STUTTGART. Bundesweit gibt es Betroffene – in einigen Bundesländern allerdings deutlich mehr als in anderen: Jedes Jahr sind befristet beschäftigte Lehrer für einige Wochen arbeitslos. Obwohl in Sonntagsreden immer wieder versprochen wird, die rüde Praxis einzudämmern, geht der Trend in die entgegengesetzte Richtung: Die Bundesagentur für Arbeit (BA) zählt während der Sommerferien bundesweit von Jahr zu Jahr mehr arbeitslose Lehrer. Verbände machen jetzt dagegen mobil, und zwar schwerpunktmäßig in Baden-Württemberg, wo diese „Sparmaßnahme“ am häufigsten praktiziert wird.
Verbände appellieren an die grün-schwarze Landesregierung von Baden-Württemberg, die bislang übliche Entlassung von befristet angestellten Lehrern und Referendaren zu den Sommerferien zu beenden. Lehrervertreter, Landeselternbeirat und Landeschülerbeirat verwiesen am Montag in Stuttgart auf Versprechen im CDU-Programm zur Landtagswahl, den grün-schwarzen Koalitionsvertrag und auf die Tatsache, dass junge Lehrer abwanderten, weil ihnen die Arbeitsbedingungen in Baden-Württemberg zu unattraktiv sind. Lehrer müssten in den Ferien bezahlt werden, wenn sie im September wieder beschäftigt würden. Das Land hält das für nicht finanzierbar.
Nach Angaben der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) beginnt mit den Sommerferien für fast 9000 Lehrer die Arbeitslosigkeit. Es handele sich um 5000 Referendare und mehr als 3000 befristet angestellte Lehrer. Die GEW, der VBE, der BLV und der Philologenverband erwarten insbesondere von der CDU Taten. Diese hat das Kultusministerium inne und hatte im Wahlkampf versprochen, die Beschäftigungsverhältnisse so zu ändern, dass sich niemand in den Ferien arbeitslos melden muss.
«Das Land macht befristete Verträge, weil das einfach viel billiger ist, als Menschen ordentlich zu bezahlen und dauerhaft zu beschäftigen», kritisierte GEW-Landeschefin Doro Moritz. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hatte kürzlich erklärt, dass eine dauerhafte Einstellung bislang befristet beschäftigter Vertretungslehrer das Land 35 Millionen Euro kosten würde. Das Geld sei aber im Landeshaushalt nicht vorhanden.
Das sieht auch Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) so. «Nicht alles, was wünschenswert wäre, ist leider auch finanzierbar», teilte sie mit. «Aktuell sehe ich den dringendsten Handlungsbedarf bei der qualitativen Weiterentwicklung unserer Schulen.» Dafür würden die finanziellen Spielräume genutzt. Priorität hätten für sie Vorhaben, die zum Beispiel auf die Unterrichtsqualität und die Förderung von Schülern zielten. Bereits die grün-rote Vorgängerregierung sei zu dem Ergebnis gekommen, dass die Weiterbeschäftigung aller befristeten Beschäftigten über die Ferien nicht bezahlbar sei.
“Menschlich ausgesprochen schofel”
Bislang gebe es 1666 unbefristet beschäftigte Lehrer, die sich um Vertretungen kümmerten. Diese Reserve fester Vertretungslehrer müsse um rund 4000 auf dann 5550 aufgestockt werden. «Kurze befristete Verträge sind inakzeptabel und können die Unterrichtsversorgung nicht sichern», meinte Moritz. Der Vorsitzende des Landeselternbeirats, Carsten Rees, bezeichnete befristete Verträge als «menschlich ausgesprochen schofel». Wegen ihrer guten Ausbildung im Südwesten würden junge Lehrer gerne etwa in der Schweiz genommen – und viele nutzen diese Chance. Rees: «Wir müssen junge Menschen überzeugen, dass es sich lohnt, in Baden-Württemberg Lehrer zu werden.»
Der Landeselternbeirat will Protestaktionen prüfen. «Die Eltern werden sich nicht mit ein oder zwei Hannah-Arendt-Zitaten abspeisen lassen», sagte Rees mit Blick auf die von Ministerpräsident Kretschmann verehrte und häufig zitierte Philosophin.
Die FDP schlug sich auf die Seite der Verbände. Ihr Bildungsexperte im Landtag, Timm Kern, meinte, die neue Regierung unternehme offenbar nicht einmal den Versuch, die schäbige Praxis der Sommerferien-Entlassung von Lehrerinnen und Lehrern abzustellen. News4teachers / mit Material der dpa
2015 meldeten sich in den Sommerferienmonaten rund 7000 Lehrkräfte mehr arbeitslos als durchschnittlich in den „Nicht-Ferienmonaten“. Das waren rund zehn Prozent mehr als im Jahr zuvor. 2009 waren gerade mal 4.300 Lehrkräfte betroffen.
“Bereits seit mehreren Jahren fällt der sprunghafte Anstieg der Arbeitslosigkeit in den Sommerferienmonaten auf. Nach den Ferien geht die Zahl der arbeitslosen Lehrkräfte wieder deutlich zurück. Die Hauptursache dürfte in einer größeren Zahl an befristet beschäftigten Lehrkräften und Referendarinnen und Referendaren liegen, deren Verträge mit Beginn oder während der Sommerferien enden.”
“Eine eventuelle Anschlussbeschäftigung erfolgt erst mit Beginn des neuen Schuljahres. Die betroffenen Personen melden sich dann für die Dauer der Sommerferien (oder einem Teil davon) arbeitslos.”
“Erkennbar ist dieses Phänomen insbesondere in den westlichen Bundesländern Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Hessen, Bayern, dem Saarland und Hamburg. Aber auch in den restlichen Ländern zeigt sich in den Sommerferienmonaten ein erhöhter Zugang von Lehrkräften in Arbeitslosigkeit.”
Besonders häufig sind naturgemäß jüngere Lehrkräfte betroffen. Ein Großteil (71 Prozent) sind Frauen.
