BERLIN. Horst Hippler, Präsident der der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), zeigt sich empört über die Reaktionen der türkischen Regierung auf den Putschversuch vom vergangenen Wochenende. „Die deutschen Hochschulen sehen die aktuellen Entwicklungen an den türkischen Hochschulen mit Entsetzen. Die tiefen, offenbar skrupellosen Einschnitte in die akademischen Freiheiten durch die türkische Regierung machen uns alle fassungslos. Wir protestieren gegen dieses Vorgehen auf das Schärfste“, so der HRK-Präsident. Auch die GEW protestiert, und die Bundesregierung zeigt sich beunruhigt.
Die Bundesregierung beobachtet das Vorgehen der türkischen Regierung gegen mutmaßliche Sympathisanten der Putschisten mit wachsender Sorge. „Fast täglich kommen neue Maßnahmen hinzu, die einem rechtsstaatlichen Vorgehen widersprechen“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch in Berlin. Die Reaktionen auf den vereitelten Putsch seien unverhältnismäßig. Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU), sagte, “diese Maßnahmen geben uns Anlass zu größter Sorge”.
Nach dem gescheiterten Putschversuch in der Nacht zum Samstag hat in der Türkei eine Verhaftungswelle begonnen. Tausende von Staatsdienern wurden vom Dienst suspendiert, darunter allein 15.200 Lehrer von staatlichen Schulen. Die Regierung will zudem 21.000 Lehrern an Privatschulen die Lehr-Genehmigung entziehen, wie die die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete. Ihnen allen werde vorgeworfen, Beziehungen zu dem in den USA lebenden Geistlichen Fetullah Gülen zu haben, den die Türkei als Planer des Putschversuchs ansieht. Die Regierung forderte zudem den Rücktritt von 1.577 Universitäts-Dekanen. Akademiker dürfen seit Mittwoch nicht mehr ausreisen.
„Die Nachrichten deuten darauf hin, dass es um systematische Einschüchterung und um die Vernichtung des freien Geistes geht: Entlassung von mehr als 1500 Dekanen, Suspendierungen, Ausreiseverbot für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und Rückruf von im Ausland tätigen, Generalverdacht gegen Hochschulangehörige, Verhaftungen. Wir fühlen uns mit den betroffenen Hochschulangehörigen tief verbunden und versichern sie unserer Solidarität“, schreibt nun Hippler.
Weiter heißt es: „Traditionell verbinden die Türkei und Deutschland gute Wissenschaftsbeziehungen. Während der nationalsozialistischen Diktatur fanden zahlreiche deutsche Wissenschaftler Zuflucht in der Türkei. Heute zeichnen sich die Beziehungen durch eine enge Kooperation in der universitären Forschung sowie durch einen intensiven Austausch von Studierenden und Wissenschaftlern aus.“ Schon im Januar hatte Hippler die Repressionen der türkischen Regierung gegen Wissenschaftler an türkischen Hochschulen kritisiert. Gemeinsam mit internationalen Partnern unterzeichnete er zudem einen offenen Brief an den türkischen Staatspräsidenten, im dem der Schutz der akademischen Freiheiten eingefordert wurde. Offenbar vergeblich.
Auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) verurteilt die Freisetzung von Lehrkräften und Hochschuldekanen sowie das Reiseverbot für Wissenschaftler scharf. „Das ist ein Kahlschlag im Bildungsbereich und stellt das Menschenrecht auf Bildung in Frage. Die Rechte der im Bildungs- und Wissenschaftsbereich Beschäftigten werden ausgehebelt. Die türkische Regierung nutzt den Putsch offenbar, um rechtsstaatliche Grundsätze außer Kraft zu setzen und Stellen mit regierungstreuen Mitarbeitern zu besetzen. Wir fordern die Regierung in der Türkei auf, die Menschenrechte zu achten und die Rechtsstaatlichkeit im Land wieder herzustellen“, sagte GEW-Vorsitzende Marlis Tepe am Donnerstag. Sie verlangte, alle Repressionen gegen die im Bildungs- und Wissenschaftsbereich Beschäftigten einzustellen sowie die akademische Freiheit zu respektieren und garantieren. News4teachers / mit Material der dpa
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