DÜSSELDORF. Kinder und Jugendliche werden durch das Internet immer früher mit sexuellen Themen konfrontiert. „Darum ist Sexualkunde in der Schule wichtiger denn je, und zwar auf Grundlage unseres tradierten christlichen Menschenbildes”, sagt Brigitte Balbach, Vorsitzende des Verbands „lehrer nrw“, gegenüber der „Rheinischen Post“. Dabei gehe es nicht nur um „technische“ Aspekte, sondern auch um Themen wie Liebe, Treue und Toleranz. Eine Selbstverständlichkeit? Offenbar zunehmend weniger: Die „Rheinische Post“ berichtet davon, dass in ihrem Verbreitungsgebiet – dem Niederrhein – immer mehr Schulen die Sexualerziehung schleifen lassen. Tatsache ist: Der Widerstand aus der Elternschaft gegen eine frühzeitige und umfassende Aufklärung wächst bundesweit.
„Besorgte Eltern“ – so nennt sich ein Bündnis, das seit zwei Jahren bundesweit gegen den Sexualkundeunterricht mobil macht. Zu früh, zu ausdrücklich würden Kinder heute mit dem Thema Sex in der Schule konfrontiert, meinen die Initiatoren. „Besorgte Eltern ist gegen jede Form der Frühsexualisierung ihrer Kinder in Kitas, Kindergärten und Schulen“, so heißt es auf der Homepage der Gruppe. Und: „Neue Methoden des Sexualkundeunterrichts verletzen die Schamgrenzen von Schülern. Sie setzen eine gefestigte Identität voraus, die nicht vorhanden ist, und geht an den Bedürfnissen der Schüler vorbei.“
Eine Sorge, die Regine Schwarzhoff, Vorsitzende des Elternvereins Nordrhein-Westfalen, teilt. Der Unterricht verletzte teils die Scham der Kinder, sagt sie gegenüber der „Rheinischen Post“. „Teilweise sind die Kinder total verstört.“ Denn oftmals werde zu explizit über Geschlechtsverkehr oder Abtreibung gesprochen. Das führe dazu, dass Eltern ihre Kinder aus dem Unterricht nähmen. „Diese Fälle landen zunehmend vor Gericht“, sagt Schwarzhoff und verweist auf den Fall eines Krefelder Vaters, der sich verantworten muss, weil er nicht wollte, dass sein Kind auf diese Weise unterrichtet wird. Dafür sei er mit einem Bußgeld bestraft worden.
„Man muss Eltern eine Ausweichmöglichkeit bieten”, fordert Schwarzhoff gegenüber dem Blatt, „nicht jeder möchte, dass sein Kind in einem Alter mit Dingen konfrontiert wird, die es noch nicht verarbeiten kann“. Sexualerziehung sei eingeführt worden, um ansteckende Krankheiten und Frühschwangerschaften zu verhindern und sexuellem Missbrauch vorzubeugen, doch in ihren Augen sei das Gegenteil der Fall, so Schwarzhoff.
Fördert also die Sexualerziehung einen ungehemmten Umgang junger Menschen mit Sex? Dafür gibt es wenig Anhaltspunkte: Jugendliche in Deutschland gehen weit überwiegend verantwortungsvoll mit ihrer Sexualität um, wie die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in ihrer jüngste Studie «Jugendsexualität 2015» feststellte. Der Untersuchung zufolge sind die Trends der vergangenen Jahre stabil: Jugendliche sind heutzutage nicht früher sexuell aktiv als vor zehn Jahren. Sie kümmern sich immer besser um die Verhütung. Positiv sei auch zu sehen, dass eine feste Partnerschaft den jungen Menschen beim „ersten Mal“ zunehmend wichtiger werde, hieß es.
Andererseits ist tatsächlich ein Zuwachs bei den Schwangerschaften minderjähriger Frauen in Deutschland zu beobachten: 2014 gab es nach Angaben des Statistischen Bundesamts knapp 8.000 Schwangerschaftsabbrüche bei Frauen unter 18 Jahren, 1996 waren es noch rund 4700. Dass dies womöglich eher mit immer noch zu wenig Aufklärung als mit zu viel zu tun hat, legt ein internationaler Vergleich nahe: Die vergleichsweise prüden USA liegen bei Teenager-Schwangerschaften weit vor Staaten wie Schweden und den Niederlanden, wo recht früh und umfassend aufgeklärt wird.
So oder so: Der Druck auf die Schulen wächst, das Thema Sexualerziehung möglichst klein zu halten – und sie reagieren offenbar. Die Aids-Hilfe oder pro familia beobachten bereits, dass Sexualerziehung im Unterricht seltener stattfinde, so berichtet die „Rheinische Post. Und die GEW sieht gar, dass Sexualerziehung immer öfter „totgeschwiegen“ werde. Ist das die neue Prüderie in Deutschland?
Das Thema hat auch schon den Wahlkampf in Baden-Württemberg erreicht, wo seit gut zwei Jahren heftig über die Verankerung des Themas „Sexuelle Vielfalt“ in den Bildungsplänen gestritten wird. In den Schulen, so meldete sich unlängst CDU-Spitzenkandidat Guido Wolf zu Wort, werde zu viel über Sex gelehrt. „Sex muss nicht bei jeder Gelegenheit öffentlich diskutiert werden. Es ist eine Frage des Respekts voreinander, höchstpersönliche Dinge wie Sexualität wieder mehr ins Private zu verlagern“, meinte der Herausforderer von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). Wolf kritisierte, dass Sex bereits im Grundschulunterricht immer öfter Thema sei. Wichtig sei, Eltern stärker über den Lehrplan mitentscheiden zu lassen, um solche Entwicklungen zu verhindern. „Natürlich müssen Schulen aufklären, und das klappt meistens auch ganz gut. Aber die Eltern müssen mitentscheiden können, wann und wie mit ihrem Kind über dieses Thema geredet wird“, sagte Wolf.
Was das allerdings in der Praxis bedeuten würde – ob beispielsweise religiös-fundamentalistische Eltern dann künftig ihre Kinder vom Unterricht fernhalten dürfen –, ließ der Christdemokrat offen. News4teachers