagte Kraus in einem Interview mit dem WDR. „Man sollte aber auch nicht übersehen, dass erhebliche Verbesserungen zu verzeichnen sind. Wenn sich der Anteil der sogenannten Schwachleister in einzelnen Testbereichen von 22 auf 14 Prozent reduziert hat, dann ist das eine Reduzierung dieser problematischen Schülerschaft um rund ein Drittel.“

Für den nach wie vor problematischen Anteil an leistungsschwachen Schülern gibt es Kraus zufolge, der 25 Jahre lang ein Gymnasium im bayerischen Vilsbiberg leitete, maßgeblich zwei Gründe. Der eine hat mit der Schule, der andere mit deren Elternhaus zu tun. Kraus: „Was problematische Elternhäuser betrifft, so ist es immer noch nicht gelungen, sie in Sachen Schulbildung ihrer Kinder in die Pflicht zu nehmen. Es gibt jedenfalls – zumal Schulbildung in Deutschland kostenfrei und damit nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängig ist – keine Bildungsoffensive ohne elterliche Erziehungsoffensive. Natürlich hat das Gemeinwesen eine große Bringschuld, das heißt die Verantwortung, ein gutes und effektives Bildungswesen zur Verfügung zu stellen. Zugleich gibt es bei den Adressanten des Bildungsangebots eine Holschuld. Hier mangelt es oft – sowohl bei Teilen der deutschen Schülerschaft wie auch bei Teilen der Schülerschaft mit Migrationshintergrund.“

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Die Schulen allein könnten das Problem nicht beseitigen, meint der Verbandschef. Sie könnten aber, zumal in einer äußerst heterogenen Schülerschaft, mehr individuelle Förderung von schwachen wie auch von besonders leistungsfähigen Schülern leisten, wenn sie eine 105- bis 110-prozentige Stundenausstattung hätten. „Damit könnte Unterrichtausfall vermieden werden, der nach wie vor vorhanden ist und vor allem zu Lasten der Schwächsten geht. Außerdem könnten so Förderkurse für schwache Schüler eingerichtet werden“, meint Kraus.

Er sagt voraus: „Die Heterogenität der Schülerschaft an deutschen Schulen wird im Übrigen in den kommenden Jahren weiter zunehmen. Es ist nicht unrealistisch, davon auszugehen, dass wir im Frühsommer 2016 aufgrund von Familiennachzug 400.000 bis 500.000 schulpflichtige Flüchtlinge in Deutschland haben. Diese Schüler wird man vernünftigerweise nicht gleich in PISA-Tests einbeziehen. Aber unabhängig davon brauchen wir für diese Schüler Tausende von ein- bis zweijährigen Brückenklassen, in denen sie auf die Integration in eine Regelklasse vorbereitet werden.“

„Die Zahl leistungsschwacher Schüler in Deutschland könnte noch geringer sein, wenn an den Schulen die entsprechenden Rahmenbedingungen gegeben wären“, ist sich auch der Vorsitzende des Verbands Deutscher Realschullehrer, Jürgen Böhm, sicher.

„An den Realschulen und Schulen des mittleren Bildungsgangs in Deutschland laufen bereits umfangreiche Maßnahmen, um lernschwächere Schüler individuell zu fördern und Wissenslücken auszugleichen“, macht Böhm deutlich. In diesem Bereich könnten jedoch noch viel mehr Angebote entstehen, wenn das entsprechende Lehrpersonal zur Verfügung stände: „Wenn es aus unterschiedlichsten Gründen in der Schule schlecht läuft, fehlt Kindern und Jugendlichen oft die entsprechende Unterstützung aus dem Elternhaus. Und den Stoff alleine zu vertiefen, überfordert viele. Gäbe es mehr zusätzliche Förderung über den normalen Unterricht hinaus, könnte man viel bewegen!“

IAm effektivsten erscheint dem VDR-Chef eine bessere Ausstattung der Schulen mit einer sogenannten „integrierten Lehrerreserve“. Das bedeutet, dass jede Schule eine Lehrkraft bzw. einzelne Stunden mehr zugeteilt bekommt, als zur eigentlichen Sicherstellung der Unterrichtsversorgung nötig wäre. Wenn ein Kollege beispielsweise erkrankt, kann dieser Ausfall schnell und unkompliziert ausgeglichen werden. Ansonsten kann die zusätzliche Lehrkraft eingesetzt werden, um schwächere Schüler gezielt zu fördern.

„On Top können die Kollegen die vielfältigen Aufgaben nicht mehr bewältigen. Vor allem in Schularten, die keine klaren differenzierten Bildungsgänge anbieten und ohne sinnvolle Leistungsdifferenzierung arbeiten, kann individuelle Förderung kaum noch gelingen. Das zeigen die nationalen PISA-Ergebnisse seit Jahren“, so Böhm. News4teachers

Zum Bericht: PISA-Zusatzstudie: Krasses Schulversagen bleibt in Deutschland ein Problem – trotz insgesamt besserer Leistungen

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