EUSKIRCHEN. Ein Angriff auf einen Zwölfjährigen an einer Schule schockiert die Stadt Euskirchen – der Schüler wurde lebensgefährlich verletzt. Nun glauben die Ermittler den Täter zu kennen: Es ist ein anderes Kind. Ein krasser Fall, der möglicherweise auf eine gefährliche Entwicklung hinweist: Insbesondere unter jüngeren Kindern scheint die Gewalt zuzunehmen – und: die Taten werden brutaler.
Ein Mitschüler soll für den Angriff auf einen lebensgefährlich verletzten Zwölfjährigen in Euskirchen verantwortlich sein. Dieser Verdacht habe sich erhärtet, nachdem man weitere Kinder befragt habe, gab die Polizei in Nordrhein-Westfalen bekannt. «Nach dem, was wir bis jetzt aus Schilderungen erfahren haben, gehen wir nur von einem agierenden Täter aus», sagte ein Sprecher der Bonner Staatsanwaltschaft. Dabei handele es sich um einen anderen Jungen im strafunmündigen Alter – also unter 14 Jahre. Auch wenn sich der Verdacht weiter erhärten sollte, müsste er sich für die Tat nicht vor Gericht verantworten. Es sei aber das Jugendamt eingeschaltet worden, sagte Faßbender.
Eine Lehrerin der Gesamtschule Euskirchen hatte am Donnerstag den Notarzt gerufen, weil der Zwölfjährige über Schmerzen klagte und benommen war. Wie sich herausstellte, hatte er wohl bei einer Prügelattacke lebensgefährliche Verletzungen erlitten. Per Hubschrauber musste er später in eine Kölner Klinik geflogen werden. Zur Frage, ob er auch am Samstag in Lebengefahr schwebte, sagte der Sprecher: «Es ist noch in intensivmedizinischer Behandlung.»
Die Ermittler hatten zuvor mehrere Kinder im Beisein ihrer Eltern befragt. Zu weiteren Details des Falls wollten sie sich auch deshalb nicht äußern, weil sie auf weitere Zeugen hoffen. Es gebe Grund zur Annahme, dass weitere Schüler das Geschehen beobachtet haben könnten. Der Angriff habe sich auf dem Schulgelände während des Schulbetriebs ereignet, sagte Faßbender.
Nach Informationen des Kölner “Express” soll ein Kartenspiel Auslöser für die Prügelattacke gewesen sein. Angeblich hätten Täter und Opfer und vermutlich weitere Kinder mit sogenannten Yu-Gi-Oh-Karten gespielt. Der Täter soll es nicht ertragen haben, dabei zu verlieren – woraufhin er den Gleichaltrigen attackiert und brutal gegen den Kopf getreten haben soll.
Hinweisen, dass Mitschüler für den Angriff verantwortlich sein könnten, waren Polizei und Staatsanwaltschaft schon kurz nach Bekanntwerden des Falls nachgegangen. Der Zwölfjährige sei zunächst ansprechbar gewesen und habe Angaben machen können. Die Gesamtschule wird nach Angaben der Kölner Bezirksregierung mittlerweile auch von einem Krisenbeauftragten beraten.
Gefährliche Körperverletzungen: Zuwachs
Aktuelle Berichte zur Entwicklung der Jugendgewalt lassen keinen einheitlichen Trend erkennen. In Hamburg etwa haben die Fälle an Schulen im vergangenen Schuljahr gegenüber dem vorherigen um gut zehn Prozent zugenommen. Dem gegenüber sei die Zahl der Schüler lediglich um rund ein Prozent gestiegen, so meldet das “Hamburger Abendblatt”. Außergewöhnlich hoch sei der Anstieg gefährlicher Körperverletzungen: von 89 auf 167 Fälle – ein Plus von 88 Prozent. Die schwerwiegendste Tat ereignete sich laut Bericht an einer Berufsschule. Anfang Januar war dort ein 18-Jähriger im Schulgebäude durch Messerstiche eines 20 Jahre alten Mitschülers lebensgefährlich verletzt worden.
In Berlin ist die Jugendgewalt insgesamt rückläufig, allerdings nur bei den über 14-Jährigen, so berichtet der „Tagesspiegel“. Auffällig sei, so das Ergebnis eines aktuellen Monitorings zur Jugendgewalt in der Bundeshauptstadt (das schulische und polizeiliche Daten aus 2014 zusammenführt), dass es eine Verlagerung der Gewalt hin zu den Grundschulen gebe (die in Berlin in der Regel die ersten sechs Jahrgänge umfassen): „Die in den letzten Jahren zu verzeichnenden Zuwächse gehen ausschließlich auf die Grundschulen zurück“, so heiße es in der Bilanz der Arbeitsstelle Jugendgewaltprävention, die das Monitoring verantwortet. Bei den Sekundarschulen gebe es hingegen „massive Rückgänge“. Während 2010 die Grundschulen noch 40 Prozent der Fälle ausmachten, seien es jetzt 56 Prozent der Gewaltvorfälle.
Die Forschergruppe des Monitorings verweise auf die starke Korrelation von Schulklima, Schuldistanz, Armut, Perspektivlosigkeit sowie häuslicher Gewalt mit der Verbreitung von Kinder- oder Jugendgewalt, so heißt es. Die soziale Lage sei hier mitentscheidend. So liege die Zahl der Schulgewalt-Delikte beispielsweise im Brennpunkt-Bezirk Marzahn-Hellersdorf mit seiner hohen Zahl an arbeitslosen Alleinerziehenden sechsmal höher als im bürgerlichen Steglitz-Zehlendorf.
Und der rheinland-pfälzische Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Benno Langenberger, sagt: “Die Art der Gewalt an Schulen hat sich verändert. Die Körperverletzung wird exzessiver, brutaler.”
Die These, die Zahlen seien zwar rückläufig, im Gegenzug sei es aber zu einer neuen Qualität gekommen, also zu einer zunehmenden Brutalisierung, widerspricht der Kriminologe Wolfgang Heinz. In einem Fachbeitrag für die Bundeszentrale für politische Bildung schreibt er, dies “stützt sich auf persönliche Eindrücke von sachbearbeitenden Beamten. Statistisch kann diese These weder durch Hellfeld- noch durch Dunkelfelddaten bestätigt werden. Dem Eindruck entspricht, dass auch aus Schulen von einer Zunahme von Gewalt berichtet wird. Die Daten der Unfallversicherer zeigen aber, dass in den vergangenen 20 Jahren sowohl die Raufunfälle als auch die schweren, mit Bruchverletzungen verbundenen Raufunfälle insgesamt deutlich abgenommen haben, und zwar in allen Schularten.” News4teachers / mit Material der dpa
Zum Bericht: Polizei zur Gewalt an Schulen: Die Körperverletzung wird exzessiver, brutaler