STUTTGART. Die Schülerschaft der Gemeinschaftsschule hat sich nicht so entwickelt, wie Anhänger es sich erträumt haben. Die Dominanz leistungsschwächerer Schüler konterkariert den gewünschten Effekt.
Die Gemeinschaftsschule ist immer noch vorrangig eine Schule für lernschwächere Kinder. Auf die von Grün-Rot eingeführte «eine Schule für alle» wechselten im Schuljahr 2016/17 zu 64,3 Prozent (Vorjahr: 62,3 Prozent) Kinder mit einer Grundschulempfehlung für die Haupt-/Werkrealschule. Ein gutes Viertel hatte eine Empfehlung für eine Realschule, wie das Kultusministerium am Dienstag in Stuttgart weiter mitteilte. Kinder, die auch das Gymnasium besuchen könnten, stellten nur 8,4 Prozent (Vorjahr: 10,1 Prozent) der Fünftklässler.
Die Hoffnung der Befürworter der Gemeinschaftsschule war, dass sich die Schülerschaft zu je einem Drittel aus Kindern mit Werkreal-, Realschul- und Gymnasialempfehlung zusammensetzt. Derzeit gibt es 299 Gemeinschaftsschulen im Südwesten. Die neue Schulform war im Schuljahr 2012/13 gestartet. Vor allem Werkreal-/Hauptschulen hatten sich zu Gemeinschaftsschulen umgewandelt.
Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) betonte: «Wir werden die Oberstufe an den Gemeinschaftsschulen dort ermöglichen, wo wir mit einer langfristigen Nachfrage rechnen können. Die Entwicklung der Übergangszahlen legt nahe, dass dies nur vereinzelt der Fall sein wird.»
Der Verein für Gemeinschaftsschulen wirft der Ministerin eine Bremshaltung bei der Einrichtung gymnasialer Oberstufen an den Gemeinschaftsschulen vor. «Wer sich trotz klarer Vereinbarungen im Koalitionsvertrag vorab als Skeptiker hervortut, erweckt den Anschein, gar kein wirkliches Interesse an einer Sekundarstufe II an den Gemeinschaftsschulen zu haben», sagte Vereinschef Matthias Wagner-Uhl.
Gerade beim Zustrom gymnasial-orientierter Kinder erwarte der Verein in den kommenden Jahren deutlichen Zuwachs: Die Gemeinschaftsschulen böten in der Breite des Landes als einzige Schulform Baden-Württembergs von der 5. Klasse an die Möglichkeit eines neunjähriges Zuges zum Abitur.
SPD-Bildungsexperte Gerhard Kleinböck sagte: «Die Übergangsquote auf die Gemeinschaftsschule ist ein Handlungsauftrag, diese noch junge Schulart bei der Einrichtung gymnasialer Oberstufen zu unterstützen.» Eisenmann dürfe die Gemeinschaftsschulen nicht hängen lassen.
Beliebteste Schule: das Gymnasium
Das Gymnasium bleibt mit einer Übergangsquote von 43,8 Prozent beliebteste Schule und legte in der Gunst der Familien um 0,4 Prozentpunkte zu. Auch bei den Realschulen blieb der Wert mit 33,7 weitgehend stabil. Bei den Werkreal-/Hauptschulen setzt sich der rückläufige Trend fort: Nur noch 5,9 (Vorjahr: 7,2) Prozent aller Grundschulabgänger wählten diese Schulart. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) forderte mit Blick auf diese Zahl Beförderungsperspektiven für Lehrkräfte an den Haupt- und Werkrealschulen. 13,4 Prozent (Vorjahr: 13,3 Prozent) der Kinder und Eltern entschieden sich für eine Gemeinschaftsschule.
Die Realschulen zeigen ein besonders differenziertes Bild: Ein Viertel der Wechsler auf diese Schulart hatte eine Empfehlung für die Werkreal-/Hauptschule, 56,2 Prozent (Vorjahr: 55,4 Prozent) hatten eine für die Realschule. 18,6 Prozent (Vorjahr: 20,6 Prozent) der Fünftklässler hatten zwar eine Empfehlung für das Gymnasium, entschieden sich aber für die Realschule. Die GEW forderte, dass insbesondere Lehrkräfte an Schulen mit großer Heterogenität Fortbildungen bräuchten. In diesem Bereich dürfe das Ministerium keine Mittel streichen.
Die Quoten legen nach Überzeugung Eisenmanns nahe, dass die Eltern insgesamt verantwortlich mit der Entscheidung über die weiterführende Schule umgehen. Die grün-rote Landesregierung hatte die verbindliche Grundschulempfehlung als eines ihrer ersten Projekte nach der Regierungsübernahme 2011 abgeschafft, so dass die Eltern das letzte Wort haben. dpa