HAMBURG. Fast alle Leiter von Hamburgs Stadtteilschulen haben in einem Brandbrief den Zustand der noch jungen Schulform beklagt, setzen sich für «eine Schule für alle» ein. In einer Aktuellen Stunde der Bürgerschaft lehnt Schulsenator Rabe dies strikt ab.
Der von beinahe allen Stadtteilschulleitern unterzeichnete Brandbrief zur Zukunft des Zwei-Säulen-Modells lässt Hamburgs rot-grüne Koalition weitgehend unbeeindruckt. «Hamburgs Stadtteilschulen sind gute Schulen (…) und Hamburg kann auf seine Stadtteilschulen stolz sein», sagte Schulsenator Ties Rabe (SPD) am Mittwoch in einer Aktuellen Stunde der Bürgerschaft. Es sei nicht redlich, eine Krise in Hamburg herbeizureden. Dass es in der Hansestadt einen Run auf die Gymnasien gebe, sei auch andernorts in Deutschland so.
Zuvor hatten 51 von 59 Stadtteilschulleitungen in einem Positionspapier darauf hingewiesen, dass im kommenden Schuljahr nur 42 Prozent der neuen Fünftklässler auf eine Stadtteilschule wechselten. Der Rest gehe aufs Gymnasium. «Setzt sich dieser seit Jahren andauernde Trend fort, werden im Jahr 2020 etwa 70 Prozent aller Hamburger Schüler das Gymnasium besuchen.» Damit wäre das Zwei-Säulen-Modell gescheitert, betonten die Lehrer.
Senator Rabe – in der Debatte scharf kritisiert von FDP, Linken, CDU und AfD – sagte dagegen, dass mit Einführung der Stadtteilschulen im Jahr 2010 genau 44 Prozent aller Fünftklässler die neue Schulform gewählt hätten. Nach einem kurzen Anstieg auf rund 46 Prozent seien es heute wieder 44 Prozent. «Wir reden also darüber, dass die Stadtteilschule nach sechs Jahren nicht vergrößern konnte.»
Das Zwei-Säulen-Modell aus Stadtteilschule und Gymnasium war nach einem erbitterten politischen Streit und einem Volksentscheid zur letztlich abgelehnten Primarschule erst vor sechs Jahren etabliert worden. Bei der Einführung hatten sich mit Ausnahme der Linken alle damals in der Bürgerschaft vertretenen Parteien zu einem zehnjährigen Schulfrieden bekannt, damit sich das neue Modell ohne weitere Störungen entfalten kann. Beide Schulformen führen zum Abitur, die Stadtteilschule nach neun, die Gymnasien nach acht Jahren.
Aus Sicht der empörten Schulleiter bestätigt die jüngste Anmelderunde jedoch den Trend der sozialen Ausgrenzung. «Wir Schulleiter (…) sind überzeugt, dass die Herausforderungen in unserer Stadt, eine moderne, vielfältige Gesellschaft zu leben, die sozial, demokratisch, gerecht und chancenreich ist, mit der einen Schule für alle Schülerinnen und Schüler bewältigt werden kann.»
“Ich schaffe die Gymnasien nicht ab”
Schulsenator Rabe lehnte dieses Ansinnen strikt ab: «Auch wenn einzelne Schulleiter und einzelne Verbände es fordern: Ich schaffe die Gymnasien nicht ab.» Er räumte allerdings ein, dass es an einzelnen Stadtteilschulen Probleme gebe. Entscheidend sei jedoch: «Statt in pauschale Krisenstimmung zu verfallen, geht es um gezielte Qualitätsverbesserung an einzelnen Schulen. Das machen wir.»
Für die FDP-Opposition steht das Zwei-Säulen-System in Hamburg dagegen vor dem Scheitern. Die Einführung der Inklusion sei praktisch gescheitert, Flüchtlinge würden völlig ungleich auf die Schulen verteilt. «Mit Ihrer Politik des Unterlassenes ruinieren Sie das gesamte Schulsystem in Hamburg», sagte die FDP-Bildungspolitikerin Anna von Treuenfels-Frowein. Ihre CDU-Kollegin Karin Prien (CDU) sprach von einem öffentlichen Misstrauensvotums der Schulleiter. Weil Rabe nicht willens sei, die offenkundigen Probleme aufrichtig zu diskutieren, sei Hamburgs Schulfrieden mittlerweile in Gefahr. Für die AfD-Fraktion ist dieser sogar «im Grunde bereits aufgekündigt».
Nach Ansicht der Linken-Fraktionschefin Sabine Boeddinghaus hat der Brandbrief beinahe aller Stadtteilschulleiter eine neue Qualität. Gleichwohl nehme Rabe dessen Inhalt nicht ernst. Dabei wisse er ganz genau, dass das Zwei-Säulen-Modell «in einer Sackgasse ist».
Die SPD-Bildungsexpertin Barbara Duden (SPD) betonte, ihre Fraktion stehe hinter den Stadtteilschulen und hinter dem Schulfrieden. «Die Stadtteilschulen leisten eben nicht nur gute Arbeit in den Bereichen Integration und Inklusion und sorgen für mehr Bildungsgerechtigkeit.» Sie böten gerade auch für leistungsstärkere Schüler gute Bildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten. «Das muss immer wieder in den Mittelpunkt gerückt werden». Für ihre Grünen-Kollegin Stefanie von Berg ist das Positionspapier auch kein Misstrauensvotum. «Es ist ein Gesprächsangebot. Und das werden wir sehr gerne annehmen.» dpa
