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Gastbeitrag: Reine Zeitverschwendung? Über G9 und die entsprechende Debatte

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TÜBINGEN. Würde man eine Rangliste der unnötigsten Reformen im Bildungssystem der letzten Jahre erstellen, so hätte in meinen Augen die Verkürzung der Gymnasialzeit von neun Jahren (G9) auf acht Jahre (G8) einen Anspruch auf einen Spitzenplatz. Aber derzeit hat eine weitere Reform das Potenzial, die Führungsposition dieser Tabelle zu übernehmen: die Rückkehr bzw. teilweise Wiedereinführung von G9 in vielen Bundesländern.

Was sprach für die landesweite Einführung des achtjährigen Gymnasiums? Ein Argument war der Wunsch auf Angleichung der Schulzeit in allen 16 Bundesländern. Zudem wurde auf vermeintliche Straffungsmöglichkeiten im Curriculum des G9 verwiesen. Auch wurde argumentiert, dass Jugendliche heutzutage früher „erwachsen“ seien und G8 einen verantwortlichen Umgang mit Lebens- und Lernzeit darstelle. Die treibende Kraft hinter der Einführung von G8 war aber letzten Endes die Wirtschaft: Sie forderte eine Stärkung der internationalen Konkurrenzfähigkeit und betrachtete G8 dabei als unverzichtbaren Bestandteil. Mit einigem Abstand wiegt aus heutiger Sicht die Summe dieser Argumente nicht so schwer, als dass sie die flächendeckende Einführung von G8 notwendig gemacht hätte. Erschwerend kommt hinzu, dass G8 in vielen Bundesländern nicht Hand in Hand ging mit einer notwendigen Reform des Curriculums und die G8 teilweise überstürzt umgesetzt wurde.

Aber die Rückkehr zu G9 birgt die Gefahr, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Erstens funktioniert G8 dank des großen Engagements von Lehrkräften, Schulen und Bildungsverwaltungen inzwischen weitgehend reibungslos. Man kann, so zeigt sich, sowohl G8 als auch G9 gut oder schlecht gestalten; Unterschiede zwischen einzelnen Lehrkräften und Schulen geben davon beredtes Zeugnis.

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Das Logo der Initiative “G9 jetzt NRW”. Screenshot

Zweitens liegen endlich erste wissenschaftliche Studien vor, die darauf hinweisen, dass G8 vielleicht besser ist als sein Ruf. In unserer eigenen Auswertung von Daten des Nationalen Bildungspanels zu den Kompetenzen von Abiturienten in Baden-Württemberg konnten wir in Mathematik und Physik keinerlei Leistungseinbußen durch G8 identifizieren. Für die Biologie zeigten sich unwesentliche Unterschiede, wohingegen in Englisch substanzielle Leistungsvorteile für G9-Schüler bestanden, was aber wohl auch an anderen Faktoren (u.a. eine vorübergehende Reduktion der Gesamtstundenanzahl in Englisch) gelegen haben dürfte.

Hinsichtlich der Mehrzahl der abgefragten Freizeitaktivitäten widerlegten die Daten die Befürchtungen, wonach G8-Absolventen weniger Zeit beispielsweise für Orchester und andere Hobbies, für die Familie oder das Lesen berichten würden. Deutliche Unterschiede zugunsten von G9 fanden sich hingegen bei den Schülerberichten über das schulische Beanspruchungserleben und gesundheitliche Beschwerden. Als Erklärungsansätze kommen in Frage, dass (1) die Absolventen aus G8 jünger sind und deshalb für dieselben Anforderungen mehr Energie aufwenden müssen, (2) die G8-Absolventen in der Mittelstufe Defizite aufbauten, die in der Oberstufe korrigiert werden, oder dass (3) die Selbstberichte der G8-Absolventen z.T. auch die öffentliche Diskussion um die erwarteten negativen Folgen der Schulzeitverkürzung widerspiegeln. Um dies zu klären, bräuchte es Befragungen weiterer G8-Jahrgänge.

Drittens sind durch die partielle Rückkehr zu G9 potenziell negative Wirkungen auf die Schulstruktur zu verzeichnen. So werden die Vielfalt der Wege zum Abitur und die oftmals beklagten Unterschiede zwischen den Bundesländern nochmals vergrößert. Zudem hat das G8 im allgemeinen Trend, dass immer mehr Schüler das Abitur erwerben wollen, auch eine stabilisierende Wirkung auf andere Schularten wie die Realschule oder Gemeinschaftsschule entwickelt, deren Gelingen (auch) davon abhängt, dass sie leistungsstarke Schüler binden können.

Viertens – und das ist mein wichtigster Punkt – kostet…(Weiterlesen)

Der Artikel erscheint in Kooperation mit dem Blog LEAD.schule.de und kann dort zu Ende  gelesen werden. Die Homepage ist ein Projekt des Forschungsnetzwerkes und der Graduiertenschule LEAD an der Universität Tübingen. Mehr als hundert Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus elf verschiedenen Disziplinen forschen und lehren dort zu zentralen Fragen rund um Bildung, Lernen und Schule. Mit LEAD.schule.de sollen die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden.

Der Autor

Ulrich Trautwein ist Professor am Hector-Institut für Empirische Bildungsforschung und Leiter des LEAD Graduate School & Research Networks. Außerdem ist er Vorsitzender eines Wissenschaftlichen Beirats der Kultusministerkonferenz sowie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.

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