BERLIN. Tschüss Auswendiglernen – hallo Problemlösen! Wenn der Nachwuchs fit werden soll für die digitale Arbeitswelt der Zukunft, müssen Schulen ihren Unterricht ändern. Das fordert einer der renommiertesten Bildungsforscher in Deutschland: Prof. Gerd Gigerenzer.
Wie wäre es, wenn jemand im Büro in Zukunft der einzige Mensch in einem Team von Schreibrobotern wäre? Vielleicht kommt es nie so. Aber viele Jobs wandeln sich durch digitale Techniken. Und veränderte Arbeitswelten erfordern neue Kompetenzen bei den Menschen, die in diesen Welten leben. Der Kognitionsforscher und Psychologe Prof. Gerd Gigerenzer, Direktor des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin, rät im Gespräch: Kinder sollten schon früh lernen, mit Unsicherheiten konstruktiv umzugehen. Das heißt etwa für den Matheunterricht: Mehr mit Wahrscheinlichkeiten rechnen und Statistiken bewerten.
Welche Fähigkeiten brauchen wir in einer Umwelt und Arbeitswelt, die immer mehr von digitalen Prozessen und von Robotertechnik geprägt sein wird?
Gigerenzer: Wichtig ist zunächst, sich von den neuen digitalen Techniken nicht kontrollieren zu lassen, sondern sie umgekehrt zu kontrollieren. Und wir müssen lernen, mit Unsicherheiten zu denken und mit Unsicherheiten zu leben. Es geht darum, nicht ängstlich mit potenziellen Risiken umzugehen, sondern eher interessiert und gespannt.
Was müssten unsere Kinder also lernen?
Gigerenzer: Die Schule müsste man in gewisser Weise revolutionieren und mehr Wert auf selbstständiges Denken, Kreativität und Problemlösungen legen, weniger auf sture Faktenvermittlung. Und schon Kinder können lernen, Risiken und Wahrscheinlichkeiten einzuschätzen. Es geht vor allem darum, im späteren Leben Informationen aus den Bereichen Gesundheit, Geld und digitale Medien einordnen zu können.
Und wie sollten unsere Kinder lernen?
Gigerenzer: Lernen ist ein fundamental sozialer Prozess. Ein Beispiel: Kinder, die schon früh mit Sprachprogrammen wie “Baby Einstein” trainieren – was in den USA oft versucht wird – lernen wesentlich weniger, als wenn ihre Eltern ihnen vorlesen. Computer können Lehrer, und auch deren Vorbildfunktion, nicht ersetzen.
Wie werden wir dann arbeiten?
Gigerenzer: Die Menschen werden immer mehr mit ihrer Arbeit vernetzt werden. Auch wenn es in Deutschland derzeit oft noch recht klare Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit gibt. In den USA ist das schon ganz anders. Auch bei uns werden diese Grenzen weiter verschwimmen. Eine interessante Frage ist dann, wie unsere Freizeit aussieht. Ob wir dann mehr Zeit für Soziales oder Ehrenämter einsetzen, hängt wohl vor allem davon ab, ob uns die digitale Revolution eher zu einem Menschen macht, der nur für Geld lebt, oder dessen Ziele breiter gefächert werden.
Was brauchen wir noch?
Gigerenzer: Mehr emotionale Selbstkontrolle, vor allem im Umgang mit den digitalen Möglichkeiten. Das fängt damit an, dass viele Menschen lernen müssen, beim Autofahren nicht dem übergroßen Drang nachzugeben, permanent das Handy zu checken oder Nachrichten zu senden. In den USA gibt es dadurch über 3000 Verkehrstote pro Jahr. Selbst bei einem gemeinsamen Essen schaffen es viele ja kaum, das Smartphone vom Tisch zu verbannen und stattdessen ihrem Gegenüber in die Augen zu schauen. Interview: Andrea Barthélémy, dpa
Zum Bericht: Regentschaft der Roboter? Was die digitale Revolution bedeutet – auch für die Schulen